Nr. 15/1998
Kürzung von Leserbriefen

(B. / c. „Basler Zeitung“) Stellungnahme des Presserates vom 15. Oktober 1998

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I. Sachverhalt

A. Am 7. April 1998 schickte Prof. B. einen Leserbrief an die „Basler Zeitung“, in dem er unter dem Titel „Höhepunkte bei Roche (Anmerkungen zu Aussagen von Professor D.)“ ein im „Roche Magazin 57/1997“ erschienenes Gespräch mit Prof. D. kritisierte. In seinem Schreiben bat er die Leserbriefredaktion, auf Textänderungen oder Kürzungen zu verzichten. Nachdem der Leserbrief bis dahin nicht erschienen war, verlangte sein Verfasser mit Brief vom 2. Mai 1998 „ihn als zurückgezogen zu betrachten“, falls er nicht vor dem 6. Mai 1998 abgedruckt werde. Hierauf wurde der Text im „Forum“ der „Basler Zeitung“ vom 5. Mai 1998 leicht gekürzt abgedruckt. Die Kürzung betraf eine Passage, in der B. darauf hinwies, dass seine Zuschrift nicht im „Roche-Magazin“ habe erscheinen können, da diesem der Abdruck von Leserzuschriften nicht erlaubt sei. Mit Schreiben vom 6. Mai 1998 und 3. Juni 1998 beschwerte sich B. bei der „Basler Zeitung“ über die vorgenommene Kürzung. Der von der Redaktion gestrichene Passus sei für ihn deshalb wesentlich gewesen, weil er aufzeige, dass D. und die Firma Roche auf Kritik durch Totschweigen reagierten.

B. Mit Schreiben vom 22. Juni 1998 gelangte B. an den Presserat und machte sinngemäss eine Verletzung von Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ (Unterschlagung wichtiger Informationselemente) geltend. Das Unterdrücken „unbequemer“ Fakten durch Kürzung eines Leserbriefes halte er für sachlich und ethisch unzulässig.

C. Das Präsidium des Presserates überwies die Beschwerde an die 3. Kammer, die sich wie folgt zusammensetzt: Presseratsvizepräsident Reinhard Eyer, Catherine Aeschbacher, Adi Kälin, Marie-Therese Larcher und Christian Schwarz. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 1. Oktober 1998 sowie auf dem Korrespondenzweg.

D. In ihrer Stellungnahme vom 10. Juli 1998 machte die „Basler Zeitung“ u.a. geltend, sie biete mit in der Regel täglich einer Forum-Seite Lesermeinungen überdurchschnittlich Raum. Sie pflege bei der Veröffentlichung eine sehr liberale Politik, müsse aber, besonders bei grossen politischen Themen, Einschränkungen machen. Grundsätzlich würden nur Briefe berücksichtigt, die sich auf in der „Basler Zeitung“ behandelte Themen beziehen. Zudem behielten sie sich Kürzungen vor, worauf auf der Forumsseite regelmässig hingewiesen werde. Obwohl sich der Leserbrief von B. auf ein nicht in der „Basler Zeitung“ behandeltes Thema bezog, habe die Leserbriefredaktion nach mehreren Briefwechseln und Gesprächen mit dem Beschwerdeführer schliesslich in den Abdruck eingewilligt. B.s Vorwürfe gegen D. seien in beachtlicher Länge ohne jede Kürzung wiedergegeben worden, einzig der Hinweis, dass die „Roche-Nachrichten“ seinen Leserbrief nicht veröffentlicht hätten, sei gestrichen worden, um das Ganze nicht noch länger werden zu lassen. Insgesamt seien sie B. sehr weit entgegengekommen.

II. Erwägungen

l. Der Presserat hat in früheren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass Leserbriefseiten ein „freies Tummelfeld“ für Meinungen aus dem Leserkreis sein sollten, um möglichst viele und unterschiedliche Reaktionen auf einen Artikel publik zu machen. Jede Zeitung sollte Spielregeln für die Leserbriefseite aufstellen und diese in regelmässigen Abständen veröffentlichen (Stellungnahme i.S. E. c. „Tages-Anzeiger vom 23. Oktober 1991, Sammlung 1991, 29ff., siehe zuletzt auch die Stellungnahme 5/98 i.S. A. c. „Zofinger Tagblatt vom 30. April 1998). Die „Basler Zeitung“ hat entsprechende Regeln publiziert. Darin behält sich die Redaktion den Entscheid über die Veröffentlichung und die Kürzung von Leserbriefen vor. Da sich der Leserbrief des Beschwerdeführers auf ein in der „Basler Zeitung“ nicht behandeltes Thema bezog, wäre die Redaktion frei gewesen, auf den Abdruck des Leserbriefes zu verzichten.

2. Die Leserbriefseite von Zeitungen und Zeitschriften gehört zum redaktionellen, durch Medienschaffende bearbeiteten Teil eines Mediums. Die Bearbeitung von Leserbriefen hat – im Rahmen der von der Redaktion publizierten Regeln – grundsätzlich nach journalistischen Kriterien und entsprechend den berufsethischen Regeln zu erfolgen. Gemäss Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ dürfen die Medienschaffenden keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente und Bilder noch von anderen geäusserte Meinungen entstellen.

Man kann man sich in guten Treuen darüber streiten, ob die von der „Basler Zeitung“ gestrichene Leserbriefpassage ein wichtiges Informationselement im Sinne von Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ darstellte, das dem Leser nicht hätte vorenthalten werden dürfen. Die Frage ist aber jedenfalls nicht derart klar zu bejahen, dass eine Verletzung von Ziff. 3 der „Erklärung“ festzustellen wäre. Es erscheint in gewisser Weise nachvollziehbar, dass – wenn überhaupt – gerade dieser Absatz gestrichen wurde, da sämtliche anderen theoretisch möglichen Streichungen den Sinn der Anmerkungen des Beschwerdeführers über die von Professor D. in der „Roche-Zeitung“ gemachten Aussagen entscheidend verändert hätten.

3. Obwohl sich die „Basler Zeitung“ in ihren Spielregeln die Kürzung von Leserbriefen vorbehält, ist aber dennoch zu fragen, ob der vorgenommenen Kürzung nicht die ausdrückliche Bitte des Beschwerdeführers entgegenstand, auf Veränderungen und Kürzungen seines Leserbriefs zu verzichten.

Der Deutsche Presserat führt in der Richtlinie 2.6. „Leserbriefe“ (Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des deutschen Presserats) aus, dass die Redaktion, auch wenn sie sich das Recht der Kürzung vorbehalten hat, sich entweder an ein ausdrückliches Kürzungsverbot zu halten oder den Abdruck abzulehnen hat. Dieser Grundsatz erscheint unter Fairnessgesichtspunkten auch für schweizerische Verhältnisse als zutreffend.

Aus den dem Presserat vorliegenden Unterlagen wird nicht eindeutig ersichtlich, dass der Beschwerdeführer dem Abdruck seines Leserbriefes in jedem Fall nur dann zugestimmt hätte, wenn ihm der integrale Abruck zugesichert worden wäre. Aufgrund seiner Bitte, auf Veränderungen zu verzichten, wäre es aber gerade auch angesichts der verschiedenen Kontakte zwischen Beschwerdeführer und Redaktion empfehlenswert gewesen, den Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung auf die geplante Kürzung aufmerksam zu machen. Mit diesem Vorgehen hätten Missverständnisse vermieden werden können.

III. Feststellungen

1. Redaktionen sind grundsätzlich frei, den Abdruck von Leserbriefen abzulehnen, die sich auf ein in ihrem Medium nicht behandeltes Thema beziehen.

2. Die Bearbeitung, insbesondere die Kürzung von Leserbriefen hat – im Rahmen der von der Redaktion publizierten Regeln – grundsätzlich nach journalistischen Kriterien und damit auch entsprechend den berufsethischen Regeln zu erfolgen.

3. Besteht ein Leserbriefschreiber ausdrücklich auf dem Abdruck des integralen Textes, ist entweder diesem Wunsch nachzugeben oder die Veröffentlichung abzulehnen.