Nr. 14/2013
Identifizierung

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 5. April 2013

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Manuel (19) sticht Betreuerin in den Hals» berichtete Romina Lenzlinger am 21. September 2012 über ein Gerichtsverfahren vor dem Bezirksgericht Zürich. Der Bericht nennt den richtigen Vornamen, das Initial des Nachnamens sowie das Wohnheim, in das die Jugendanwaltschaft den 19-Jährigen «wegen seiner vielen Vorstrafen» zum Tatzeitpunkt einquartiert hatte. Laut dem Bericht verurteilte das Gericht den Jugendlichen wegen versuchter Tötung zu sechs Jahren Haft und ordnete eine stationäre Massnahme an. Illustriert ist der Artikel mit einem dem Facebookprofil des Verurteilten entnommenen Bild. Die Augenpartie ist mit einem schmalen schwarzen Balken abgedeckt.

B. Am 22.Oktober 2012 beschwerte sich der anwaltlich vertretene X. beim Schweizer Presserat, die Veröffentlichung des obengenannten Berichts verletze die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Auch wenn die Augen auf dem publizierten Bild mit einem schmalen Balken abgedeckt sind, sei er aufgrund des Bilds, der Nennung des Vornamens und des ersten Buchstabens seines Nachnamens über sein engeres Umfeld hinaus erkennbar. Denn charakteristische Identifikationsmerkmale wie die Kurzhaarfrisur oder der geometrisch geformte Bart, ein diamantfarbener Ohrring sowie die sehr markanten Gesichtszüge liessen die Identifizierung durch einen Personenkreis zu, der ausschliesslich durch die Medien informiert wurde. Die Veröffentlichung des Bildes sei gerade im Hinblick auf die Resozialisierung problematisch.

C. Am 31. Oktober 2012 teilte Blattmacher Urs Helbling im Auftrag des damaligen Chefredaktors Ralph Grosse-Bley mit, die Redaktion verzichte auf eine Stellungnahme zur Beschwerde von X.

D. Am 8. November 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 5. April 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Gemäss der Ziffer 7 der «Erklärung» respektieren die Medienschaffenden «die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt». Laut der zugehörigen Richtlinie 7.2 (Identifizierung) sollten die Medienschaffenden die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig abwägen. Ist die Identifizierung nicht gerechtfertigt, sollen sie weder Namen noch andere Angaben nennen, «welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden».

2. Allein aufgrund der einzelnen Informationselemente ist der Beschwerdeführer nach Auffassung des Presserats zwar für Dritte ausserhalb seines sozialen Umfelds kaum erkennbar. Die Kombination von Vorname und Initial des Nachnamens, der Angabe des Wohnheims und vor allem die völlig ungenügende Abdeckung des Bilds mit einem schmalen schwarzen Balken macht ihn aber für einen unverhältnismässig grossen Kreis der Leserschaft erkennbar.

Zudem hat der Presserat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass aus der Veröffentlichung eines Bilds in Facebook oder in vergleichbaren Netzwerken nicht abgeleitet werden darf, dass Medien dieses Bild unbesehen weiterverbreiten dürfen (Stellungnahmen 35/2008 und 27/2009).


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. «Blick» hat mit der Veröffentlichung des Artikels vom 21. September 2012 – «Manuel (19) sticht Betreuerin in den Hals» – die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Identifizierung) verletzt.