Nr. 21/2013
Wahrheitssuche / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(Helsana Versicherungen c. «K-Tipp») Stellungnahme des Presserates vom 25. April 2013

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I. Sachverhalt

A. Die Zeitschrift «K-Tipp» veröffentlichte am 13. Februar 2013 einen von (gs) gezeichneten kurzen Artikel mit dem Titel «Millionen auf Vorrat kassiert». Die Prämienzahler in der Grundversicherung würden «zu stark zur Kasse gebeten». Die Zeitschrift illustriert dies am Beispiel des Geschäftsberichts 2012 der Helsana-Gruppe. Gemäss «K-Tipp» haben die Prämienzahler in der Grundversicherung wesentlich zum positiven Ergebnis beigetragen, da sie 3,2 Prozent mehr an Prämien zahlten. Die Reserven der Helsana für die Grundversicherung lägen bei 17% der Prämien. «Würde sich die Helsana nur schon mit einer Reserve von 10% begnügen, so könnte sie jedem Grundversicherten rund 230 Franken zurückgeben.» Noch höher könne die Rückzahlung ausfallen, wenn sie sich auf diejenigen Kantone beschränkt, in denen die Versicherten in den letzten 15 Jahren zuviel an Prämien bezahlt hätten. Abschliessend zitiert der Artikel den «Helsana-Chef» aus einem Interview mit der «Aargauer Zeitung». Dieser halte wenig von der Idee, den besonders geschröpften Versicherten aus Reserven Prämien zurückzuzahlen.

B. Am 26. Februar 2013 beschwerte sich die Helsana AG beim Schweizer Presserat, der «K-Tipp» baue seinen Artikel auf «falschen Zahlen und Fakten» auf und interpretiere diese «unsinnig». Zudem habe es die Zeitschrift unterlassen, die Helsana mit den schweren Vorwürfen zu konfrontieren und ihr so auch keine Möglichkeit gegeben, die falschen Zahlen zu korrigieren. Damit habe die Zeitschrift die Ziffern 1 (Wahrheit, Wahrheitssuche), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) verletzt.

Erstens suggeriere der Artikel, die individuellen Prämien bei der Helsana seien stark angestiegen. Der gestiegene Umsatz sei aber vor allem auf die Zunahme der Zahl der Versicherten zurückzuführen. Zudem habe der «K-Tipp» fälschlicherweise auch den Umsatz der freiwilligen Taggeldversicherung zum Volumen der Grundversicherungsprämien gezählt und sei so zur Aussage «gut 4 Milliarden» gelangt. In Wahrheit liege das Gesamvolumen bei 3,9 Milliarden Franken. Die Leserschaft gewinne so den falschen Eindruck, die Prämien der Helsana hätten sich um über 3% erhöht. Richtig gerechnet betrage die Erhöhung aber bloss 0,8%. Der Prämienanstieg pro Kopf sei bei der Helsana im betreffenden Geschäftsjahr 2012 damit nicht überdurchschnittlich gewesen, wie dies der Artikel zum Ausdruck bringe, sondern habe sich im Gegenteil unter dem schweizerischen Durchschnitt bewegt.

Zweitens behaupte der Artikel, die Helsana könnte sich auch mit deutlich weniger Reserven begnügen. Dabei übersehe der «K-Tipp», dass die Vorschriften geändert hätten und die Krankenkassen seit dem 1. Januar 2012 grössere Reserven bilden müssten. Deshalb sei es unsinnig, von der Helsana implizit zu verlangen, dass sie den Versicherten einen Teil der Prämien aus den bestehenden Reserven zurückzahle. Der Verfasser des Artikels habe nach eigenem Bekunden von den neuen Anforderungen an die Reservebildung durch die Krankenkassen keine Kenntnis gehabt.

C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 28. März 2013 weist die anwaltlich vertretene Redaktion «K-Tipp» die Beschwerde als unbegründet zurück. Sämtliche Zahlen des Artikels stammten von der Helsana. Bei der Berechnung des Prämienvolumens habe der Autor in zulässiger Weise gerundet. Auch die NZZ habe von «über 4 Milliarden Prämieneinnahmen» geschrieben. Der «K-Tipp» sei nicht verpflichtet gewesen, im Zusammenhang mit dem gestiegenen Prämienaufkommen auf die Zunahme der Versicherten hinzuweisen. Denn an dieser Stelle des Artikels sei dies gar nicht relevant. Die Pro-Kopf-Berechnung werde erst später im Artikel im Zusammenhang mit allfälligen Rückzahlungen gemacht.

In Bezug auf die Höhe der gesetzlichen Reserven wendet der «K-Tipp» ein, auch unter dem neuen Recht habe die Helsana die Möglichkeit, sich mit wesentlich weniger Reserven zu begnügen. Und der Artikel werfe der Helsana weder eine Bereicherungsabsicht auf Kosten der Versicherten noch die Missachtung geltenden Rechts vor. Daher habe keine Pflicht zur Anhörung bestanden.

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.

F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. April 2013 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der «K-Tipp» vermittelt seinen Leserinnen und Lesern am Beispiel der Helsana als zentrale Aussage des Artikels, die Prämienzahler würden von den Krankenversicherungen «zu stark zur Kasse gebeten» und die Reserven der Kassen seien «prall gefüllt». Die Konsumentenzeitschrift zeichnet das Bild einer Unternehmung, welche ihre Kunden über Gebühr schröpft. Und der Artikel suggeriert, die Helsana häufe auf Kosten der Prämienzahler in der Grundversicherung unbegründet Geld an.

Tatsächlich hat sich jedoch nicht nur der Umsatz, sondern auch der Kundenstamm vergrössert, es wurde also die Geschäftstätigkeit ausgebaut. Die Krankenkassen sind zudem in der Grundversicherung sowohl bei den (alljährlich durch das Bundesamt für Gesundheit zu genehmigenden) Prämien als auch bei den Reserven an die gesetzlichen Vorschriften gebunden.

2. Der «K-Tipp» verwendet in seiner Darstellung des Wachstums eine leicht übertriebene Umsatzzahl, was aber für sich allein nicht gegen die Wahrheitspflicht verstösst. Erst in der anschliessenden Berechnung, also bezüglich der Reserven und allfälliger Rückzahlungen, wird der Pro-Kopf-Betrag berechnet. Nur aus diesen beiden selektiven Berechnungen lässt sich jedoch die Aussage «zu stark zur Kasse gebeten» konstruieren. In diesem Punkt ist der Beschwerdeführerin zu folgen. Der Vorwurf des «K-Tipp» hat gemessen an der Deutlichkeit der Aussage zu wenig Gehalt und konstruiert einen falschen Zusammenhang zwischen Wachstum (absolut) und Reserven (pro Kopf). Der Satz «Sie zahlten gut 4 Milliarden Franken an Prämien, 3,2 Prozent mehr als im Vorjahr» führt deshalb die Leserschaft insofern in die Irre, als daraus nicht klar wird, dass das Prämienwachstum in erster Linie auf den Zuwachs an Versicherten und nicht auf die Erhöhung der individuellen Prämien zurückzuführen ist. Insoweit hat der «K-Tipp» deshalb die Ziffer 1 der «Erklärung» verletzt.

3. Nicht beurteilen kann der Presserat die Frage, ob es die (veränderten) gesetzlichen Rahmenbedingungen zu den gesetzlichen Mindestreserven der Krankenkassen zulassen, wie dies der «K-Tipp» behauptet, dass sich die Helsana auch mit deutlich weniger Reserven begnügen könnte, oder ob die Kasse aufgrund der geänderten Vorschriften ihre Reserven im Gegenteil erhöhen muss. Da hier Behauptung gegen Behauptung steht, ist eine Verletzung der «Erklärung» nicht erstellt.

4. Soweit die Helsana darüber hinaus eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) rügt, kommt dieser Beanstandung nebst den geltend gemachten Verletzungen der Wahrheitspflicht keine selbstständige Bedeutung zu.

5. Nicht verletzt sieht der Presserat schliesslich die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»). Der beanstandete Bericht kritisiert zwar die Helsana, unterstellt ihr aber weder illegales noch damit vergleichbares unredliches Verhalten (vgl. z.B. die Stellungnahmen 48 und 75/2012), höchstens eine wenig kundenfreundliche Politik.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «K-Tipp» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Millionen auf Vorrat kassiert» in der Ausgabe vom 13. Februar 2013 die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Wahrheit) verletzt, weil er nicht darauf hinweist, dass ein Prämienwachstum von 3,2% im Vergleich zum Vorjahr grösstenteils nicht auf die Erhöhung der individuellen Prämien, sondern vielmehr auf den Zuwachs der Zahl der Versicherten zurückzuführen ist.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

4. Der «K-Tipp» hat die Ziffern 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung» nicht verletzt.