Nr. 25/2005
Namensnennung / Informationspflicht

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 30. Juni 2005

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 22. Oktober 2004 veröffentlichte die «Basler Zeitung» zwei Artikel über einen Strafprozess gegen eine 60-jährige Gynäkologin, in deren Praxis im Mai 2001 eine Patientin verblutet war, weil die Ärztin mit einem Hochfrequenz-Chirurgiegerät einen fehlerhaften Eingriff in der Gebärmutter vorgenommen hatte. Das Basler Strafgericht verurteilte die Gynäkologin wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 18 Monaten und zu einem fünf Jahre währenden Operationsverbot. In den Artikeln wurde der Name der Ärztin nicht genannt.

B. In ihrer Ausgabe vom 27. Oktober 2004 kam die «Basler Zeitung» auf die Frage zurück, ob in diesem Fall der Name der Ärztin genannt werden dürfe oder gar hätte genannt werden müssen. Offenbar hatten diverse Frauen dies von der Zeitung gefordert. Aus diesem Grund führte die Zeitung ein kurzes Interview mit Philipp Cueni, Dozent für Medienethik am Medienausbildungszentrum MAZ. Cueni wies darauf hin, dass laut Presserat bei Gerichtsverfahren mit der Namensnennung sehr zurückhaltend umgegangen werden solle. Auf den vorliegenden Fall bezogen, sagte Cueni unter anderem: «Wenn die Gynäkologin weiterhin praktiziert, hat die Öffentlichkeit eigentlich das Recht, den Namen zu erfahren. Sie kann dann selber beurteilen, ob sie weiter zu dieser Ärztin will oder nicht. Der konkrete Fall scheint eher für eine Namensnennung zu sprechen. Denn die Medien haben die Funktion, für die Öffentlichkeit zu denken.»

C. Am Tag darauf (28. Oktober 2004) publizierte die «Basler Zeitung» in der Kurzmeldung «Beratungsdienst nach Verurteilung» die Telefonnummer einer Hotline der Patientenstelle Basel und des Vereins Kinderwunsch. Beunruhigte Patientinnen könnten sich an den Informations- und Beratungsdienst wenden, hiess es. Dass Anruferinnen dort den Namen der verurteilten Ärztin erführen, stand nicht ausdrücklich im Text.

D. Am 9. November 2004 berichtete die «Basler Zeitung» von einer Erweiterung des Berufsverbots für die Gynäkologin. Das Basler Sanitätsdepartement habe verfügt, dass sie keine Operationen und keine Geburtshilfeeingriffe mehr vornehmen dürfe. Dies habe die Aufsichtsbehörde auch sämtlichen Patientinnen der Gynäkologin schriftlich mitgeteilt. Ausserdem sei ihr untersagt worden, neue Patientinnen anzunehmen. In ihrem Bericht zitiert die «Basler Zeitung» auch den nachmaligen Beschwerdeführer X. als Vertreter des Vereins Kinderwunsch, der die erwähnte Hotline mit ins Leben gerufen hatte: «Da die Patientinnen über diese Sanktionen informiert worden sind, sei auch die Forderung nach Transparenz gegenüber den Betroffenen erfüllt.» Bis zum Vortag hätten sich rund 300 beunruhigte Frauen bei der Hotline gemeldet, heisst es abschliessend im Artikel.

E. Am 9. März 2005 informiert die «Basler Zeitung» kurz über die Stellungnahme 7/2005 des Presserates: Der Presserat hatte eine Beschwerde gegen einen Artikel der «Basler Zeitung» vom November 2004 abgewiesen und entschieden, dass der Name eines verurteilten Apothekers, der widerrechtlich eine Hormonsalbe verkauft hatte, genannt werden dürfe, da ein selbbstständiger Apotheker eine wichtige gesellschaftliche Stellung einnehme.

F. Mit Eingabe vom 31. März 2005 erhob X., Sekretär des oben genannten Vereins Kinderwunsch, beim Presserat Beschwerde gegen die «Basler Zeitung». Seiner Auffassung nach hätte die Zeitung gegenüber der Öffentlichkeit die Pflicht gehabt, den Namen der fehlbaren Gynäkologin zu veröffentlichen. Einerseits seien viele Basler Patientinnen beunruhigt gewesen, was die weit über 300 Anrufe bei der Informations-Hotline belegten. Anderseits seien wegen des Verschweigens des Namens auch rund ein halbes Dutzend Basler Gynäkologinnen im Alter der Verurteilten zu Unrecht verdächtigt worden. Die Anrufe bei der Hotline hätten gezeigt, dass die Verwechslungsgefahr gross gewesen sei. Unverständlich sei, weshalb die Beklagte den Namen der Ärztin verschwiegen und nur wenige Tage später «den Namen des viel harmloseren Apothekers, der illegal Hormonsalbe verkaufte», genannt habe Der Entscheid des Presserates im Fall des Apothekers habe ihnen Mut gemacht, mit dem Fall der Ärztin an den Presserat zu gelangen, schrieb der Beschwerdeführer.

G. In der Beschwerdeantwort vom 23. Mai 2005 beantragte ein Mitglied der Chefredaktion namens der Beklagten die Abweisung der Beschwerde. Die «Basler Zeitung» habe in ihrer Berichterstattung über die Gynäkologin nicht gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachstehend «Erklärung» genannt) verstossen. Aus der «Erklärung» und den «Richtlinien» lasse sich keine Pflicht zur Namensnennung ableiten. Eine Namensnennung der Gynäkologin sei nicht gerechtfertigt gewesen; der Analogieschluss des Beschwerdeführers auf den Apotheker-Fall sei unzulässig.

Im Einzelnen beruft sich die Beklagte auf die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlange (Ziffer 7 der «Erklärung»). Im Fall der Gynäkologin habe kein überwiegendes öffentliches Interesse vorgelegen. Dass nur ein kleiner Kreis betroffen war, belege auch die Zahl von rund 300 Anfragen bei der Hotline. Das Risiko, dass die verurteilte Ärztin rückfällig würde, schätzte die «Basler Zeitung» als verschwindend klein ein. Im Fall des Apothekers sei das Risiko wesentlich höher gewesen, weil dort der Verurteilte uneinsichtig gewesen sei. Auch habe der Apotheker seinen Namen in der regionalen Presse selbst publik gemacht. Das Sanitätsdepartement habe in seiner Pressemitteilung vom 8. November 2004 die Telefonnummer des Kantonsärztlichen Dienstes und vier weiterer Stellen genannt, wo interessierte Personen Auskunft und Beratung erhielten. Auch der Verein Kinderwunsch des Beschwerdeführers habe mit seiner Hotline den Namen der Ärztin veröffentlicht. Die «Basler Zeitung» habe diese Telefonnummern publiziert bzw. auf Anfrage weitergegeben. Falls die Öffentlichkeit bei Berufsverboten tatsächlich ein Recht besässe, den Namen von betroffenen Ärzten oder Ärztinnen zu erfahren, dann sei es nicht Sache der Zeitung, sondern der Behörden, diese Veröffentlichung vorzunehmen.

H. Das Präsidium des Presserates wies den Fall seiner 3. Kammer zu, Ihr gehören Esther Diener Morscher als Präsidentin an sowie Judith Fasel, Claudia Landolt-Starck, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. Juni 2005 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Ziffer 7 der «Erklärung» verpflichtet Medienschaffende folgendermassen: «Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Person, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen.»

Die zu dieser Ziffer gehörende Richtlinie 7.6 befasst sich mit der Problematik der Namensnennung: Gestützt auf die Unschuldsvermutung gegenüber einem Angeklagten beziehungsweise aus Rücksicht auf die Familienangehörigen und die Resozialisierung von Verurteilten sind alle Angaben zu unterlassen, «die eine Identifikation einer von einem Gerichtsverfahren betroffenen Person durch Dritte ermöglichen». Doch nennt Richtlinie 7.6 fünf Ausnahmen von der Grundregel, in denen eine Namensnennung zulässig ist:

«- wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist;

– wenn die betroffene Person mit einem politischen Amt oder einer staatlichen Funktion betraut ist und wenn sie beschuldigt wird, damit unvereinbare Handlungen begangen zu haben;

– wenn eine Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist; diese Ausnahme ist mit Zurückhaltung anzuwenden; zudem müssen die vorgeworfenen Handlungen im Zusammenhang mit der Bekanntheit stehen;

– wenn die betroffene Person ihren Namen
im Zusammenhang mit dem Verfahren selber öffentlich macht oder ausdrücklich in die Veröffentlichung einwilligt;

– sowie wenn die Namensnennung notwendig ist, um eine für Dritte nachteilige Verwechslung zu vermeiden.»

2. a) Der Fall der Gynäkologin erfüllt gleich mehrere der aufgezählten Ausnahmekriterien. Im Gegensatz zur Meinung der Beklagten sind mehr als 300 besorgte Anrufe auf eine Hotline durchaus ein Indiz für ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Bekanntgabe des Namens einer Verurteilten. Es braucht dafür nicht etwa das Interesse einer überwiegenden Mehrheit der Öffentlichkeit, sondern das schützenswerte Interesse an der Veröffentlichung muss gegenüber dem Recht auf Wahrung der Privatsphäre der Verurteilten überwiegen.

b) In früheren Stellungnahmen hat der Presserat die Namensnennung eines verurteilten Arztes (Stellungnahme 9/2003) und des bereits erwähnten Apothekers (Stellungnahme 7/2005) mit dem Hinweis geschützt, diese Berufsgattungen seien analog zu amtlichen Funktionsträgern zu behandeln, da es sich um «zulassungspflichtige Berufe in einem staatlichen Monopolbereich» handle.

c) Schliesslich wäre eine Namensnennung der Gynäkologin auch damit zu begründen gewesen, dass man Verwechslungen, welche Berufskolleginnen der Verurteilten benachteiligen könnten, vermeiden wolle.

d) Kurz: Hätte die «Basler Zeitung» den Namen der Ärztin veröffentlicht, wäre eine Beschwerde gegen die Namensnennung vom Presserat mit grosser Wahrscheinlichkeit abgelehnt worden.

3. Nun lässt sich aber aus dem Bestehen von Rechtfertigungsgründen für eine Namensnennung keineswegs eine Pflicht zur Namensnennung ableiten. Dieser Umkehrschluss führt in die Irre. Wer die Abzweigung in die Ausnahmeregelung der Namensnennung verweigert, bewegt sich noch immer auf der breiten Strasse der Haupttugend und erfüllt die übergeordnete Pflicht, die Privatsphäre der einzelnen Person zu respektieren. Allein schon aus diesem Grund ist die Beschwerde abzuweisen.

4. Auch keine der anderen Pflichten der «Erklärung» könnte der Beschwerde zum Erfolg verhelfen. Wohl fordert Ziffer 3 von Medienschaffenden unter anderem: «Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen (…).» Doch selbst wenn der Presserat diese Norm in dem Sinne interpretieren würde, dass der Name der Gynäkologin ein wichtiges Informationselement wäre, so könnte die «Basler Zeitung» nicht gezwungen werden, den Namen abzudrucken. Das öffentliche Interesse bestand nicht darin, den Namen der Ärztin der gesamten Leserschaft der Zeitung bekannt zu machen. Es genügte, dass interessierte Frauen sich vergewissern konnten, ob die Verurteilte ihre Ärztin war. Indem die «Basler Zeitung» sechs Tage nach dem ersten Bericht über das Urteil die Telefonnummer der Hotline veröffentlichte, genügte sie ihrer Informationspflicht. Und nachdem das Basler Sanitätsdepartement am 8. November 2004 alle Patientinnen der Ärztin schriftlich informiert hatte, war das schützenswerte öffentliche Interesse an einer Namensnennung ohnehin erloschen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» rechtfertigt in Ausnahmefällen die Nennung des Namens einer gerichtlich verurteilten Person. Daraus lässt sich aber keine Pflicht zur Namensnennung ableiten.