Nr. 50/2012
Identifizierung

(X. c. «Blick am Abend») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 14. September 2012

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 13. Dezember 2011 berichtete «Blick am Abend» unter dem Titel «Kondukteurin gnadenlos» über eine Billettkontrolle vom Vortag im Intercity von Zürich nach Bern. Der Lead lautet: «Uniform: Wer ohne gültiges Billett erwischt wird, zahlt 90 Franken oder muss strippen.» Fifa-Jurist Benoît Pasquier sei in letzter Minute mit dem Marschbefehl in der Hand auf den Zug gehetzt. Der Marschbefehl gelte als Billett, sofern der Soldat seine Uniform trage. Kondukteurin X. (Name und Initial des Vornamens im Originalartikel genannt) habe den in Zivil vor ihr sitzenden Fifa-Mann aufgefordert entweder ein Billett zu kaufen oder jetzt sofort die Uniform anzuziehen. Bevor es dann definitiv zum «Strip» gekommen sei, habe die Kondukteurin nach Rücksprache mit ihrem Kollegen doch noch «für einmal beide Augen» zugedrückt.

B. Am 24. März und 19. April 2012 beschwerte sich X. beim Presserat über den obengenannten Artikel, der sie lächerlich mache. Abgesehen davon, dass die Darstellung nicht ganz den Tatsachen entspreche, nenne der Bericht ihren Namen, ohne dass sie dazu eingewilligt hätte. Damit habe «Blick» die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Identifizierung) verletzt. Die Tatsache, dass das Zugpersonal ein Namensschild trage, gebe niemandem das Recht, dieses öffentlich blosszustellen.

C. Die Redaktion reichte innert der bis am 22. Juni 2012 verlängerten Antwortfrist keine Stellungnahme zur Beschwerde von X. ein.

D. Am 28. Juni 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 14. September 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Zwar nennt der beanstandete Bericht von «Blick am Abend» nicht den vollen Namen der Beschwerdeführerin. Durch die Nennung der beruflichen Funktion, des Nachnamens und des Initials des Vornamens ist sie jedoch auch für Personen erkennbar, die von dem im Artikel beschriebenen «Vorfall» lediglich aufgrund der Berichterstattung von «Blick am Abend» Kenntnis erhalten.

2. Gemäss der Ziffer 7 zur «Erklärung» respektieren die Medienschaffenden «die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt». Die zugehörige Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verlangt, dass die Medienschaffenden «die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig» abwägen. Eine Identifizierung ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn eine Person eine staatliche oder gesellschaftlich leitende Funktion wahrnimmt und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht.

3. Kondukteure und Kondukteurinnen unterstehen als SBB-Angestellte dem Bundespersonalgesetz und sind mithin öffentlich-rechtlich angestellt. Insofern ist ihre Tätigkeit mit einer staatlichen Funktion zumindest vergleichbar. Der Presserat hat in seiner Praxis zur identifizierenden Berichterstattung allerdings mehrfach präzisiert, dass eine Namensnennung nur bei beruflichen Funktionen mit leitender Stellung gerechtfertigt ist (vgl. die Stellungnahmen 6/1999, 2/2003, 5/2004 und 2/2010). Vorliegend fehlt es offensichtlich an dieser Voraussetzung. Und ebenso wenig lässt sich aus dem Umstand, dass eine Information öffentlich einsehbar ist – vorliegend der Name der Beschwerdeführerin aufgrund des Namensschildes – ableiten, dass diese Information unbesehen medial weiterverbreitet werden darf (Stellungnahmen 27/2009, 1/2010). Entsprechend ist die Beschwerde gutzuheissen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde gegen «Blick am Abend» wird gutgeheissen.

2. «Blick am Abend» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «Kondukteurin gnadenlos» in der Ausgabe vom 13. Dezember 2011 die Ziffer 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.