Nr. 20/2003
Anhörung bei schweren Vorwürfen / Berichtigungspflicht

(X. c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 2. Mai 2003

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I. Sachverhalt

A. Am 6. Dezember 2002 thematisierte die «Basler Zeitung» (nachfolgend: BaZ) unter dem Titel «Ehemalige Nachtlokal-Pächter klagen an», den raschen Pächterwechsel im ehemaligen Nachtlokal Z. in Y. und das von den ehemaligen Pächtern scharf kritisierte Verhalten des Vermieters dieser Liegenschaft.

B. Am 22. Dezember 2002 gelangte der im Artikel mehrfach namentlich genannte Vermieter, X., mit einer Beschwerde an den Presserat. Er rügte, die BaZ habe mit der Publikation des obengenannten Artikels die Ziffern 1, 3, 5, 7 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Insbesondere hätte die Verfasserin, Franziska Laur, ihn vor der Publikation mit sämtlichen schwerwiegenden Vorwürfen einzeln konfrontieren müssen. Diese habe ihn – nach einem ersten Zusammentreffen anlässlich eines Gerichtsverfahrens am 20. März 2002 – jedoch einzig im Mai 2002 kontaktiert und kurz zu den in letzter Zeit häufigen Pächterwechseln befragt. Die Journalistin habe ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, dass sie anschliessend mit den Pächtern reden und einen Artikel schreiben werde, ohne ihn vorgängig mit den nun veröffentlichten schwerwiegenden und sachlich falschen Vorwürfen der Pächter zu konfrontieren.

Nach der Veröffentlichung des beanstandeten Artikels habe er den Abdruck einer Klarstellung verlangt, welche jedoch von der Redaktion fortlaufend immer stärker gekürzt und jedenfalls bis zur Beschwerdeeinreichung nicht abgedruckt worden sei.

Darüber hinaus beanstandet der Beschwerdeführer verschiedene Passagen des beanstandeten Berichts als tatsachenwidrig und persönlichkeitsverletzend. Soweit tunlich wird darauf in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

C. Mit Schreiben vom 21. Februar 2003 führte der Chefredaktor der BaZ in Beantwortung eines Schreibens des Rechtsanwalts des Beschwerdeführers vom 23. Januar 2003 u.a. Folgendes aus: «Inzwischen liegen uns auch als Leserbrief bestimmte Schreiben der früheren Pächter zur Veröffentlichung vor, die ihre Sicht der Dinge darstellen. Wir haben vorläufig auf eine Veröffentlichung dieser Stellungnahmen verzichtet. Entsprechend erwarten wir von Herrn X., dass er seinerseits die Beschwerde an den Presserat zurückzieht. Andernfalls wären wir gezwungen, die Auseinandersetzung auch in unserem Blatt weiterzuführen.»

D. Am 25. Februar 2003 reichte der Beschwerdeführer das Schreiben der BaZ vom 21. Februar 2003 zu Handen der Beschwerdeakten nach. Er bezeichnete das Verhalten der BaZ als fragwürdig und als Missbrauch ihrer Monopolstellung, wenn sie es für nötig halte, ihn unter Androhung der Veröffentlichung von Leserbriefen früherer Pächter aufzufordern, die Beschwerde beim Presserat zurückzuziehen.

E. In einer Stellungnahme vom 10. März 2003 beantragte der Chefredaktor der «Basler Zeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Die Aussenstelle Y. habe das Thema «Nachtlokal Z.» aufgenommen, «weil dieses Lokal seit Jahren ein Thema und in der lokalen Öffentlichkeit umstritten ist. Ständige Pächterwechsel, Lärmprobleme und verschiedene Gerichtsfälle haben das Nachtlokal Z. ins Gespräch und in die Medien gebracht. Franziska Laur hat (…) ausführlich mit vier ehemaligen Pächterinnen und Pächtern des Lokals gesprochen. Diese und ein Rechtsvertreter des Pächters haben massive Vorwürfe gegenüber Herrn X. als Verpächter erhoben. Franziska Laur hat Herrn X. mit den zur Diskussion stehenden Vorwürfen und Sachverhalten konfrontiert und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geboten.» Im publizierten Artikel kämen beide Seiten zu Wort. Er enthalte weder eine einseitige Schuldzuweisung, noch würden Aussagen der ehemaligen Pächter übergewichtet.

Die von Herrn X. verlangte Klarstellung sei nach längerem, durch das Verhalten des Beschwerdeführers verursachtem Hin und Her schliesslich in vertretbarer Länge in der BaZ am 30. Dezember 2002 abgedruckt worden.

Am 23. Januar 2003 habe die BaZ vom Anwalt des Beschwerdeführers einen sog. Vergleichsvorschlag erhalten, «der darin gipfelt, dass ein Ðkorrigierender redaktioneller Bericht in de BaZ in gleicher Aufmachung d.h. mit Foto, in gleicher Grösse und in der gleichen Ausgabe erscheint, welcher auf die Neueröffnung anfangs März Bezug nehmen sollteð.» Diesen Brief habe er am 21. Februar 2003 beantwortet. «Die Veröffentlichung des Leserbriefes von X. hat wiederum zu Reaktionen bei den ehemaligen Pächterinnen und Pächtern geführt, die sich schriftlich an die Redaktion gewandt haben.» Dies habe er im Schreiben an den Rechtsanwalt des Beschwerdeführers mitgeteilt. «Da für uns die Angelegenheit mit dem Druck des Leserbriefs von X. erledigt war, haben wir bisher darauf verzichtet, den Fall erneut zu thematisieren. Es versteht sich von selbst, dass eine Wiederaufnahme der Thematik im Sinne der journalistischen Sorgfaltspflicht auch die von uns vorliegenden Zusatzinformationen der ehemaligen Pächter zu verwenden.»

F. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

G. Am 13. März 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 2. Mai 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Der Hauptvorwurf des Beschwerdeführers lautet dahingehend, er sei vor Veröffentlichung den ihn betreffenden schweren Vorwürfen durch die «Basler Zeitung» nicht angemessen angehört worden. Ziffer 3.8 der Richtlinien zur «Erklärung» kodifiziert neu eine langjährige Praxis des Presserats: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten (ÐAudiatur et altera parsð) leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Ausnahmsweise kann auf die Anhörung verzichtet werden, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei muss nicht derselbe Umfang im Bericht zugestanden werden wie der Kritik. Aber die Betroffenen sollen sich zu den schweren Vorwürfen äussern können.»

b) Im Hinblick auf den beanstandeten Artikel fragt sich zunächst also, welche Vorwürfe an den Beschwerdeführer als «schwer» zu werten sind und mithin eine vorgängige Anhörung erforderten. Dies trifft vorab einmal für folgendes Statement einer Ex-Pächterin zu: «Da darf einer eine Existenz nach der anderen kaputtmachen und niemand tut etwas» und «Er habe von Umsatzzahlen geschwärmt, die sie nie und nimmer habe realisieren können. (…) Er hat all mein Geld genommen. Ich habe keine Altersvorsorge mehr, keine Eltern, die mich unterstützen können, und meine Gesundheit ist ruiniert.» Schwer wiegen auch die von einem anderen ehemaligen Pächter erhobenen Vorwürfe des Psychoterrors: «Das war ein Psychoterror. Er kam zu jeder Tages- und Nachtzeit und wollte bestimmen was zu tun ist (…)»; «der Terror ging los, als ich die Schlösser auswechselte, weil er mir dauernd in die Räumlichkeiten trampelte». Dieser Pächter beanstandet ferner ein unsoziales Verhalten: «Ich bin bis an mein Lebensende bestraft. X. kriegte es sogar fertig, dass mein Existenzminimum heruntergesetzt wurde. Er argumentierte, dass mein Sohn auf dem Notbett im Wohnzimmer schlafen könne, wenn ich ihn betreue.» Schwer wiegt schliesslich der den Beschwerdeführer vor allem wirtschaftlich treffende Vorwurf, das Lokal sei am Ende, weil niemand mehr den Mut habe, dieses zu übernehmen. Bildlegende: «
… Das ehemalige ÐZ.ð steht still und verlassen da. Kein Pächter hat mehr den Mut, diesen Nachtclub an so exponierter Lage zu übernehmen». Auch ein Satz am Ende des Berichts: «Und das Z.? Es ist seit vielen Monaten leer und verlassen. Auch die letzte Pächterin hat enerviert das Handtuch geworfen.»

c) Wie kommt der Beschwerdeführer zu diesen Vorwürfen im Artikel zu Wort? Zu den Vorwürfen der erstzitierten «Ex-Pächterin» kann der Leser dem Text entnehmen, dass das Problem nach Auffassung von X. nicht beim hohen Mietzins und beim Standort des Lokals liege; vielmehr habe die Pächterin «vom Wirten keine Ahnung» gehabt. Obwohl hier eine direktere Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den Vorwürfen für das bessere Verständnis grundsätzlich wünschbar erschiene, ist mit dem Abdruck dieses generellen Dementis der Richtlinie 3.8 Genüge getan. Der Artikel lässt mit dem Abdruck von Vorwurf und Gegenvorwurf offen, wer von den Parteien hier letztlich im «Recht» ist.

Ebenso gilt dies für die Vorwürfe des Psychoterrors und eines unsozialen Verhaltens. Denn dazu ist dem Artikel die Darlegung des Beschwerdeführers zu entnehmen, diese Vorwürfe stammten von einem «arglistigen Rechtsverdreher», der die unentgeltliche Rechtspflege und die Justiz insgesamt in missbräuchlicher Weise in Anspruch nehme. Auch hier stehen sich letztlich Vorwürfe und Gegenvorwürfe gegenüber und die Leserschaft kann dem Artikel zudem entnehmen, dass zwischen den Betroffenen nach wie vor eine umfangreiche rechtliche Auseinandersetzung im Gang ist.

Unbeantwortet im Raum bleibt hingegen der letzte Vorwurf stehen, wonach es – implizit aufgrund der ungehörigen Verhaltens des Beschwerdeführers – niemand mehr «wage», das Lokal zu übernehmen. Hierzu fehlt im Bericht nicht nur eine Antwort von X. Dieser weist diesen Vorwurf – jedenfalls für den Zeitpunkt der Veröffentlichung des BaZ-Artikels – zudem unter Vorlage des entsprechenden schriftlichen Pachtvertrags vom 25. Oktober 2002 offensichtlich berechtigterweise als unwahr zurück. Wie oben angeführt macht der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Anhörung geltend, diese sei bereits im Frühjahr 2002 und zudem nicht explizit zu den einzelnen Vorwürfen erfolgt. Die BaZ wendet dazu zwar ein, der Beschwerdeführer sei vor Erscheinen des Artikels umfassend angehört worden, bestreitet den Zeitpunkt der Anhörung aber nicht explizit und macht insbesondere nicht etwa geltend, X. sei unmittelbar vor dem 6. Dezember 2002 noch einmal kontaktiert worden. Dies wäre angesichts der sehr weit gehenden Formulierung des Vorwurfs der Unverpachtbarkeit des Lokals als Folge des Verhaltens von X. als «Pächterschreck» unter dem Gesichtspunkt der Richtlinie 3.8 jedoch unabdingbar gewesen, womit die Beschwerde in diesem Teilaspekt gutgeheissen wird.

2. a) Der Beschwerdeführer sieht weiter Ziffer 5 der «Erklärung» (Berichtigungspflicht) dadurch verletzt, dass die BaZ selbst die Kurzfassung seiner Richtigstellung nicht innert nützlicher Frist veröffentlicht habe.

b) Die BaZ wendet dazu sinngemäss ein, der Text sei am 30. Dezember 2002 veröffentlicht worden. Die Verzögerung sei aber in erster Linie auf das unkooperative Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen, der vorerst nicht bereit gewesen sei, seine überlange «Klarstellung» auf ein für einen Leserbrief übliches Mass zu kürzen.

c) Gemäss ständiger Praxis des Presserates liegt es im freien Ermessen der Redaktion, ob sie im Einzelfall einen Leserbrief abdruckt (vgl. z.B. die Stellungnahme 23/2002 i.S. DJL c. «Neue Luzerner Zeitung» mit weiteren Hinweisen). Damit war die BaZ grundsätzlich von vornherein nicht verpflichtet, die äusserst umfangreiche «Klarstellung» des Beschwerdeführers abzudrucken. Hingegen hat der Presserat eine Pflicht zum nachträglichen Abdruck einer Stellungnahme z.B. in Form eines Leserbriefs dann bejaht, wenn im beanstandeten Medienbericht ein schwerer Vorwurf erhoben wurde, zu dem keine Stellungnahme des Betroffenen abgedruckt wurde (Stellungnahme 13/2001 i.S. Scientologykirche Zürich c. «L’Hebdo»). Bereits in der ersten Fassung der «Klarstellung» des Beschwerdeführers war nachzulesen, dass im Oktober 2002 ein neuer Pachtvertrag für das «Z.» unterzeichnet worden ist und dieses im März 2003 wiedereröffnet werde. Die Redaktion wäre unter diesen Umständen gehalten gewesen, zumindest eine kurze Berichtigung von sich aus rasch zu veröffentlichen und nicht bis zum Abdruck der gekürzten «Klarstellung» Ende Dezember 2003 zuzuwarten.

3. Demgegenüber ist die Rüge der Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung» (Respektierung der Privatsphäre) durch die mehrfache Namensnennung des Beschwerdeführers unbegründet. Es besteht ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung über mögliche Gründe einer längerdauernden Schliessung eines Gastwirtschaftslokals an zentraler Lage und über die dahinter stehenden Konflikte. Wer als Eigentümer eines solchen Lokals in diesem Zusammenhang eine wichtige soziale Funktion einnimmt, muss in Kauf nehmen, dass ihn die Medien in unmittelbarer Zusammenhang mit dieser Funktion bei begründetem Anlass namentlich erwähnen (vgl. zuletzt eingehend zur Namensnennung die Stellungnahmen 2-6/2003).

4. Berufsethisch zumindest problematisch erscheint hingegen der Hinweis im Schreiben des BAZ-Chefredaktors an den Anwalt des Beschwerdeführers. Der Chefredaktor drohte, die BaZ habe vorläufig auf den Abdruck von Leserbriefen der früheren Pächter verzichtet, werde diese aber dann abdrucken, falls X. seine Beschwerde beim Presserat nicht zurückziehe. Zwar kann die BaZ wie unter Ziffer 2 dieser Erwägungen angeführt grundsätzlich nach freiem Ermessen über den Abdruck von Leserbriefen entscheiden. Doch sollten dabei aussschliesslich journalistische Kriterien und insbesondere das Informationsinteresse des Publikums und nicht die Regelung eines Konflikts massgebend sein, an der die Redaktion als Partei beteiligt ist. Der Presserat hat in vergleichbarem Zusammenhang mit Nachdruck festgehalten, dass die publizistische Macht der Medien nicht für persönliche Abrechnungen missbraucht werden darf (Stellungnahme 51/2001 i.S. H. c. «Uster und Züri Oberland Nachrichten»).

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird insoweit teilweise gutgeheissen, als die «Basler Zeitung» zum Vorwurf, das Nachtlokal des Beschwerdeführers sei wegen dessen Verhaltens als «Pächterschreck» nicht mehr verpachtbar, keine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt und abgedruckt hat. Zudem hat es die «Basler Zeitung» versäumt, innert nützlicher Frist nach Kenntnisnahme dieser materiellen Unrichtigkeit – ungeachtet der damals noch hängigen Auseinandersetzung über den Abdruck einer «Klarstellung» des Beschwerdeführers – vorab eine kurze redaktionelle Berichtigung abzudrucken.

2. Zudem hätte der Chefredaktor nicht mit dem Abdruck von negativen Leserbriefen drohen sollen, falls der Beschwerdeführer an einer Beschwerde an den Presserat festhalte.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.