Nr. 77/2012
Diskriminierung

(X./IG offenes Davos/VPOD Grischun c. «Gipfel Zytig») Stellungnahme des Presserates vom 6. Dezember 2012

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Zusammenfassung

Diskriminierender Rundumschlag

Dürfen Journalisten in humoristischen Beiträgen pauschalisierende Vorurteile gegenüber Nationalitäten oder ethnischen Gruppen bedienen? Der Presserat beantwortet die Frage differenziert: Diskriminierend ist eine Pauschalisierung, wenn sie mit einem erheblichen Unwerturteil verknüpft wird.

Im Sommer 2012 veröffentlichte die Davoser «Gipfel Zytig» zwei «humoristische» Beiträge, die zu Beschwerden an den Presserat führten. Zunächst forderte die Redaktion die Leserschaft in einem fiktiven «Wettbewerb» auf, Fragen zu einem Bild von asiatischen Studentinnen und Studenten zu beantworten. Eine Woche später veröffentlichte die Zeitung einen «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne». Mehrere Beschwerdeführende beanstandeten, mit dem «Wettbewerb» würden «Asiaten aufgrund ihres Aussehens aufs Übelste verunglimpft» und der Vorschlag für eine neue Landeshymne habe mit seiner «schockierenden Fremdenfeindlichkeit» ein grosses mediales Echo ausgelöst.

Der Presserat beurteilt die beiden Beiträge unterschiedlich. Die Pauschalisierung, wonach alle Asiaten gleich aussähen, wird im beanstandeten Beitrag nicht mit einer Herabwürdigung dieser Gruppe verbunden. Demgegenüber bedient die «Gipfel Zytig» im «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne» mit einer Schimpftirade gegen verschiedene Nationalitäten reihenweise generalisierende Vorurteile gegen Ausländerinnen und Ausländer.

Résumé

Préjugés discriminatoires généralisant

Dans leurs articles humoristiques, les journalistes peuvent-ils exprimer des idées préconçues de caractère généralisant à l’égard de nationalités ou de groupes ethniques? Le Conseil suisse de la presse apporte une réponse différenciée: une telle approche qui généralise est discriminatoire dès qu’elle est liée à une appréciation avilissante.

Durant l’été 2012, la «Gipfel Zytig» de Davos publie deux articles «humoristiques» qui entraînent plusieurs plaintes auprès du Conseil de la presse. La rédaction, dans le premier cas, engageses lecteurs à répondre, dans le cadre d’un «concours» fictif, à des questions au sujet d’une photo d’étudiantes et étudiants asiatiques. La semaine suivante, le journal publie une «proposition pour un nouvel hymne national». Plusieurs plaignants relèvent que par le biais du «concours» les Asiatiques font l’objet d’un grave dénigrement en raison de leur apparence et que le projet de nouvel hymne national a suscité un vif écho dans les médias par sa «choquante xénophobie».

Le Conseil de la presse juge différemment les deux articles. Le constat global que tous les asiatiques se ressemblent n’est pas lié dans le texte contesté à un avilissement de ce groupe. En revanche, la «Gypfel Zytig», avec sa «proposition pour un nouvel hymne national», se livre à une tirade injurieuse envers diverses nationalités, servant en série des préjugés globalisants contre les étrangers.

Riassunto

Quando è discriminazione?

Violano la deontologia i giornalisti che pubblicano una notizia umoristica in cui si esprimono pregiudizi nei confronti di determinate nazionalità o gruppi etnici? Il Consiglio della stampa distingue: discriminazione è solo quando si sottolinea in modo pesante un determinato pregiudizio negativo.

Al Consiglio della stampa erano stati presentati reclami dopo la pubblicazione, nell’estate 2012, di due articoli «umoristici» sul «Gipfel Zytig» di Davos. Dapprima i lettori erano stati invitati a partecipare a un concorso simulato in cui si doveva rispondere a un questionario relativo a una foto di studenti e studentesse asiatici. La settimana seguente, il giornale chiedeva «proposte» per un nuovo inno nazionale. Alcuni reclamanti sostengono che il «concorso» dileggiava gli asiatici «a motivo delle loro fattezze fisiche». Quanto alla proposta di nuovo inno, sarebbe contrassegnata da un sentimento xenofobo notato da molti.

Il Consiglio della stampa invita a distinguere. Generalizzare affermando che tutti gli asiatici si somigliano, nel caso specifico, non era degradante nei loro confronti. Per quanto riguarda invece la «proposta di nuovo inno», si riconosce che effettivamente enumerava una serie di pregiudizi pesanti a carico di stranieri e straniere.

 


I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe vom 29. Juni–5. Juli 2012 veröffentlichte die Davoser Gratiswochenzeitung «Gipfel Zytig» auf der Seite «Hitsch Bärenthalers Schnellschüsse» ein fiktives Gewinnspiel mit dem Titel «Der nicht ganz einfache Wettbewerb». Als Preis kündigt die Zeitung zwei Tickets für die Fussball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien an. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, folgende Fragen zu einem Foto mit asiatischen Studentinnen und Studenten zu beantworten: «Welcher dieser Studenten sieht müde aus? Wo sind die Zwillingsbrüder zu sehen? Wo sind die Zwillingsschwestern zu sehen? Wie viele Frauen siehst Du in der Gruppe? Wer ist der Lehrer? Welcher dieser Stunden ist nicht bekifft?» Der abschliessende Satz des «Wettbewerbs» lautet: «Wir denken, auch du wirst zu Hause bleiben!!!»

B. In der Ausgabe vom 6.–12 Juli 2012 publizierte die «Gipfel Zytig» im gleichen Gefäss einen «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne». Der Text lautet: «Vom Arbeitsamt da komm ich her. Und weiss – Stellen gibt’s nicht mehr! Überall auf Stufen und auf Kanten sitzen Asylanten mit Verwandten! Und draussen vor verschlossenen Toren stehen geduldig Schweizer, die rohren! Und wie ich so gehe am Bahnhof vorbei, da sehe ich nur Mannen aus Türkei! Sie feilschen und füllen mit Geld die Taschen, da gucken wir dumm, wir Schweizer – wir Flaschen! Dann fahr ich nach Hause mit Tram oder Bus, vor mir sitzt ein Wolgadeutscher Russ! Und während ich sitzend die Zeitung lese, kommt noch ein geflohener Vietnamese! Ich gehe nach Hause – wer steht in der Diele? Ein wohnungssuchender Tamile! Auch an Renten ist für uns nichts mehr zu holen, denn leider kommen wir nicht aus Polen! Drum lieber Beamter, sei unser Gast, und gib uns Schweizern, was du noch hast! Der Ali hat Kohle, der Hassan hat Drogen, der Schweizer zahlt und wird noch betrogen! Drum sei dies Gedicht nun endlich zu Ende, hoffend, – ihr Lieben – auf baldige Wende!!!»

C. Am 7. und 14. Juli 2012 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat über die beiden Texte, deren Veröffentlichung gegen die Ziffer 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse.

Mit dem fiktiven Gewinnspiel in der Ausgabe vom 29. Juni 2012–5. Juli 2012 würden «Asiaten auf Grund ihres Aussehens aufs Übelste verunglimpft. Die Pointe des ‹lustigen› Gewinnspiels, verleiht dem Gewinnspiel erst recht seinen rassistischen Charakter (…): ‹Alle Asiaten seien gleich! – Faule drogenkonsumierende, inzesttreibende Menschen, welche weder in Männlein und Weiblein, noch nach Alt und Jung unterteilt werden können.›»

Der «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne» in der «Gipfel Zytig» vom 12. Juli 2012 habe wegen seiner «schockierenden Fremdenfeindlichkeit» eine grosses mediales Echo ausgelöst. «Die Landeshymne porträtiert Asylanten als Sozialschmarotzer, Türken werden als rumlungernd und stehlend dargestellt. Wohnungen und Arbeitsplätze, ja sogar Sitzplätze im Bus werden von Flüchtlingen besetzt. Die auf staatliche Unterstützung angewiesenen Ausländer bereichern sich auf unsere Kosten.» Der Text kulminiere schliesslich darin, dass die bösen a
rabischstämmigen muslimischen Minderheiten an allem Schuld seien. Der Schlusssatz – «hoffend auf baldige Wende» – könne sogar als Aufforderung zum Handeln verstanden werden, «also direkte Fremdenhetze».

D. Am 11. Juli 2012 beschwerte sich die Interessengemeinschaft offenes Davos ebenfalls über den «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne» beim Presserat. Der beanstandete Text verallgemeinere im Sinne von Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» (Diskriminierungsverbot) negative Werurteile gegenüber Minderheiten. Menschen verschiedener Nationalitäten würden «für eine im Text stark suggerierte allgemeine Misere der betrogenen, dummen, weil rechtschaffenen ‹Schweizer›» verantwortlich gemacht.

E. In der Ausgabe vom 13.–19. Juli 2012 veröffentlichte die «Gipfel Zytig» eine Stellungnahme von Redaktor Heinz Schneider. Darin zeigt sich dieser «erstaunt über die Vorwürfe und Unterstellungen gegenüber der Redaktion. Sofern sich irgend jemand vom ‹Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne› in seiner persönlichen Haltung verletzt fühlt, entschuldigen wir uns in aller Form.» Gleichzeitig weist der Redaktor aber auf den satirischen Inhalt der Seite «Hitsch Bärenthalers Schnellschüsse» hin, welche seit 20 Jahren erscheine. Gestützt darauf sehe er keinen Anlass, sich vom Inhalt des Textes zu distanzieren. «Im Gegenteil: Der zugegeben überspitzt abgefasste Text ist ein Ausdruck der Stimmung im Volk.»

F. Am 27. August 2012 wandte sich auch noch der VPOD Grischun mit einer Beschwerde gegen den Text «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne» an den Presserat.

G. In seiner Beschwerdeantwort vom 30. August 2012 zeigt sich Heinz Schneider, Redaktor und Verleger der «Gipfel Zytig», unverändert überrascht über «die Reaktionen der vornehmlich linken Kreise auf den satirischen Beitrag einer anderen Landeshymne». Ihm persönlich Fremdenhass oder einen Verstoss gegen das Antirassismusgesetz vorzuwerfen, sei etwas weit hergeholt.

H. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.

I. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Dezember 2012 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Ziffer 8 der «Erklärung» verpflichtet die Journalistinnen und Journalisten dazu, in der Berichterstattung auf diskriminierende Anspielungen zu verzichten, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit zum Gegenstand haben. Laut der Richtlinie 8.2 (Diskriminierung) zur «Erklärung» ist bei derartigen Angaben zu beachten, dass sie bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.

Nach der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot gilt eine Anspielung als diskriminierend, wenn ein Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt und die Gruppe kollektiv herabwürdigt. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003, 32/2006, 16/2007 und 21/2008) zudem konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung».

2. Vorliegend sind die beiden beanstandeten Beiträge nach Auffassung des Presserats differenziert zu beurteilen. Beide sind als «humoristische» Texte erkennbar und beide basieren auf Pauschalisierungen. Im Gegensatz zum «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne» verbindet «Der nicht ganz einfache Wettbewerb» die Pauschalisierung «alle Asiaten sehen für unsere Augen gleich aus» jedoch nicht mit einer Herabwürdigung dieser Gruppe. Denn entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers X. insinuieren die «Wettbewerbsfragen» keineswegs, dass Asiaten generell faul seien, Drogen konsumierten, und Inzest betrieben. Man mag sich zwar darüber streiten, was an diesem Beitrag lustig sein soll, doch äussert sich der Presserat bekanntlich nicht zu Geschmacksfragen (Stellungnahme 27/2006).

3. Anders beurteilt der Presserat hingegen den «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne». Auch wenn die «Gipfel Zytig» einwendet, die satirische Überspitzung sei für die Leserschaft erkennbar, ändert dies nichts daran, dass die berufsethischen Normen der «Erklärung» auch für satirische Beiträge gelten. «Satire ist nicht dazu da, Vermutungen oder Anschuldigungen, die sich nicht belegen lassen und die in anderer Form nicht geäussert werden können, sozusagen risikolos publik zu machen. Lügen bleiben Lügen, auch wenn sie virtuos unter dem Deckmantel der Satire präsentiert werden.» (Stellungnahme 8/1996). Dies gilt ebenso für diskriminierende Äusserungen.

Vorliegend bedient und kollektiviert die «Gipfel Zytig»  mit ihrer verallgemeinernden Schimpftirade gegen verschiedene Nationalitäten reihenweise generalisierende negative Vorurteile gegen Ausländerinnen und Ausländer. Die Beschwerden sind deshalb insoweit gutzuheissen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde von X. wird teilweise, die Beschwerden von IG offenes Davos und VPOD Grischun werden vollständig gutgeheissen.

2. Die «Gipfel Zytig» hat mit dem «Vorschlag für eine neue Schweizer Landeshymne» (Ausgabe vom 6.–12 Juli 2012) die Ziffer 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde von X. abgewiesen.