Nr. 29/2007
Kommentarfreiheit

(X. c. «St. Galler Tagblatt») Stellungnahme des Presserates vom 20. Juli 2007

Drucken

I. Sachverhalt

A. Im Vorfeld der Urnenabstimmung über eine Baulandeinzonung in Gossau SG vom 21. Mai 2006 veröffentlichte das «St. Galler Tagblatt» einen Leserbrief des Ehepaars X. Sie machten darin geltend, 1428 habe auf dem von der Umzonung betroffenen Gebiet eine Schlacht stattgefunden. Dabei seien die Angreifer in die Flucht geschlagen worden und 80 Menschen hätten bei ihrem Einsatz für die Ehre der Gossauer ihr Leben verloren. «Alle Ja-Sager zur Umzonung, die noch einen Funken Ehrfurcht vor dieser historischen Schlacht haben, müssten ein klares Nein in die Urne legen. Spätestens, wenn dann beim Lochen Skelette, Waffen und der Verteidigungsgraben zum Vorschein kommen, muss von Amtes wegen ein Baustopp verfügt werden.»

B. Am 17. März 2007 kam das «St. Galler Tagblatt» unter dem Titel «G(l)ossau. Keine Spuren» in einer mit «Ihr Theobald» gezeichneten Glosse auf den im Abschnitt A. erwähnten Leserbrief zurück. «Ein Jahr nach der Abstimmung, die mit einer deutlichen Niederlage des Referendumskomitees endete, wurde am Fenn-Geissberg (…) gegraben. (…) Das Resultat ist erfreulich: Der Untergrund entspricht mehrheitlich den Erwartungen. Am Fenn-Geissberg kann problemlos gebaut werden. Für Historiker waren jedoch die Tiefenbohrungen wenig ergiebig, ja sogar enttäuschend. Die Geologen stiessen in der Tiefe weder auf Knochen noch auf Waffen oder auf Spuren der mittelalterlichen Schlacht am Fenn-Geissberg. Muss daraus geschlossen werden, dass es sich bei der grossartigen Schlacht nur um eine mittelprächtige Rauferei zwischen Nachbardörfern gehandelt hat? Dies würde auf Parallelen zum Abstimmungskampf hindeuten: Viel Staub und vermeintlich hehre Argumente zur Durchsetzung kleinkarierter Einzelinteressen.»

C. Am 19. März 2007 gelangte das Ehepaar X. mit einer Beschwerde gegen das «St. Galler Tagblatt» an den Schweizer Presserat. Ihr Leserbrief sei seinerzeit nur unter der Bedingung abgedruckt worden, dass sie zu ihrer Identität stehen würden. Nun würden sie als «kleinkarierte Einzelinteressen» angegriffen. «Dabei haben nachweislich 1615 mündige Gossau-Bürger unser jederzeit sehr demokratisch und fair geführtes Referendum mit unterzeichnet. 80 tote Soldaten der historischen Schlacht vor unserer Haustüre sind keine ‹mittelprächtige Rauferei›. Wir sehen dies als Leugnung eines tatsächlich stattgefundenen Krieges mit Toten! So werden wir als Lügner hingestellt. ‹Theobald› missbraucht seine journalistische Tarnung in ehrverletzender Art nur gegen uns zwei Personen.» Mit dieser Publikation habe das «St. Galler Tagblatt» die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Verzerrung von Informationen), 4 (Verfälschung des Originals), 5 (Berichtigung), 7 (Anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) sowie 8 (Respektierung der Menschenwürde) verletzt.

D. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Pressratspräsidium zurückzuweisen.

E. Das Presseratspräsidium bestehend aus dem Presseratspräsidenten Peter Studer und den beiden Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher hat die vorliegende Stellungnahme per 20. Juli 2007 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. In seiner Praxis zur Kommentarfreiheit (Ziffer 2 der «Erklärung) hat der Presserat immer wieder den grossen Freiraum des Kommentars betont. Allerdings sollten sich in einem Kommentar geäusserte Meinungen besonders auch dann durch eine gewisse Fairness auszeichnen, wenn Einschätzungen von Personen bzw. deren Fähigkeiten wiedergegeben werden (Stellungnahme 3/1998). Auch wenn berufsethisch keine formale Trennung zwischen Nachricht und Kommentar vorgeschrieben ist, sollte die Leserschaft bei stark kommentierenden Berichten in die Lage versetzt werden, zwischen Informationen und Wertungen zu unterscheiden (Richtlinie 2.3 zur «Erklärung»; Stellungnahme 17/2000). Gerade bei pointierter Kritik sind die Medienschaffenden verpflichtet, dem Publikum die den negativen Meinungsäusserungen zugrundeliegenden sachlichen Grundlagen mitzuliefern (29/2001).

2. Grundlage der am 17. März 2007 vom «St. Galler Tagblatt» veröffentlichten Glosse von «Theobald» ist einerseits die im Leserbrief vom Mai 2006 enthaltene Voraussage der Beschwerdeführer, bei Bauarbeiten auf dem zwischenzeitlich umgezonten Land würden Skelette, Waffen und der Verteidigungsgraben der historischen Schlacht aus dem 15. Jahrhundert zum Vorschein kommen. Dieser Prophezeiung stellt der Autor das Faktum entgegen, wonach die geotechnischen Untersuchungen keinerlei Spuren der mittelalterlichen Schlacht zutage gefördert hätten. Von diesen Fakten hat das «St. Galler Tagblatt», ohne die Namen der Beschwerdeführer zu nennen, zwei Wertungen abgeleitet. Zum einen hat der Glossenschreiber – angesichts der fehlenden Spuren – die Frage von Umfang und Bedeutung der historischen Schlacht in den Raum gestellt. Zum anderen hat er aus der Differenz zwischen Voraussage und Ergebnis geschlossen, dass das hehre Argument, das Andenken an eine historische Schlacht zu wahren, für das Referendumskomitee weniger wichtig gewesen sein dürfte, als die durch die Umzonung tangierten privaten Interessen. Beides, die Darstellung der faktischen Grundlagen wie auch die Wertungen des Glossenschreibers sind für die Leserschaft als solche erkennbar. Die Beschwerdeführer werden durch die sich damit im Rahmen der Kommentarfreiheit bewegende Kritik zwar als «kleinkarierte» Interessenvertreter bezeichnet. Sie werden damit jedoch weder als Lügner hingestellt noch sonstwie in ihrer Ehre verletzt. Ebenso wenig ist für den Presserat eine Verletzung der Wahrheitspflicht, die Verzerrung von Informationen, eine Verfälschung des Originals oder gar eine Missachtung der Menschenwürde erstellt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Das «St. Galler Tagblatt» hat mit dem Abdruck der Glosse «G(l)ossau. Keine Spuren» am 17. März 2007 die Ziffern 1, 3, 4, 5 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.