Nr. 28/2002
Leserbriefe / Diskriminierungsverbot

(X. c. «Rheintalische Volkszeitung») Stellungnahme des Presserates vom 16. Mai 2002

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I. Sachverhalt

A. X. hat in seiner Wohngemeinde Altstätten seit vielen Jahren auf verschiedene Art, unter anderem durch Leserbriefe, in der Öffentlichkeit auf «krasse Missstände in der Lokalpolitik» hingewiesen, wie er sich ausdrückt. Unter anderem wandte er sich am 2. Juni 1998 mit einem «offenen Brief» an den Gemeinderat von Altstätten. Diesen Brief stellte er auch der «Rheintalischen Volkszeitung» zu, die ihn am 4. Juni 1998 publizierte. X. stellte darin verschiedene kritische Fragen an den Gemeinderat im Zusammenhang mit einer bevorstehenden kommunalen Volksabstimmung. Gemeinderat Y., der im Leserbrief von X. namentlich erwähnt war, klagte am 1. September 1998 gegen X. beim Bezirksgericht Oberrheintal wegen Ehr- und Persönlichkeitsverletzung.

B. Die erste Instanz entschied am 23. November 1999 unter anderem, X. werde der üblen Nachrede für schuldig erklärt und zu einer Busse von Fr. 1000.- verurteilt und es werde eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Y. festgestellt. Eine Berufung, die X. gegen diesen Entscheid erhob, wies das St. Galler Kantonsgericht mit Entscheid vom 12. September 2000 ab.

C. «Die Rheintalische Volkszeitung» berichtete in ihrer Ausgabe vom 25. November 1999 unter dem gross aufgemachtem Titel «Leserbriefschreiber verurteilt» mit dem Untertitel, X. sei der üblen Nachrede gegen Stadtrat Y. für schuldig befunden worden, in zahlreichen Details über die Gerichtsverhandlung. Das Urteilsdispositiv wurde praktisch integral wiedergeben, und zwar einschliesslich der Tatsache, dass X. vier Fünftel der Anwaltskosten von Y. tragen müsse.

D. Gegen den Entscheid des St. Galler Kantonsgerichtes erhob X. Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht. Dieses gab seiner Beschwerde mit Urteil vom 22. März 2001 statt, hob den vorinstanzlichen Entscheid auf und wies die Sache zur Freisprechung des X. vom Vorwurf der üblen Nachrede und zur Neubeurteilung der Frage der Persönlichkeitsverletzung an die Vorinstanz zurück.

E. Die «Rheintalische Volkszeitung» berichtete am 28. März 2001 über den Ausgang des Verfahrens vor Bundesgericht marginal und einspaltig unter dem Titel «An Vorinstanz zurückgewiesen» mit einem Text von lediglich 20 Zeilen. Berichtet wird lediglich davon, dass das Bundesgericht die Beschwerde von X. gutgeheissen habe, dass das Urteil des St. Galler Kantonsgerichtes aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen werde. Der kleine Bericht endet mit dem Satz, X. sei «zuversichtlich, dass er nach der Neubeurteilung des Kantonsgerichts freigesprochen wird». Ein Hinweis darauf, dass das Bundesgericht die Sache zur Freisprechung des X. an die Vorinstanz zurückwies, fehlt vollständig. Im Gegensatz zur «Rheintalischen Volkszeitung» berichtete der «Rheintaler», die lokale Ausgabe des «St. Galler Tagblatts», ausführlich unter dem Titel «X. geniesst Sieg Ðohne Hurrageschrei?».

F. Unabhängig von der vorstehend geschilderten Auseinandersetzung zwischen X. und Gemeinderat Y. eröffneten die RVA Druck und Medien AG als Herausgeberin und die Redaktion der «Rheintalischen Volkszeitung» in einem gemeinschaftlichen Schreiben vom 4. Mai 1999 gegenüber X. die folgenden Entscheide:
– X. werde gebeten Besuche und Telefonanrufe bei der Redaktion und bei Verwaltungsräten zu unterlassen;
– Redaktion und Verwaltungsrat verzichteten auf weitere Korrespondenz mit X.;
– sollten seitens X. Anrufe oder Korrespondenzen eingehen, so habe er damit zu rechnen, dass diese unbeantwortet blieben;
– die «Rheintalische Volkszeitung» werde keine Leserbriefe und sonstigen Beiträge von X. mehr aufnehmen;
– Verlag und Redaktion seien dafür besorgt, dass der Name von X. «in der ÐRheintalischen Volkszeitung? generell nicht mehr erwähnt wird».

G. Mit Beschwerde vom 4. März 2002 gelangte X. an den Presserat. Er macht geltend, es liege ein «krasser Fall von Informationsverhinderung» und eine «einseitige Informationspraxis» vor und beantragte, der Presserat möge «die einseitige und menschenverachtende Informationspolitik der ÐRheintalischen Volkszeitung? (…) beurteilen» und das Publikationsverbot in Bezug auf seine Person «kommentieren». Mit einer Rückfrage beim Beschwerdeführer klärte das Sekretariat des Presserates, dass derzeit keinerlei straf- oder zivilrechtliche Verfahren zwischen dem Beschwerdeführer und der Beschwerdegegnerin hängig sind.

I. Mit Schreiben vom 15. April 2002 nahm die RVA Druck und Medien AG für Verlag und Redaktion Stellung. Sie sieht das Problem «unbestrittenermassen in der Person des Beschwerdegegners», bezeichnet X. als «stadtbekannten Nörgeler und Querulant», der ein «krankhaftes Bedürfnis zur Selbstdarstellung und zur Überschätzung seines Einflusses auf die Politik» habe. Ausserdem werden verschiedene, von der Beschwerdegegnerin offenbar als nachteilig eingeschätzte Informationen über X. vermittelt, die mit dem Gegenstand der Beschwerde keinen direkten Zusammenhang haben. X. sei verschiedentlich darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Beschwerdegegnerin «zur Veröffentlichung von Pamphleten» nicht mehr zur Verfügung stehe. Man habe X. deshalb erklärt, dass man mit ihm keinen Kontakt mehr wünsche. Im übrigen geht die Beschwerdegegnerin auf die beiden vom Beschwerdeführer gerügten Sachverhalte nicht näher ein.

K. Das Präsidium des Presserates übertrug die Behandlung der Beschwerde der 3. Kammer, der Esther Diener-Morscher als Präsidentin sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 16. Mai 2002 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Der Beschwerdeführer verweist in seiner Beschwerdebegründung in allgemeiner Form auf Absatz 3 der Präambel sowie auf die Punkte 1, 2, 5, 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Er unterlässt es jedoch, im Sinne von Art. 8 Abs. 2 des Geschäftsreglementes im einzelnen darzulegen, welche dieser Bestimmungen durch welches Verhalten bzw. welchen Teil der inkriminierten Berichterstattung verletzt worden sei. Aus dem Gesamtzusammenhang der Beschwerdebegründung ergibt sich, dass der Beschwerdeführer sich hauptsächlich auf die Wahrheitspflicht, die Freiheit der Information und den Meinungspluralismus, die Pflicht zur Berichtigung falscher Meldungen sowie die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde bezieht. Die Beschwerde an den Presserat soll nicht nur jedermann offen stehen, sondern auch unkompliziert und ohne erheblichen Formalismus möglich sein. Die formalen Anforderungen an die Beschwerdeanträge und ihre Begründung dürfen deshalb nicht unnötig hoch sein, weshalb die Beschwerdebegründung von daher im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden ist.

b) Aus dem vorerwähnten Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 4 des Geschäftsreglementes könnte geschlossen werden, in die Kompetenz des Presserates falle ausschliesslich die Beurteilung von Medienberichten, nicht aber die Beurteilung des sonstigen Verhaltens von Medien und Medienschaffenden. Eine solche Interpretation erscheint allerdings im Lichte von Art. 1 Abs. 1 und 2 des Geschäftsreglementes als zu eng, steht doch der Presserat gemäss diesen Bestimmungen dem Publikum und den Medienschaffenden für medienethische Fragen schlechthin zu Verfügung und nimmt von sich aus oder auf Beschwerde hin zu Fragen der journalistischen Berufsethik Stellung. Nach dem Gesagten steht also der Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer faktisch ein Haus- und Publikationsverbot auferlegen durfte, nichts im Wege.

2. Die Beschwerdegegnerin hat über den Entscheid der ersten Instanz in der Strafsache Y. gegen X. ausführlich berichtet. Ob und in welchem Umfang die Beschwerdegegnerin über die Bestätigung dieses Entscheides d
urch das Kantonsgericht berichtet hat, muss vorliegend offen bleiben, nachdem keine der Parteien trotz entsprechender Aufforderung des Presseratssekretariat eine Kopie eines allfälligen Artikels vor der Verabschiedung der vorliegenden Stellungnahme durch die 3. Kammer eingereicht hat. Über den von X. vor dem Bundesgericht errungenen Sieg in Form einer Rückweisung des Entscheides an die Vorinstanz zur Freisprechung hat die Beschwerdegegnerin nur in einer marginalen Notiz berichtet.

a) Gemäss der Richtlinie 7.7 zur «Erklärung» hat die Berichterstattung über die Nichteröffnung, die Einstellung oder den Freispruch gegen eine Person in einem angemessenen Verhältnis zur ursprünglichen Berichterstattung zu stehen. Was ein solch Ðangemessenes Verhältnis? ist, wird in der Richtlinie nicht weiter ausgeführt. Immerhin hatte der Presserat in der Stellungnahme 11/1994 i.S. S. c. «Le Matin» et «24 heures» festgehalten, die Berichterstattung über ein hängiges Verfahren verlange eine erhöhte journalistische Sorgfalt, weshalb auch über einen Freispruch angemessen zu berichten sei, wenn eine Person im Vorfeld eines Prozesses öffentlich genannt wurde.

Vorliegend hatte allein die Titelzeile der ursprünglichen Berichterstattung «Leserbriefschreiber verurteilt» mehr Fläche in Anspruch genommen als die gesamte Berichterstattung über den Bundesgerichtsentscheid. Letztere trug ausserdem keineswegs den äquivalenten Titel «Leserbriefschreiber freigesprochen», sondern den nichts sagenden Titel «An Vorinstanz zu-rückgewiesen». Zur Beurteilung, ob in einem «angemessenen Verhältnis» berichtet worden sei, sind nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Überlegungen anzustellen. Ein Bericht, kaum grösser als der vom Beschwerdeführer beanstandete, hätte ihn wohl dann befriedigen können, wenn er mit einem klaren Titel versehen gewesen wäre und unmissverständlich klargestellt hätte, dass das Bundesgericht dem Beschwerdeführer auf der ganzen Linie (und unter Kostenfolge!) Recht gab und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückwies. Genau diese Klarheit fehlt dem Bericht der Beschwerdegegnerin. Zwar war mit dem Entscheid des Bundesgerichts formal der Freispruch, auf den sich Richtlinie 7.7 bezieht, noch nicht erfolgt. Faktisch stellte der Entscheid des Bundesgerichts aber einen Freispruch für X. dar. Im Hinblick auf die nachstehenden Erwägungen kann offen gelassen werden, ob vorliegend gegen die Richtlinie 7.7 verstossen worden sei. Unschön und unfair bleibt das Miss-verhältnis zwischen der breiten Berichterstattung über die Verurteilung von X. einerseits und der mageren Notiz über seinen faktischen Freispruch allemal.

b) Der Bericht der Beschwerdeführerin über den Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens ist unschön knapp. Der Titel ist inhaltlich irreführend, wenn nicht gar falsch. Wenn es darin heisst, das Urteil des Kantonsgerichts werde aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen und im letzten Satz nur die Zuversicht von X. zum Ausdruck kommt, er werde «nach der Neubeurteilung des Kantonsgerichts freigesprochen», so wird damit insinuiert, es sei noch offen, wie das Kantonsgericht bezüglich des Schuldspruches entscheiden werde. Aufgrund des Bundesgerichtsurteils war es aber unzweifelhaft klar, dass das Kantonsgericht gar keine andere Möglichkeit mehr besass, als X. freizusprechen. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die zitierte Stellungnahme 11/94 verwiesen, wonach bei der Berichterstattung über hängige Verfahren eine erhöhte journalistische Sorgfalt verlangt ist. Aus diesem Grund ist der Bericht der Beschwerdegegnerin zu beanstanden, weil er im Sinne von Ziffer 1 der «Erklärung» gegen die Wahrheitspflicht verstösst und weil er im Sinne von Ziffer 3 der «Erklärung» ein wichtiges Informationselement unterschlägt.

3. Schliesslich bleibt zu beurteilen, ob es mit den journalistischen Pflichten zu vereinbaren ist, dass die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer ein faktisches Hausverbot auferlegte und ihn wissen liess, dass sie Leserbriefe und journalistische Beiträge aus seiner Feder nicht mehr berücksichtige und ausserdem auf die Nennung seines Namens grundsätzlich verzichte. Letzteres mit der (offenbar sarkastischen) Begründung, so könne verhindert werden, dass seitens Dritter Verunglimpfungen gegen X. vorkämen, «die einer Erwiderung bedürftig wären».

a) Grundsätzlich muss es möglich sein, dass auch Presseorgane ihren Verkehr mit Dritten einschränken, gewissen Voraussetzungen unterwerfen oder ganz abbrechen. Dabei dürfen sie allerdings nicht willkürlich vorgehen, sondern haben einerseits ihre Eigeninteressen sorgfältig gegen ihre journalistischen Pflichten abzuwägen und andererseits Grundsätze der Verhältnismässigkeit einzuhalten. Als journalistische Grundsätze, die gegen die Eigeninteressen abzuwägen sind, kommen namentlich die Pflicht zur Sicherung des gesellschaftlichen Diskurses, die Forderung nach einer pluralistischen Berichterstattung, die Freiheit der Information und das Gebot der Fairness in Frage. Verhältnismässig haben Massnahmen insofern zu sein, als sie in Inhalt, Form und Dauer massvoll und sinnvoll zu sein haben und jeweils der mildeste Eingriff in die Rechte Dritter zu wählen ist, der zur Befriedigung der erwähnten Eigeninteressen dienlich ist.

b) Die Beschwerdegegnerin macht geltend, sie habe sich durch die unangemeldeten Besuche des Beschwerdeführers bei Redaktions- und Verwaltungsratsmitgliedern gestört gefühlt. Dem hätte die Beschwerdegegnerin ohne weiteres dadurch Abhilfe schaffen können, dass sie dem Beschwerdeführer mitgeteilt hätte, Redaktions- und Verwaltungsratsmitglieder seien für ihn nur noch nach Voranmeldung zu sprechen. Die Aussprechung eines faktischen Hausverbotes erscheint nicht nur als unnötig verletzend, sondern auch als unverhältnismässig, gerade wenn sich der Beschwerdeführer, wie die Beschwerdegegnerin ausführt, immer wieder in lokalpolitische Vorgänge einmischte, was aus seiner Sicht zweifellos der Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Aufgabe gleichkam. Indem die angeordnete Massnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstösst, verletzt sie das Prinzip der Fairness und die Pflicht, den gesellschaftlichen Diskurs aufrecht zu erhalten.

c) Dadurch, dass die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mitteilte, sie werde ihn nicht nur nicht mehr publizieren, sondern auch seinen Namen nicht mehr erwähnen lassen, hat sie ihn nicht nur zur persona non grata, sondern zur Nichtperson erklärt. Die Beschwerdegegnerin führt nichts aus, was eine derart drastische Massnahme rechtfertigen könnte. Soweit die Beschwerdegegnerin sich darauf berief, der Beschwerdeführer wolle ehrverletzende Leserbriefe publizieren lassen, war zumindest im Fall Y. einer solchen Motivation spätestens mit dem bundesgerichtlichen Urteil die Grundlage entzogen. Von jenem Zeitpunkt an hätte die Beschwerdegegnerin fairerweise von sich aus die dem Beschwerdeführer gegenüber angeordnete Massnahme aufheben oder zumindest überprüfen müssen. Die Beschwerdegegnerin substantiiert keine weiteren Vorfälle, die das faktische Hausverbot und die Publikationssperre gerechtfertigt hätten und sie machte zudem von ihrer Androhung nur sehr inkonsequent Gebrauch. So nannte sie den Namen des Beschwerdeführers, wenn sie etwas Nachteiliges über ihn berichtete, verweigerte ihm aber gleichzeitig die Publikation von Leserbriefen. Dass die beanstandete Anordnung der Beschwerdegegnerin aus dem Jahr 1999 stammt und der Beschwerdeführer erst im Jahr 2002 an den Presserat gelangte, ist kein Grund, die Beschwerde nicht zu behandeln. Denn mit jedem einzelnen Akt, mit welchem die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer ignoriert, verstösst sie erneut gegen die vom Beschwerdeführer ins Feld geführten Grundsätze.

d) Der Schweizer Presserat hat zum Abdruck von Leserbriefen in ständiger Praxis (vgl. z.B. die Stellungnahme 16/2000 i.S. Oui à la vie c. «La Liberté» mit weiteren Verweisen) daran festgehalten, dass eine Redaktion unter beruf
sethischen Gesichtspunkten frei ist, über den Abdruck von Leserbriefen zu entscheiden (bestätigt in Stellungnahme 1/2001 i.S. L. c. «Neue Zürcher Zeitung», 14420.htm). Wenn die Redaktionen nach dieser ständigen Praxis in ihrer Entscheidung im jeweiligen Einzelfall frei sind, einen Leserbrief zu publizieren oder nicht, so heisst dies umgekehrt nicht, dass sie ohne weiteres frei sind, ihre Leserbriefpraxis derart zu gestalten, dass sie einzelnen Personen oder Personengruppen oder Institutionen den Zugang zu ihrem Presseorgan grundsätzlich verweigern, wie es die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer gegenüber getan hat. Denn dadurch wird einer solchen Person, unbesehen vom Inhalt ihrer Zuschriften, im vornherein und nur wegen ihrer Person, der Zugang zu einem Presseorgan verweigert und dergestalt ihr Recht auf freie Meinungsäusserung in einer grundsätzlichen und systematischen Art eingeschränkt. Eine solche Verweigerung der Publikation käme einer systematischen Diskriminierung gleich und liesse sich vor den Grundsätzen der Meinungspluralität, der Fairness, des gesellschaftlich notwendigen Diskurses und der Informationsfreiheit nur in den seltensten Ausnahmefällen vertreten. Dem ist selbst dann so, wenn ein Medium sich nicht in einer Monopolsituation befindet. Immerhin stellt der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin das offizielle Publikationsorgan der Gemeinde Altstätten ist, einen weiteren gewichtigen Grund dar, weshalb die Beschwerdegegnerin ganz besonders darauf bedacht sein sollte, eine Meinungsvielfalt darzustellen und so den Vorwurf zu vermeiden, sie unterdrücke Meinungen, die von der jeweiligen Linie des Gemeinderates Altstätten abweichen. Die von der Beschwerdegegnerin angeführten Gründe sind weit davon entfernt, eine so einschneidende Massnahme wie eine grundsätzliche Publikationssperre zu rechtfertigen.

4. Der Beschwerdeführer rügt implizit (durch einen Hinweis auf Ziffer 8 der «Erklärung» und durch das Ersuchen, «die menschenverachtende Informationspolitik» der Beschwerdegegnerin zu beurteilen), einen Verstoss gegen das Gebot, die Menschenwürde zu respektieren und auf diskriminierende Äusserungen zu verzichten. Der Beschwerdeführer mag zwar die Behandlung und Ausgrenzung durch die Beschwerdegegnerin als verletzend und unwürdig empfunden haben. Diese Ausgrenzung hatte ihre Ursache aber nicht in der Herkunft, dem Geschlecht oder einem speziellen Leiden des Beschwerdeführers, welchen die Beschwerdegegnerin nicht mit dem gebührenden Respekt begegnet wären. Gerade auf solche Situationen zielt Ziffer 8 der «Erklärung» ab. Zwar sind ähnliche Fälle der Ausgrenzung von Personen und Personengruppen denkbar (keine Publikation von Leserbriefen wegen des Geschlechtes, der Herkunft, der Religion, der Hautfarbe etc. einer Person), die auch eine Diskriminierung im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung» darstellen könnten. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen weitgehend gutgeheissen.

2. Die «Rheintalische Volkszeitung» hat mit ihrer Berichterstattung über den Bundesgerichts-entscheid, mit welchem das Verfahren gegen X. zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde, die Wahrheitspflicht verletzt und damit gegen die Ziffer 1 und 3 der «Erklärung» verstossen, indem sie den irreführenden Anschein erweckte, der Freispruch von X. vor dem Kantonsgericht sei bei nochmaliger Beurteilung noch unsicher.

3. Das von der «Rheintalischen Volkszeitung» dem Beschwerdeführer gegenüber ausgesprochene Hausverbot erscheint insofern als unverhältnismässig, als auch eine minder einschneidende Massnahme, durch welche der Meinungspluralismus und die Informationsfreiheit angemessen berücksichtigt worden wären, den berechtigten Eigeninteressen der Redaktion und des Verwaltungsrates gerecht geworden wäre.

4. Zwar sind Redaktionen gemäss ständiger Praxis des Schweizer Presserates unter berufsethischen Gesichtspunkten frei, über den Abdruck von Leserbriefen zu entscheiden. Das entbindet sie nicht der Pflicht, im Einzelfall zu entscheiden. Eine Anordnung, wonach einzelne Personen, Personengruppen oder Institutionen in einem Medium generell nicht mehr zur Sprache kommen und nicht mehr erwähnt werden, kann gegen die Grundsätze der freien Meinungsbildung, der Meinungspluralität, der Fairness und, je nach den Umständen, gegen das Diskriminierungsverbot verstossen. Vorliegend war die gegen X. verhängte Publikationssperre nicht gerechtfertigt.