Nr. 24/2014
Diskriminierung

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 27. August 2014

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I. Sachverhalt

A. Am 22. Oktober 2013 veröffentlichte die «Basler Zeitung» einen Artikel von Michael Bahnerth mit dem Titel «Die Blaufahrer aus den Bergen», gefolgt vom Untertitel «Gepriesen sei der Wein! Im Wallis steht jeder fünfte Unfall-Lenker unter Alkoholeinfluss. Kurven fahren ist die Devise – auch dort wo es keine hat». Im Artikel selbst wird das Wallis als ein eigenes Universum geschildert, als Kontinentchen jenseits der Röstigraben-Verwerfung, dessen tektonische Platten stets auf einem Meer von Weisswein zu schwappen scheinen. Das Wallis als wilder Westen der Schweiz, mit eigener Hymne, ein Männerland. Wahrscheinlich liege die schlichte Individualität des Walliser Mannes an seinem Weissweinkonsum, jeder fünfte Walliser Unfallverursacher habe letztes Jahr zu viel Promille im Blut gehabt, wie aus den neusten Unfalldaten des Bundesamts für Strassen hervorgehe. Bemerkenswerter sei, dass die meisten Unfälle nicht auf den Serpentinenstrassen im Irgendwo der Berge geschähen, sondern dort, wo es geradeaus geht. Aber im Grunde sei dieser Sonderweg mit seiner Tendenz zum Nonkonformismus typisch und der Walliser daher nicht einfach nur der letzte Mohikaner einer anderswo schon längst untergegangenen Zivilisationsform, sondern im Grunde ein zeitloser Philosoph, der konsequent lebe, was er verinnerlicht habe, dass das Leben eben keine Gerade sei.

B. Am 23. Oktober 2013 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat. Der beanstandete Artikel verletze eindeutig Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Er könne in diesem Text keinen Humor ausmachen, und um Satire handle es sich nur, wenn die betroffene Bevölkerungsgruppe dies auch so verstehen würde. Satire gegen eine «schwache» Minderheit sei keine Satire, sondern vorliegend vielleicht ein Vorwand, Beleidigungen aussprechen zu können. Es handle sich um eine hinterhältige Karikatur, welche in eine globale Beleidigung einer Bevölkerungsgruppe ausarte. Es sei kaum vorzustellen, welche Reaktionen hervorgerufen würden, wenn ein solch böswilliger Text über andere Volksgruppen geschrieben würde.

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. August 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. a) Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.» Die Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» (Diskriminierungsverbot) verdeutlicht dazu, dass diskriminierende Anspielungen bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können. Gemäss Richtlinie 8.1 zur «Erklärung» (Menschenwürde) soll sich die Informationstätigkeit an der Achtung der Menschenwürde orientieren. «Sie ist ständig gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der betroffenen oder berührten Personen als auch gegenüber der gesamten Öffentlichkeit.» Nach der Praxis des Presserats ist eine Anspielung diskriminierend, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird. So ist bei jeder Aussage kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird. Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde zudem konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten.

b) In Stellungnahme 11/2004 setzte sich der Presserat vor dem Hintergrund des sogenannten Raclettestreits mit einer früheren Kritik am Kanton Wallis und seinen Bewohnern auseinander. Der entsprechende Vorwurf eines Kommentars in «Le Temps» lautete, das Wallis und die Walliser seien immer zuvorderst, wenn es darum gehe, in Form von Subventionen von der nationalen Solidarität zu profitieren. Demgegenüber sei es ihnen im Zusammenhang mit dem «Raclettestreit» egal, wie sich dieser auf die Racletteproduzenten ausserhalb ihres Kantons auswirke. Der Presserat wies damals unter Berufung auf die Stellungnahmen 4/1992 und 51/2002 darauf hin, dass selbst ein verletzendes Pamphlet mit der Kommentarfreiheit vereinbar sei, sofern die Fakten, auf welche die umstrittenen Wertungen abstellen, für die Leserschaft erkennbar sind, sofern es also nicht auf sachlich ungerechtfertigten Anschuldigungen beruht.

c) Der beanstandete Artikel ist im Lichte dieser Praxis zu beurteilen. Bereits der Untertitel «Gepriesen sei der Wein! Im Wallis steht jeder fünfte Unfall-Lenker unter Alkoholeinfluss. Kurven fahren ist die Devise – auch dort wo es keine hat» ist als Provokation und Polemik zu erkennen. Nirgends im Artikel wird das Fahren unter Alkoholeinfluss in diskriminierender Weise als faktisch behauptete angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft einer ethnischen Minderheit dargestellt, noch werden die Walliser generell in ihrem Menschsein herabgewürdigt. Der beanstandete Artikel ist, einschliesslich Lead und Titel, für die Leserschaft als provokative Kritik am situations- und nicht kulturell bedingten Verhalten einer Sprachminderheit im Zusammenhang mit dem Autofahren und dem Konsum von Weisswein bzw. Alkohol generell erkennbar. Zwar ist verständlich, dass der polemische Ton und die verwendeten Begriffe auf Walliserinnen und Walliser unangemessen oder gar verletzend wirken können. Sie überschreiten die weit auszulegenden Grenzen der Freiheit des Kommentars und der Kritik jedoch offensichtlich nicht.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.