Nr. 8/1998
Berichtigungspflicht / Quellenüberprüfung

(Meyer/Frey c. „SonntagsZeitung“) Stellungnahme vom 30. April 1998

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I. Sachverhalt

A. Am 2. November 1997 veröffentlichte die „SonntagsZeitung“ in der Rubrik „Politohr“ folgendes: „Bundesrat Moritz Leuenberger weiss das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Nach der Geburtstagsparty des Zürcher Opernhausdirektors Alexander Pereira lud der Bundesrat den Ringier-Chefdenker Frank A. Meyer mit dessen Partnerin Lilith Frey zu sich ein, wo er dem Paar ein italieni-sches Gourmetmenü servierte. Interessant wird sein, wie sich das Essen auf die Berichterstattung auswirken wird. Seit kurzem amtiert mit Bernhard Weissberg ein Meyer-Intimus auf dem Sessel des ‘SonntagsBlick’.“

Am 9. November 1997 meldete die „SonntagsZeitung“ in derselben Rubrik: „Kein glückliches Händ-chen bewies Lilith Frey, die neue Kulturchefin des „SonntagsBlick“. Als die ehemalige „Blick“-Frau und Partnerin von Ringier-Chefdenker Frank A. Meyer am Montag in ihr neues Büro an der Dufour-strasse einzog, fand sie nirgends Platz für ihre mitgebrachte Büchersammlung. Kurzerhand leerte sie einen belegten Schrank. Tags darauf wurde in der „Sobli“-Redaktion die komplette, über Jahre ange-legte und nicht ganz billige Filmbibliothek vermisst. Die Aufregung wich blankem Entsetzen, als sich herausstellte, dass Kulturchefin Frey die Bibliothek in einen Container für Altpapier geschmissen hatte, dessen Inhalt über Nacht entsorgt worden war.“

B. Am 18. Dezember 1997 wandte sich Rechtsanwalt Mathias Schwaibold namens von Frank A. Meyer und Lilith Frey an den Presserat und beantragte, es sei festzustellen, dass die Berichte über seine Klienten vom 2. und 9. November 1997 die Grundsätze des fairen Journalismus verletzten. Das angebliche Abendessen mit Bundesrat Leuenberger habe nie stattgefunden. Weiter sei es eine infame Unterstellung, Herrn Meyer zu unterschieben, private Einladungen hätten mittelbare Auswirkungen auf die Berichterstattung des „SonntagsBlick“ über die Gastgeber. Dasselbe wurde sinngemäss hin-sichtlich der angeblichen Einflussnahme via den Freundeskreis von Herrn Meyer gerügt. Mit der Be-zugnahme auf Chefredaktor Weissberg solle offenbar suggeriert werden, dieser sei eine Marionette von Herrn Meyer.

Ebenso unzutreffend sei die Story über Frau Frey. Diese habe in der Tat ein paar Bücher weggewor-fen, aber nur billige Taschenbücher ohne kaufmännischen und literarischen Wert aus einem für solche Produkte einschlägig bekannten deutschen Verlag. Von einer „nicht ganz billigen Filmbibliothek“ könne keine Rede sein. Die „SonntagsZeitung“ habe auch in diesem Fall auf eine Rückfrage bei Frau Frey verzichtet. Dies Geschichte sei nicht nur völlig falsch, sondern diene dazu, Frau Frey lächerlich zu machen.

C. Der Presseratspräsidium wies die Beschwerde der 3. Kammer zu (bestehend aus Kammerpräsi-dent Reinhard Eyer, Catherine Aeschbacher, Adi Kälin, Marie Therese Larcher und Christian Schwarz). Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 16. April 1998. Adi Kä-lin nahm als Mitarbeiter des „Tages-Anzeigers“ an der Beratung, nicht jedoch an den Abstimmungen teil. Die „SonntagsZeitung“ wurde vom Presseratssekretariat am 20. Januar 1998 um eine Stellung-nahme gebeten.

D. In der Ausgabe vom 15. März 1998 korrigierte die „SonntagsZeitung“ die Meldung vom 2. No-vember 1997 dahingehend, es habe „weder eine solche Einladung gegeben, noch habe ein solches Essen stattgefunden. Die ‘SonntagsZeitung’ tischte aufgrund einer Fehlinformation eine Ente auf und möchte sich dafür bei allen Beteiligten entschuldigen.“

E. Namens der „SonntagsZeitung“ beantragte der Rechtsdienst der TA Media AG mit Schreiben vom 26. März 1998, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten sei. Es treffe zwar zu, dass das „Politohr“ betreffend dem Abendessen mit Bundesrat Leuenberger eine Ente war. Bereits kurz nach dem 2. November 1997 habe der Pressesprecher von Bundesrat Leuenberger bei der „SonntagsZeitung“ reklamiert und festgehalten, dass ein Nachtessen mit Frank A. Meyer seit Jahren zurückliege. Nach Eingang der Beschwerde von Herrn Meyer und Frau Frey habe die „SonntagsZeitung“ der Gegenseite angeboten, die Angelegenheit in einem „Politohr“ richtigzustellen. Dieses Angebot habe die Gegenseite zwar im Grundsatz akzeptiert, sich jedoch nur bereit erklärt, die Beschwerde beim Presserat zurückzuziehen, wenn gleichzeitig auch das „Politohr“ vom 9. November 1997 berichtigt werde. Dessenungeachtet sei die „SonntagsZeitung“ mit der Publikation von Richtig-stellung und Entschuldigung hinsichtlich des „Politohrs“ vom 2. November 1998 ihrer berufsethi-schen Berichtigungspflicht nachgekommen, weshalb der Presserat keinen Anlass mehr habe, auf die-sen Teil der Beschwerde einzutreten.

Bezüglich der Frau Frey betreffenden Meldung könne die „SonntagsZeitung“ zwar nicht beweisen, dass Frau Frey wirklich die ganze Filmbibliothek des „SonntagsBlick“ weggeworfen habe. Immerhin stehe aber ausser Zweifel, dass sie zumindest einige Bücher entfernt habe. Die Unstimmigkeit bestehe also einzig in der Einschätzung des Wertes dieser Bücher. Das „Politohr“ vom 9. November 1997 sei von einer Leichtgewichtigkeit, die ein Eintreten des Presserates auf die Beschwerde unverhältnismä-ssig erscheinen lassen würde.

Hinsichtlich des Hauptvorwurfs der mangelnden Anhörung der Betroffenen sei es wichtig, den Cha-rakter der Rubrik zu berücksichtigen. „‘Politohr’ ist eine ‘augenzwinkernde’ Rubrik. Sie dient weni-ger der politischen Meinungsbildung als dem Lesevergnügen. Die Ironisierung ist beabsichtigt.“ Der Name der Rubrik und die Art der Formulierung mache die Leserschaft genügend auf diesen Umstand aufmerksam. Die Durchschnittsleserschaft vermöge klar zu erkennen, dass nicht jedes Detail zum vollen Nennwert zu nehmen sei. Der Rubrik würde die nötige und gewollte Spontaneität abgehen, wenn jedes gemeldete Detail in gleicher Weise verifiziert werden müsste, wie dies bei Nachrichten-beiträgen üblich und erforderlich sei. Natürlich solle auch das „Politohr“ den Boden der Wahrheit nicht verlassen. Auch zum „Politohr“ vom 9. November 1997 habe die „SonntagsZeitung“ der Ge-genseite nicht verweigert, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Der eingereichte Richtigstellungstext sei aber dermassen trocken abgefasst gewesen, dass eine Publikation als „Politohr“ nicht in Frage ge-kommen sei. Das Angebot eines Leserbriefs hätten die Beschwerdeführer aber ausgeschlagen.

II. Erwägungen

l. Entgegen der von der Beschwerdegegnerin implizit vertretenen Auffassung ist für das Eintreten des Presserates auf eine Beschwerde nicht von entscheidender Bedeutung, ob hinsichtlich des Beschwer-degegenstands oder eines Teils derselben eine Berichtigung erfolgt ist. Entscheidend ist vielmehr, ob durch eine Beschwerde relevante berufsethische Normen berührt werden. Dies ist nach Auffassung der 3. Kammer insoweit der Fall, als sich im Zusammenhang mit dem durch die Beschwerde unter-breiteten Sachverhalt Fragen der Berichtigungspflicht (Ziff. 5 der „Erklärung“), dem Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis von Tatsachen (Ziff. 1), der Pflicht zur vollständigen Information (Ziff. 3) sowie der Pflicht zur Unterlassung sachlich ungerechtfertigter Anschuldigungen (Ziff. 7) stellen.

2. Gemäss Ziff. 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ haben Medienschaffende jede von ihnen veröffentlichte Meldung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist. Die Berichtigung einer Falschinformation ist nicht nur gegenüber den Betroffenen, sondern auch dem Publikum geschuldet (Stellungnahme i.S. Maier c. „FACTS“ vom 6. Juni 1997, Sammlung 1997, 45ff.) Redaktionen, die eine eindeutige Falschmel-dung veröffentlichen, sollten den Fehler redaktionell berichtigen (Stellungnahme i.S. Weber c. Mutter vom 7. No
vember 1997, Sammlung 1997, 133ff.). Zwar ist der „SonntagsZeitung“ zugute zu halten, dass sie die Falschmeldung i.S. Nachtessen mit Bundesrat Leuenberger schliesslich von sich aus be-richtigte und sich bei den Betroffenen entschuldigte. Da sie jedoch bereits spätestens nach der Reakti-on des Pressesprechers von Bundesrat Leuenberger kurz nach der Publikation des „Politohrs“ vom 2. November 1997 über die Unrichtigkeit der veröffentlichten Meldung informiert war, vermag ihr Ver-halten unter dem Gesichtspunkt von Ziff. 5 der „Erklärung“ berufsethisch dennoch nicht zu genügen. Die Berichtigungspflicht vermag ihre Funktion nur dann zu erfüllen, wenn das Publikum unmittelbar informiert wird, nachdem die Redaktion Kenntnis von der Unrichtigkeit einer Meldung erhalten hatte. Die „SonntagsZeitung“ korrigierte das „Politohr“ vom 2. November 1998 erst vier Monate nach Kenntnisnahme von dessen inhaltlicher Unrichtigkeit.

3. In ihrer Beschwerdeantwort macht die „SonntagsZeitung“ u.a. geltend, bei der Beurteilung der Rügen der Beschwerdeführer sei der besondere Charakter der Rubrik „Politohr“ zu berücksichtigen. Der Presserat hat sich in seiner Stellungnahme i.S. EMD c. „Nebelspalter“(Stellungnahme vom 7. November 1996, Sammlung 1996, 104ff.) zu den Grenzen der Satire und damit zu einer Textsorte geäussert, deren Inhalt, ähnlich wie dies von der „SonntagsZeitung“ für die Rubrik „Politohr“ geltend gemacht wird, nicht immer zu 100% zum Nennwert zu nehmen ist. Der Presserat hat aus dem Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis von Tatsachen und Meinungen abgeleitet, dass Satire in den Medien für das Publikum als solche erkennbar sein muss. Dies schliesse Übertreibungen und Verfremdungen nicht aus, jedoch müssten die Fakten stimmen, von denen die Satire ausgehe. „Lügen bleiben Lügen, auch wenn sie als ‘Satire’ deklariert werden.“ Die für die Satire aufgestellten Grundsätze müssen analog auch auf Textsorten wie „Klatsch“ (gemäss Duden Universaltwörterbuch: „der Neugier entge-genkommende Neuigkeiten aus dem Bereich anderer“), Glossen (laut derselben Quelle: „knapper [polemischer] Kommentar zu aktuellen Ereignissen oder Problemen“) usw. gelten.

4. Im „Politohr“ vom 2. November 1997 verknüpfte die „SonntagsZeitung“ das angebliche Nachtes-sen mit der Spekulation, ob und wie sich diese auf die Berichterstattung des „SonntagsBlick“ über Bundesrat Leuenberger auswirken werde. Unabhängig von der heute feststehenden Beantwortung der Frage, ob ein solches Nachtessen überhaupt je stattgefunden hat, muss es aus berufsethischer Sicht zulässig sein, die möglichen Auswirkungen von privaten Freundschaften zwischen Politikern und Medienschaffende auf die Berichterstattung, mithin die Unabhängigkeit der Medienschaffenden dann kritisch zu thematisieren, wenn solche Kontakte denn auch tatsächlich gepflegt werden. Mit dem zu-sätzlichen Hinweis, dass „Sonntags-Blick“-Chefredaktor Weissberg, der mit dem angeblichen Abendessen nichts zu tun hatte, ein Meyer-Intimus sei, insinuiert die „SonntagsZeitung“ jedoch dar-über hinaus, dass sich Weissberg einzig wegen seiner persönlichen Bindung zu Meyer von diesem Weisungen über die Berichterstattung erteilen lasse, also Ziff. 10 der „Erklärung“verletze („Sie neh-men journalistische Weisungen nur von den hierfür als verantwortlich bezeichneten Mitgliedern ihrer Redaktion entgegen“). Da die „SonntagsZeitung“ keine Fakten vorlegt, welche zumindest den Kern dieses Vorwurfs belegen und diesen lediglich als zulässige Übertreibung erscheinen lassen, hat sie in diesem Punkt Ziff. 7 der „Erklärung“(Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen) ver-letzt.

5. Eine ähnliche Problematik stellt sich hinsichtlich des „Politohr“ vom 9. November 1997. Für die Leserschaft entsteht durch die Darstellung der „SonntagsZeitung“ der Eindruck, Frau Frey als neue Kulturchefin des „SonntagsBlick“ sei fachlich derart inkompetent, dass Sie die Bedeutung einer „kompletten über Jahre angelegten und nicht ganz billigen Filmbibliothek“ nicht erkannt habe. Ge-mäss ihrer eigenen Darstellung hat Frau Frey demgegenüber lediglich einige unbedeutende Bücher fortgeworfen. Sollte die Darstellung der Beschwerdeführerin zutreffend sein, ginge es über den Rah-men der zulässigen kommentierenden Übertreibung hinaus, aus ein paar unbedeutenden Büchern eine wertvolle Bibliothek zu machen. Da der Presserat jedoch nicht in der Lage ist, abzuklären, welche der Parteidarstellungen der Wahrheit näher kommt, muss diese Frage aber letztlich offen bleiben.

Wie die „SonntagsZeitung“ in ihrer Beschwerdeantwort jedoch selber einräumt, ist nicht auszu-schliessen, dass die Informanten aus persönlicher Feindschaft zu Lilith Frey den Sachverhalt mögli-cherweise „etwas allzustark gewürzt“ hätten. Mit anderen Worten hatte die „SonntagsZeitung“ auf-grund ihrer Quelle durchaus Grund zur Annahme, dass die Ihnen zugespielte Information womöglich wahrheitswidrig war. Ohnehin wäre sie aberangesichts des indirekt erhobenen schwerwiegendenden Vorwurfes der beruflichen Inkompetenz ungeachtet des „augenzwinkernden“ Charakters der Rubrik „Politohr“ zur Überprüfung ihrer Quelle und zur Anhörung der Betroffenen verpflichtet gewesen (vgl. u.a. Stellungnahme i.S. Up Trend c. „Beobachter“ vom 26. Juni 1996, Sammlung 1996, 43ff.). Ent-gegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin handelte es sich dabei nicht um die Klärung von blo-ssen „Details“. Die Redaktion hätte sich durch weitere Recherchen selber davon überzeugen müssen, ob ihr Informant lediglich stark übertrieb oder ob es sich um eine sachlich nicht gerechtfertigte An-schuldigung handelte. Denn es kann auch bei einer Rubrik wie „Politohr“ nicht angehen, Vermutun-gen und Anschuldigungen, die sich nicht belegen lassen und die in anderer Form nicht geäussert wer-den können, sozusagen risikolos publik zu machen (Stellungnahme i.S. EMD c. „Nebelspalter“ vom 7. November 1996, Sammlung 1996, 121). Zumindest hätte das Publikum aber darüber informiert werden müssen, dass Frau Frey die Tragweite des behaupteten Sachverhalts bestreitet.

III. Feststellungen

1. Die Berichtigungspflicht vermag ihre Funktion nur dann zu erfüllen, wenn das Publikum unmittel-bar informiert wird, nachdem eine Redaktion Kenntnis von der Unrichtigkeit einer Meldung erhält.

2. Medienschaffende, die nicht Fakten darlegen, welche zumindest den Kern einer Aussage belegen und diese Aussage lediglich als zulässige kommentierende Übertreibung erscheinen lassen, verletzen das Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen auch bei satirischen, ironisierenden Bei-trägen und bei Klatsch-Rubriken.

3. Bei schwerwiegenden Anschuldigungen ist die Redaktion auch bei satirischen, ironisiernden Bei-trägen oder bei Klatsch-Rubriken verpflichtet, die Betroffenen vor der Publikation mit den Vorwürfen zu konfrontieren und das Publikum darüber zu informieren, wie diese dazu Stellung nehmen.