Nr. 16/2016
Anonyme Kommentare

(Gemeinde Bözberg c. «Aargauer Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 2. Juni 2016

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I. Sachverhalt

A. Am 26. November 2014 wandte sich der Gemeinderat der Gemeinde Bözberg mit einer Beschwerde an den Schweizer Presserat. Darin macht er geltend, Kommentare zu einzelnen Artikeln könnten in der Online-Ausgabe der «Aargauer Zeitung» (AZ) unter falschem Namen und mit nichtssagenden Verfassertiteln abgegeben werden. Er stellt den Antrag, die Kommentare in AZ-online so einzurichten, dass keine Kommentare mehr anonym oder unter falschem Namen und ohne Wohnort abgegeben werden können, wobei die jeweiligen Angaben vor der Veröffentlichung zu verifizieren wären. Am Beispiel eines Artikels über den Schulbuskurs der Gemeinde Bözberg präsentiert der Gemeinderat Bözberg eine Auswahl von 16 Kommentaren, die zum Teil mit Fantasienamen wie «Nach denkliche», «Weiterer Beobachter», «Stiller Beobachter», «Housi Berg», «von Bözberg Insiderin», «Neugieriger Bözberger», «Echter Bözberger», «Böz berg» gezeichnet sind. Dabei handle es sich allesamt um anonyme Kommentare. Bei einem weiteren, mit vollständigem Namen gezeichneten Kommentar macht der Gemeinderat geltend, eine solche Person gebe es auf dem Bözberg nicht, sondern einzig eine Person in Zürich, welche aber mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht die AZ lese. Die gleiche Person habe zudem einen früheren Kommentar unter anderem Namen praktisch gleichen Inhalts abgegeben. Bei der Signatur «Pensionierter Gemeindeschreiber» handle es sich ebenfalls um einen anonymen Kommentar. Die Gemeinde Bözberg habe nur einen pensionierten Gemeindeschreiber. Dieser habe sich ebenfalls online unter vollem Namen gegen diesen Kommentar gewehrt und festgehalten, dass er diesen Kommentar nicht verfasst habe.

B. In ihrer Stellungnahme vom 19. Januar 2015 führten Christian Dorer, Chefredaktor, und Rolf Cavalli, Stellvertretender Chefredaktor & Chef Digitale Medien der «Aargauer Zeitung», aus, es sei weltweit Usus, dass man sich als User von Chats, Kommentarforen von Newssites etc. auch mit einem Nickname äussern könne und keine Wohnangabe machen müsse. So handhabe das auch die AZ. Entscheidend für die Veröffentlichung von Kommentaren seien für sie zwei Dinge: Der Kommentarschreiber müsse für die Redaktion im Zweifelsfall identifizierbar sein. Melde sich auf Anfrage der AZ ein Leser nicht (Mailadresse), könne dieser gelöscht und gesperrt werden. Weiter müsse der Inhalt den Richtlinien der AZ für Kommentare entsprechen. Im Kommentarfeld sei unter dem Titel «Fragen und Antworten rund um die Kommentar-Funktion» immer angemerkt, dass u.a. Beiträge, die Beleidigungen, Verleumdungen oder Diffamierungen enthalten bzw. in Dialekt verfasst oder überlang sind, nicht veröffentlicht würden. Die Beiträge würden von der Redaktion vorab gesichtet, bevor sie online gingen. Wer sich zudem einen Account mit Login zulege und als eingeloggter User einen Beitrag schreibe, werde vorrangig behandelt. Die veröffentlichten, aber von der Gemeinde Bözberg beanstandeten Kommentare seien inhaltlich aus Sicht der AZ unproblematisch. Ein Outing des Users auf Druck der Gemeinde komme für die AZ nicht in Frage. Dies werde höchstens bei Strafuntersuchungen auf Anfrage von Untersuchungsbehörden in Erwägung gezogen und auch dann zurückhaltend gehandhabt. Richtig sei, dass die AZ – genauso wie andere Newsportale – ihren Umgang mit Online-Kommentaren immer wieder hinterfrage, beurteile und anpasse. Allerdings autonom, ohne Druck von Gemeindebehörden und immer in Berufung auf die Meinungsfreiheit.

C. Am 15. April 2015 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann. Dieses hat die vorliegende Stellungnahme per 2. Juni 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer stellt den Antrag, die Kommentare in AZ-online seien so einzurichten, dass keine Kommentare mehr anonym oder unter falschem Namen und ohne Wohnort abgegeben werden könnten, wobei die jeweiligen Angaben vor der Veröffentlichung zu verifizieren wären. Der Presserat trifft in seinen Stellungnahmen Feststellungen und erlässt Empfehlungen. Er hat keine Sanktionsmöglichkeiten (Art. 17 Abs. 2 Geschäftsreglement) und er kann der AZ keine Weisungen in Bezug auf die Ausgestaltung ihrer Online-Kommentarseite erteilen. Insofern ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

2. Die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinie 5.3 lautet wie folgt: «Leserbriefe und Online-Kommentare sind in der Regel mit dem Namen zu zeichnen. Sie werden nur bei begründeten Ausnahmen anonym veröffentlicht, beispielsweise um schützenswerte Interessen (Privatsphäre, Quellenschutz) zu wahren. Online-Diskussionsforen, welche auf unmittelbare spontane Reaktionen ausgerichtet sind, können ausnahmsweise auf die Identifizierung des Autors verzichten, sofern die Redaktion die Kommentare vorgängig kontrolliert und auch hier sicherstellt, dass sie keine ehrverletzenden oder diskriminierenden Kommentare veröffentlicht.»

Vorliegend handelt es sich um normale Online-Kommentare und um keine Online-Diskussionsforen, welche auf unmittelbare spontane Reaktionen ausgerichet sind. Der Presserat hat in seiner Stellungahme 37/2015 zum Thema anonyme Kommentare festgehalten, zwar seien Pseudonyme im Internet sehr verbreitet, sie hätten jedoch keinen Platz in den Online-Kommentaren von Medien-Webseiten. Zwar sei es zu begrüssen, dass die Redaktion die Namen der Personen kenne, die sich hinter einem Pseudonym versteckten, dieses Wissen allein sorge jedoch nicht für Transparenz bei der Leserschaft. Online-Kommentare würden zur öffentlichen Debatte beitragen und der Leser habe das Recht, deren Urheber zu kennen, um Aussagewert und Stichhaltigkeit von deren Beitrag einschätzen zu können.

In ihrer Stellungnahme weist die AZ darauf hin, dass die Redaktion die Kommentare vorab sichte, bevor sie online gehen. Hingegen macht sie nicht geltend, es lägen – wie von Richt-linie 5.3 gefordert – begründete Ausnahmen vor, die eine Veröffentlichung von anonymen Kommentaren rechtfertigten. Diese Praxis der AZ verstösst somit gegen Ziffer 5 der «Erklärung», denn es reicht nicht, dass ein Kommentarschreiber für die Redaktion im Zweifelsfall identifizierbar ist. Die Aussage der AZ, wonach ein Leser gelöscht oder gesperrt werden könne, wenn er sich auf die Mailnachfrage der AZ nicht melde, lässt zudem eher darauf schliessen, dass eine Überprüfung offenbar nur in Ausnahmefällen vorgenommen wird.

Soweit der Beschwerdeführer darüber hinausgehend fordert, Kommentarschreiber müssten nicht nur mit Namen, sondern auch mit Wohnortangabe identifiziert werden können, ist ihm nicht zu folgen. Die Zeichnungspflicht für Autorinnen und Autoren von Leserbriefen bzw. Online-Kommentaren verlangt laut Praxis des Presserats keine über den tatsächlichen Namen hinausgehende Identifizierung.


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird in der Hauptsache gutgeheissen, soweit auf sie eingetreten werden kann.

2. Indem die «Aargauer Zeitung» Online-Kommentare unter Pseudonymen veröffentlichte ohne Notwendigkeit, deren Verfasser zu schützen, hat sie Ziffer 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.