Nr. 71/2011
Lauterkeit der Recherche / Recht am eigenen Bild

(Esseiva c. «Blick») Stellungnahme des Presserates vom 21. Dezember 20

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Zusammenfassung

Der berufsethische Persönlichkeitsschutz beschränkt sich räumlich nicht in auf den privaten, häuslichen Bereich. Auch wer sich im öffentlichen Raum, beispielsweise im Internet, exponiert, verzichtet damit nicht gänzlich auf den Schutz seiner Persönlichkeit. Eine Einwilligung der Betroffenen für die Weiterverbreitung eines Bildes durch eine Zeitungsredaktion ist deshalb auch dann erforderlich, wenn ein «Oben ohne Bild» wegen einer technischen Panne vorübergehend ohne schützenden Balken im Internet zugänglich ist.

Die FDP-Frauen warben im Vorfeld der Eidgenössischen Wahlen 2011 mit dem Slogan «Nicht mehr oben ohne» für mehr Frauen in Spitzenämtern von Politik und Wirtschaft. Als Blickfang benutzte die Kampagne eine Bild mit dem nackten Oberkörper von Esseiva, der allerdings durch einen schwarzen Balken abgedeckt war. «Blick» machte sich unter dem Titel «Freisinnige Nacktpanne» darüber lustig, der schwarze Balken mit dem Slogan fehle, wenn der Computer zu langsam sei. Und in der französischen Version des Flyers könne man ihn  einfach wegklicken. Zur Illustration zeigte Blick je eine Version des Bildes mit und ohne Balken.

Der Presserat heisst eine Beschwerde von Claudine Esseiva teilweise gut. Zwar sein nicht belegt, dass «Blick» das Bild manipuliert habe. Hingegen hätte die Zeitung die angebliche «technische Panne» nicht zum Vorwand nehmen dürfen, das Bild ohne Balken ohne Zustimmung der FDP-Frauensekretärin zu veröffentlichen. Denn ihre Einwilligung zur Veröffentlichung habe sich offensichtlich nur auf das Bild mit Balken erstreckt. Und selbst wenn man ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung über die provokative Kampagne bejahte, wäre es unverhältnismässig, das Bild ohne Balken zu veröffentlichen. Zumal die Leserschaft auch ohne Abdruck des «Pannenbildes» in der Lage gewesen wäre, sich dieses vorzustellen.

Résumé

Sous l’angle déontologique, la protection de la personnalité ne se restreint pas au seul espace domestique privé. Celui qui s’expose publiquement, par exemple sur Internet, ne renonce pour autant totalement à la protection de sa personnalité. L’approbation de la personne concernée pour la diffusion d’une image par la rédaction d’un journal doit être obtenue, même si, suite à une panne technique, la photo d’une dame au buste dénudé a pu être accessible momentanément sur l’Internet sans une barre noire protectrice.

A la veille de la campagne électorale fédérale 2011, les femmes PLR réclamaient une présence féminine plus pour autant totalement dans les postes dirigeants de la politique et de l’économie, et lancent le slogan «Nicht mehr oben ohne» («plus sans le haut»). Pour attirer le regard, la campagne utilise l’image du torse dénudé de la secrétaire féminine du PLR, Claudine Esseiva, recouvert d’un cache noir. «Blick» fait des gorges chaudes de cette «mise à nu» radico-libérale, disant que la barre noire ne se met pas tout de suite en place lorsque l’ordinateur est trop lent. Dans la version française de la feuille volante un simple clic suffirait à l’effacer. Le «Blick» montre les deux versions, avec et sans cache noir, en guise d’illustration.

Le Conseil de la presse admet la plainte de Claudine Esseiva, mais partiellement seulement. Il n’est en effet pas démontré que «Blick» a manipulé l’image. Par contre, le journal n’aurait pas dû prendre prétexte de la supposée panne technique pour publier, sans l’autorisation de la secrétaire féminine du PLR, l’image dépourvue du cache noir. A l’évidence , son accord implicite pour une publication ne concernait que l’image avec sa barre noire. Même en admettant qu’il y ait un intérêt public à rendre compte d’une campagne provocatrice, il était hors de proportion de publier la photo sans cache, du moment que le lecteur pouvait fort bien se représenter l’image due à «la panne» sans qu’elle soit montrée.

Riassunto

La protezione della personalità affermata dalla deontologia non si limita all’ambito domestico. Anche chi si espone pubblicamente non per questo rinuncia del tutto alla protezione della sua personalità. La ripresa da un sito Internet della foto di una persona richiede il consenso della medesima, se l’immagine citata è diversa da quella autorizzata per una campagna elettorale.

La foto della parte superiore del corpo di Claudine Esseiva, la segretaria nazionale delle Donne radicali, parzialmente occulata con un tratto nero su cui figurava la scritta «Nicht mehr oben ohne», era stata utilizzata dalla sezione femminile del Partito liberale durante la campagna elettorale del 2011 per pubblicizzare la rivendicazione di maggiori quote rosa in politica e in economia. Il «Blick» aveva tuttavia scoperto che, incidentalmente, cliccando sul sito delle Donne radicali, si poteva osservare la foto originale, cioè senza il tratto nero e senza la soprascritta, e ne aveva preso spunto per mettere in ridicolo la faccenda con il titolo «Freisinnige Nacktpanne»: un nudo mette nei pasticci i liberali.  Nella versione francese l’immagine di Claudine Esseiva si poteva vedere con e senza soprascritta. Il giornale aveva pubblicato le due foto fianco a fianco.

Il Consiglio della stampa ha accolto parzialmente il reclamo di Claudine Esseiva. È vero che il «Blick» non ha manipolato le immagini. Ma il giornale non può giustificarsi con un disguido in Internet per omettere di chiedere l’accordo dell’interessata. Perché, di sicuro, l’autorizzazione sarebbe stata data solo per l’immagine con la striscia e la scritta. L’interesse pubblico – nel caso specifico  di una campagna elettorale in corso – giustificava la provocazione? Il Consiglio ha ritenuto che il giornale è venuto meno all’obbligo di rispettare il principio della proporzionalità. Il pubblico poteva facilmente figurarsi come potesse essere l’immagine «originale», anche senza che il giornale gliela mostrasse.

I. Sachverhalt

A. Am 11. Juli 2011 publizierte der «Blick» einen Artikel mit dem Titel «Freisinnige Nacktpanne». Der Untertitel lautet: «Politikerin oben ohne im Internet». Thema des Be-richts von Adrian Schulthess ist eine Kampagne der FDP-Frauen, die vor den National-ratswahlen vom Herbst 2011 mit dem Slogan «Nicht mehr oben ohne» für mehr Frauen in Spitzenämtern von Politik und Wirtschaft warb. «Um die Blicke auf den Slogan zu len-ken», habe sich die die Generalsekretärin der FDP-Frauen, Claudine Esseiva, für die Kam-pagne ausgezogen. «Letzte Woche wurde das Plakat auf der Facebook-Seite der FDP-Frauen vorgestellt.» Blöd sei nur, wenn der schwarze Balken mit dem Slogan fehle, der die Brustpartie von Esseiva abdecke. «Zum Beispiel, wenn der Computer zu langsam ist, wie die Blogger im Internet spotteten. Oder wenn man den Balken einfach wegklicken kann und dahinter Esseiva sieht, wie sie sich der Kamera zeigte. Wie in der französischen Versi-on des Flyers, die als Datei auf dem Internet-Server der FDP-Frauen liegt.»

Zur Illustration zeigt «Blick» zwei Fotos von Claudine Esseiva: Einserseits den Flyer der Kampagne der FDP-Frauen mit schwarzem Balken, andererseits eine mit «Internet» über-schriebene Version, auf der der Balken fehlt.

B. Am 20. September 2011 beschwerte sich Claudine Esseiva beim Presserat, «Blick» ha-be im Zusammenhang mit dem Artikel vom 11. Juli 2011 das berufsethische Fairnessprin-zip, sowie die Ziffern 4 (Lauterkeit der Recherche) und 7 (Respektierung der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Mit dem Bild auf Seite 3 hätte sie «geradezu als sogenanntes ‹Blick-Girl› durchgehen» können. «Blick» habe weder sie noch etwa die Präsidentin der FDP-Frauen vor der Publi-kation informiert oder gar um eine Stellungnahme gebeten. Sie sei eine «ehrbare und recht-schaffene Frau», die sich politisch engagiere, ohne besonders bekannt zu sein. Indem der Bericht sie zur «Belustigung des Publikums» präsentiere, verletze die Zeitung ihre Privat-sphäre und Würde als Frau. Aufgrund der konkreten Umstände – der Beschwerdeführerin sei weder eine angebliche «Panne» bekannt, noch sei es ihr bei einem eigenen Versuch gelungen, das Bild ohne Balken darzustellen – müsse sie zudem davon ausgehen, dass «Blick» das Originalbild in unlauterer Weise manipuliert und in irreführender Art und Weise verfälscht habe.

C. Am 26. Oktober 2011 wies die anwaltlich vertretene «Blick»-Redaktion die Beschwer-de als unbegründet zurück. Claudine Esseiva nehme eine Führungsfunktion in der FDP ein und habe mit dem Slogan «Nicht mehr oben ohne» persönlich in den Wahlkampf einge-griffen.

Die FDP-Frauen hätten bei der Verbreitung des Bildes im Internet ein technisches Problem übersehen. «Anstatt dass der Balken unentfernbar auf der Esseiva’schen Brust klebte», habe man ihn elektronisch «nachmontiert». Dies habe bei «entsprechender Programmie-rung» dazu geführt, dass der «kundige Computerbildbetrachter» für einen «messbaren und vor allem kopierbaren Zeitraum» das Bild ohne Balken sehen könne. Seit Erscheinen des beanstandeten Artikels hätten die FDP-Frauen das technische Problem gelöst. Es sei «Blick» nicht zu verargen, dass er das «unmanipulierte, originale Bild» publiziert habe.

Eine Zustimmung der Beschwerdeführerin habe es dafür nicht gebraucht, «ist doch aus der Aufschaltung des Bildes zu schliessen, dass Frau Esseiva mit der Publikation des Bildes einverstanden war.» «Blick» habe das «wahre», zu politischen Zwecken aufgenommene und von der FDP verbreitete Bild veröffentlicht. Der Vorwurf einer Verletzung der Privat-sphäre sei deshalb «absurd».

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Jan Grüebler, Claudia Landolt Starck, Peter Lia-towitsch, Markus Locher, Daniel Suter und Max Trossmann.

E. In einer nach Abschluss des Schriftenwechsels unaufgefordert eingereichten Replik zur Beschwerdeantwort beharrte die Beschwerdeführerin darauf, dass der «Blick» unter Zuhil-fenahme technischer Kenntnissse das Bild manipuliert habe. Sie sei zudem entsetzt dar-über, dass «Blick» offenbar der Meinung sei, bei einer Politikerin, die nackte Haut zeige, sei alles erlaubt.

F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 21. Dezember 2011 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Begriff «Fairness» findet sich in der Präambel zur «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten». Danach haben sich die Medienschaffenden insbesondere auch gegenüber den von der Berichterstattung Betroffenen generell vom Prinzip der Fair-ness leiten zu lassen. Soweit sich jedoch Vorwürfe als konkrete Punkte der «Erklärung der Pflichten» rügen lassen, prüft der Presserat nicht, ob zusätzlich auch noch eine Verletzung des Fairnessprinzips zu bejahen ist.

Unter Fairnessgesichtspunkten ist vorliegend zudem darauf hinzuweisen, dass die FDP-Frauen – insbesondere auch die Beschwerdeführerin – angesichts ihrer provokativen Kam-pagne mit ebensolchen öffentlichen Reaktionen rechnen mussten. «Blick» durfte sich so-wohl über die Kampagne als auch über das angebliche technische Versehen lustig machen, ohne dass dies von vornherein gegen das Fairnessprinzip verstossen würde. Hingegen durf-te sich die Zeitung bei der Beschaffung ihrer Informationen keiner unlauterer Methoden bedienen (vgl. die nachfolgende Erwägung 2) und war die Redaktion bei der Veröffentli-chung zudem gehalten, den Persönlichkeitsschutz der Beschwerdeführerin zu respektieren (Erwägung 3).

2. War das Bild von Claudine Esseiva ohne Balken – wie dies «Blick» behauptet – wegen einer «Panne» während einer gewissen Zeit im Internet frei für jedermann zugänglich oder war es im Gegenteil ohne besondere Computerkenntnisse und -manipulationen nicht mög-lich, das Bild ohne Balken zu kopieren? Der Presserat kann dies aufgrund der ihm von den Parteien eingereichten Unterlagen nicht beurteilen. Gestützt auf die verfügbaren Informati-onen erscheint die von «Blick» behauptete «technische Panne» jedenfalls nicht ausge-schlossen und somit ist eine Verletzung der Ziffer 4 der «Erklärung» wegen Manipulation des Originalbilds nicht erstellt.

3. Gemäss Ziffer 7 der «Erklärung» respektieren Journalistinnen und Journalisten die Pri-vatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil ver-langt. Die Richtlinie 7.1 verdeutlicht dazu, dass auch Personen, die im Rampenlicht stehen, das Recht auf den Schutz ihrer Privatsphäre haben. Der berufsethische Persönlichkeits-schutz beschränkt sich zudem nicht in einem räumlichen Sinn auf den rein privaten, häusli-chen Bereich. Auch wer sich im öffentlichen Raum, beispielsweise im Internet, exponiert, verzichtet damit nicht gänzlich auf den Schutz seiner Persönlichkeit (Stellungnahmen 1, 2 und 43/2010).

Vorliegend geht es um ein Bild des nackten Oberkörpers der Beschwerdeführerin, das zu-mindest gemäss der Darstellung von «Blick» sowohl mit als auch (vorübergehend) ohne schützenden Balken im Internet für jedermann einsehbar war. Beim Bild mit Balken ist unbestritten, dass dieses mit Zustimmung der Beschwerdeführerin veröffentlicht wurde und dementsprechend von den Medien weiterverbreitet werden durfte. Ebenso ist aber un-bestritten, dass sich die Einwilligung von Claudine Esseiva nur auf das Bild mit Balken, nicht aber auf dasjenige ohne Balken erstreckte. Dies war «Blick» offensichtlich bewusst, denn andernfalls hätte die Redaktion kaum den Titel «Freisinnige Nacktpanne» gesetzt.

Durfte «Blick» eine «technische Panne» zum Anlass nehmen, das Bild gegen den offen-sichtlichen Willen der Beschwerdeführerin weiterzuverbreiten? Und genügt dafür als Rechtfertigung das Argument, Claudine Esseiva sei mit ihrem politischen Engagement als Generalsekretärin der FDP-Frauen sowie als Nationalratskandidatin zu einer öffentlichen Person geworden und der Medienbericht stehe im Zusammenhang mit diesem Engage-ment? Nach Auffassung des Presserats ist dies zu verneinen. Selbst wenn man ein öffentli-ches Interesse an der Berichterstattung über die provokative, leichtgewichtige Kampagne bejaht, war es unverhältnismässig, das Bild ohne Balken zu veröffentlichen – selbst wenn wegen des schützenden Arms nicht die ganze Brustpartie zu sehen ist. Die Leserschaft wä-re auch ohne Abdruck des «Pannenbildes» in der Lage gewesen, sich dieses vorzustellen. Die Redaktion hat deshalb das Recht der Beschwerdeführerin am eigenen Bild (Ziffer 7 der «Erklärung») verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Mit dem Artikel «Freisinnige Nacktpanne» vom 11. Juli 2011, der das Bild des nackten Oberkörpers der Generalsekretärin zur Kampagne «Nicht mehr oben ohne» der FDP-Frauen ohne schützenden schwarzen Balken zeigt, hat «Blick» die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Recht am eigenen Bild) verletzt.

3. Nicht verletzt hat «Blick» die Ziffer 4 der «Erklärung» (Lauterkeit der Recherche).