Nr. 66/2002
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(X. c. «Blick») Stellungnahme des Presserates vom 22. November 2002

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I. Sachverhalt

A. Am 13. und 14. Dezember 2001 sowie am 23. April 2002 berichtete «Blick»-Journalist Alexander Sautter über einen Prozess vor dem Strafeinzelrichter in Zürich. Der Angeschuldigten X. wurden Verstösse gegen das Tierschutzgesetz und weitere Rechtsverstösse im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Hundezücherin vorgeworfen.

B. Am 5. Mai 2002 gelangte X. (nachfolgend: Beschwerdeführerin) an den Presserat. In ihrer Beschwerde erhob sie eine Reihe von Vorwürfen: Verletzung der Unschuldsvermutung während eines hängigen Strafverfahrens, versuchte Beeinflussung der Justiz, Verletzung der Persönlichkeit, Parteilichkeit der Berichterstattung, Verschleierung der Beziehungen des Gerichtsberichterstatters zur Gegenpartei und Verweigerung des Abdrucks einer Gegendarstellung.

C. Auf Aufforderung des Presserates ergänzte die Beschwerdeführerin ihre Beschwerdebegründung mit Schreiben vom 18. Mai 2002 dahingehend, «Blick» habe mit seiner Berichterstattung die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 2 (Verteidigung der Pressefreiheit), 3 (Unterschlagung von wichtigen Informationselementen), 5 (Berichtigungspflicht) und 7 (Respektierung der Privatsphäre) verletzt.

D. In einer Stellungnahme vom du 27. Juni 2002 wiesen die anwaltlich vertretene «Blick»-Redaktion und der Journalist Alexander Sautter die Vorwürfe der Beschwerdeführerin als unbegründet zurück. Auf Einzelheiten der Argumentation der Parteien wird in den Erwägungen eingegangen.

E. Das Presseratspräsidium übertrug die Beschwerde zur Behandlung an die 1. Kammer, der Peter Studer (Kammerpräsident), Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Katharina Lüthi und Edy Salmina angehören. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihren Sitzungen vom 10. Juli und 22. November 2002.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hat sich zu den berufsethischen Anforderungen an die Gerichtsberichterstattung bereits geäussert: «Die Gerichtsberichterstattung, insbesondere diejenige über Strafverfahren, stellt hohe Ansprüche an die Medienschaffenden. Die Schwierigkeit besteht darin, für jeden Einzelfall ein ausgewogenes Verhältnis zwischen leserfreundlicher Textgestaltung, Informationsinteresse der Öffentlichkeit und Respektierung grundlegender Prinzipien wie Unschuldsvermutung, Persönlichkeitsschutz und geordnetem Gang der Rechtspflege zu finden» (Stellungnahme 45/2001 i.S. X. AG c. «Zofinger Tagblatt»). Zur Frage der Berücksichtigung der Unschuldsvermutung und der Respektierung der Privatsphäre hat der Presserat bereits zahlreiche Stellungnahmen veröffentlicht (6/2000 i.S. G. c. «Cash»; 32/2000 i.S. «Il Diavolo» c. «La Regione»; 10/2001 i.S. Rassismus in der Kriminalberichterstattung; 33/2001 in S. V. c. «Berner Zeitung» u.a). Zudem enthalten die Richtlinien zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Richtlinien 7.5-7.8) Vorgaben für die Gerichtsberichterstattung.

2. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hat «Blick» die Unschuldsvermutung in den beanstandeten Medienberichten nicht respektiert. Dementsprechend ist vom Presserat zu prüfen, ob die Leserschaft aufgrund der Lektüre der drei Artikel den falschen Eindruck erhalten hat, Frau X. sei bereits verurteilt worden, obwohl gar kein entsprechendes rechtskräftiges Gerichtsurteil vorlag.

a) Für den Artikel vom 23. April 2002 ist dies offensichtlich zu verneinen. «Blick» kritisiert den Freispruch zwar scharf, enthält ihn der Leserschaft aber nicht vor. Auch die Beschwerdeführerin kommt mit einem Zitat zu Wort («Die Gerechtigkeit hat gesiegt»); es folgen Teilaspekte der Freisprüche. «Blick» verzichtete ferner auf den Hinweis, einen Teil der Vorwürfe (fahrlässige Tierquälerei) habe das Gericht wegen Verjährung nicht beurteilt. Das hätte den Eindruck suggerieren können, dass der Angeschuldigten eigentlich doch ein Schuldvorwurf zu machen wäre.

b) Schwieriger zu beantworten ist diese Frage hinsichtlich der beiden am Tag der Hauptverhandlung und am darauffolgenden Tag (13. und 14. Dezember 2001) – also vor dem Urteil des Bezirksgerichts – erschienenen Artikel. Der Titel des Berichts vom 13. Dezember ist zwar gewiss anklägerisch: «Skandal: so elend lebten ihre 66 Hunde!». Ebenso die Bilder und die Bildlegenden: «Ein grauenhaftes Bild: 26 Hunde in diesem Zimmer zusammengepfercht fanden die Polizisten. Sie konnten den Gestank kaum aushalten – überall hatte es Kot- und Urinspuren» und, «Ein blutüberströmter Bearded Collie wird untersucht: Penisspitze verletzt». Immerhin findet auch die Sichtweise der Beschwerdeführerin knapp ihren Platz: Eines der Bilder zeigt sie mit vier Hunden und der Bildlegende: «Züchterin X. behandelt nicht alle Bearded Collies schlecht. Mit einigen holte sie Ausstellungs-Preise». Im Text wird sie mehrmals zitiert («Ich bin keine Tierquälerin»; «Meine Hunde konnten sich frei im ganzen Haus und Garten bewegen. Denen ging es gut.» Aus dem Bericht geht für die Leserschaft zudem klar hervor, dass es zum damaligen Zeitpunkt lediglich um Anschuldigungen ging und dass ein Gerichtsurteil noch ausstand. Gewiss deutet die Gesamtwirkung des Artikels (insbesondere wegen der Dimension und Suggestivkraft des grössten Bildes) auf eine nach Auffassung des «Blick» erwiesene Schuld. Die aufgeführten Anklagepunkte entsprechen jedoch derjenigen der Anklageschrift, und die Beschwerdeführerin kam im berufsethisch geforderten Mindestumfang zu Wort. Ob der Unschuldsvermutung damit genügend Rechnung getragen worden ist, bleibt etwas zweifelhaft. Das reicht jedoch nicht aus, um eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» festzustellen.

c) Am Tag nach der Hauptverhandlung, am 14. Dezember 2001, kam «Blick» noch einmal auf den Fall zurück. Der Journalist hob erneut hervor, in welch erbärmlichem Zustand sich die Hunde der Beschwerdeführerin vor dem Einschreiten der Behörden befunden hätten. Weiter führte «Blick» aus: «Kaum zu glauben: Trotz Verbot des Veterinäramtes hat die Züchterin bereits wieder 20 Hunde bei sich.» Frau X. wird dazu lediglich in einem Nebenaspekt zitiert: «ÐZurzeit sind 20 Hunde der Rasse Bearded Collie bei mir zu Hause?, sage sie gestern zu ÐBlick?. ÐDie Hunde gehören aber nicht mir, sondern sind nur bei mir in den Ferien.?» Das Argument der Beschwerdeführerin wird zudem durch eine Angestellte des kantonalen Veterinäramts widerlegt: «Das Gesetz macht keinen Unterschied zwischen Ferienhunden und den eigenen».

«Blick» behauptete aber nicht, dass sich die 20 neuen Hunde im gleich erbärmlichen Zustand befunden hätten wie diejenigen, deren angebliche Misshandlung das Strafverfahren auslöste. Ebenso wies der Journalist darauf hin, dass die Behörde vorerst noch kontrollieren müsse, «ob gegen die Züchterin erneut rechtliche Schritte unternommen werden müssten». Dem Bericht war also zu entnehmen, dass ein angeblich neuerliches schuldhaftes Verhalten der Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen war. Damit handelt es sich hinsichtlich der Unschuldsvermutung und der Anhörung der Betroffenen auch beim Artikel vom 14. Dezember 2001 um einen Grenzfall. «Blick» hätte zwar den Standpunkt von Frau X. ausführlicher darstellen können. Aus den Eingaben der Parteien geht jedoch nicht hervor, ob dieses Manko der Zeitung vorzuwerfen ist oder ob es die Beschwerdeführerin damals vorgezogen hat, nicht mehr zu sagen. Nachdem «Blick» auch in diesem Punkt jeglichen Fehler bestreitet, ist ein Verstoss gegen berufsethische Normen unter diesen Umständen auch hinsichtlich des Artikels vom 14. Dezember 2001 nicht nachgewiesen.

3. Frau X. sieht ihre Privatsphäre darüber hinaus auch durch die Nennung ihres Namens verletzt. Zur Frage der Namensnennung in der Gerichtsberichterstattung hat sich der Presserat mehrfach geäussert (vgl. Stellungnahmen 3/94 i.S. G. c. «La Suisse»; 7/94 i.S. Namensnennung in der Gerichtsberichterst
attung; 32/00 i.S. «Il Diavolo» c. «La Regione»). Solange das Gericht die Öffentlichkeit nicht ausschliesst, sind Prozesse grundsätzlich für jedermann frei zugänglich. Die Identität der beurteilten Personen ist damit im Prinzip nicht «geheim». Die Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung» trägt jedoch dem ethischen Prinzip des Persönlichkeitsschutzes Rechnung. Danach ist die Anonymität der an einem Gerichtsverfahren Beteiligten zu wahren, sofern nicht die Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den entgegenstehenden privaten Interessen das Gegenteil nahelegt (Stellungnahme 45/01 i.S. X. AG c. «Zofinger Tagblatt»).

Vorliegend hat sich die Beschwerdeführerin bereits früher im Zusammenhang mit dem Thema Hundezucht an die Öffentlichkeit gewandt. Zudem hat sie gemäss ihren eigenen Angaben in der Beschwerdeschrift mit dem «Blick»-Journalisten Sautter gesprochen, ohne dass sie ihn explizit darauf aufmerksam gemacht hätte, dass sie nicht mit dem Namen zitiert werden wollte. Frau X. ist beruflich als Hundezüchterin tätig und ist sogar Präsidentin eines Verbandes, der sich zugunsten derjenigen Hunderasse engagiert, deren Misshandlung sie angeschuldigt war. Unter diesen Umständen war eine namentliche Berichterstattung über das Strafverfahren offensichtlich gerechtfertigt.

4. Die Beschwerdeführerin beanstandet weiter, die Recherchiermethoden des «Blick»-Journalisten seien nicht korrekt gewesen und dieser habe zudem einen Interessenkonflikt verschleiert. Gemäss der Darstellung von Frau X. profitierte der Journalist Alexander Sautter im Zusammenhang mit der Kontrolle des Veterinäramts des Kantons Zürich bei der Beschwerdeführerin von einer unzulässigen Zusammenarbeit mit den Behörden. Nur deshalb sei es ihm möglich gewesen, gleichzeitig mit den Kontrolleuren bei der Beschwerdeführerin zu erscheinen. Zudem sei er mit einer der Anzeigerinnen (Y.) und diese wiederum mit einem ebenfalls am Prozess beteiligten, auf Tierschutzfragen spezialisierten Rechtsanwalt (Z.) persönlich verstrickt und deshalb befangen gewesen.

Die von der Beschwerdeführerin dem Presserat eingereichten Urkunden vermögen diese – von «Blick» bestrittenen – Vorwürfe jedoch nicht zu beweisen. Unter diesen Voraussetzungen sind die Rügen der unlauteren Recherche und der Befangenheit als unbegründet abzuweisen.

5. Unter dem Titel Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») wirft die Beschwerdeführerin «Blick» vor, ihre Gegendarstellung vom 7. Mai 2002 zum Artikel vom 23. April 2002 nicht abgedruckt zu haben. Die Gegendarstellung ist aber ein Instrument des Zivilrechts. Die Beurteilung von Rechtsansprüchen obliegt der Justiz, weshalb der Presserat auf diese Rüge nicht eintritt.

6. a) Abschliessend ist die Frage der Zulässigkeit der harschen Kritik des «Blick» am Gericht im Artikel vom 23. Mai 2002 und im Kommentar vom gleichen Tag zu prüfen. Allerdings sind weder die Richterin noch der Staatsanwalt oder der Verteidiger an den Presserat gelangt.

Weiter erinnert der Presserat daran, dass sich die Freiheit des Kommentars und der Kritik (Ziffer 2 der «Erklärung») auch auf die Gerichtsberichterstattung und Justizkritik erstrecken. In der Stellungnahme 17/98 i.S. L. c. «Weltwoche» hat der Presserat dazu ausgeführt: «Die Justizkritik und die kritische Würdigung einer Strafnorm anlässlich eines von der Öffentlichkeit stark beachteten Prozesses gehört zum notwendigen Bestandteil der Kritik- und Kontrollfunktion der Medien. Selbstredend hat sich die Art und Weise wie diese Kritik geäussert wird, im Rahmen der berufsethischen Normen zu bewegen.» Zudem ist einer dieser Berichte ausdrücklich als «Kommentar» bezeichnet, weshalb ihm ein besonders grosser Freiraum gebührt; jedenfalls solange Personen darin nicht in unfairer Weise herabgesetzt werden (vgl. Stellungnahme 44/01 i.S. H. c. «Basler Zeitung» mit weiteren Hinweisen).

b) Der «Kommentar» vom 23. April 2002 kritisiert das Gerichtsurteil zwar äusserst hart als «Skandal». Darüber hinaus wirft er der Richterin vor, sie habe noch nicht begriffen, dass auch Tiere «eine Seele» hätten, und sie verstecke sich «feige hinter Paragraphen». Auch wenn zumindest fraglich erscheint, ob sich diese Wertungen auf eine solide Argumentation stützen und allenfalls die Richterin unfair angreifen, ist der Kommentar als solcher zulässig.

c) Ebensowenig geht der Artikel vom 23. April 2002 über die Grenzen der berufsethisch zulässigen Justizkritik hinaus. Der Titel lautet «Skandalurteil». Bild und Bildlegende («Fürchterlicher Gestank, überall Kot- und Urinspuren: 26 Bearded Collies waren hier zusammengepfercht») unterstützen diese Wertung. Demgegenüber gibt mehr als die Hälfte des des Artikels der Begründung des Freispruchs Raum. Die Leserschaft erfährt hier, dass gemäss Auffassung der Richterin die Tiere allein wegen der Kontrolle durch die Behörden im Haus gewesen seien. «Die Tiere hätten sich sonst auf dem 5000 m2 grossen Anwesen frei bewegen können, findet das Gericht.» Zudem veröffentlichte «Blick» auch ein Bild, das die Beschwerdeführerin mit zwei ihrer prämierten Hunde in bestem Zustand zeigt. Angesichts dieser Informationselemente waren die Leserinnen und Leser durchaus in der Lage, sich eine eigene Meinung über das Gerichtsurteil zu bilden. Der Artikel suggerierte zwar eine kritische Haltung zum Urteil, ohne jedoch für das Verständnis unabdingbare Informationen zu unterschlagen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2. Bei der Gerichtsberichterstattung ist der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Medien dürfen deshalb nicht den falschen Eindruck erwecken, ein Angeschuldigter sei bereits verurteilt, obwohl noch kein rechtskräftiges Urteil vorliegt oder der Schuldspruch eines Gerichts stehe schon fest, bevor das Urteil gefällt worden ist.

3. Die identifizierende Berichterstattung über ein Strafverfahren wegen angeblicher Widerhandlungen gegen das Tierschutzgesetz ist zulässig, wenn sich die Angeschuldigte berufsmässig mit Hundezucht befasst, einen entsprechenden Verband präsidiert und sich zudem bereits früher im Zusammenhang mit dem Thema Hundezucht an die Öffentlichkeit gewandt hat.