Nr. 6/1996
Kennzeichnung unbestätigter Meldungen

(Migros c. 'SonntagsZeitung'), vom 5. September 1996

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Stellungnahme

Kennzeichnung unbestätigter Meldungen

Die Migros als marktmächtiges Unternehmen hat keinen Anspruch auf besondere Schonung durch die Medien. Angesichts der Bedeutung der Wirtschaft in einer Wettbewerbsgesellschaft kommt dem Wirtschaftsjournalismus eine Kritik- und Kontrollfunktion zu. Es ist die Aufgabe der Medienschaffenden, die Unternehmen kritisch zu beobachten und mit Hilfe investigativer Recherche über Vorgänge von öffentlicher Relevanz zu berichten.

Die Migros hat wie alle anderen Unternehmen aber Anspruch auf journalistische Fairness. Dem hat die „SonntagsZeitung“ nicht Rechnung getragen, wenn sie in einem Beitrag über personelle Wechsel an der Migros-Spitze nicht kenntlich gemacht hat, dass diese von den zuständigen Gremien der Migros noch nicht verabschiedet worden waren, und wenn sie keine offizielle Stellungnahme des Migros-Management eingeholt hatte.

Prise de position

Traitement de nouvelles non confirmées

Comme grande entreprise, la Migros ne peut pas prétendre à un traitement de faveur de la part des médias. Etant donné l’importance de l’économie dans une société basée sur la concurrence, le journalisme économique a une fonction de critique et de contrôle. Il est du devoir des collaborateurs des médias d’observer les entreprises de façon critique et de rendre compte, après recherches approfondies, des évolutions en cours qui sont d’interêt public.

Comme toutes les autres entreprises, la Migros a cependant aussi le droit d’être traitée avec loyauté par les journalistes. La „SonntagsZeitung“ n’en a pas tenu compte dans la mesure où l’article publié ne précisait pas que les changements envisagés au niveau du personnel dirigeant de la Migros n’étaient pas encore approuvés par les organes compétents de la Migros et que le journal n’avait pas demandé une prise de position officielle de la direction de la Migros.

Presa di posizione

Informazioni non confermate

Un’azienda potente come Migros è logicamente esposta all’interesse degli organi d’informazione. All’informazione economica compete un ruolo di critica e di controllo proporzionato all’importanza economica e alla capacità concorrenziale di un’impresa. I giornalisti hanno perciò il compito di valutare criticamente l’agire di queste e di informare su fatti di pubblica rilevanza dopo adeguate ricerche.

Come ogni impresa, anche Migros ha tuttavia diritto a un trattamento corretto. A questo principio non si è attenuta la „SonntagsZeitung“ quando, riferendo su importanti cambiamenti al vertice dell’azienda, ha omesso di precisare che la decisione non era stata ancora presa dagli organismi competenti. Inoltre, Migros non era stata interpellata.

I. Sachverhalt

A. Am 8. Oktober 1995 veröffentlichte Harald Fritschi, Leiter der Wirtschaftsredaktion, in der „SonntagsZeitung“ einen Artikel mit dem Titel „Peter Everts gewinnt Migros-Poker“. Darin teilte er mit, dass in der Migros-Zentrale in Zürich wichtige Entscheide gefallen seien, die die Zusammensetzung und Aufgabenverteilung des obersten Managements betreffen. Fritschi legte im einzelnen dar, wer welchen Posten übernimmt. Ferner zeigte er auf, mit welchem Problemen die neue Führung konfrontiert sei und unter welchem Druck sie stehe, zumal in den vergangenen zwei Jahren die Glaubwürdigkeit der Migros gelitten habe.

B. In einer Pressemitteilung vom 9. Oktober 1995 bezeichnete die Migros den Inhalt des Artikels der „SonntagsZeitung“ als „reine Spekulation“. Wörtlich schrieb sie: „Über die in diesem Artikel als Tatsachen dargestellten personellen Veränderungen innerhalb des Migros-Genossenschafts-Bundes wurde in den zuständigen Gremien (Verwaltung und Delegiertenversammlung MGB) weder Diskussionen geführt noch irgendwelche Entscheide gefällt“. Noch deutlicher distanzierte sich die Migros-Spitze gleichentags vom Artikel der „SonntagsZeitung“ in einer internen Mitteilung an das Personal, in der sie ergänzte, der Artikel enthalte „auch in sachlicher Hinsicht krasse Unwahrheiten“, und die Migros prüfe allfällige rechtliche Schritte. Nach einer Intervention der Migros bei Ueli Haldimann, Chefredaktor der „SonntagsZeitung“, erschien in der „SonntagsZeitung“ vom 15. Oktober 1995 eine kurze Erklärung, in der stand, der Artikel von Harald Fritschi habe den Eindruck erweckt, der Ausbau und die Neubesetzung der Migros-Verwaltungsdelegation in der beschriebenen Form sei bereits beschlossene Sache, was nicht der Fall sei, da die zuständigen Gremien darüber bis jetzt weder diskutiert noch entschieden hätten. Die Redaktion bedaure, „dass Migros-Mitarbeiter durch die Publikation und die Ankündigung noch nicht beschlossener personeller Veränderungen verunsichert worden sind“.

C. Eugen Hunziker, Präsident der Verwaltungsdelegation des Migros-Genossenschafts-Bundes, erhob am 15. November 1995 beim Presserat Beschwerde gegen Harald Fritschi. Er argumentierte, der Autor des beanstandeten Artikels habe unbestätigte Gerüchte als Tatsachen dargestellt und somit gegen Ziffer 3 der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten verstossen (Die Journalistinnen und Journalisten „unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente und Bilder noch von andern geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen und Bildmontagen ausdrücklich als solche“). Dieses Verhalten des Journalisten sei ein schwerer Vertrauensbruch. Er warf dem Autor ferner vor, er habe den Eindruck erweckt, die zuständigen Migros-Gremien hätten die Veränderungen bereits beschlossen, und damit Ziffer 1 der Erklärung verletzt („Sie halten sich an die Wahrheit…“), und er habe mit der Behauptung, die Glaubwürdigkeit der Migros habe in den letzten zwei Jahren gelitten, Ziffer 7 missachtet („Sie unterlassen…sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen“). Hunziker erklärte in einem Brief vom 6. Dezember 1995, dass die Migros eine Abklärung des Falles in ethischer Hinsicht wünsche, deshalb nur an den Presserat gelange und keine rechtlichen Schritte vorsehe.

D. Der Presserat wies die Beschwerde der ersten Kammer zu, die aus Präsident Roger Blum und den Mitgliedern Sylvie Arsever, Piergiorgio Baroni, Sandra Baumeler, Klaus Mannhart und Enrico Morresi besteht. Die Kammer trat auf die Beschwerde ein und forderte die „SonntagsZeitung“ zu einer Stellungnahme auf. Diese traf im Mai 1996 ein (Schreiben vom 30. April 1996).

E. Chefredaktor Ueli Haldimann und Harald Fritschi, Leiter der Wirtschaftsredaktion, argumentierten, es bestehe ein sehr ausgeprägtes öffentliches Interesse an journalistischer Berichterstattung über die Migros, die das sechstgrösste Schweizer Unternehmen sei und der grösste private Arbeitgeber, Nummer 1 im Binnenmarkt und im Detailhandel sowie der grösste Kulturmäzen, die überdies über 1,5 Millionen Genossenschaftsmitglieder verfüge und über 433 Millionen Kunden. Änderungen in der Leitung eines so bedeutsamen Unternehmens seien daher, ähnlich wie vergleichbare Vorgänge in der Politik, für eine Gesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Fritschi habe gründlich recherchiert, und aus dem Artikel gehe klar hervor, dass die Entscheide nicht in den formellen Gremien, aber im inneren Zirkel gefallen seien. Dass die Glaubwürdigkeit der Migros nach dem Österreich-Engagement gelitten habe, bestätige der Tenor von Berichten aller wichtigen Schweizer Zeitungen.

II. Erwägungen

1. Die Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten ist 1972 vom Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) aufgestellt worden. Immer dann, wenn Medienschaffende betroffen sind, die nicht Mitglieder des SVJ sind, stellt sich die Frage, inwieweit die Erklärung auch für sie
gilt. Der Presserat stellt sich auf den Standpunkt, dass die Erklärung mittlerweile allgemein anerkannt ist. Sie wird in den Journalistenschulen als Massstab der Berufsethik behandelt, sie ist im Anhang verschiedener praktischer Handbücher enthalten, die darin aufgestellten berufsethischen Regeln werden immer wieder auch von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) sowie vom Bundesgericht berücksichtigt, und der Presserat wird oft von Medienschaffenden angerufen, die nicht Mitglieder des SVJ sind. Da der Presserat über keine Sanktionsmöglichkeiten verfügt, sondern durch seine Stellungnahmen die Fälle öffentlich diskutiert und in seinen Schlussfolgerungen Empfehlungen formuliert, nimmt er zu Verstössen gegen die Berufsethik Stellung unabhängig davon, ob die Betroffenen Mitglieder des SVJ sind oder nicht. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall Migros c. „SonntagsZeitung“.

2. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, über die Unternehmenspolitik der Migros unterrichtet zu werden. Denn die Migros ist nicht nur eine Genossenschaft mit 1,5 Millionen Mitgliedern und eine Arbeitgeberin mit 54’000 Mitarbeitenden (ohne Tochtergesellschaften), sondern auch ein potentes Unternehmen, vor allem auf dem Binnenmarkt, und ein schweizerisches Markenzeichen. Es ist daher den Schweizerinnen und Schweizern nicht gleichgültig, was mit der Migros und was in der Migros geschieht. Damit die Bevölkerung stets auf dem laufenden ist, müssen die Journalistinnen und Journalisten einen Informationstransfer leisten.

3. Wirtschaftsjournalismus kann nicht bloss Verlautbarungsjournalismus sein wie in seinen Anfängen. Es wäre fatal, wenn die Medienschaffenden stets warteten, bis die Unternehmen etwas mitzuteilen geruhen. Genauso wie politische Behörden neigen wirtschaftliche Unternehmen dazu, Vorgänge, die für sie nicht besonders vorteilhaft sind, geheimzuhalten. Gerade solche Vorgänge können aber von öffentlicher Relevanz sein. Darum ist es die Aufgabe der Massenmedien, von Fall zu Fall zu entscheiden, welche Themen öffentlich gemacht werden und welche nicht. Wirtschaftsjournalismus kann daher nicht anders als investigativ sein: Die Medienschaffenden müssen recherchieren, Hintergrundgespräche führen, mit Insiders und Outsiders sprechen und je nach Qualität, Zuverlässigkeit und Brisanz der Informationen darüber befinden, ob sie den Sachverhalt veröffentlichen. Insofern erfüllen die Medienschaffenden gegenüber der Wirtschaft – wie gegenüber den politischen Behörden – eine Kritik- und Kontrollfunktion.

4. Auch die Migros ist Gegenstand eines solchen Wirtschaftsjournalismus. Dabei verdient sie als mächtiges Unternehmen keine spezielle Schonung. Die Migros ist ja auch einer der grössten schweizerischen Werbeauftraggeber. Dadurch verfügt sie über grosse Druckmittel gegenüber Fernsehen, Lokalradios und Presse: Sie kann jederzeit Werbeaufträge stoppen oder kürzen. Die Migros weiss mit diesem Instrument auch immer wieder zu spielen – so 1987 in St. Gallen gegenüber der „Ostschweiz“, 1995 in Bern gegenüber „Telebärn“. Gerade darum ist es grundsätzlich zu begrüssen, dass es furchtlose Medien gibt, die auch die Migros kritisch beobachten. Umgekehrt hat aber die Migros genau so wie andere Akteure der Politik und der Wirtschaft Anspruch auf Fairness. Die Grösse eines Unternehmens kann kein Grund dafür sein, die üblichen journalistischen Spielregeln und vor allem die Grundsätze journalistischer Ethik zu vergessen. 5. Darum ist sehr sorgfältig zu untersuchen, ob der Vorwurf stimmt, dass der Artikel von Harald Fritschi die Migros in ihrer Persönlichkeit verletzt habe und ob durch eine „nicht gerechtfertigte Anschuldigung“ ein Verstoss gegen Ziffer 7 der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten vorliege. Eugen Hunziker, Präsident der Verwaltungsdelegation des Migros-Genossenschafts-Bundes, sah die Persönlichkeit der Migros verletzt, weil die Unterstellung, dass die Migros infolge ihrer Information über das Österreich-Engagement an Glaubwürdigkeit verloren hätte, aus der Luft gegriffen und durch nichts belegt sei. Gerade in diesem Punkt sind aber die Argumente der „SonntagsZeitung“ überzeugend: Die für die Wirtschaftsberichterstattung wichtigen Zeitungen der Schweiz schrieben im Frühling 1995 unisono vom „Österreich-Debakel“ der Migros, und der Rücktritt von Vizepräsident Beat Kaufmann stand – entgegen den Behauptungen der Migros – im Zusammenhang mit dem Österreich-Engagement, wie dem in den Zeitschriften „Cash“ und „Facts“ nachträglich publizierten Rücktrittsschreiben zu entnehmen war. Bei derartigen äusseren und inneren Erschütterungen ist die Einschätzung zulässig, dass die Glaubwürdigkeit der Migros angeschlagen war. Der Presserat vermag daher keine Verletzung von Ziffer 7 der Erklärung sehen.

6. Ebenso ernst zu nehmen ist der Vorwurf, der Autor des Artikels habe sich nicht an die Wahrheit gehalten und Ziffer 1 der Erklärung missachtet. Zu untersuchen ist, ob der Bericht den Vorgang der personellen Veränderungen und ihren Inhalt nicht wahrheitsgetreu beschrieben hat. Was den Vorgang betrifft, so erweckte der Artikel tatsächlich den Eindruck, die zuständigen Gremien hätten schon getagt und die entsprechenden Beschlüsse gefasst. Allerdings hat Harald Fritschi an keiner Stelle wahrheitswidrig geschrieben, die Verwaltung oder die Delegiertenversammlung hätten den skizzierten personellen Neuerungen zugestimmt. Insofern ist die Ziffer 1 der Erklärung nicht verletzt. Und was den Inhalt betrifft, so ist die spätere Pressemitteilung des Migros-Genossenschafts-Bundes (vom 1. Februar 1996) ein Indiz dafür, dass der Wirtschaftsredaktor erstaunlich genau recherchiert hat: Die Verwaltung beschloss fast exakt jene Struktur und personelle Neubesetzung, die Harald Fritschi vier Monate vorher beschrieben hatte. Von 17 Aussagen erwiesen sich 12 als zutreffend. Lediglich eine Neuberufung (Bernard Loeb statt Herbert Bolliger) und drei Departementszuteilungen lauteten anders als in der „SonntagsZeitung“ dargestellt. Dabei kann – und will – der Presserat nicht beurteilen, ob anfangs Oktober die (Vor-)Entscheide schon gefallen waren und Harald Fritschi bei seinen Recherchen nicht ganz alles herausfand oder ob die Migros-Spitze im Laufe der vier Monate die ursprünglichen Absichten nochmals leicht revidierte und korrigierte. Für die Beurteilung des Artikels vom 8. Oktober 1995 ist die letztlich getroffene Lösung nicht entscheidend. Sie liefert lediglich einen Hinweis darauf, dass der Autor auch inhaltlich richtige Aussagen machte, so dass es schwerfällt, ihn der wahrheitswidrigen Berichterstattung zu bezichtigen. Der Presserat sieht jedenfalls keine Verletzung von Ziffer 1 der Erklärung.

7. Hingegen hat der Presserat allen Anlass, einen Verstoss gegen Ziffer 3 der Erklärung festzustellen. Harald Fritschi (oder der Produzent, der den Artikel redigiert hat) gab den Aussagen im Text einen definitiven Charakter: Wer den Artikel las, musste zum Schluss kommen, dass die Entscheide allesamt unumstösslich gefallen seien. Vor allem der Titel, der Untertitel und der Lead waren formuliert wie der Bericht über ein aktuell stattgefundenes Ereignis, eine eben getroffene Entscheidung: „Peter Everts gewinnt Migros Poker“, „…wird neuer Konzern-Chef, …Management gruppiert sich um“, „sind wichtige Entscheidungen gefallen: Der Nachfolger …heisst…“, „Gleichzeitig wird das oberste Management neu gruppiert und…erweitert“ usw. Erst weiter unten im Lauftext folgen dann weniger definitive Formulierungen: „Der orange Riese plant in der Chefetage das grösste Revirement seit Jahren. Die oberste Führungscrew…wird spätestens mit der Pensionierung von Eugen Hunziker Ende 1996 neu gruppiert….Die Migros-Topmanager heissen dannzumal:… Doch treten diese etwas vorsichtigeren Formulierungen zurück hinter den Hammerschlägen des Einstiegs, die einen definitiven Beschluss suggerieren. Dabei ist völlig klar, dass in der Wirtschaft die Entscheide der zuständigen Beschlussorgane von Führungszirkeln vorbereitet
werden und die Aufsichtsorgane oft nur noch „absegnen“, was das Management eingefädelt hat. Es ist also durchaus möglich, trotz der Empörung der Migros-Spitze, dass die entscheidenden Weichen anfangs Oktober 1995 bereits gestellt waren. Dennoch gehört es zur Aufgabe eines kritischen und verantwortungsbewussten Journalismus, so viel Transparenz wie möglich herzustellen. Und zur Transparenz gehört in diesem Falle auch mitzuteilen, dass die formell zuständigen Gremien noch nicht getagt haben und diesem Revirement noch zustimmen müssen, und mitzuteilen, wie sich die Migros-Spitze (oder zumindest der Pressedienst) zu diesem Recherche-Ergebnis stellt. Diese Gegenprobe („audiatur et altera pars“) gehört vor allem bei heissen Enthüllungen zur journalistischen Arbeitsweise, und es wäre ein Akt journalistischer Redlichkeit gewesen, im Artikel auch ein Statement der Migros-Spitze zu veröffentlichen (das wahrscheinlich etwa so gelautet hätte: „Die Migros-Spitze verweist die von der ‚SonntagsZeitung‘ recherchierten Informationen ins Reich der Spekulation“ oder „will dazu nicht Stellung nehmen“ oder „kann die Informationen nicht bestätigen“ oder „verweist darauf, dass noch überhaupt keine Entscheide gefallen seien“). Jedenfalls handelt es sich bei den Aussagen des Artikels um durch Informanten belegte, aber von offizieller Seite nicht bestätigte Meldungen, und die „SonntagsZeitung“ dies nicht kenntlich gemacht hat, verletzte sie Ziffer 3 der Erklärung.

III. Feststellungen

Aus diesen Gründen stellt der Presserat fest:

1. Wegen der Bedeutung der Wirtschaft in einer Wettbewerbsgesellschaft kommt dem Wirtschaftsjournalismus eine Kritik- und Kontrollfunktion zu. Es ist die Aufgabe der Medienschaffenden, die Unternehmen kritisch zu beobachten und mit Hilfe investigativer Recherche über Vorgänge von öffentlicher Relevanz zu berichten.

2. Die Migros als grosses Unternehmen hat, wie alle anderen Unternehmen, Anspruch auf journalistische Fairness, aber keinen Anspruch auf besondere Schonung. Dadurch, dass die Medien nach dem gescheiterten Österreich-Engagement ihre Glaubwürdigkeit als angeschlagen bezeichneten und dass die „SonntagsZeitung“ mit dem Artikel „Peter Everts gewinnt Migros-Poker“ vom 8. Oktober 1995 ihre tatsächlich bestehenden personellen Pläne öffentlich machte, ist Ziffer 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ („Sie respektieren die Privatshäre“ und „unterlassen…sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen“) nicht verletzt. 3. Hingegen verletzte die „SonntagsZeitung“ Ziffer 3 der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten (Die Medienschaffenden „bezeichnen unbestätigte Meldungen und Bildmontagen ausdrücklich als solche“), weil sie nicht kenntlich gemacht hat, dass die formell zuständigen Gremien der Migros das personelle Revirement noch nicht genehmigt haben, und weil sie die offizielle Stellungnahme des Migros-Management nicht eingeholt hat. So wurde verschleiert, dass es sich um unbestätigte Meldungen handelte.