Nr. 7/2005
Namensnennung eines Apothekers

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 4. Februar 2005

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I. Sachverhalt

A. Am 2. November 2004 veröffentlichte die «Basler Zeitung» unter dem Titel «Illegale Dornacher Hormonsalbe» einen Artikel von Kurt Tschan über den – mehrfach namentlich genannten – Apotheker X., der wegen einer unerlaubt verkauften Kosmetiksalbe «in die Mühlen der Justiz» geraten sei. Der Artikel stützte sich auf ein Urteil des Solothurner Verwaltungsgerichtes vom 18. August 2004. Darin habe dieses bestätigt, dass Herstellung und Vertrieb der Oestriolsalbe widerrechtlich erfolgt seien, weil die heilmittelrechtliche Zulassung fehlte.

B. Hierauf stellte X. der «Basler Zeitung» einen Leserbrief zu, mit welchem er den Bericht von Kurt Tschan richtig stellen wollte. Die Redaktion der «Basler Zeitung» lehnte die Veröffentlichung des Leserbriefs ab.

C. Mit Beschwerde vom 10. November 2004 gelangte der anwaltlich X. an den Presserat. Der Beschwerdeführer rügte eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre). Die mehrfache Namensnennung sei unangebracht gewesen. Die «Basler Zeitung habe zudem sein Recht auf vorgängige Anhörung zu schwerwiegenden Vorwürfen verletzt (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»).

D. Am 3. Dezember 2004 beantragte die «Basler Zeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Der Bericht habe keine wichtigen Tatsachen unterschlagen, sondern wahrheitsgetreu über das im Internet publizierte Urteil berichtet. Die Position des Beschwerdeführers sei gewürdigt worden. Die «Basler Zeitung» habe keine Vorwürfe an ihn gerichtet. Deshalb sei die Redaktion nicht verpflichtet gewesen, den Apotheker vor der Publikation anzuhören. Die Namensnennung sei aus mehreren Gründen gerechtfertigt gewesen: Der Beschwerdeführer habe seinen Namen im «Solothurner Tagblatt» vom 30. Oktober 2004 selber öffentlich gemacht und zum Verwaltungsgerichtsentscheid Stellung genommen. Zudem sei die Namensnennung notwendig gewesen, um für andere Apotheken nachteilige Verwechslungen auszuschliessen. Auch aus Sicherheitsgründen habe ein Interesse an der Namensnennung bestanden. Laut dem Kantonsapotheker Solothurn könne das in der Salbe enthaltene Hormon die Gesundheit gefährden.

G. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Peter Studer (Kammerpräsident), Luisa Ghiringelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Katharina Lüthi und Edy Salmina (Mitglieder) angehören. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 4. Februar 2005 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Die Richtlinie 3.8 lautet: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten (ÐAudiatur et altera pars?) leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Ausnahmsweise kann auf die Anhörung verzichtet werden, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei muss nicht derselbe Umfang im Bericht zugestanden werden wie der Kritik. Aber die Betroffenen sollen sich zu den schweren Vorwürfen äussern können.»

b) Der Presserat ist in der Stellungnahme 35/2004 zum Schluss gelangt, dass obligatorische Anhörung bei der Publikation schwerer Vorwürfe entfällt, wenn sich der Medienbericht auf die Wiedergabe einer öffentlichen Verhandlung einer Behörde beschränkt und weder neue Vorwürfe erhebt noch die Vorwürfe nicht in einen anderen Kontext stellt. Dies erscheint jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn sich der Betroffene im Verfahren bereits ausreichend äussern konnte. Auch in diesem Fall sollte die aus dem Verfahren bekannte Position des Betroffenen im Medienbericht aber zumindest kurz wiedergegeben werden. Zuvor hat der Presserat in der Stellungnahme 25/2004 zudem darauf hingewiesen, dass das Anhörungsprinzip überdehnt würde, wenn eine Anhörung bereits bei jeglicher harscher, kommentierender Kritik an öffentlich abgegebenen Äusserungen für zwingend erklärt würde.

c) Hier hat der Bericht der «Basler Zeitung» keine neuen über das im Internet publizierte Urteil hinausgehenden Vorwürfe erhoben, sondern lediglich über ein zu Ungunsten des Beschwerdeführers ergangenes Verwaltungsgerichtsurteil berichtet. Ebenso hat die Zeitung den Standpunkt von X. wiedergegeben, wonach er seine «anerkannte Rezeptur» lediglich im Auftrag von Ärzten herstelle oder an Patientinnen mit ärztlichem Rezept abgebe, weshalb das Verbot von Herstellung und Vertrieb der Salbe nicht rechtens sei. Auch das teilweise Obsiegen des Beschwerdeführers im Verfahren erwähnte die «Basler Zeitung»: «In einem Punkt erhielt der Apotheker aber Recht: Das Werbeverbot hätte nicht die Solothurner Behörde, sondern Swissmedic aussprechen müssen». Eine Anhörung des Beschwerdeführers vor der Publikation des beanstandeten Berichts war unter diesen Umständen nicht zwingend.

2. a) Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Gemäss der Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» sollten Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen noch andere Angaben veröffentlichen, die eine Identifikation durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, beruflichem oder sozialem Umfeld gehören. Die Richtlinie 7.6 nennt darüber hinaus eine Reihe von Gründen, die eine namentliche Berichterstattung ausnahmsweise rechtfertigen:

– Überwiegendes öffentliches Interesse (inhaltlich unbestimmte «Generalklausel»);

– Nennung eines politischen oder amtlichen Funktionsträgers, soweit das Delikt einen Bezug zu dieser Funktion hat;

– Gefahr von Verwechslungen, falls der Name nicht genannt wird;

– Wenn die Person bereits allgemein bekannt ist – wobei meist die Medien im konkreten Fall für die Bekanntheit gesorgt haben, weshalb diese Ausnahme mit besonderer Zurückhaltung anzuwenden ist;

– Ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen.

b) Soweit sich die «Basler Zeitung» zur Rechtfertigung der Namensnennung auf drohende Verwechslungen beruft kann ihr nicht gefolgt werden. Denn angesichts der grossen Zahl von Apotheken im Einzugsgebiet der Zeitung erscheint die Gefahr von Verwechslungen eher unwahrscheinlich und jedenfalls nicht in höherem Masse gegeben, als dieses Risiko jeder Berichterstattung grundsätzlich ohnehin immanent ist. Ebenso kann allein aus der Tatsache, dass der Name des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem gleichen Verfahren am 30. Oktober 2004, also zwei Tage vor Erscheinen des Artikels der «Basler Zeitung», im wesentlich kleineren «Solothurner Tagblatt» erwähnt wurde, die Rechtfertigung der Namensnennung nicht abgeleitet werden. Hingegen bildet der Umstand, dass er sich gegenüber dieser Zeitung offenbar zur Sache äusserte, ein gewichtiges Indiz zu Gunsten der Zulässigkeit einer namentlichen Berichterstattung. Ein Stück weit zu Gunsten einer identifizierenden Berichterstattung spricht ebenso das von der «Basler Zeitung» weiter ins Feld geführte Interesse der öffentlichen Gesundheit. Hier könnte allerdings eingewendet werden, dass diesbezüglich insbesondere der Namen der Salbe und weniger derjenige des Produzenten von Interesse ist, da zumindest die Endverbraucherinnen, die das Heilmittel nicht direkt bei X., sondern via einen anderen Arzt bezogen, dessen Name wohl kaum kennen.

c) Neben den bereits angeführten Gründen sprechen bei einer Gesamtwürdigung der Umstände aber insbesondere folgende Überlegungen für die Zulässigkeit einer namentlichen Berichterstattung: Zwar nimmt ein Apotheker keine amtliche Funktion wahr. Immerhin handelt es sich aber um einen zulassungspflichtigen Beruf in einem staatlichen Monopolbereich. Die selbstständige Ausübung
eines Berufs aus dem Gesundheitswesen bedarf einer staatlichen Bewilligung. Analog zur namentlichen Berichterstattung von amtlichen Funktionsträgern erscheint deshalb eine Namensnennung bei derartigen Berufen dann grundsätzlich gerechtfertigt, wenn der Betroffene eine leitende Stellung innehat. Der Presserat hat sich in früheren Stellungnahmen (66/2002; ebenso die die Namensnennung eines Arztes betreffende Stellungnahme 9/2003) bereits in dieser Richtung geäussert: Danach ist eine Namensnennung ausnahmsweise dann zulässig, wenn es um eine Person in einer wichtigen gesellschaftlichen Stellung geht und der Gegenstand der Berichterstattung in engem Zusammenhang mit dieser Funktion steht. Beide Voraussetzungen sind bei einem Bericht über ein den Inhaber einer Apotheke betreffendes Verwaltungsgerichtsverfahren im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb einer umstrittenen Hormonsalbe offensichtlich gegeben.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Eine obligatorische Anhörung des Betroffenen vor der Publikation schwerer Vorwürfe entfällt, wenn sich der Medienbericht auf die Wiedergabe einer öffentlichen Verhandlung einer Behörde und/oder ein Gerichtsurteil beschränkt und sofern darin keine neuen Vorwürfe erhoben werden. Dies gilt zumindest dann, wenn sich der Betroffene im behördlichen Verfahren bereits ausreichend äussern konnte. Auch in diesem Fall sollte die aus dem Verfahren bekannte Position des Betroffenen im Medienbericht aber zumindest kurz wiedergegeben werden.

3. Analog zur namentlichen Berichterstattung über amtliche Funktionsträger ist eine Namensnennung bei Berufen mit staatlicher Berufsausübungsbewilligung dann grundsätzlich gerechtfertigt, wenn der Betroffene eine leitende Stellung innehat und sofern der Gegenstand der Berichterstattung in engem Zusammenhang mit dieser Funktion steht.