Nr. 15/2016
Informantenschutz

(X. c. «Ostschweiz am Sonntag») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 2. Juni 2016

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I. Sachverhalt

A.
In der Ausgabe vom 27. April 2014 veröffentlichte die «Ostschweiz am Sonntag» den Artikel «Regierung ist im Kantistreit uneins». Der Obertitel lautet: «Im Streit um den Standort der Kantonsschule Wattwil sind brisante Dokumente aufgetaucht, die der Ostschweiz am Sonntag vorliegen. Demnach hat eine Analyse ergeben, dass der Standort Uznach geeigneter wäre als Wattwil.» Die «Ostschweiz am Sonntag» beruft sich dabei auf den (noch nicht veröffentlichten) Regierungsratsbeschluss über den Standort Wattwil sowie auf eine Mail des Volkswirtschaftsvorstehers mit zusätzlichen Anträgen. Sie äussert sich nicht zur Frage, wie sie in den Besitz dieser Dokumente gelangt ist. Am 20. Juli 2014 veröffentlichte sie einen weiteren Artikel zum Thema unter dem Titel: «Kantistreit hat rechtliches Nachspiel». Danach habe die Regierung Anzeige wegen Verdachts auf Amtsgeheimnisverletzung gegen Unbekannt aufgrund der Übergabe der Dokumente an die «Ostschweiz am Sonntag» eingereicht. Die Staatsanwaltschaft Uznach habe in der Folge einen Gemeindepräsidenten einer Ortschaft im Toggenburg wegen Amtsgeheimnisverletzung verurteilt. Dieser habe der «Ostschweiz am Sonntag» Regierungsdokumente übergeben, in denen eine Studie den Kantonsschul-Standort Uznach statt Wattwil favorisierte. Am 3. August 2014 veröffentlichte die «Ostschweiz am Sonntag» unter dem Titel «Verurteilter Toggenburger Gemeindepräsident outet sich» auf der Frontseite sowie dem Titel «Ich habe in guter Absicht gehandelt» im Innern der Ausgabe ein Interview mit dem verurteilten Gemeindepräsidenten, in dem er über das Strafverfahren, seine Absicht und seine Motivation Auskunft gibt.

B. Am 11. August 2014 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat über die drei Artikel und machte geltend, die «Ostschweiz am Sonntag» habe den Quellenschutz im Sinne von Richtlinie 6.1 (Redaktionsgeheimnis) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Der betroffene Gemeindepräsident habe die Informationen scheinbar unter der Bedingung weitergereicht, dass er dabei nicht identifizierbar gemacht werde. Auch scheine keine Ausnahme vom Quellenschutz gemäss Richtlinie 6.2 begründet zu sein. Dieses Vorgehen sei für die künftige Aufdeckung von Missständen im Wahlkreis Toggenburg hinderlich, umso mehr, als sämtliche Bezahlzeitungen in diesem Wahlkreis mittlerweile zur St. Galler Tagblatt AG gehörten. Medien, die den Schutz ihrer Quellen nicht glaubhaft garantieren könnten, erfüllten ihren Zweck nicht mehr vollständig.

C. In seiner Stellungnahme vom 29. September 2014 führte Philipp Landmark, Chefredaktor der «Ostschweiz am Sonntag», aus, im konkreten Fall sei die Chronologie der Ereignisse wichtig. Die St. Galler Regierung und die mit der Untersuchung des «Lecks» beauftragte Staatsanwaltschaft hätten unmittelbar nach der Veröffentlichung der vertraulichen Dokumente gewusst, wer diese der «Ostschweiz am Sonntag» zugespielt hatte, ohne dass deren Redaktion den Namen des Gemeindepräsidenten oder den Hinweis auf die Quelle bekannt gegeben hätte. Der Gemeindepräsident selbst habe sich gegenüber den Behörden zu erkennen gegeben. Hätte er dies nicht getan, hätte ihn die Redaktion selbstverständlich nicht geoutet, weder in der angelaufenen Untersuchung noch darüber hinaus. Die im Artikel vom 20. Juli 2014 gewählte Formulierung «Wie der Ostschweiz am Sonntag bekannt ist, handelt es sich dabei um den Gemeindepräsidenten einer Ortschaft im Toggenburg» sei vorgängig mit dem Gemeindepräsidenten genau so abgesprochen gewesen. Den Entscheid, endgültig den Schritt an die Öffentlichkeit zu tun, habe dieser ebenfalls selbst gefällt, dies zu einem Zeitpunkt, als zum einen das Strafverfahren abgeschlossen war und zum anderen es kein grosses Geheimnis mehr war, wer die Dokumente öffentlich gemacht hatte.

D. Am 22. Januar 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann. Dieses hat die vorliegende Stellungnahme per 2. Juni 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Ziffer 6 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») hält fest, dass Medienschaffende das Redaktionsgeheimnis wahren und die Quellen vertraulicher Informationen nicht preisgeben. Gestützt auf die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 6.1 (Redaktionsgeheimnis) geht die Berufspflicht, das Redaktionsgeheimnis zu wahren, weiter als das gesetzliche Zeugnisverweigerungsrecht. Das Redaktionsgeheimnis schützt die Quellen der Journalisten (Notizen, Adressen, Ton- und Bildaufnahmen usw.). Es schützt Informantinnen und Informanten, sofern sie ihre Mitteilungen unter der Vor¬aussetzung abgegeben haben, dass sie bei einer Publikation nicht identifizierbar gemacht werden. Zu den Ausnahmen beim Quellenschutz hält Richtlinie 6.2 fest, dass Journalisten ungeachtet der gesetzlichen Ausnahmeregelungen des Zeugnisverweigerungsrechts in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und anderen schützenswerten Interessen vornehmen. In Extremfällen können sich Journalisten von der abgegebenen Zusicherung der Vertraulichkeit entbunden fühlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie Kenntnis von besonders schweren Verbrechen oder Drohungen erhalten, ebenso bei Angriffen auf die innere oder äussere Sicherheit des Staates.

Laut dem Chefredaktor der «Ostschweiz am Sonntag» war die gewählte Formulierung im Artikel vom 20. Juli 2014 («Wie der Ostschweiz am Sonntag bekannt ist, handelt es sich dabei um den Gemeindepräsidenten einer Ortschaft im Toggenburg») vorgängig mit dem betreffenden Gemeindepräsidenten genau so abgesprochen worden. Dieser hat somit die Informationen nicht unter der Bedingung weitergereicht, dass er nicht identifizierbar sei, wie der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde vermutet. Indem der Gemeindepräsident nicht darauf bestand, dass die Zeitung ihn als Quelle vertraulich behandelte, hat er auf einen Teil seines in Richtlinie 6.1 näher umschriebenen Schutzes als Informant verzichtet (mit dem späteren Einverständnis zu einem Interview unter voller Namensangabe dann gar vollständig). Richtlinie 6.1 ist somit nicht verletzt, während Richtlinie 6.2 vorliegend nicht anwendbar ist.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird abgewiesen. Die «Ostschweiz am Sonntag» hat mit der Publikation der Artikel «Regierung ist im Kantistreit uneins» vom 27. April 2014, «Kantistreit hat rechtliches Nachspiel» vom 20. Juli 2014 sowie «Verurteilter Toggenburger Gemeindepräsident outet sich» vom 3. August 2014 Ziffer 6 (Informantenschutz) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.