Nr. 22/2011
Diskriminierung

(Gaynossinnen Juso Schweiz c. «Blick am Abend») Stellungnahme des Presserates vom 11. Mai 20

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I. Sachverhalt

A. Am 24. Juni 2010 veröffentlichte «Blick am Abend» in der Rubrik «Mode & Beauty» einen Bericht von Ana Maria Haldimann mit dem Titel «Achtung, Männer, Tunten-Falle!». Der Untertitel lautet: «Sommermode 2011. Die Trends aus Mailand sind da! Aber nicht alles, was Designer zeigen, kann Mann bedenkenlos tragen.» Die im Artikel gezeigten Kleidungsstücke und Modeaccessoires werden in die beiden Kategorien «cool» und «schwul» eingeteilt und dahingehend kommentiert, ob sie «bedenkenlos» getragen werden könnten oder nicht zu empfehlen seien.

B. Am 20. Juli 2010 gelangten die Gaynossinnen Juso Schweiz, eine Arbeitsgruppe der Juso Schweiz, mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht an den Presserat. Der Text sei sowohl implizit als auch explizit homophob und diskriminierend. Er verstosse damit gegen die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Diskriminierung).

Bereits der Lead drücke aus, was die Autorin mitteilen wolle. Es gebe Kleidungsstücke für «richtige Männer» und solche für «Schwule». Bei den «coolen» Kleidungsstücken würden Attribute wie «überzeugend», «Triumph», «hoch im Kurs!» oder «sexy» verwendet. Auf der «schwulen Seite» würden demgegenüber homophobe Vorurteile herangezogen, «die gegenüber den Schwulen noch immer den Kurs beherrschen: «hauteng», «Narzissten mit glattrasierten Beinen», «Tante Trudi» sowie «aufgesetzt und maniriert». Diese Beschreibungen seien diskriminierend, weil sie direkt in Zusammenhang mit einer sexuellen Orientierung gesetzt würden. Schliesslich werde «als Krönung der Vorurteile der ‹schwule› Teil pink unterlegt, um zu implizieren, dass Schwule per Definition ‹tuntig› seien».

C. Das Presseratspräsidium bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina beantragte dem Plenum per 26. November 2010 auf dem Korrespondenzweg, auf die Beschwerde sei gestützt auf Art. 10 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserats nicht einzutreten, da diese offensichtlich unbegründet erscheine.

D. Innert der reglementarischen Frist von 10 Tagen nach Zustellung des Entwurfs des Präsidiums (Art. 16 Abs. 5 des Geschäftsreglements) beantragten drei Mitglieder des Presserates, die Beschwerde sei durch das Plenum zu behandeln. Der Artikel von «Blick am Abend» sei ausgehend von der Gegenüberstellung «cool» und «schwul» auf diskriminierenden Anspielungen aufgebaut und wirke als Ganzes diskriminierend. Der Bericht beeinträchtige das Ansehen der Homosexuellen und würdige sie kollektiv herab. Schwulsein werde grundsätzlich als negativ dargestellt.

E. In ihrer Beschwerdeantwort vom 20. Dezember 2010 wies die anwaltlich vertretene Redaktion von «Blick am Abend» die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurück. Nur eine «sozusagen von homophobem Verfolgungswahn geprägte Wahrnehmung» könne dem beanstandeten Text eine diskriminierende Note abgewinnen. Nichts in diesem Modebericht spreche gleichgeschlechtlichen Männern den Anspruch auf das Mensch-Sein und die Achtung als sittliches Wesen ab. Modetrends unter dem Aspekt ihrer «sexualisierten Wirkung» zu bewerten, habe überhaupt nichts mit Diskriminierung zu tun.

F. Das Plenum behandelte die Beschwerde an seiner Sitzung vom 11. Mai 2011 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.» Die Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» verdeutlicht dazu, dass diskriminierende Anspielungen bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.

Nach der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot ist eine Anspielung diskriminierend, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003, 32/2006, 16/2007 und 21/2008) zudem konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung».

2. Der beanstandete Bericht von Ana Maria Haldimann teilt Kleidungsstücke und Modeaccessoires der «Sommermode 2011» aus Mailand zwei Kategorien zu: «cool» und «schwul». Die Autorin verbindet «cool» mit positiven Attributen («modern», «überzeugend», «hoch im Kurs», «sexy»), während sie die der Kategorie «schwul» zugeordnete Mode negativ bewertet («hauteng», «unbedingt die Finger davon lassen», «Narzissten mit glattrasierten Beinen», «dämlich»). Zusammen mit dem Titel «Achtung, Männer, Tunten-Falle!») wird damit der Leserschaft – insbesondere dem «Mann» – gestützt auf generalisierende Vorurteile über Homosexuelle die Botschaft vermittelt, bei der Kleiderwahl ja darauf zu achten, nicht so herumzulaufen, wie Schwule sich angeblich typischerweise kleiden. Mit dieser Stossrichtung und Konstruktion, die auf der Unterscheidung von «schwul» und «nicht-schwul» (beziehungsweise «cool») beruht, suggeriert der Bericht damit ein Stück weit, Schwule seien keine richtigen «Männer» und würdigt damit die Minderheit der homosexuellen Männer kollektiv herab. Für eine Minderheit des Presseratsplenums wirkt der Bericht deshalb diskriminierend.

Demgegenüber ist nach Auffassung der Mehrheit des Plenums an der bisherigen zurückhaltenden Praxis des Presserates in Bezug auf eine Verletzung der Menschenwürde und/oder des Diskriminierungsverbots festzuhalten. Diese Zurückhaltung widerspiegelt sich auch in der neuen Fassung der Richtlinie 8.2 zur «Erklärung», die der Presserat an seiner Plenarsitzung vom 1. September 2010 verabschiedet hat und die am 1. Juli 2011 in Kraft tritt: «Die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung und/oder der Hautfarbe kann diskriminierend wirken, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Journalistinnen und Journalisten wägen deshalb den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung ab und wahren die Verhältnismässigkeit.»

Die Heranziehung von verallgemeinernden Klischees über Homosexuelle erscheint unter dem Gesichtspunkt von Ziffer 8 der «Erklärung» zwar problematisch. Trotzdem ist gerade auch unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips eine Verletzung der Ziffer 8 der «Erklärung» vorliegend zu verneinen, weil es dem Unwertvorwurf nach Auffassung der Presseratsmehrheit an der erforderlichen Schwere fehlt. Bei der Einordnung der Schwere des Vorwurfs ist dabei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass es im Bericht von «Blick am Abend» in erster Linie um die Bewertung aktueller Modetrends aus dem subjektiven Blickwinkel einer Journalistin geht, währenddem allgemeine Aussagen zum Gegensatz zwischen «schwul» und «nicht-schwul» nicht im Vordergrund stehen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Mit der Veröffentlichung des Artikels «Achtung, Männer, Tunten-Falle!» in der Ausgabe vom 24. Juni 2010 hat «Blick am Abend» die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Diskriminierung) nicht verletzt.