Nr. 12/2008
Identifizierende Berichterstattung

(X. c. «Südostschweiz») Stellungnahme des Presserates vom 30. Januar 2008

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. Mit dem Titel «Biltner entführt Tochter nach Thailand» berichtete die «Südostschweiz am Sonntag» am 23. September 2007 in der Ausgabe Glarus über die Entführung eines zweijährigen Kindes aus der Schweiz nach Thailand. Der Text umfasste die gesamte Seite 3; zudem war er als Hauptaufmacher («Eine Mutter bangt um Tochter und fürchtet Ausschaffung») auf der Front angerissen.

Im Artikel wird berichtet, ein über 50-jähriger Schweizer habe im November 2000 in Thailand eine 20 Jahre jüngere Thailänderin geheiratet. Die Familie sei später mit dem gemeinsamen Kind ins glarnerische Bilten gezogen. Das Kind sollte in der Schweiz aufwachsen, weil die Eltern glaubten, es habe hier bessere Chancen. Zurück in Bilten, habe der Ehemann begonnen, seine Frau zu terrorisieren. Von einem früheren Freund wird er als krankhaft eifersüchtig beschrieben. Er sei alkoholkrank, «und das ist in Bilten nichts Unbekanntes». Der Terror gegen seine Frau habe darin gegipfelt, dass er ihr am 7. April 2007 den Zutritt zur gemeinsamen Wohnung verwehrte. Diese sei bei einer Nachbarin untergekommen und habe sich daraufhin mit Hilfe einer Anwältin das alleinige Sorgerecht für das Kind erstritten. Zwischenzeitlich sei der Vater jedoch mit dem Kind aus der Schweiz ausgereist. Laut Vormundschaftsbehörde habe er sich anschliessend in Malaysia aufgehalten und sein Kind in Thailand in einem Hort untergebracht. Am 25. Juli 2007, drei Wochen, nachdem ihr das Sorgerecht für ihr Kind zugesprochen worden war, habe die kantonale Fachstelle für Migration der thailändischen Mutter angekündigt, dass ihre Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert werde, sie also aus der Schweiz ausreisen müsse.

Der Artikel der «Südostschweiz» ist mit einer Porträt-Aufnahme der Mutter illustriert. Ihr Name wird im Bericht mehrfach vollständig genannt. Die Namen des angeschuldigten Mannes, des Kindes sowie der zitierten Arbeitskollegin wurden hingegen verfremdet. Der Vater taucht als Harry K. auf, die Tochter als Maria.

B. Bereits am Erscheinungstag des Artikels, am 23. September 2007, wandte sich X., ein Cousin des beschuldigten Vaters und wohnhaft in Bilten, per E-Mail an den Redaktionsleiter der Glarner Ausgabe der «Südostschweiz», Reto Hösli. Da er den gleichen Nachnamen wie die Mutter trage, sei er wegen des Berichts in Verdacht geraten, jener Vater zu sein, der sein Kind entführt habe. Das sei «unseriöser Journalismus» und «die Nennung des Wohnorts und des vollen Nachnamens unter gleichzeitiger Verwendung eines Pseudonyms für den Vornamen erachte ich als völlig dilettantisch». Er erwarte den Abdruck einer Richtigstellung, wonach er als Cousin des Vaters «nicht das Geringste» mit der Angelegenheit zu tun habe.

C. Am Montag, den 24. September 2007 antwortete Chefredaktor Hösli, ebenfalls per Mail, auf das Schreiben von X. und kündigte die Veröffentlichung einer Klarstellung an. Diese erschien am 25. September 2007 mit folgendem Wortlaut: «X. aus Bilten legt Wert auf die Klarstellung, dass er mit dem am Sonntag berichteten Fall eines nach Südostasien entführten Kindes nicht das Geringste zu tun habe. Es handelt sich beim Vater und mutmasslichen Entführer des Kindes, der im Artikel Harry K. genannt wird, um jemand anderen.»

D. Am 28. September und 23. Oktober 2007 gelangte X. mit einer Beschwerde an den Presserat. Er sehe sich «z.T. noch immer als Kindsentführer verdächtigt» und fürchte als Lehrer, Organist, Chorleiter, Vereinsaktuar und Kirchenrat um seinen guten Ruf. Die «Südostschweiz» habe mit ihrem Bericht vom 23. September 2007 die Richtlinie 7.6 (Namensnennung) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

E. Am 6. Dezember 2007 wies Redaktionsleiter Rolf Hösli die Beschwerde namens der Redaktion Glarus der «Südostschweiz» als unbegründet zurück. Die thailändische Mutter habe von Anfang an eingewilligt, mit unverfremdeten Bild und ganzem Namen in der Zeitung zu erscheinen. Demgegenüber sei der Vater mit einem Pseudonym bezeichnet worden. Im Artikel werde zudem mehrmals erwähnt, dass der Vater des Kindes im Ausland untergetaucht sei. Es sei deshalb nicht ersichtlich, weshalb ein nach wie vor in der Schweiz tätiger Lehrer hier in einen falschen Verdacht geraten sollte. Um allfällige Restzweifel auszuräumen, habe die «Südostschweiz» auf Wunsch des Beschwerdeführers eine Klarstellung veröffentlicht.

F. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an, sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt-Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 30. Januar 2008 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Laut der Richtlinie 7.6 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Namensnennung) dürfen keine Namen genannt oder Angaben gemacht werden, die eine Identifikation einer in einem Medienbericht beschriebenen Person durch Dritte ermöglichen. Zulässig ist eine identifizierende Berichterstattung unter anderem dann, wenn die betroffene Person selbst ausdrücklich in die Veröffentlichung einwilligt. Als weitere Ausnahme erlaubt die Richtlinie 7.6 die Namensnennung, wenn sie notwendig ist, um eine für Dritte nachteilige Verwechslung zu vermeiden.

2. Soweit der Beschwerdeführer im Sinne dieser zweiten Ausnahme geltend macht, wenn schon hätten auch der Vorname und Nachname des Vaters vollständig genannt werden müssen, um eine für ihn, X., nachteilige Verwechslung auszuschliessen, folgt ihm der Presserat nicht.

Der Beschwerdeführer dürfte als Lehrer, Organist, Chorleiter, Vereinsaktuar und Kirchenrat in einem Ort von weniger als 2000 Einwohnern genügend bekannt sein, um nicht aufgrund des beanstandeten Medienberichts mit seinem mit einer Thailänderin verheirateten Cousin verwechselt zu werden. Zumal die «Südostschweiz» ausdrücklich darauf hinweist, dass letzterer sein Kind nach Thailand entführte und sich anschliessend in Malaysia aufhielt. Wie könnte der Beschwerdeführer da gleichzeitig in all seinen Funktionen im Glarnerland aufgetreten sein? Auch in einem weiteren, über den Ort Bilten hinausgehenden Umkreis dürfte aufgrund der erwähnten Angaben des Berichts kaum direkt auf den Beschwerdeführer geschlossen werden.

3. Auch wenn eine Verwechslungsgefahr zum Nachteil des Beschwerdeführers auszuschliessen ist, hält der Presserat das von der «Südostschweiz» gewählte Vorgehen trotzdem nicht für unproblematisch. Zum einen macht die Redaktion keine Angaben dazu, wie die Mutter die Einwilligung zu Namensnennung und Abdruck eines grossformatigen Bildes erteilte, wenn diese «nur thailändisch schreiben» und «nicht Deutsch sprechen» kann. Und auch wenn die thailändische Ehefrau, wovon der Presserat ausgeht, mit der identifizierenden Berichterstattung einverstanden war, konnte sich ihre Einwilligung jedenfalls nicht auf ihren Ehemann erstrecken. Dieser war aber trotz des von der Redaktion gewählten Pseudonyms aufgrund des Berichts identifizierbar. Wenn eine thailändische Frau einen Schweizer Namen trägt, dürfte die Leserschaft davon ausgehen, dass sie bei der Eheschliessung den Familiennamen des Ehemannes angenommen hat. Zudem dürfte ein Mann namens X., der mit einer Thailänderin in Bilten lebte, zuvor in diesem Ort aufgefallen und entsprechend, trotz des von der «Südostschweiz» verwendeten Pseudonyms «Harry K.», aufgrund des Medienberichts identifizierbar sein.

Trotz dieser Bedenken kommt der Presserat bei einer Gesamtabwägung zum Schluss, dass eine Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung», wenn auch knapp, zu verneinen ist. Zum einen entsprach der identifizierende Be
richt mit seiner öffentlichen Appellwirkung angesichts der ihr drohenden Ausweisung aus der Schweiz durchaus den Interessen der Mutter. Zum anderen geht der Presserat davon aus, dass sich, trotz der problematisch erscheinenden Mischform von Namensnennung und Anonymisierung, der Kreis derjenigen Personen, die im Bericht den Vater (und Entführer des gemeinsamen Kindes) erkannten und nicht bereits zuvor über den Sachverhalt informiert waren, relativ klein gewesen sein dürfte. Und schliesslich ist zu berücksichtigen, dass das Kind laut dem Bericht aufgrund einer Vermisstmeldung der Mutter immerhin international zur Fahndung ausgeschrieben wurde.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Mit der Veröffentlichung des Berichts «Biltner entführt Tochter nach Thailand» in der Ausgabe vom 23. September 2007 hat die «Südostschweiz am Sonntag» die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre) nicht verletzt.

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