Nr. 5/1996
Arbeitsbedingungen von Pressefotografen

(Wyss c. Pro&motion AG), vom 2. August 1996

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Stellungnahme

Arbeitsbedingungen von Pressefotografen

Kulturveranstalter sollen Fotografinnen und Fotografen als eigenständige Kulturberichterstatter ernst zu nehmen und ihnen einen ungehinderten Zugang gewähren. In Ausnahmefällen notwendige Einschränkungen sind den Fotografinnen und Fotografen gegenüber zu begründen. Dabei müssen Lösungen gesucht werden, die für beide Seiten akzeptabel sind – beispielsweise eine speziell arrangierte, vollständige Fotoprobe. Zumutbar ist auch, dass sich Fotografinnen und Fotografen vertraglich verpflichten, auf eine kommerzielle Nutzung der Bilder von einem speziellen Anlass zu verzichten.

Die Redaktionen sind aufgefordert, sich vermehrt um die Arbeitsbedingungen der Fotografinnen und Fotografen zu kümmern. In einer Zeit, in der Bilder einen immer höheren Stellenwert in den Medien geniessen, darf den (Text-)Redaktionen nicht gleichgültig sein, unter welchen Bedingungen die Bilder entstehen. PR-Bilder sind als solche zu kennzeichnen. Werden Fotografinnen und Fotografen bei ihrer Arbeit über Gebühr eingeschränkt, ist dies bei der Publikation der Bilder gegenüber der Öffentlichkeit transparent zu machen.

Prise de position

Conditions de travail des photographes de presse

Les organisateurs de manifestations culturelles devraient prendre au sérieux le rôle de reporters culturels indépendants des photographes de presse et leur garantir un libre accès. Les limitations nécessaires dans des cas exceptionnels seront motivées clairement aux photographes. Dans ces cas-là, il faut chercher des solutions qui soient acceptables pour les deux parties – par exemple une séance de photos organisée spécialement avec présentation de l’intégralité de l’oeuvre. Une autre possibilité réside dans le fait que les photographes s’engagent par contrat à renoncer à tout usage commercial des photos prises lors d’une manifestation particulière.

Les rédactions sont invitées à se soucier davantage des conditions de travail des photographes. Dans une période où les médias accordent une place toujours plus importante à l’image, les rédactions (de la presse écrite) ne peuvent pas se désintéresser des conditions dans lesquelles les images sont réalisées. Les images PR doivent être désignées comme telles. Si les photographes sont limités dans leur travail par la perception de taxes, il faut le faire savoir clairement au public lors de la publication des photos.

Presa di posizione

Condizioni di lavoro dei fotografi

I fotografi devono essere considerati resocontisti autonomi e dev’essere loro assicurato un accesso senza ostacoli alle manifestazioni culturali. Se restrizioni si rendessero necessarie in via eccezionale, il motivo dev’essere spiegato agli interessati. Nel caso, devono essere ricercate soluzioni accettabili da entrambe le parti. E‘ pure ragionevole pretendere dai fotoreporter un impegno contrattuale a non fare uso commerciale di immagini riprese in determinate circostanze. Le redazioni sono invitate a preoccuparsi maggiormente delle condizioni di lavoro dei fotografi. In un’epoca contrassegnata dal valore sempre maggiore assegnato all’immagine negli organi d’informazione, i redattori della parte scritta non possono disinteressarsi delle condizioni cui i loro colleghi devono operare. Le fotografie fornite dai servizi stampa devono essere contrassegnate come tali. Quando i fotografi debbano sottostare a limitazioni eccessive, il pubblico dev’esserne informato al momento della pubblicazione delle foto.

I. Sachverhalt

A. Kurt Wyss, der bei der „Basler Zeitung“ angestellt ist, wandte sich am 17. Oktober 1995 an den Presserat. Er bat in seinem Schreiben um Untersuchung der Arbeitsbedingungen für Pressefotografen bei der Premiere des Musicals „Phantom of the Opera“, die am 12. Oktober in Basel stattgefunden hatte. Wyss beanstandete vor allem das Eingreifen von PR-Leuten in seine Arbeit. Die Angestellten der Firma Pro&motion AG und nicht er als Fotograf hätten die Kamerastandorte festgelegt und die Bilder arrangiert, monierte Wyss. Das Presseratspräsidium beschloss, den Fall aufzugreifen und überwies ihn an seine 3. Kammer, der Reinhard Eyer, Denis Barrelet, Daniela Fornaciarini, Marie-Therese Larcher, Christian Schwarz und Adi Kälin angehören. Am 14. März 1996 diskutierte die 3. Kammer den Fall und beschloss, ihn zum Anlass zu nehmen, die Zusammenarbeit von Fotografen und Kulturveranstaltern grundsätzlich zu beleuchten. Da sich der Presserat aber noch nie eingehend mit der Arbeit der Fotografen befasst hatte, wurde beschlossen, eine Umfrage bei Fotografen und Veranstaltern sowie ein Hearing durchzuführen. Eingeladen wurden Kurt Wyss, der freie Fotograf Niklaus Stauss aus Zürich sowie Philipp Schnell, Pressesprecher des Konzertveranstalters Good News Productions AG.

B. Zu den Abläufen an der Musicalpremiere in Basel äusserte sich Kurt Wyss sowohl in seinem Schreiben an den Presserat als auch im Hearing vom 25. Juni in Zürich. Heier Lämmler, der Verantwortliche der angeschuldigten Pro&motion AG, verzichtete auf eine schriftliche Entgegnung. Am Hearing hätte er sich nur gegen entsprechende Bezahlung beteiligt, was das Präsidium des Presserats allerdings ablehnte.

Die akkreditierten Pressefotografen erhielten vor der Premiere des Musicals einen detaillierten Ablaufplan für den Abend. Darin wurde unter anderem festgehalten, dass während der Aufführung keine Fotografen zum Theatersaal zugelassen würden. Aufnahmen wurden erlaubt 1. Vor der Vorstellung im Foyer: Von abgesperrten Sektoren aus durften Fotografen die prominenten Gäste aufnehmen. 2. In der Pause: Während der Pause wurden die Fotografen ins Foyer eingelassen. Nach der Pause mussten sie das Theater wieder verlassen. 3. Schlussapplaus: Nach dem letzten Vorhang durften die Fotografen auf Anweisung des Theaterpersonals in den Zuschauerraum und dort Aufnahmen machen. Zur anschliessenden Premierenfeier im grossen Saal der Messe Basel erhielten nur Fotografen mit einer speziellen Akkreditierung Zutritt (roter Fotopass).

Kurt Wyss betonte gegenüber dem Presserat, dass ihn nicht so sehr diese Rahmenbedingungen gestört hätten, sondern die Art und Weise, wie die Angestellten der Pro&motion AG seine Arbeit begleiteten und lenkten. Als er sich den Anweisungen der PR-Leute habe widersetzen wollen, um einen eigenen Kamerastandort zu wählen, seien diese handgreiflich geworden. Er habe nur fotografieren dürfen, was in die Marketingstrategie der Firma gepasst habe und sei damit zum „Exekutionsorgan der Firma Pro&motion AG“ geworden. Die Angestellten hätten ihr Verhalten ihm gegenüber nicht begründet, erläuterte Wyss am Hearing. Sie hätten einfach auf ihre Rolle als Hausherren gepocht. Wenn die Fotografen schon zu einer Veranstaltung eingeladen würden, sollten sie sich auch frei bewegen dürfen, findet Kurt Wyss.

Vor der Premiere hatten die Fotografen Gelegenheit, an einer speziell arrangierten Fotoprobe Bilder zu machen. Wyss begrüsst diese Einrichtung grundsätzlich, lehnt jedoch vehement die Praxis ab, dass nur Teile einer Theaterproduktion vorgeführt werden. Im Fall von „Phantom of the Opera“ seien es nur gerade zwei Szenen gewesen, wovon eine bei Kerzenlicht. Der Veranstalter habe damit eine faktische Zensur ausgeübt, um zu erreichen, dass in der Öffentlichkeit das Bild erscheine, das seinen PR-Absichten am dienlichsten sei. Dieses Ziel habe der Veranstalter erreicht. Wo immer in der Schweiz über das Musical berichtet worden sei, habe man immer wieder genau dasselbe Bild gesehen.

C. Der Presserat führte die Umfrage zum Verhältnis zwischen Fotografen und Kulturveranstaltern mit zwei verschiedenen Fragebogen durch. Mit dem einen erfragte er die Erfahrungen der Fotografen, im andern sollten Veranstalter die gängige Praxis in ihrem Haus vorstellen und allf
ällige Einschränkungen für Fotografen begründen. An der Umfrage haben sich 16 Medienleute beteiligt, hauptsächlich Fotografinnen und Fotografen. Die Auswahl verteilt sich etwa gleichmässig auf freie und angestellte Fotografen. Geantwortet haben aber auch ein Agenturfotograf sowie Redaktoren, die für ein Fototeam oder das Kulturressort zuständig sind. Die Umfrage wurde praktisch überall gut aufgenommen. Nur gerade eine Kulturredaktion in Basel brachte ihr grundsätzliches Desinteresse zum Ausdruck. 12 Kulturveranstalter füllten den für sie gefertigten Fragebogen aus. Die Auswahl wurde bewusst breit angelegt und reicht von der Boulevardbühne, über das Festival mit klassischer Musik bis zum Stadttheater. Selbstverständlich kann die Umfrage keinerlei Repräsentativität beanspruchen. Die Resultate werden denn auch nicht zahlenmässig aufgeschlüsselt, sondern erscheinen in eher summarischer Form.

D. Fast alle befragten Medienleute sind sich einig, dass sich in den letzten Jahren ihre Arbeitsbedingungen verschlechtert haben. Das „PR-Bewusstsein“ der Veranstalter, wie es ein Fotograf ausdrückt, habe sich verstärkt, ein „Herr im Haus“-Standpunkt werde unverhohlener hervorgekehrt. Vor allem freie Fotografen und Fotografinnen müssen mit immer grösseren Einschränkungen von seiten der Veranstalter leben. „Ich habe den Eindruck, dass in PR-Kursen das Manipulieren von Fotografen unterrichtet wird“, schreibt ein Fotograf in seinem Fragebogen.

Bei den meisten Kulturhäusern hat sich eingebürgert, dass während der Vorführung (v.a. Theater) nicht mehr fotografiert werden darf. Dafür wird die Möglichkeit geboten, während einer speziellen Fotoprobe oder während der Generalprobe Bilder aufzunehmen. Dies wird von allen befragten Fotografinnen und Fotografen begrüsst. Das sei die einzig richtige Lösung. Eine spezielle Fotoprobe ermögliche Bilder von grösserer Qualität, wurde etwa geschrieben. Nur gerade eine Befragte findet, man müsse die Probenbilder in der Zeitung auch als solche deklarieren. Einzelne Befragte kritisieren, dass bei speziellen Fotoproben nur Ausschnitte der Produktion gezeigt werden: „Berichterstatten heisst, über den ganzen Anlass zu berichten“, heisst es in einem Fragebogen. Ideal sei die Lösung, Fotografen bei Hauptproben zuzulassen. Dann stehe die Inszenierung meist schon, zudem seien Kostüme und Bühnenbild dieselben wie bei der Premiere.

Eingebürgert hat sich bei vielen Kulturveranstaltern auch der Hausfotograf (Der Kulturveranstalter engagiert einen Fotografen und bietet dessen Bilder interessierten Redaktionen zum Abdruck an) Diese Einrichtung wird von sämtlichen Befragten begrüsst – unter anderem als Verdienstmöglichkeit für freie Fotografinnen/Fotografen. Allerdings machen auch alle Befragten klar, dass der Hausfotograf nicht als Vorwand für ein Fotoverbot für sämtliche anderen Fotografen herangezogen werden darf. Eine Redaktion beklagt sich darüber, dass die abgegebenen PR-Bilder noch zusätzlich honoriert werden müssen (entweder zu BR-Ansatz oder mit einer Pauschale von beispielsweise 50 Franken).

Die Mehrheit der Befragten lehnt die übliche Drei-Stücke-Regel bei Rockkonzerten ab (Fotografiert werden darf nur während der ersten drei Nummern, dann werden die Fotografen von Angestellten des Veranstalters weggeführt). Die Abmachung erlaubt zwar den besseren Zugang zur Bühne, verhindert aber spezielle Bilder. Es wird moniert, dass selbst Übersichtsbilder der Rockveranstaltung verboten werden. Ein einziger Befragter findet die zeitliche Einschränkung in Ordnung, weil ihm der Zeitdruck ein Bleiben bis zum Schluss der Veranstaltung sowieso nicht erlauben würde.

Dass spezielle Zonen ausgeschieden werden, in denen Fotografen sich bewegen dürfen, ist praktisch nur bei Grossveranstaltungen üblich. Meist wird die Massnahme mit Sicherheitsaspekten begründet. Die Fotografen, die mit der Massnahme schon konfrontiert waren, beurteilen sie unterschiedlich. Zum einen sieht man die Situation, aus einem eingezäunten Bereich heraus Prominente fotografieren zu müssen, als künstlich an („Ein Theaterfoyer ist doch kein Zoo“), zum andern wird die Möglichkeit gelobt, näher an die Prominenten herankommen zu können.

Bei vielen Kulturanlässen wird die Zahl der Fotografinnen und Fotografen eingeschränkt. Zum Teil werden die Fotografen der lokalen Medien bevorzugt, zum Teil werden Agenturfotografen ausgeschlossen, zum Teil wird das Fernsehen vor den Mitarbeitern der Printmedien bevorzugt. Eine Redaktorin beklagt, dass kleinere Zeitungen zu Grossveranstaltungen oft gar nicht zugelassen werden. Fotografinnen und Fotografen, die keine festen Abnehmer (Redaktionen) für ihre Bilder haben, werden oft diskriminiert. Begründet wird diese Einschränkung meist mit den Forderungen der Künstler. Viele der Befragten zeigen Verständnis dafür. „Ich akzeptiere den Wunsch der Künstler, nicht aber den der Manager“, heisst es in einem Fragebogen. Mehrere Befragte kritisieren in diesem Zusammenhang das Verhalten einiger ihrer Kollegen, das gewissermassen die Einschränkungen legitimiere: „Leider gibt es unter den Fotografen Rüpel, die sich schlecht benehmen“. „Manchmal schäme ich mich wirklich für meine Kollegen“.

Einzelne Befragte schildern weitere Einschränkungen, denen sie sich bei ihrer Arbeit ausgesetzt sehen:

Es gebe Architekten, die den Fotografen vorschreiben wollten, wie ihre Gebäude aufzunehmen seien. Einzelne Künstler wünschten die Bilder vor Veröffentlichung einzusehen, um allenfalls ein Publikationsverbot auszusprechen (Niklaus Stauss erwähnte an seinem Hearing konkrete Fälle von Opernstars, die am Opernhaus Zürich beschäftigt waren). Um zu einer Veranstaltung zugelassen zu werden, müssen freie Fotografen oft früher gemachte Bilder vorlegen.

Bei den möglichen Massnahmen gegen inakzeptable Einschränkungen werden vor allem die Redaktionen zum Handeln aufgefordert. Am meisten genannt wurde die Möglichkeit, im Einzelfall auf eine Bildpublikation zu verzichten. Zudem sollte sich nach Ansicht der Befragten die verantwortliche Redaktion stärker um die Arbeitsbedingungen der Fotografen kümmern. Wenn ein Bild unter inakzeptablen Bedingungen entstanden ist, sollte das in der Zeitung deklariert werden. Dieser Meinung sind rund die Hälfte aller Befragten. Ebenfalls die Hälfte ist der Meinung, dass sich Fotografen zusammentun sollten, um gemeinsam auf die Veranstalter Einfluss zu nehmen.

E. An der Umfrage der Kulturveranstalter beteiligten sich Verantwortliche von: Stadttheater St. Gallen, Tonhalle Zürich, Opernhaus Zürich, Show and Music AG, Atelier-Theater Bern, Stadttheater Bern, Theater Neumarkt Zürich, Bernhard-Theater Zürich, The Black Box Basel, Good News Productions AG, Internationale Musikfestwochen Luzern und Montreux Jazz Festival. Je nach Sparte werden die Fotografen mehr oder weniger stark eingeschränkt bei ihrer Arbeit. Die grössten Schwierigkeiten ergeben sich im Bereich der klassischen Musik. So sind bei den Internationalen Musikfestwochen in Luzern – neben den Hausfotografen – nur die Luzerner Tageszeitungen zugelassen. „Auf Anfrage und nach strenger Kontrolle“ könnten sich auch einzelne Presse- oder Agenturfotografen akkreditieren. Zuvor allerdings würden Bewerberinnen und Bewerber zu einem kurzen „Sichkennenlernen“ gebeten, weil die persönliche Bekanntschaft Gewähr für eine gute Zusammenarbeit biete. In der Tonhalle Zürich darf ebenfalls nur sehr eingeschränkt fotografiert werden. Die Konzentration der Musiker könnte durch Lärm und Bewegung der Fotografen eingeschränkt werden, schreibt die Tonhalle. In jedem Fall werde der Wunsch des Orchesters berücksichtigt, auch wenn dieses ein uneingeschränktes Foto-Verbot ausspreche.

Auch die Veranstalter von Rock-Konzerten berufen sich auf die Vorgaben der Künstler oder ihrer Agenturen. „Generell haben wir nur Vorschriften von Künstlern oder deren Management, die zu Einschränkungen führen“, schreibt etwa Good News. Die Vorgaben der Künstleragenturen gleichen sich und sind heute die Regel. Meist werden sie auc
h von den Veranstaltern ohne Abstriche umgesetzt. Black Box schreibt immerhin, dass sie Verträge, bei denen Fotografen generell ausgeschlossen werden sollen, auch im eigenen Interesse nicht abschliessen würden. Falls sich ein Veranstalter nicht an die Vorgaben halte, könne sich der Künstler weigern, aufzutreten, heisst es in der Antwort des Jazzfestivals Montreux. Dies könne dann zu unkontrollierbaren Situationen im Zuschauerraum führen. Philipp Schnell, Pressesprecher der Good News AG meinte im Hearing, die lokalen Veranstalter seien heute in erster Linie ausführende Organe des Künstler- bzw. Tourneemanagements. 90 Prozent der Vorschriften, die Fotografen betreffen, seien von Künstlerseite vorgegeben. Grundsätzlich bestehe meist kein freier Zugang für Fotografen. In der Regel könne aber während der ersten drei Stücke vor der Bühne fotografiert werden. Dies sei weltweit Usus. eine offizielle Begründung werde nicht mitgeliefert, seines Erachtens hat es vor allem mit der Eitelkeit der Künstler zu tun, die nicht verschwitzt und müde abgelichtet werden wollen. Auch während der drei Stücke dürfen sich Fotografen nicht frei bewegen. Übersichtsfotos etwa seien nicht erlaubt, insbesondere weil keine Gewähr geboten sei, dass sich Fotografen an die Vereinbarungen halten würden. Freie Fotografen oder Mitarbeiter von Agenturen seien in der Regel nur zugelassen, wenn sie einen konkreten Auftrag eines Mediums hätten, erläuterte Schnell. Bei diesen Fotografen sei die Kontrolle über die Weiterverbreitung von Bildern nicht gewährleistet. Mit der Akkreditierung müssten alle Fotografen einen Vertrag unterschreiben, der ihnen verbietet, ihre Bilder ausserhalb der Konzertberichterstattung zu verwenden. Es gebe auch Versuche von Künstleragenturen, die Bilder vor Veröffentlichung einzusehen. Dies scheitere aber meist an Zeitproblemen. Bei eingeschränkten Platzverhältnissen oder entsprechenden Vorgaben des Band-Managements muss eine Auswahl unter den Fotografen getroffen werden. Diese richte sich nach Auflage, Verbreitung und Bedeutung der Medien. Wichtig sei für Good News eine breite geographische Abdeckung. Mit den Fotografen, die von der Liste gestrichen werden, nehme man Kontakt auf und versuche eine Pool-Lösung zu vereinbaren. Es gebe im übrigen keine Exklusivverträge mit einzelnen Fotografen, im Minimum würden sechs Fotografen zugelassen.

Im Theaterbereich scheint die Zusammenarbeit problemloser zu sein. Fast sämtliche Veranstalter berichten von guten Erfahrungen – was meist auch von seiten der Fotografen bestätigt wird. Bei sämtlichen festen Theaterbetrieben, die sich an der Umfrage beteiligt haben, wird eine Fotoprobe durchgeführt. Praktisch überall wird auch – zusätzlich! – ein Hausfotograf beschäftigt. Wo sich die Fotoproben eingebürgert haben, darf in der Regel bei der Premiere nicht mehr fotografiert werden.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hat sich in den letzten Jahren nur in Einzelfällen mit Bildjournalismus beschäftigt. Es gibt daher kaum Stellungnahmen, die für die vorliegende Fragestellung von Belang wären. Im weiteren Sinn können die Überlegungen, die in der Stellungnahme 9/92 (elektronische Manipulation von Bildern) veröffentlicht wurden, herangezogen werden. Die besondere Bedeutung des Pressefotos sah der Presserat damals in einer „gegenüber dem gesprochenen und geschriebenen Wort erhöhten Beweiskraft“. Angesichts dieses Stellenwerts als einer „authentischen Abbildung einer Wirklichkeit“ müssten auch die Anforderungen an Pressefotografen, Bildjournalisten und Bildredaktoren besonders hoch sein. Bildmanipulationen, die nicht ausdrücklich als solche gekennzeichnet seien, würden den Betrachter deshalb in die Irre führen, „weil dieser eine Abbildung der ‚Wirklichkeit‘ vor sich zu haben glaubt.“ Dieser Passus kann analog für Pressebilder herangezogen werden, die unter inakzeptablen Bedingungen entstanden sind. Es liegt zwar – im Gegensatz zur Bildmanipulation – keine bewusste Täuschung vor, unter Umständen vermittelt der Fotograf aber wegen der einschränkenden Rahmenbedingungen nicht das Bild eines Anlasses, das sich aus journalistischen Überlegungen aufgedrängt hätte. Der Betrachter des Bildes erfährt meist nichts von dessen Entstehungsgeschichte und muss auch hier gutgläubig davon ausgehen, dass er ein möglichst authentisches Bild vermittelt bekommt.

2. Massgebend für die Beurteilung des vorliegenden Falls ist Buchstabe a der Rechte der Journalistinnen und Journalisten: „Sie haben freien Zugang zu allen Informationsquellen und die Freiheit zur unbehinderten Ermittlung aller Tatsachen, die von öffentlichem Interesse sind; die Geheimhaltung kann dabei den Journalistinnen und Journalisten gegenüber nur in Ausnahmefällen und nur mit klarer Darlegung der Gründe geltend gemacht werden.“ Der „freie Zugang zu den Informationsquellen“ wird bei Kulturveranstaltungen aus den verschiedensten Gründen eingeschränkt, die je nach Sparte auch nachvollziehbar sind. So können etwa bei Veranstaltungen mit ruhigeren Momenten (wie E-Musik-Konzerte oder Theaterveranstaltungen) Kamerageräusche oder das Wechseln der Standorte von Fotografen als störend empfunden werden. Blitzgeräte (die allerdings von professionellen Kulturfotografen praktisch nicht mehr verwendet werden) könnten die Konzentration der Künstlerinnen und Künstler stören. Plausibel erscheint auch der Einwand von Kulturveranstaltern, dass sich Zuschauerinnen und Zuschauer durch eine zu grosse Anzahl Fotografen, die vor der vordersten Sitzreihe arbeiten, in ihrem Kulturerlebnis eingeschränkt fühlen könnten. Auf der andern Seite wissen sowohl die Zuschauer als auch die Auftretenden um die Besonderheiten einer Premiere. Mit einer minimalen Beeinträchtigung müssen beide leben können.

3. Aus der Konfliktsituation zwischen den Ansprüchen der Medienleute und der Kulturveranstalter haben sich in den letzten Jahren Lösungsansätze ergeben, die aus medienethischer Sicht recht unterschiedlich beurteilt werden müssen. Ein akzeptabler Kompromiss ist die Fotoprobe, die sich bei den meisten Theaterhäusern eingebürgert hat. Statt bei der Premiere dürfen Fotografen bei der Hauptprobe oder einer speziell arrangierten Fotoprobe ihre Aufnahmen machen. Die Fotografen selber begrüssen diese Einrichtung in der Regel, weil sie ihnen bessere Arbeitsbedingungen gewährt. Diese Fotoprobe muss allerdings einigen Mindestanforderungen genügen. So ist es beispielsweise völlig inakzeptabel, wenn den Fotografen nur wenige Szenen des Stücks vorgeführt werden. Fotografinnen und Fotografen sollen die Möglichkeit haben, der gesamten Aufführung beizuwohnen und sich ihre Szenen aus dem Stück selber auszuwählen. Keinem Kulturveranstalter würde es einfallen, schreibenden Journalisten nur Teile der Produktion vorzuführen. Fotografinnen und Fotografen sollen in genau derselben Art als reflektierende, kritische und wertende Medienvertreter behandelt werden.

4. Viele Kulturinstitute beschäftigen heute sogenannte Hausfotografen, die eine Produktion begleiten und fotografisch dokumentieren. Der Veranstalter stellt eine Auswahl dieser Bilder interessierten Redaktionen zur Verfügung. Viele Redaktionen schätzen diese Dienstleistung und drucken die gelieferten Bilder ab. Daran muss im Prinzip nicht gerüttelt werden, solange die Bilder klar als PR-Produkte deklariert werden (PD-Bild, Pressedienst o.ä.) und solange der Hausfotograf nicht als Vorwand dient, sämtliche übrigen Fotografinnen und Fotografen auszuschliessen. 5. Hans Magnus Enzensberger stellte in seinem stark beachteten Artikel „Rezensenten-Dämmerung“ (NZZ vom 13. Dezember 1988) die provokante Frage, seit wann es eigentlich keine Kritiker mehr gebe. Weitere Autoren beklagten in den folgenden Jahren den schleichenden Wechsel von der wertenden Kritik zur mehr biografischen, anekdotischen Berichterstattung, beispielsweise Christian Rentsch in seinem Leitartikel „Eine Bratwurst kann man nicht hinterfragen – oder: vom allmählichen Verschwinden der Kritik“ (Tages-Anzeiger vom 11. Juli 1992). Die Diskussion hätte heut
e, wenn es sie denn noch gäbe, an Schärfe gewonnen. Nicht mehr der Trend, Kulturereignisse biografisch (mit Porträts, Probenberichten, Kurzinterviews) anzugehen, stünde heute zur Debatte, sondern die immer weiter verbreitete Praxis, Dokumentationen von Künstleragenturen praktisch unbesehen zu übernehmen, sich ungeniert einspannen zu lassen für die PR-Zwecke von Kulturveranstaltern. Was für die schreibenden Journalistinnen und Journalisten gilt, hat genau so Gültigkeit für Pressefotografen: Die Veranstalter haben ein grundsätzliches Interesse daran, ihre Produktionen im besten Licht erscheinen zu lassen. Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten ist es dagegen, die kritische Distanz zu wahren und im Einzelfall eine Aufführung als misslungen beurteilen zu können. Werden den Fotografen – wie im Fall der Premiere von „Phantom of the Opera“ – nur wenige Ausschnitte aus der Produktion vorgeführt, können sie dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen. Sie werden zwangsläufig zum ausführenden Organ der veranstaltenden Kulturorganisation und tragen letztlich – mit denselben Bildern, die für Werbezwecke verwendet werden – zur Verflachung der Kulturberichterstattung insgesamt bei.

6. Dasselbe gilt auch für die sogenannte Drei-Stücke-Regel bei Rockveranstaltungen. Nach Ansicht des Presserats dient diese (meist vertraglich abgesicherte) Praxis ausschliesslich der Imagepflege der auftretenden Künstlerinnen und Künstler – eine Ansicht, die auch der Pressesprecher von Good News im Hearing teilte. Auch er war der Meinung, die Einrichtung habe vor allem mit der Eitelkeit der Auftretenden zu tun, die sich nicht gern müde und verschwitzt ablichten lassen wollten. Aus journalistischer Sicht ist die Drei-Stücke-Regel deshalb zu verurteilen. Weil sie aber mittlerweile international gebräuchlich ist, scheint es unmöglich, dass sie in Kürze abgeschafft werden könnte. Zu begrüssen wäre hingegen, wenn die Praxis wenigstens öffentlich gemacht und entsprechend angeprangert würde.

7. Aufs schärfste verurteilt der Presserat sämtliche Versuche von Künstlerinnen und Künstlern, nachträglich die Bilder von Pressefotografinnen und -fotografen zu begutachten und über eine allfällige Veröffentlichung zu entscheiden. Künstler machen sich durch ihren Auftritt vor Publikum zu Personen des öffentlichen Interesses und verlieren damit die Kontrolle über die Bilder, die man von ihnen in diesem Zusammenhang macht. Medienvertreter, die sich auf derartige Praktiken einlassen, machen sich selber zu PR-Leuten der Künstleragenturen.

8. Unhaltbar ist auch die weit verbreitete Praxis, nur ausgewählte Fotografinnen und Fotografen zu einer Veranstaltung zuzulassen. Bei Grossanlässen mit genügend Platzreserven gibt es keine plausible Begründung für diese Massnahme. Die Kriterien, nach denen die (wenigen) Fotografen ausgewählt werden, folgen den Eigeninteressen der Veranstalter. Den Vorzug erhalten die Medien mit der grösseren Auflage und also der grösseren Bedeutung für die Organisatoren. Kleinere Zeitungen sind in der Folge darauf angewiesen, die vom Veranstalter gelieferten PR-Bilder abzudrucken. Der Verzicht aufs Bild (mit entsprechendem Hinweis auf die Hintergründe) erweist sich nicht als taugliches Mittel, gegen diese Praxis vorzugehen. Dies zeigen auch die Umfrage-Ergebnisse: Kleinere Zeitungen, die einen derartigen Bild-Boykott schon praktiziert haben, stossen bei ihren Leserinnen und Lesern meist auf Unverständnis, die Veranstalter scheren sich wenig darum. Eine Lösung ist nach Ansicht des Presserats nur im gemeinsamen Vorgehen der Fotografinnen und Fotografen zu finden. Die Mitarbeiter kleiner und grösserer Zeitungen sollen versuchen, mit den Veranstaltern gleiche Arbeitsbedingungen für alle zu erreichen. Im Einzelfall ist auch eine Pool-Lösung denkbar: Pressefotografinnen und -fotografen, die beim Anlass zugelassen sind, arbeiten auch für die Medien, die ausgeschlossen wurden.

9. In der Umfrage zeigte sich deutlich, dass sich die Textredaktionen in der Regel wenig bis gar nicht um die Arbeitsbedingungen der Fotografinnen und Fotografen kümmern. In 13 der 16 Fragebogen war auf die Frage „Wer kümmert sich in der Regel um die Arbeitsbedingungen der Fotografinnen und Fotografen“ angekreuzt: „Sie selber“. Zweimal wurde die Bildredaktion erwähnt, einmal hiess es: „In der Regel niemand“. Dieser Befund kontrastiert seltsam mit der Tatsache, dass bei den meisten Redaktionen dem Bild eine immer grössere Bedeutung beigemessen wird. Allerdings scheint sich das verstärkte Interesse vorläufig auf den Bereich der Zeitungsproduktion zu beschränken. Die Herstellungsbedingungen für die Bilder haben offensichtlich noch nicht die Aufmerksamkeit erlangt, der sie eigentlich bedürften. An der weitgehend eingeschliffenen Praxis in der Bildberichterstattung kann sich nur etwas ändern, wenn die (Text-)Redaktionen sich für die Rechte der Fotografinnen und Fotografen einsetzen und sich dafür verwenden, inakzeptable Einschränkungen öffentlich zu machen.

10. Die Premiere des Musicals „Phantom of the Opera“ hat den Fotografinnen und Fotografen insgesamt inakzeptable Arbeitsbedingungen geboten. Das Foto-Verbot bei der Premiere hätte sich zwar rechtfertigen lassen, weil zuvor eine Fotoprobe arrangiert worden war. Diese beschränkte sich allerdings auf wenige Ausschnitte der Produktion, so dass die Fotografinnen und Fotografen nur jene Bilder machen konnten, die dem Veranstalter ins Werbekonzept passten. Bei der Premiere selber wurden die Fotografen über Gebühr an ihrer Arbeit gehindert. Wenn Fotografen zu einem Anlass zugelassen werden, muss ihnen auch Gelegenheit geboten werden, sich die Standorte für ihre Aufnahmen selber zu wählen. Daran wurden sie bei „Phantom of the Opera“ gehindert, im Fall von Kurt Wyss gar mit Gewalt. In Ausnahmefälle sind nach Buchstabe a der Rechte der Journalistinnen und Journalisten Zugangsbeschränkungen möglich. Diese müssen allerdings plausibel begründet werden. Auch in diesem Punkt haben die Veranstalter von „Phantom of the Opera“ gegen die „Erklärung“ verstossen: Begründungen für die verhängten Einschränkungen wurden nicht abgegeben. Diese Überlegungen gelten analog für die anschliessende Premierenfeier im grossen Saal der Messe Basel. Eine Party hat zwar im Prinzip einen weniger öffentlichen Charakter als eine Theaterpremiere. Werden jedoch Pressevertreter explizit eingeladen, wird der Anlass de facto öffentlich, und den Fotografinnen und Fotografen muss das Recht eingeräumt werden, ungehindert ihrer Arbeit nachgehen zu können.

III. Feststellungen

1. Genau so wie schreibende Journalisten sind Pressefotografinnen und -fotografen darauf angewiesen, ungehinderten Zugang zu Kulturanlässen zu erhalten, um sich ein eigenes Bild der Veranstaltung machen zu können. Der Presserat fordert die Organisatoren auf, Fotografen als eigenständige Kulturberichterstatter ernst zu nehmen und ihnen diesen Zugang zu ermöglichen. Sollten in Ausnahmefällen Einschränkungen unumgänglich sein, sind sie den Fotografen gegenüber klar zu begründen. Die Arbeitsbedingungen sind gemeinsam mit den interessierten Fotografen auszuhandeln.

2. Die Arbeit von Fotografinnen und Fotografen kann im Einzelfall eine Kulturveranstaltung über Gebühr stören. Kann der Veranstalter dies plausibel begründen, müssen Lösungen gesucht werden, die für beide Seiten akzeptabel sind – beispielsweise eine speziell arrangierte, vollständige Fotoprobe. Zumutbar ist auch, dass sich Fotografinnen und Fotografen vertraglich verpflichten, auf eine kommerzielle Nutzung der Bilder von einem speziellen Anlass zu verzichten. Die journalistische Nutzung zu einem späteren Zeitpunkt kann hingegen vertraglich nicht ausgeschlossen werden. Aus berufsethischer Sicht sind Verträge, die den Künstlern das Bestimmungsrecht über die Fotos einräumen, grundsätzlich abzulehnen.

3. Die Redaktionen sind aufgefordert, sich vermehrt um die Arbeitsbedingungen der Fotografinnen und Fotografen zu kümmern. In einer Zeit, in der Bilder einen immer höheren Stellen
wert in den Medien geniessen, darf den (Text-)Redaktionen nicht gleichgültig sein, unter welchen Bedingungen die Bilder entstehen. PR-Bilder sind als solche zu kennzeichnen. Werden Fotografinnen und Fotografen bei ihrer Arbeit über Gebühr eingeschränkt, ist dies bei der Publikation der Bilder gegenüber der Öffentlichkeit transparent zu machen.

4. Bei der Premiere des Musicals „Phantom of the Opera“ bot der Veranstalter den Fotografinnen und Fotografen insgesamt inakzeptable Arbeitsbedingungen.