Nr. 42/2014
Menschenwürde

(X. c. «Weltwoche») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 29. Dezember 2014

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I. Sachverhalt

A. Am 20. März 2014 veröffentlichte die «Weltwoche» einen Artikel von Alex Baur mit dem Titel «Plädoyer für die Ohrfeige». Der Untertitel lautete: «Die wohltemperierte Backpfeife ist in Verruf geraten. Zu Unrecht. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort kann sie Wunder bewirken und Schlimmeres verhindern. Die Kunst des Ohrfeigens will indes gelernt sein.» Ausgehend von einem Polizeirapport über einen häuslichen Streit, der mit einer Ohrfeige des Ehemannes ein Ende fand und nicht zu einer Anzeige wegen häuslicher Gewalt führte, geht der Autor anhand verschiedener Beispiele der Frage nach, ob eine Ohrfeige in jedem Fall zu verurteilen oder ausnahmsweise zu rechtfertigen ist. Gleich nach dem geschilderten Beispiel macht er klar: «Es liegt mir fern, die Gewalt in Beziehungen zu verharmlosen oder gar zu rechtfertigen. Systematische physische Übergriffe sind abscheulich, vor allem wenn sie Schwächere treffen. Eine zu heftige oder falsch platzierte Ohrfeige kann überdies zu schlimmen Verletzungen führen.» An der Schule, in der er die erste Primarklasse besuchte, seien Ohrfeigen noch an der Tagesordnung gewesen. Er habe den Obdachlosen-Pfarrer Ernst Sieber erlebt, wie er einem jungen Mann, der aus einem von Siebers Heimen abgehauen war, eine kräftige Backpfeife verabreichte und ihn zurück ins Heim brachte, was seiner Meinung nach in jener Situation weniger verletzend als jedes Wort gewesen sei. Es folgt ein Ausflug in die Filmgeschichte sowie ein Exkurs über symbolische Watschen, die Geschichte geschrieben hätten. Der Artikel schliesst mit der Feststellung, richtige Ohrfeigen seien völlig aus der Mode gekommen. Eine zur rechten Zeit am rechten Objekt fachgerecht platzierte Watsche sei zwar nichts Schönes, aber sie sei bisweilen das geringere Übel und könne ungemein erlösend wirken für alle Beteiligten. Der Artikel wird illustriert durch eine Aufnahme einer Filmszene, in der der Held offensichtlich gerade einer Frau eine Ohrfeige verpasst hat. Das Bild ist mit der Legende versehen: «Schwungvoll zur Vernunft gebracht: Lysiane Rey und Antony Wright in ‹A toi de jouer… Callaghan›, 1954».

B. Am 25. März 2014 reichte X. gegen den Artikel von Alex Baur Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der Titel samt Headline und Illustration dazu verstiessen gegen die Menschenwürde und insbesondere gegen die Würde der Frau. Es ergebe sich das Bild, eine Frau zu ohrfeigen «zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort» sei vertretbar und richtig. Konsequenterweise erzähle Alex Baur in seinem Artikel als Erstes von einer Situation häuslicher Gewalt, die keine strafrechtlichen Folgen hatte, da eine Anzeige auch von den angeblich involvierten Polizisten als verzichtbar bewertet wurde. Häusliche Gewalt sei ein Offizialdelikt und zwar auch, weil Opfer nicht selten die Gewalt als gerechtfertigt oder selbstverschuldet ansähen. Eine Backpfeife sei für den Autor eine elegante Lösung und keine Straftat. Er plädiere in seinem Artikel dafür, dass körperliche Gewalt durchaus straffrei und sinnvoll sein könne, dies wider sämtliche Erkenntnisse und wider das eindeutige Rechtsverständnis und die Rechtspraxis. Er impliziere, Gewalt sei nicht gleich Gewalt, sondern je nach Situation und Opfer zulässig bzw. angezeigt und legitim. Die Beschwerdeführerin sieht damit Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt.

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 29. Dezember 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Laut Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde) zur «Erklärung» hat sich die Informationstätigkeit an der Achtung der Menschenwürde zu orientieren. Sie ist ständig gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der direkt betroffenen oder berührten Person als auch gegenüber der gesamten Öffentlichkeit. Der Presserat weist in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 16/2007, 21/2008, 47/2011) konstant darauf hin, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung». Alex Baur schreibt im beanstandeten Artikel mit der von ihm gewählten These «Ohrfeige zur richtigen Zeit am richtigen Ort» bewusst gegen den Strich, aber er redet nicht der Anwendung von Gewalt das Wort. Er schildert präzise Fälle, in denen seiner Meinung nach eine Ohrfeige angebracht ist, bezieht sich dabei jedoch nicht generell auf Frauen. Seine These mag der herrschenden Auffassung von «political correctness» widersprechen und bei manchen Leserinnen und Lesern – wie auch bei der Beschwerdeführerin – heftigen Widerspruch hervorrufen. Sie ist jedoch aus medienethischer Sicht nicht zu beanstanden. Es handelt sich um die klar als solche erkennbare Meinung des Autors, diese ist durch die Informationsfreiheit geschützt. Die Beschwerde ist deshalb offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.