Nr. 21/2008
Diskriminierungsverbot

(X. c. «Weltwoche») Stellungnahme des Presserates vom 23. Mai 2008

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe 44/2007 veröffentlichte die «Weltwoche» unter dem Titel «Ja, sie sind klüger» ein Interview von Simon Brunner mit dem amerikanischen Anthropologen Gregory Cochran. Gegenstand des Interviews waren die Forschungsergebnisse des von Kritikern als «politisch unkorrekt» bezeichneten Wissenschaftlers, wonach die ost- und mitteleuropäischen Juden einen überdurchschnittlichen Intelligenzquotient hätten. Das Interview enthielt u.a. folgende Fragen und Antworten:

«Herr Cochran, sind Juden klüger als andere Menschen?

Ja, das kann man so sagen. Ein durchschnittlicher Jude erreicht bei einem standardisierten IQ-Test etwa 112 Punkte, ein Europäer 100, ein Amerikaner afroamerkanischer Abstammung liegt klar darunter. Das trifft allerdings nicht auf alle Juden zu, in unserer Studie beschränkten wir uns auf die Aschkenasim, die ost- und mitteleuropäischen Juden.

IQ-Tests messen allerdings nur eine spezielle Form von Intelligenz.

Genau. (…) Juden sind sehr gut im Kreuzworträtsel-Lösen, haben aber kein besonders ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen, oder kennen Sie berühmte jüdische Architekten? (…)

Warum haben sie einen höheren IQ?

Das war vermutlich nicht immer so. Im Mittelalter wurde ihnen verboten, Landwirtschaft zu betreiben, sie kamen daher in Berufe, wo höhere Intelligenz von grossem Vorteil war, sie arbeiteten als Händler, Beamte, Bankiers. Innerhalb der jüdischen Bevölkerung fand eine natürliche Selektion statt. Die Klugen verdienten mehr und konnten mehr Kinder zeugen. Und es gab keine Durchmischung mit der nichtjüdischen Bevölkerung, so wurde der spezielle Genpool konserviert.

Was ist der Preis für den hohen IQ?

Aschkenasim haben eigene Erbkrankheiten, es gibt Studien, die zeigen, dass diese mit ihrer hohen Intelligenz gekoppelt sind. Dieselben Gene machen sie sowohl klug als auch krank. Salopp gesagt: Für das Überleben war es wichtiger, intelligent zu sein, als alt zu werden.»

B. Am 12. November 2007 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Medienbericht an den Presserat. Er beanstandete, der Abdruck des Interviews verletzte die Ziffer 8 (Diskriminierungsverbot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Schon im ersten Satz des Interviews würden Juden als die «Fremden» innerhalb der westlichen Kultur ausgegrenzt. Und dass es keine berühmten jüdischen Architekten gebe, sei eine «ungeheure Falschbehauptung», die vom Journalisten nicht einmal korrigiert werde.

Mit der Verwendung von Begriffen wie «natürliche Selektion» und «spezieller Genpool» würden die Juden in überkommener Weise als biologisch-genetische «Rasse» definiert. Deren anscheinend spezifischen Eigenschaften – die hohe Intelligenz – würden gleichzeitig für ihre spezifische Degeneration verantwortlich gemacht.

C. Am 18. Dezember 2007 beantragte Martin Wagner, Präsident des Verwaltungsrates der Weltwoche Verlags AG, die Beschwerde sei abzuweisen. Der Vorwurf der Rassendiskriminierung erscheine im Zusammenhang mit der Aussage, der IQ von Juden sei höher als der Durchschnitt, geradezu grotesk. Zudem lege der Beschwerdeführer nicht dar, inwiefern die Menschenwürde nicht respektiert werde. Der verantwortliche Autor des Berichts verbreite in keiner Weise rassistische Ideologien. Es sei zulässig, wissenschaftliche Erkenntnisse über gemeinsame Eigenschaften der «Juden» darzulegen. Der Hinweis auf das Fehlen von berühmten jüdischen Architekten sei keine ungerechtfertigte Zurücksetzung. «Nachweisbar bildeten die Juden beispielsweise im Mittelalter eine starke Gemeinschaft. Sie wurden ausgegrenzt und verkehrten gezwungenermassen stark unter sich. Man darf argumentieren, dass sich durch die geschichtlichen Ereignisse ein spezieller Genpool ausgebildet hat.» Weiter sei es eine Tatsache, dass bei Aschkenasim spezifische Erbkrankheiten häufig auftreten würden.

D. Am 28. Dezember 2007 orientierte der Presserat die Parteien, die Beschwerde werde durch das ab dem 1. Januar 2008 neu zusammensetzte Presseratspräsidium mit Dominique von Burg, Präsident, Esther Diener-Morscher, Vizepräsidentin, und Edy Salmina, Vizepräsident, behandelt.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. Mai 2008 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion (…) zum Gegenstand haben.» Die Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» verdeutlicht dazu, dass diskriminierende Anspielungen bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.

Nach der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot ist eine Anspielung diskriminierend, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird».

Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003 und 32/2006) zudem konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss. Entsprechend soll das Verbot weder im Sinne einer «political» noch einer «sexual correctness» ausdehnend interpretiert werden (32/2001, 31/2007). Eine Bezugnahme auf die ethnische, nationale oder religiöse Zugehörigkeit ist nur dann diskriminierend, wenn sie mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist (37/2004) und sachlich ungerechtfertigten Verallgemeinerungen Vorschub leistet (49/2001).

2. a) Setzt das «Weltwoche»-Interview mit Gregory Cochran die Angehörigen des jüdischen Glaubens kollektiv herab? Wird damit bestehenden Vorurteilen und sachlich nicht gerechtfertigten Verallgemeinerungen Vorschub geleistet? Nach Auffassung des Presserates ist dies zu verneinen.

Aus der Pressefreiheit wie insbesondere auch der Freiheit des Kommentars und der Kritik ist abzuleiten, dass Medien auch «politisch unkorrekte» Stimmen zu Wort kommen lassen dürfen. Auch wenn dies in der Form eines Interviews geschieht, ändert dies aber selbstverständlich nichts daran, dass die Redaktion für die veröffentlichten Äusserungen verantwortlich bleibt. Aus dieser berufsethischen Verantwortung kann aber nicht abgeleitet werden, dass die Journalistinnen und Journalisten die Wahrheit sämtlicher von einem Interviewpartner gemachten Äusserungen durch eine eigene Recherche überprüfen müssten. Eingreifen, relativieren, korrigieren, mit der Stellungnahme der davon Betroffenen ergänzen oder gegebenenfalls eine Aussage ganz streichen müssen sie dann, wenn deren unrichtiger, ehrverletzender oder diskriminierender Inhalt für sie bei gebotener Aufmerksamkeit erkennbar ist.

b) Weder die sowohl für den Journalisten wie auch die Leserschaft der «Weltwoche» kaum überprüfbaren Aussagen über den höheren IQ von ost- und mitteleuropäischen Juden noch die Behauptung eines nicht besonders ausgeprägten räumlichen Vorstellungsvermögens und der angeblich deshalb fehlenden berühmten jüdischen Architekten erscheinen geeignet, die Angehörigen dieser R
eligionsgemeinschaft herabzuwürdigen oder bestehende Vorurteile zu verstärken. Zumindest auf den ersten Blick heikler erscheint demgegenüber der Hinweis auf Erbkrankheiten. Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers behauptet der Interviewte aber keineswegs, diese seien die Folge der angeborenen höheren Intelligenz. Der nachfolgende Satz «Salopp gesagt: Für das Überleben war es wichtiger, intelligent zu sein, als alt zu werden» macht klar, dass es dem Interviewten auch hier nicht darum geht, antisemitische Stereotype zu bemühen. Ebenso legt die Antwort auf die Frage «Sie sagen, der IQ kann sich verändern» nahe, dass nach Auffassung von Cochran letztlich die konkreten Lebensumstände einer Bevölkerungsgruppe und nicht die blosse Zugehörigkeit zu einer ethnischen, nationalen oder religiösen Gruppe die von ihm untersuchten Merkmale beeinflussen.

c) Darüber hinaus deutet der Interviewtext auch die beschränkte Aussagekraft von IQ-Tests an («IQ-Tests messen allerdings nur eine spezielle Form von Intelligenz») und weist er vor allem auch darauf hin, dass die Forschungstätigkeit von Gregory Cochran politisch umstritten ist («Der ‹Economist› nennt Sie einen ‹wissenschaftlichen Bilderstürmer›, ein Harvard-Professor klagt: ‹man kann nicht überbetonen, wie politisch unkorrekt Cochrans Arbeit ist›»). Entsprechend ist die Leserschaft der «Weltwoche» in der Lage, die Person des Interviewten und dessen Aussagen einzuordnen. Auch von daher ist deshalb der Vorwurf des Beschwerdeführers zu verneinen, die Berichterstattung der «Weltwoche» grenze an Antisemitismus und versuche, alte stereotype Vorurteile über die «Juden» auf genetischer Grundlage zu rehabilitieren. Immerhin ist aber beim Interview mit Professor Cochran ein latentes Diskriminierungspotential nicht zu übersehen. Denn die Ausgrenzung einer Gruppe kann sich unter Umständen auch aus einer Differenzierung aufgrund «positiver» Merkmale ergeben.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Weltwoche» hat mit der Veröffentlichung des Interviews «Ja, sie sind klüger» in der Ausgabe 44/2007 die Ziffer 8 (Diskriminierungsverbot; Respektierung der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

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