Nr. 6/2017
Menschenwürde

(X. c. «Blick» und «Blick am Abend»)

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Zusammenfassung

«Blick» und «Blick am Abend» haben mit Bildern einer Leiche die Gefühle der Angehörigen grob missachtet. Der Schweizer Presserat heisst deshalb die Beschwerde der Familie des Verstorbenen gut.

Die beiden Zeitungen hatten über den Fund von Überresten einer Leiche durch Schüler in einem Wald berichtet. Der Artikel war mit zwei Bildern illustriert. Das eine zeigte eine Übersicht der Fundstelle, das kleinere einen Schädel in Grossaufnahme. Die Familie des vor Jahren Verstorbenen beklagte beim Presserat, die Fotos hätten Menschenwürde und Opferschutz krass missachtet. Sie hatte vom Tod erst wenige Tage vor der Publikation erfahren.

Der Presserat entschied, beide Fotos überstiegen die Grenze dessen, was durch das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit gerechtfertigt sei. Auch wenn die Zeitungen den Namen des Verstorbenen nicht nannten. Das Ethikgremium erinnert daran, dass Journalisten die Menschenwürde stets zu respektieren haben. Und zwar im Text wie bei der Auswahl der Bilder.

Résumé

La dignité de la personne doit toujours être respectée: elle ne peut être négligée par les auteurs d’un article de presse, ni dans le texte, ni a fortiori dans le choix des images.

Le Conseil de la presse souligne une fois encore ce principe à l’occasion d’un nouveau cas qui lui a été soumis. Il s’agit d’un article publié dans le «Blick» et le «Blick am Abend» (ainsi que sur la version en ligne du titre) qui relate la découverte, par un groupe d’écoliers, de restes d’un cadavre dans une forêt. Le corps était celui d’un retraité décédé trois ans auparavant. Deux photographies illustraient l’article: l’une montrait l’endroit où se trouvait le cadavre, l’autre était un gros plan de sa boîte crânienne.

C’est l’utilisation de ces images qui a amené la famille du retraité décédé à déposer plainte pour violation du point 8 de la «Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste», qui exige le respect de la dignité de la personne.

Le Conseil de la presse a estimé que les photographies en question n’étaient pas nécessaires à la compréhension de la nouvelle et qu’elles avaient par contre une visée purement sensationnaliste. L’image en gros plan du cadavre – même si l’article ne révélait pas l’identité de l’individu – a blessé les membres de la famille et leur a infligé une douleur inutile, alors qu’ils venaient d’apprendre, quelques jours plus tôt, que le cadavre de leur proche avait été retrouvé. Ces éléments ont amené le Conseil suisse de la presse à considérer qu’il y a bel et bien eu violation du respect de la dignité de la personne.

Riassunto

La dignità della persona dev’essere sempre rispettata e non può essere persa di vista durante la redazione di un articolo giornalistico, né nel testo né tanto meno nell’utilizzo delle immagini.

Questo principio viene ribadito in seguito al nuovo caso che si è presentato al Consiglio della stampa. Riguarda un articolo pubblicato su «Blick» e «Blick am Abend» (e nel relativo portale online) in cui si riferisce del ritrovamento dei resti di un cadavere nel bosco da parte di un gruppo di scolari. Il corpo era quello di un pensionato morto 3 anni prima. L’articolo in questione era correlato da due fotografie, che illustravano la zona del ritrovamento e un primo piano del teschio.

Ed è proprio l’utilizzo di queste immagini che ha spinto la famiglia della persona deceduta a denunciare una violazione della cifra 8 della «Dichiarazione dei diritti e dei doveri del giornalista», in cui si chiede il rispetto della dignità delle persone.

Il Consiglio della stampa ha stabilito che le fotografie non erano necessarie per la comprensione della notizia ed avevano per contro un effetto puramente sensazionalistico. L’immagine ravvicinata del cadavere – seppur nell’articolo non è stata menzionata l’identità – ha offeso i sentimenti e procurato un’inutile dolore alla famiglia, che per altro era venuta a conoscenza del ritrovamento del loro caro pochi giorni prima. Vi è di conseguenza una violazione del rispetto della dignità delle persone.

I. Sachverhalt

A. Am 13. September 2016 publizierten sowohl «Blick» als auch «Blick am Abend» in ihrer Print-Ausgabe den Artikel mit dem Titel: «Schüler stossen auf Skelett». Der Obertitel lautete: «Horror-Fund am Orientierungslauf». Während eines Orientierungslaufs in einem Waldstück bei Winterthur (ZH) hätten einige Jugendliche Knochen, einen Schädel und Kleidungsstücke gefunden. Dabei wird die Erzählung eines Schülers wiedergegeben: Es werde vermutet, dass es sich dabei um die Überreste eines seit drei Jahren vermissten Rentners aus der Region handle. Die Jugendlichen hätten sofort ihre Lehrer informiert. Auch die Polizei sei umgehend aufgeboten worden. Die Kantonspolizei Zürich habe den Skelettfund bestätigt und festgehalten, es dürfte sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um die Überreste einer vermissten Person handeln. Die Todesursache sei noch in Abklärung, eine entsprechende Meldung der Behörden stehe noch aus. Derselbe Beitrag erschien auf «blick.ch» sowie auf «blickamabend.ch». Er wurde mit zwei Bildern illustriert: Das eine zeigt eine Übersicht der Fundstelle, auf der Kleider und Knochen zu erkennen sind, der Bildkommentar lautet: «Grausiger Fund: Das Skelett in der Nähe von Winterthur.» Ein kleineres Bild mit der Bildlegende «Die Jugendlichen fanden auch den Schädel des Toten.» zeigt einen Schädel in Nahaufnahme. Die Printausgabe von «Blick am Abend» druckt eine Kurznachricht mit dem Titel «Grusel-Fund am OL», bebildert mit dem Foto des Schädels.

B. Am 12. Oktober 2016 reichte die Familie X. (Ehefrau und Söhne des verstorbenen Mannes) Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Die Berichterstattung von «Blick» und «Blick am Abend» habe die Beschwerdeführenden sowie weitere Angehörige zutiefst verletzt. Die Bilder hätten die Achtung der Menschenwürde sowie den Opferschutz krass missachtet. Der Bildeinsatz sei unnötig und diene ausschliesslich einer sensationellen Aufmachung und reduziere die Person des Verstorbenen zum blossen Objekt. Die Beschwerdeführenden sehen in der Berichterstattung eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).

C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 8. November 2016 beantragte Co-Chefredaktorin Iris Mayer für die «Blick»-Gruppe, die Beschwerde der Familie X. sei vollumfänglich abzuweisen. Die Bilder zu den Artikeln seien weder überdurchschnittlich gross noch sehr detailliert wiedergegeben. Eine Identifikation der vermissten Person sei daher ausgeschlossen, womit auch keine Rückschlüsse auf die Familienmitglieder des Verstorbenen möglich seien. Im Zentrum des Artikels stünden Schülerinnen und Schüler, die beim Orientierungslauf einen ungewöhnlichen und verstörenden Fund, welcher nicht alltäglich sei, gemacht hätten. Aus diesem Grund sei das öffentliche Interesse für einen Artikel auch im Nachhinein gegeben. Dafür spreche auch, dass der vermisste und dann verstorbene Mann ursprünglich von der Kantonspolizei Zürich per Vermisstenanzeige gesucht worden sei. Die Behörden hätten diesen Fall als erste öffentlich gemacht. Die Redaktion habe, um der Familie unnötiges Leid zu ersparen, die Identität des Verstorbenen nicht offengelegt und zudem auf Wunsch der Polizei sogar zwei Tage zugewartet vor der Publikation des Berichts, damit die Behörden die Familie des Verstorbenen informieren konnten. Die Redaktion habe bewusst darauf verzichtet, mit der Familie des Toten in Kontakt zu treten. Bei der Berichterstattung über den Leichenfund sei immer die Menschenwürde in den Vordergrund gestellt und alles versucht worden, um die Angehörigen nicht unnötig zu verletzen. Nehme man die Haltung der Familie zum Massstab, so hätte die Redaktion über den Leichenfund im Grunde gar nicht berichten dürfen. Ziffer 8 sehe jedoch in keiner Weise ein Verbot solcher Berichte vor.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall der 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Präsidentin), Dennis Bühler, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini, Casper Selg und David Spinnler angehören. Klaus Lange trat von sich aus in den Ausstand.

E. Die 1. Kammer des Presserates behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. Januar 2017 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägung

Ziffer 8 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie die Menschenwürde respektieren und in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen verzichten. Die Grenzen der Berichterstattung in Text, Bild und Ton über Kriege, terroristische Akte, Unglücksfälle und Katastrophen liegen dort, wo das Leid der Betroffenen und die Gefühle ihrer Angehörigen nicht respektiert werden. Die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde) ergänzt dazu, dass sich die Informationstätigkeit an der Achtung der Menschenwürde zu orientieren hat. Sie ist ständig gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der direkt betroffenen oder berührten Personen als auch gegenüber der gesamten Öffentlichkeit. Richtlinie 8.3 (Opferschutz) verlangt bei Berichten über dramatische Ereignisse oder Gewalt von Autorinnen und Autoren, dass sie immer sorgfältig zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und den Interessen der Opfer und der Betroffenen abwägen. Journalisten sind sensationelle Darstellungen untersagt, welche Menschen zu blossen Objekten degradieren. Als sensationell gilt insbesondere die Darstellung von Sterbenden, Leidenden und Leichen, wenn die Darstellung in Text und Bild hinsichtlich detailgetreuer Beschreibung sowie Dauer und Grösse der Einstellungen die Grenze des durch das legitime Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit Gerechtfertigten übersteigt. Richtlinie 8.5 (Bilder von Unglücksfällen, Katastrophen und Verbrechen) schliesslich verlangt, dass Fotografien und Fernsehbilder von Unglücksfällen, Katastrophen und Verbrechen die Menschenwürde respektieren und darüber hinaus die Situation der Familie und der Angehörigen der Betroffenen berücksichtigen. Dies gilt besonders im Bereich der lokalen und regionalen Information.

Alle genannten Bestimmungen verlangen demnach von Medienschaffenden, dass sie die Informationstätigkeit an der Menschenwürde orientieren. Die Achtung der Menschenwürde ist ständig gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen. Die Beschwerdeführenden richten ihre Beschwerde gegen die Verwendung der Bilder, sie stellen nicht grundsätzlich in Frage, über diesen Fund zu berichten. Insofern steht das öffentliche Interesse an der vorliegenden Berichterstattung nicht zur Diskussion. Nicht nachvollziehen kann der Presserat deshalb die Argumentation des «Blick», nähme man die Haltung der Familie zum Massstab, so hätte die Redaktion über den Leichenfund im Grunde gar nicht berichten dürfen. Vorliegend geht es eben gerade um die Gefühle der Angehörigen. Der Verstorbene wird im Text nicht namentlich genannt, er ist auch durch die Bilder nicht identifizierbar. Die Familie des Verstorbenen hat erst zwei Tage vor der Publikation des Artikels bzw. der Bilder erfahren, dass der Ehemann bzw. Vater tot ist. Gezeigt werden auf dem einen Bild gefundene sterbliche Überreste, auf dem andern Bild eine Grossaufnahme des Schädels. Beide Bilder übersteigen die Grenze des durch das legitime Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit Gerechtfertigten. Für den Presserat stellt die Veröffentlichung dieser beiden Bilder eine grobe, nicht zu rechtfertigende Missachtung der Gefühle der Angehörigen dar. Er heisst die vorliegende Beschwerde deshalb gut.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. «Blick» und «Blick am Abend» haben mit der Illustration des Artikels «Horror-Fund am Orientierungslauf. Schüler stossen auf Skelett» mit einem Bild der gefundenen sterblichen Überreste des Verstorbenen sowie einer Grossaufnahme von dessen Schädel Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.