Nr. 4/2014
Kommentarfreiheit / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(Baur c. SDA) Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 8. Mai 2014

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I. Sachverhalt

A. Die Schweizerische Depeschenagentur (nachfolgend «sda») verbreitet am 3. Juli 2013 eine Agenturmeldung über zwei Klagen des ehemaligen Julius-Bär-Bankers Rudolf Elmer gegen die «Weltwoche» und die «Bilanz». Elmer habe in beiden Prozessen einen Zwischenerfolg erzielt, wie aus Gerichtsbeschlüssen hervorgehe, die er veröffentlicht habe. Beim Verfahren wegen Persönlichkeitsverletzung gegen die «Weltwoche» habe das Zürcher Bezirksgericht verfügt, dass das Blatt seine Vorwürfe innerhalb von 20 Tagen beweisen müsse. Beim Ehrverletzungs-Verfahren gegen die «Bilanz» habe das Obergericht beschlossen, das gegenwärtig sistierte Verfahren wieder aufzunehmen. Ein rechtskräftiges Urteil liege im Fall Rudolf Elmer bis heute nicht vor. Das Obergericht habe im November 2011 kein Urteil fällen wollen, weil die Anklage unvollständig sei. Es habe den Fall an die Staatsanwaltschaft zurück geschickt und Ergänzungen verlangt. Diese Ergänzungen stünden nun kurz vor dem Abschluss, voraussichtlich im Spätsommer würden die Akten dem Obergericht zugestellt. Wann der Prozess fortgesetzt werde, sei noch unklar. Das Zürcher Bezirksgericht habe Elmer im Januar 2011 wegen Drohung, versuchter Nötigung und Verletzung des Bankgeheimnisses zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Sowohl Elmer als auch die Staatsanwaltschaft hätten das Urteil weiter gezogen.

B. Am 8. Juli 2013 beschwert sich Alexander Baur, Redaktor der «Weltwoche», beim Schweizer Presserat über die oben genannte Agenturmeldung der «sda». Er macht geltend, es entstehe insgesamt der Eindruck, dass Elmer vor Gericht einen ersten «Teilerfolg» errungen hätte. Zumindest was die «Weltwoche» betreffe, handle es sich um eine «Pseudo-News», die einen falschen Eindruck erwecke. Die Zuteilung der Klage wegen Persönlichkeitsverletzung gegen die «Weltwoche» sei bereits am 11. Februar 2013 erfolgt. Mit Urteil vom 22. April 2013, mit dem das Gericht ein Begehren Elmers auf eine vorsorgliche Massnahme abgewiesen habe, sei diesem eine erste Niederlage zuteil geworden und nicht etwa ein Erfolg, wie suggeriert würde. Richtig sei, dass sich das Verfahren zurzeit in der Phase der Beweiserhebung befinde, dies sei jedoch kein Teilerfolg, sondern der gewohnte Lauf der Dinge.

Wesentlich in diesem Zusammenhang sei aber vor allem, das die «sda» weder den Beschwerdeführer noch die «Weltwoche» zu einer Stellungnahme eingeladen habe, wozu sie verpflichtet gewesen wäre. Das Fehlen einer Stellungnahme der «Weltwoche» im «sda»-Bericht, der lediglich auf Elmers Sichtweise baue, sei umso gravierender, als «sda»-Berichte über zahlreiche Medien weiter verbreitet würden. Schon fast zynisch wirke der Hinweis der «sda», wonach er bereits im Juli 2012 vom Presserat gerügt worden sei, weil er Elmer vor der Publikation seines Artikels nicht angehört hatte.

C. Am 29. August 2013 hält sie in ihrer Beschwerdeantwort fest, sie habe sich in ihrer Berichterstattung vom 3. Juli 2013 auf Gerichtsbeschlüsse gestützt, die der Beschuldigte am gleichen Tag veröffentlicht habe. Die Unterlagen hätten den Schluss zugelassen, es handle sich um amtliche Dokumente des Zürcher Bezirksgerichts. Die darin enthaltene Aussage, die «Weltwoche» müsse ihre Vorwürfe, Elmer sei ein Datendieb, Erpresser und eine gescheiterte Persönlichkeit innerhalb von 20 Tagen beweisen, dürfe als Zwischenerfolg Elmers bezeichnet werden.

Eine Stellungnahme des «Weltwoche»-Autors Alexander Baur einzuholen, um dem Grundsatz des «audiatur et altera pars» zu genügen, habe sich im vorliegenden Fall nicht aufgedrängt. Neue materielle Aspekte, die dies rechtfertigen würden, hätten die Gerichtsbeschlüsse nicht enthalten. Da es sich um ein laufendes Verfahren handle, würden die Stellungnahmen aller Parteien laufend in den Medien wiedergegeben. Hinzu komme, dass die «sda» in ihrer Berichterstattung den weiteren Verfahrensverlauf ausführlich geschildert habe. Die «sda» habe sich nicht allein auf die Aussagen Elmers verlassen, sondern auch den Staatsanwalt kontaktiert und dessen Aussagen in die Meldung integriert.

Die Berichterstattung der «sda» vom 3. Juli 2013 könne auch nicht als einseitige Parteinahme für die Interessen Elmers interpretiert werden. Bereits im Lead werde darauf hingewiesen, dass gegen Elmer ein Verfahren wegen Verletzung des Bankgeheimnisses laufe.

Die «sda» habe korrekt über die Fortsetzung des Verfahrens in Sachen Elmer gegen die «Weltwoche» berichtet. Der Vorwurf, die «Weltwoche» respektive Alexander Baur hätten angehört werden müssen, sei journalistisch nicht haltbar. Die Praxis der Berichterstattung über Gerichtsfälle beschränke sich in der Regel auf die Wiedergabe des Urteils, wie vorliegend auch. Dabei sei es unerheblich, ob die Information via Gericht oder via eine Partei der «sda» zugestellt werde. Reaktionen zu Gerichtsurteilen würden in den seltensten Fällen aktiv eingeholt, erst recht nicht, wenn es sich nicht um letztinstanzliche Urteile handle, wie im vorliegenden Fall. Die «sda» sei deshalb der Meinung, dass sie die «Erklärung» nicht verletzt habe.

D. Am 3. September 2013 teilt der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, der Vizepräsidentin Francesca Snider und dem Vizepräsidenten Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 8. Mai 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Agenturmeldung der «sda» erwecke den (falschen) Eindruck, dass Elmer vor Gericht einen ersten «Teilerfolg» errungen habe. Mit Urteil vom 22. April 2013 habe das Gericht ein Begehren Elmers auf eine vorsorgliche Massnahme abgewiesen und ihm damit eine erste Niederlage zuteil werden lassen, und nicht etwa einen Erfolg.

In Bezug auf die Prüfung dieser Rüge ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer in den von ihm kritisierten Textpassagen nicht an der Darstellung von Fakten Anstoss nimmt, sondern vielmehr an der Wertung, wonach Rudolf Elmer bei den beiden Klagen gegen die «Weltwoche» und gegen die «Bilanz» einen Zwischenerfolg erzielt habe. Die berufsethische Zulässigkeit der in dieser Aussage enthaltenen Wertung ist unter dem Gesichtspunkt der Kommentarfreiheit zu prüfen. Ziffer 2 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») statuiert die Pflicht der Medienschaffenden, die Freiheit des Kommentars und der Kritik zu verteidigen. Der Presserat hat in seiner Praxis stets den grossen Freiraum des Kommentars betont, sofern nicht andere durch kommentierende Beiträge betroffene Interessen im Einzelfall schwerer wiegen. Da die «Erklärung» zudem keine formale Trennung zwischen Nachricht und Kommentar vorschreibt, wird der Berufsethik Genüge getan, wenn die Leserschaft in die Lage versetzt wird, zwischen Informationen und Wertungen unterscheiden zu können (Stellungnahme 3/1998).

Soweit sich die Meldung der «sda» auf die Berichterstattung über das Verfahren gegen die «Bilanz» bezieht, kann diese Frage offen bleiben, richtet sich die vorliegende Beschwerde doch allein gegen die Berichterstattung in Bezug auf die Klage Elmers gegen die «Weltwoche». In der Agenturmeldung der «sda» wird dazu folgendes ausgeführt: «Beim Verfahren wegen Persönlichkeitsverletzung gegen die ‹Weltwoche› verfügte das Zürcher Bezirksgericht, dass das Blatt seine Vorwürfe innerhalb von 20 Tagen beweisen muss.» Ein rechtsgültiges Urteil liege im Fall Rudolf Elmer bis heute nicht vor, die vom Obergericht bei der Staatsanwaltschaft verlangten ergänzenden Abklärungen stünden kurz vor dem Abschluss. < br />
Von dieser Faktenlage ist vorliegend auszugehen, sie wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Die Wertung, wonach Elmer einen Zwischenerfolg erzielt habe, bezieht sich auf die Fristansetzung an die «Weltwoche», einen Beweis für ihre Vorwürfe zu erbringen, und nicht auf die Abweisung von Elmers Gesuch auf Erlass einer vorsorglichen Massnahme, wie dies der Beschwerdeführer geltend macht. Dieses Urteil ist nicht Gegenstand der Berichterstattung der «sda». Dies konnte die Leserschaft ohne weiteres feststellen, mithin zwischen Information und Wertung derselben unterscheiden. Die «sda» durfte demnach die Wertung vornehmen, der Beschluss des Bezirksgerichts Zürich sei als Zwischenerfolg zu werten.

2. Zu untersuchen bleibt, ob die «sda» verpflichtet gewesen wäre, die «Weltwoche» zu den Vorwürfen anzuhören. Richtlinie 3.8 verpflichtet die Journalistinnen und Journalisten, Betroffene vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe anzuhören und ihre Stellungnahme im Medienbericht fair wiederzugeben. Vorab ist bei der Agenturmeldung der «sda» zu prüfen, ob diese gegen den Beschwerdeführer schwere Vorwürfe erhebt, also gemäss Praxis des Presserats diesem ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten unterstellt (statt vieler: Stellungnahme 19/2013).

Vorliegend handelt es sich um die Berichterstattung über zwei laufende Gerichtsverfahren. Es besteht keine Verpflichtung, zu (Zwischen-)Entscheiden die Meinung der am Verfahren Beteiligen einzuholen. Ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten wird dem Beschwerdeführer nicht unterstellt. Es sind somit keine schwerwiegenden Vorwürfe erkennbar, zu denen der Beschwerdeführer oder die «Weltwoche» hätten angehört werden sollen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «sda» hat die Ziffer 2 (Kommentarfreiheit) und Ziffer 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.