Nr. 13/2014
Meinungspluralismus / Trennung von redaktionellem Teil und Werbung

(Mieterinnen- und Mieterverband Basel c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 18. Juni 2014

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Zusammenfassung

Muss eine Zeitung bei einer kantonalen Abstimmung ausgewogen über eine Vorlage berichten und – um den Meinungspluralismus zu wahren – Befürworter und Gegner gleichermassen zu Wort kommen lassen?
Nein sagt der Presserat, wenn die Zeitung sich nicht in einer Monopolsituation befindet. Es ist aber unverständlich, wenn eine Zeitung nicht von sich aus die Standpunkte beider Seiten darlegt.
An der Grenze des Zulässigen ist es, wenn eine Zeitung eine Beilage mit Beiträgen, die als Anzeigen verkauft wurden, nicht für jeden Laien sehr klar als Beilage mit Texten, die nicht zum redaktionellen Teil gehören, kennzeichnet.
Im vorliegenden Fall beklagte sich der Mieterverband Basel darüber, dass er seine Sicht der Dinge zu einer Abstimmungsvorlage im September 2013 erst auf ausdrückliches Nachfragen und Drängen in der «Basler Zeitung» darlegen konnte. Die Gegenseite habe früher und ohne darauf zu drängen ihre Argumente darlegen können. Der Presserat sieht aber den Journalistenkodex in Bezug auf  den Meinungspluralismus nicht verletzt. Der Mieterverband Basel beanstandete auch, dass die Gegenseite ihre Argumente ein weiteres Mal in einer Beilage zur «Basler Zeitung» darlegen konnte, die nicht klar als vom redaktionellen Teil getrennte Beilage gekennzeichnet war. Zwar finden sich diverse gestalterische Elemente, die den in Frage stehenden Text vom redaktionellen Inhalt unterscheiden. Die Trennung ist aber nicht für jedermann auf den ersten Blick ersichtlich. Der Presserat kommt zum Schluss, dass die «Basler Zeitung» dem Trennungsgebot von redaktionellem Teil und Werbung knapp Genüge getan hat.

Résumé

Un journal doit- il rendre compte de façon équilibrée d’un projet soumis à un vote cantonal et – pour garantir la pluralité des opinions –donner la parole aussi bien aux tenants qu’aux opposants ?

Non, déclare le Conseil de la presse, sauf si un journal profite d’une situation de monopole. Il n’est guère compréhensible cependant qu’un journal ne présente pas, de son propre chef, le point de vue des deux parties.

On atteint la limite du tolérable lorsqu’un journal ne caractérise pas clairement à l’intention des lecteurs comme «cahier contenant des textes ne relevant pas de la rédaction» un supplément qui inclut des contributions vendues comme des annonces.

Dans le cas particulier, l’association des locataires bâloise s’est plainte de ce que la «Basler Zeitung» ne lui a permis d’exprimer son point de vue sur le projet de loi soumis à votation en septembre 2013 qu’à l’issue de demandes expresses et insistantes. L’autre partie avait déjà pu présenter ses arguments sans avoir dû l’exiger. Le Conseil de la presse estime néanmoins que le Code des journalistes n’a pas été enfreint en ce qui concerne la pluralité des opinions. L’association des locataires bâloise se plaignait d’autre part que la «Basler Zeitung» a permis à la partie opposée de présenter une nouvelle fois ses arguments dans un cahier spécial qui ne se distinguait pas clairement de la partie rédactionnelle. On y trouve certes divers éléments formels différenciant le texte en question du contenu rédactionnel. Cette distinction n’est cependant pas perceptible à première vue par tout un chacun. Le Conseil de la presse conclut que la «Basler Zeitung» a tout juste satisfait à l’obligation de séparer la partie rédactionnelle de la publicité.

Riassunto

Un giornale deve garantire parità di trattamento ai favorevoli e ai contrari di un oggetto sottoposto a votazione popolare? No, risponde il Consiglio della stampa, a meno che l’organo di stampa goda di una posizione di monopolio. Sarebbe poco difendibile tuttavia che il giornale non tratti le due parti in modo equo, rispettando il principio della pluralità delle opinioni. E al limite del consentito è pure il fatto di non contrassegnare come “annuncio” un contributo a pagamento di una delle due parti, omettendo in tal modo di segnalare al lettore che non si trattava di un articolo redazionale.

Nel caso specifico, il reclamo al Consiglio della stampa proveniva dall’Associazione degli Inquilini di Basilea, la quale lamenta di aver dovuto insistere e premere a lungo, nel settembre 2013, perché la “Basler Zeitung” pubblicasse una sua presa di posizione in vista di una votazione popolare. La controparte avrebbe invece avuto senza difficoltà l’occasione di esporre le sue tesi. Come detto, il Consiglio della stampa non ritiene che il giornale abbia violato la Dichiarazione dei doveri dei giornalisti venendo meno al rispetto del pluralismo delle opinioni. Il Consiglio rileva però, in risposta all’obiezione degli inquilini relativa alla presentazione degli argomento della controparte, che la diversità nell’impaginazione non era molto chiara, in questo respingendo la tesi della redazione secondo cui tutti potevano capire senza difficoltà che non si trattava di un normale articolo redazionale. Per concludere il Consiglio della stampa ritiene che l’obbligo de separazione tra la parte redazionale e la pubblicità è stato rispettato di stretta misura dalla «Basler Zeitung».


I. Sachverhalt


A.
In der Stadt Basel kamen am 22. September 2013 zwei Initiativen des Mieterinnen- und Mieterverbands Basel (MV Basel) zur Abstimmung, die sich – grob umrissen – gegen den Abriss von bezahlbaren Wohnungen einsetzen. Gleichzeitig wurde über einen Gegenvorschlag des Basler Grossen Rats abgestimmt.

Die «Basler Zeitung» (BaZ) publiziert im Laufe des Abstimmungskampfes am 31. August 2014 einen Text der Initiativgegner (überparteiliches Komitee). Am 11. September 2014 publiziert die «Basler Zeitung» einen im Umfang ähnlichen Text des MV Basel.

Am 13. September 2014 erscheint in der «Basler Zeitung» eine Beilage, in der ein Vertreter des Verbandes für Immobilienwirtschaft (SVIT) seine Argumente gegen die Initiativen in einem Artikel vorbringt.

B. Am 13. Dezember 2013 reicht der MV Basel Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der MV Basel beanstandet nicht einen einzelnen Artikel der Zeitung, sondern sieht in der Art und Weise, wie die «Basler Zeitung» die Abstimmungskampagne zu zwei Mieterschutzinitiativen und einem Gegenvorschlag dazu als Ganzes abhandelt, einen Verstoss gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Die Abstimmung über die drei Vorlagen fand am 22. September 2013 statt. Die «Basler Zeitung» hatte am 31. August 2013 den Gegnern der Initiativen (sie sind Befürworter des Gegenvorschlags) die Möglichkeit gegeben, ihre Argumentation in einem selbst verfassten Artikel darzulegen. Der MV Basel erhielt hingegen erst auf eigene Intervention hin die Gelegenheit, die Pro-Argumente für die Initiativen auch in einem selbst verfassten Text darzulegen, dies am 11. September 2013.

Der MV Basel sieht die Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) verletzt, da die «Basler Zeitung» erst auf Intervention des MV Basel hin die Pro-Seite zu Wort hat kommen lassen. Ausserdem habe sich der stellvertretende Lokalchef der BaZ über die Anliegen des MV Basel «mokiert» – hierfür wird aus einem Mail des stellvertretenden Lokalchefs der «Basler Zeitung» zitiert: «Sie dürfen oder müssen leider SKANDAL schreien – ganz harmlos wie immer».

Der MV Basel sieht ausserdem die Richtlinie  10.1 (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung) verletzt. Dies, weil die «Basler Zeitung» am 13. September 2013 eine Immobilienbeilage nicht klar als vom redaktionellen Teil separat gekennzeichnet habe. In diesem Teil habe die Kontra-Seite nochmals ausführlich argumentieren können. Dem MV Basel
sei aber – trotz abermaligem Nachhaken – kein weiterer Platz zur Verfügung gestellt worden.

C. Am 19. Februar 2014 antwortet die anwaltlich vertretene Redaktion der «Basler Zeitung» und beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Dem MV Basel sei nie ein Datum der Publikation versprochen worden. Der Beitrag von Lukas Engelberger des überparteilichen Komitees sei wesentlich kürzer gewesen als der Beitrag des MV Basel. Das Argument, der Beitrag des MV Basel sei zu spät erschienen, um die Meinungsbildung der Wähler zu beeinflussen, könne man auch nicht gelten lassen, habe doch eben dieser MV Basel in der «Basellandschaftlichen Zeitung» am 12. September 2013 noch einen Beitrag publiziert. Der MV Basel habe aber wegen dieser Publikation keine Beschwerde beim Presserat eingereicht, was angesichts der Beschwerde gegen die «Basler Zeitung» nicht logisch erscheine. Die «Basler Zeitung» könne des Weiteren nicht verpflichtet werden, Meinungsbeiträge zu drucken. Die «Basler Zeitung» habe auch keine Monopolstellung, nebst der «Basler Zeitung» berichteten noch eine Reihe anderer Medien über die Initiativen des MV Basel und über den Gegenvorschlag. Die Beilage zu Immobilienthemen sei klar vom redaktionellen Teil der Zeitung getrennt. Der beanstandete Text unterscheide sich in einer Reihe von Merkmalen vom redaktionellen Teil der «Basler Zeitung»: andere Schriftart, andere Schriftgrösse, Farbwahl des Titels, Logo des Anzeigekunden, Bild eines Funktionärs, fehlende Autorenzeile eines Redaktors, Platzierung im Anzeigenteil und keine Kopfzeile im BaZ-Layout. Mit all diesen Merkmalen müsse es dem Leser klar sein, dass es sich bei der Beilage um eine gekaufte Werbeplattform handle, und nicht um den redaktionellen Teil der «Basler Zeitung». Dazu komme, dass es für deklarierte Anzeigen kein Recht auf eine Replik gebe.

D. Das Präsidium des Presserats wies die Beschwerde seiner 1. Kammer zu; ihr gehören Francesca Snider (Präsidentin) und die Kammermitglieder Pia Horlacher, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister, Klaus Lange, Michael Herzka und David Spinnler an.

E. Die 1. Kammer des Presserats behandelte die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 10. April 2014 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der MV Basel macht geltend, die Verhaltensweisen der Lokalredaktion verwiesen auf ein einheitliches Muster. Demnach verstehe sich die «Basler Zeitung» nicht als Quasimonopolzeitung mit der Verpflichtung, alle Seiten gleichermassen zu berücksichtigen. Vielmehr verstehe sie sich als eine Art Parteiblatt mit eigenmächtig ausgewählten «Gastbeiträgen», welche keine Rücksicht auf aktuelle staatspolitische Vorgänge wie die verschiedentlich als «historisch» bezeichnete Abstimmung pro oder contra Mieterschutz nehme. Dies stelle einen Verstoss gegen den Grundsatz des Meinungspluralismus dar.

Die Beschwerdegegnerin führt demgegenüber aus, sie treffe selbst dann keine Pflicht zum Abdruck von Meinungsbeiträgen, wenn davon ausgegangen würde, dass sich die Beschwerdeführerin nicht zum Meinungsbeitrag von Lukas Engelberger hätte äussern können.

2. a) Gemäss konstanter Praxis des Presserates ist aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abzuleiten. Vielmehr sind berufsethisch auch einseitige und fragmentarische Standpunkte zulässig (vgl. z.B. die Stellungnahme 64/2009). Immerhin hält aber die Richtlinie 2.2 zur «Erklärung» fest: «Der Meinungspluralismus trägt zur Verteidigung der Informationsfreiheit bei. Er ist notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet.» Aus dieser Bestimmung kann aber auch bei Medien mit einer regionalen Vormachtstellung keine Verpflichtung zu «objektiver», ausgewogener Berichterstattung abgeleitet werden. Vielmehr genügt es, dass in einer kontroversen Angelegenheit die verschiedenen Auffassungen zu Wort kommen, wenn auch nicht zwingend in gleichem Umfang (Stellungnahmen 31/2001, 7/2006).

b) Vorliegend konnten im Endeffekt sowohl die Gegner als auch die Befürworter ihre Argumente publizieren, wenn auch aus Sicht des MV Basel zu spät. Die Frage einer allfälligen Monopolstellung der «Basler Zeitung» kann deshalb offenbleiben. Als stossend empfindet der Presserat hingegen die Tatsache, dass der MV Basel sich die Möglichkeit der Publikation seiner Argumente erstreiten musste. Dass nicht per se beide Parteien in der Berichterstattung zu Wort kommen, zeugt von einer merkwürdigen publizistischen Haltung, zumal es sich um die entgegengesetzten Auffassungen im Vorfeld einer Volksabstimmung handelt. Damit ist jedoch letztlich Richtlinie 2.2 nicht verletzt worden.

3. a) Der MV Basel macht weiter geltend, im Verlaufe derselben Abstimmungskampagne habe die «Basler Zeitung» den Abdruck einer ausführlichen Stellungnahme der Gegenseite im redaktionellen Teil erlaubt ohne Kennzeichnung, dass es sich dabei um eine von der Gegenseite gekaufte Beilage handelte. Weiter führt er aus, dieser Beitrag sei, wie Erkundigungen beim Immobilientreuhänderverband ergeben hätten, Teil einer gekauften Werbefläche, welche die Seiten 51, 52 und 53 umfasse. Sie bezieht sich dabei auf ihre Recherchen in der BaZ-Online-Ausgabe. Die Beschwerdegegnerin macht demgegenüber geltend, es handle sich beim Text «Streiten statt schlichten?» nicht um einen redaktionellen Beitrag, sondern um eine Anzeige in der Sonderbeilage «Wohnen und Immobilien», die am 13. September 2013 der «Basler Zeitung» beigelegt war. Sie beruft sich dabei auf die Beilage in Papierform, von der sie eine Kopie einreicht.

b) Richtlinie 10.1 fordert, Inserate und Werbesendungen gestalterisch von redaktionellen Beiträgen klar abzuheben. Sofern sie nicht optisch/akustisch eindeutig als solche erkennbar sind, müssen sie explizit als «Anzeigen», «Werbung», «Werbereportagen», «Werbespots» oder durch andere dem Publikum geläufige vergleichbare Begriffe deklariert werden.

Die «Basler Zeitung» enthält in ihrer Ausgabe vom 13. September 2013 eine (leicht eingefärbte) Beilage «Wohnen und Immobilien». Da sich die Beschwerde des MV Basel gegen die «Basler Zeitung» richtet und nicht explizit gegen deren Online-Ausgabe, ist vorliegend die Printausgabe der Beilage für die Beurteilung massgebend. Seite eins und zwei sind mit einer Kopfzeile im BaZ-Layout samt Seitenangabe versehen, ab Seite drei fehlt diese Kopfzeile ebenso wie die Seitennummerierung. Seite drei enthält den strittigen Beitrag des Vertreters des Schweizerischen Verbandes der Immobilienwirtschaft (SVIT) «Streiten statt schlichten?», die Seiten vier und fünf sind mit «Publireportage» überschrieben. Diese uneinheitliche Gestaltung kann beim Leser und der Leserin durchaus zu Verwirrung darüber führen, ob er sich noch im redaktionellen Teil der Zeitung oder in einer Beilage befindet. In Frage steht vorliegend Seite drei. Diese sieht in Bezug auf das Layout anders aus als die Texte der «Basler Zeitung» im redaktionellen Teil. Es fehlt, wie erwähnt, die Kopfzeile, Schriftart und Schriftgrösse sind unterschiedlich, der Titel ist in Farbe gedruckt, der Beitrag ist mit dem Logo des SVIT und dem Bild dessen Präsidenten versehen und es fehlt die sonst übliche Autorenzeile zu Beginn des Artikels. Der Presserat hat die Frage, ob diese Elemente angesichts der Einbettung in eine mehr als heterogen gestaltete Beilage dem Erfordernis der klaren gestalterischen Abhebung vom redaktionellen Teil genügen, kontrovers diskutiert. Er kommt zum Schluss, dass die «Basler Zeitung» die Grenzen des gerade noch Zulässigen ausgereizt hat, jedoch knapp dem Trennungsgebot von redaktionellem Teil und Werbung Genüge getan hat.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit der Berichterstattung zur Abstimmung über die Mieterschutzinitiativen die Ziffer 2 (unter dem Gesichtspunkt des Meinungspluralismus) und die Ziffer 10 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.