Nr. 10/2009
Einseitige Berichterstattung / Kommentarfreiheit

(X. c. «St. Galler Tagblatt», Ausgabe Rorschach) Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 13. Februar 2009

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I. Sachverhalt

A. Am 15. März 2008 veröffentlichte das «St. Galler Tagblatt», Ausgabe Rorschach, den Artikel «Es geht nicht nur um die Sache». Darin berichtet Rudolf Hirtl, gegen den Goldacher Schulpräsidenten werde eine gezielte Kampagne geführt. Der Lead lautet: «Die geplante Pensenerhöhung von Andreas Gehrig von 60 auf 80 Prozent hat Reaktionen auf vielen Seiten ausgelöst. Statt mit der Sache beschäftigen sich zu viele davon aber mit der Person.» Im Lauftext führt der Autor aus, die rege Diskussion über die beantragte Pensenaufstockung sei legitim. «Allerdings sollte das Thema nicht dazu missbraucht werden, um persönliche Frustrationen abzubauen. Liest man die Namen, könnte man nämlich vermuten, dass da Personen im Hintergrund stehen, die sich aus einem persönlichen Negativerlebnis mit der Schule Goldach und ihrem Schulratspräsidenten derart engagieren. (…) Die Diskussion um das künftige Salär des Schulratspräsidenten lässt zudem eine gehörige Portion Futterneid erkennen.» Die Diskussion bewege sich zum Teil auf einem tiefen Niveau und stosse auf Kritik; auch in der Lehrerschaft. Die orchestriert geführte Kampagne mit Leserbriefen, Mail- Briefversänden und sogar persönlichen Telefonaten erwecke Missfallen. Im letzten Abschnitt kommt der Journalist zum Schluss, Goldachs Behörden hätten die Fakten auf den Tisch gelegt und könnten die Situation richtig beurteilen. «Egal, ob der Schulratspräsident auch nach den Wahlen im Herbst Gehrig heisst, eine Erhöhung des Pensums scheint nötig, um die Schule Goldach professionell in die Zukunft zu führen. Die Goldacherinnen und Goldacher haben es an der Bürgerversammlung in der Hand, sachlich darüber zu entscheiden.»

B. Am 17. März 2008 veröffentlichte das «St. Galler Tagblatt», Ausgabe Rorschach, eine ausführliche Entgegnung des Forums «Schule wohin?» zu obigem Artikel.

C. Am 18. März 2008 gelangte X. an den Presserat. Im Vorfeld der Abstimmung über die Pensenerhöhung des Schulpräsidenten hätten sich zwei Gruppierungen, das parteiunabhängige Forum «Schule wohin?» und die Ortspartei der SP in der öffentlichen Diskussion gegen das Geschäft ausgesprochen. Unter anderem sei in Leserbriefen sachlich dargelegt worden, dass die Arbeitsbelastung des Schulratspräsidenten in den vergangenen Jahren eher ab- als zugenommen habe. Der letzte veröffentlichte Leserbrief sei von 185 besorgten Goldacher Bürgern mitunterzeichnet worden. Beim Artikel von Rudolf Hirtl handle es sich um den einzigen redaktionellen Beitrag des «St. Galler Tagblatts» zu diesem Thema, das die Bevölkerung stark beschäftigt habe. Der einseitig verfasste Bericht sei bloss zwei Tage vor der entscheidenden Bürgerversammlung erschienen und habe damit die Abstimmung, die äusserst knapp zu Gunsten der Behörde ausfiel, entscheidend beeinflusst. Mit Unterstellungen wie «persönliche Frustrationen», «Futterneid», der Verunglimpfung von 185 Personen mit deren berechtigten Sorgen, der Unterlassung der Kontaktnahme mit den Betroffenen und der tendenziösen Beeinflussung der Leserschaft zu einem unfairen Zeitpunkt habe die Zeitung «alle journalistischen Grundsätze» verletzt.

D. Am 18. Mai 2008 wies Rudolf Hirtl die Beschwerde namens der Redaktion des «St. Galler Tagblatt», Ausgabe Rorschach, als unbegründet zurück. Das «St. Galler Tagblatt» habe am 8. Februar 2008 erstmals über die geplante Pensenerhöhung des Schulratspräsidenten berichtet. Dies habe in der Gemeinde eine rege Diskussion ausgelöst. In der Folge habe die Zeitung eine Stellungnahme der SP, Antworten des Gemeinderates auf darin aufgeworfene Fragen sowie zahlreiche Leserbriefe abgedruckt. Im Laufe der Diskussion habe sich gezeigt, dass es den Gegnern der Pensenerhöhung vor allem um die Person und weniger um die Sache gegangen sei. Im Rahmen seiner Recherchen habe sich zudem seine Vermutung bestätigt, dass oft persönliche Negativerlebnisse im Zusammenhang mit der Schule Motivation für die Mitunterzeichnung des von 185 Bürgern unterzeichneten Leserbriefs war. Von einer tendenziösen Beeinflussung der Leserschaft könne keine Rede sein. Er habe im Artikel auf bestehende und bestätigte Fakten zurückgegriffen. Einzuräumen sei, dass die kommentierenden Zeilen besser in einem separaten Kommentar hätten platziert werden sollen. Zudem habe das «St. Galler Tagblatt» dem Komitee Gelegenheit geboten, zum Artikel «Es geht nicht nur um die Sache» Stellung zu nehmen.

E. Am 14. Mai 2008 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 13. Februar 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer macht geltend, das «St. Galler Tagblatt» habe mit der Publikation des beanstandeten Berichts gegen «alle journalistischen Grundsätze» zu verstossen. Über diesen pauschalen Vorwurf hinaus nimmt aber seine Beschwerde weder auf konkrete Bestimmungen der für den Presserat massgebenden berufsethischen Normen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» Bezug, noch führt er näher aus, inwiefern der von Rudolf Hirtl verfasste Artikel verunglimpfend, diffamierend und wahrheitswidrig sein soll.

Es ist nicht Aufgabe des Presserates, im Rahmen seines Beschwerdeverfahrens umstrittene Sachverhalte zu klären (Stellungnahme 7/2007). Soweit aus den dem Presserat eingereichten Unterlagen ersichtlich ergeben sich zudem keine Anhaltspunkte, welche die happigen Vorwürfe der Beschwerde auch nur annähernd berechtigt erscheinen lassen. Im Gegenteil erwecken die eingereichten Leserbriefe und Flugblätter durchaus der Eindruck, dass die Kritik an der Amtsführung von Andreas Gehrig, an der Höhe seines Lohnes ebenso wie die seinerzeitige politische Auseinandersetzung bei seiner Wahl in das Amt in der Diskussion um die Pensenerhöhung eine erhebliche Rolle spielten. Die nachfolgenden Erwägungen beschränken sich deshalb auf die Prüfung der gerügten Einseitigkeit des Berichts sowie der Erkennbarkeit der kommentierenden Wertungen des Autors.

2. Gemäss konstanter Praxis des Presserates kann aus der «Erklärung» keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden. Medien dürfen auch einseitig berichten und Partei ergreifen. Enthält ein Medienbericht jedoch schwere Vorwürfe gegen einen Dritten, ist dieser gemäss der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» dazu anzuhören und ist dessen Stellungnahme angemessen wiederzugeben (Stellungnahmen 14 und 62/2006, 3/2007, 66/2008). Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, der Artikel «Es geht nicht nur um die Sache» sei tendenziös, ist die Beschwerde deshalb gegenstandslos. Zudem enthält der Bericht keine Vorwürfe, die als «schwer» im Sinne der Richtlinie 3.8 zu bewerten wären. Den Gegnern der Pensenerhöhung wird weder ein illegales noch sonstwie ein besonders anstössig erscheinendes Verhalten vorgeworfen. Schlieslich ist darauf hinzuweisen, dass neben dem für den Standpunkt der Behörden Position ergreifenden Artikel von Rudolf Hirtl auch die Gegner der Vorlage im «St. Galler Tagblatt» mehrfach zu Wort gekommen sind.

3. Wer wie der Schulratspräsident ein öffentliches Amt wahrnimmt, muss damit rechnen, ins Schussfeld der öffentlichen Kritik zu geraten. Entsprechend ist es legitim, eine politische Diskussion nicht nur theoretisch über «die Sache» zu führen, sondern in diesem Zusammenhang auch persönliche Leistungen und mögliche persönliche Motive von politischen Exponenten öffentlich zur Diskussion zu stellen. Wer jedoch derartige Kritik öffentlich äussert, muss sich seinerseits gefallen lassen, dass auch die eigene Vorgehensweise und mögliche Beweggründe kritisch hinterfragt werden. Der Autor hat ausgehend von der auff
ällig aktiven Informationspolitik der Gegner der Pensenerhöhung, gestützt auf eine Quelle aus der Lehrerschaft und Äusserungen des Gemeindepräsidenten sowie des Schulratspräsidenten das Vorgehen des Forums «Schule wohin?» kritisch kommentiert. Er bewegt sich dabei im weit zu bemessenden Freiraum des Kommentars und der Kritik. Insbesondere ist die Leserschaft des «St. Galler Tagblatt» durchaus in der Lage, sowohl die Wertungen des Autors als auch die diesen zugrunde liegenden Fakten zu erkennen und sich dazu eine eigene Meinung zu bilden.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Das «St. Galler Tagblatt», Ausgabe Rorschach, hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Es geht nicht nur um die Sache», keine Bestimmungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.