Nr. 41/2002
Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Presserates vom 11. September 2002

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I. Sachverhalt

A. In seiner Ausgabe vom 22. Juni 2002 berichtete «Blick» unter dem Titel «Bauernfängerei! Und Y. spielt den Lockvogel – hat er das nötig?» auf der Titelseite und der Seite 2, der «beliebte Ländlerkönig hat sich von der Firma X. AG als Aushängeschild anheuern lassen. Hat er diese Bauernfängerei wirklich nötig?». Im Text war zu lesen: «(…) Der ehemalige TV-Star hält seinen Kopf für eine Werbefahrt hin. Tausende von Schweizerinnen und Schweizern sind persönlich angeschrieben worden: vier Tage Schwarzwald für zwei Personen – gratis! Und Y. als Star des Abends. Für eine Firma, vor der Experten und Medien schon gewarnt haben: «Unternehmen wie die X. AG verstossen mit Bauernfänger-Methoden gegen das Gesetz, sagt Konsumentenschützerin Z. (…)». Auf Seite 2 wurde zudem ein kurzes Interview mit dieser Konsumentenschützerin abgedruckt.

B. Mit Beschwerde vom 1. Juli 2002 gelangte die anwaltlich vertretene X. AG an den Presserat. Sie rügte, «Blick» habe mit der Publikation des Artikels vom 22. Juni 2002 und des Interviews mit Z. den Ingress sowie die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagung wichtiger Informationselemente) und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Weiter beantragte die Beschwerdeführerin, «Blick» sei einzuladen, eine Berichtigung an geeigneter Stelle zu veröffentlichen. Ebenso sei die Stellungnahme des Presserates zu publizieren. Die «Blick»-Redaktion habe die Wahrheit manipuliert, indem sie die allgemeine Warnung einer wichtige Repräsentantin des Schweizer Konsumentenschutzes, die eingeräumt habe, die X. AG nicht zu kennen, mit unbelegten Vorwürfen geschickt verwoben habe. So sei im Hauptartikel schliesslich der tatsachenwidrige Eindruck entstanden, Z. habe sich konkret zur Rechtswidrigkeit der Tätigkeit der X. AG geäussert. Zudem seien zahlreiche im Artikel enthaltene Behauptungen falsch. Die X. AG mache weder Lockvogel-Angebote, noch praktiziere sie Bauernfängermethoden, und schon gar nicht beeinträchtige sie die Entschlussfreiheit der Werbefahrtgäste auf gesetzwidrige Weise. Darüber hinaus habe die «Blick»-Redaktion wichtige Informationselemente dadurch unterschlagen, weil sie die Aussage von Z. übernahm, Y. hätte die Teilnehmer über das Widerrufsrecht informieren müssen. Ebenso hätte bereits der Hauptartikel darauf hinweisen müssen, dass Z. die X. AG nicht kenne. Schliesslich hätte das Gebot der Fairness (Ingress zur «Erklärung») verlangt, dass bei schweren Vorwürfen die Stellungnahme des Beschuldigten eingeholt wird.

C. Mit Schreiben vom 5. August 2002 beantragte die ebenfalls anwaltlich vertretene «Blick»-Redaktion die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerde werfe im Prinzip nur eines vor: Man hätte mit der Beschwerdeführerin reden müssen. Es liege jedoch kein Verstoss gegen den Ingress und die Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung» vor. Für eine «Berichtigung» bestehe selbst dann kein Anlass, wenn der Presserat die Beschwerde gutheissen sollte. Die beiden Artikel sowie der Kommentar- – der nicht Gegenstand der Beschwerde sei – richteten sich gegen Y.. Dass die X. AG selber unlauter oder rechtswidrig handle, werde im Artikel nirgendwo gesagt. Richtig sei allein, dass klare Kritik an der Institution der Werbefahrten und der Rolle des Y. geübt werde. Auch die verwendeten Begriffe «Bauernfängerei» und «Lockvögel» implizierten nicht derart schwere Vorwürfe, dass sie eine Anhörung zwingend notwendig machten. Einer solchen habe es auch angesichts des unbestrittenen Zitats von Y. nicht bedurft, wonach dieser «noch nie etwas Negatives über die Firma gehört» habe und für ihn «alles mit rechten Dingen zu und her» gehe.

D. Am 9. August 2002 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel der Parteien als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

E. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 11. September 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung» geltend macht, ist der Presserat aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen nicht in der Lage, den Wahrheitsgehalt des beanstandeten Artikels und der darin gegenüber der X. AG erhobenen Vorwürfe zu beurteilen. Aus dem gleichen Grund kann der Presserat auch nicht auf die beantragte Empfehlung einer Berichtigung eintreten. Grundsätzlich ist kritische Berichterstattung über gesellschaftlich umstrittene Werbe- und Verkaufsmethoden aus Sicht des Publikums aber zu begrüssen und auch von der Firma X. AG hinzunehmen – ob diese Methoden im Einzelfall nun rechswidrig seien oder nicht.

Wenn die X. AG darüber hinaus im Einzelnen rügt, dass Z. im Hauptartikel zitiert wird, «Unternehmen wie die X. AG verstossen mit Bauernfänger-Methoden gegen das Gesetz», kann eine Unschärfe zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden, da aus dem Interview mit der Konsumentenschützerin hervorgeht, dass sie die Firma selber nicht kennt. Dennoch ist diese Rüge unbegründet. Zum einen legt die Beschwerdeführerin keinerlei Bestätigung von Z. vor, wonach sie sich effektiv falsch zitiert gefühlt hätte. Zum anderen erscheint es aufgrund der im Interview enthaltenen Aussagen als höchst wahrscheinlich, dass Z. ihre generelle Warnung vor Firmen, die Gratisreisen anbieten, aufgrund der ihr vorgelegten Angaben des «Blick» auch ohne konkrete Kenntnis der X. AG tatsächlich auf diese ausgedehnt hat.

2. Ebenso ist der Vorwurf der X. AG zurückzuweisen, «Blick» hätte die Aussage von Z. korrigieren müssen, «Y. könnte den Leuten wenigstens sagen, dass sie ein siebentägiges Rückgaberecht auf die Waren haben» (Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung»). Wenn dies Z. wirklich so sagte – der Presserat hat aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen keinen Grund, an der Korrektheit dieses Zitats zu zweifeln – hatte «Blick» keinerlei Anlass, an dieser Aussage etwas zu korrigieren oder zu ergänzen. Nach dem oben unter Ziffer 1 Ausgeführten war es zudem im Lichte von Ziffer 3 der «Erklärung» auch nicht unabdingbar, bereits im Hauptartikel – beim Zitat «Unternehmen wie die X. AG verstossen mit Bauernfänger-Methoden gegen das Gesetz» – darauf hinzuweisen, dass Z. die X. AG selber nicht kennt. Aus dem gesamten Kontext (Artikel und Interview) geht für die Leserschaft in nachvollziehbarer Weise hervor, dass sich die Konsumentenschützerin hier offenbar einerseits anhand ihrer generellen Erfahrungen, anderseits auf der Grundlage der vom «Blick» gegenüber der X. AG erhobenen – wenn auch von dieser bestrittenen – Vorwürfe äussert.

3. Begründet ist hingegen der Vorwurf, die X. AG hätte vor der Veröffentlichung des beanstandeten Artikels angehört werden müssen. Gemäss der auch von der Beschwerdegegnerin nicht bestrittenen konstanten Praxis des Presserates sind die Betroffenen vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe zwingend anzuhören, und ihre Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz wiederzugeben.

Freilich bestreitet die «Blick»-Redaktion, dass im beanstandeten Bericht überhaupt schwere Vorwürfe gegenüber der X. AG standen und dass eine Anhörung noch notwendig war; schliesslich sei Y. mit der Aussage zitiert worden, er habe noch nie etwas Negatives über die Beschwerdeführerin gehört und gehe davon aus, dass alles mit rechten Dingen zugehe.

Dieser Standpunkt der Beschwerdegegnerin wäre nach Auffassung des Presserates selbst dann unhaltbar, wenn man wie «Blick» davon ausgeht, dass Begriffe wie «Bauernfängerei
» oder «Lockvogelangebot» nicht zwingend einen Verstoss gegen Rechtsnormen enthalten. «Bauernfängerei» ist ein werbeethischer Vorwurf, das «Lockvogelangebot» darüber hinaus ein gefestiger Begriff in Lehre und Praxis zum unlauteren Wettbewerb. Die Verwendung solcher Termini – unterstrichen durch den expliziten Vorwurf, Unternehmen wie die Beschwerdeführerin verstiessen gegen das Gesetz – ist offensichtlich geeignet, den Ruf der X. AG bei der Leserschaft zu beeinträchtigen. An der Pflicht zur Anhörung der X. AG vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass sich der Hauptvorwurf des Artikels nicht gegen die Beschwerdeführerin, sondern gegen Y. richtet. Der Presserat hat bereits in der Stellungnahme 3/97 i.S. R. / M. c. «Weltwoche» festgehalten, dass sich die Anhörungspflicht auf sämtliche von schweren Vorwürfen Betroffene erstreckt, vorliegend also auch auf die X. AG.

4. Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich die Publikation der vorliegenden Stellungnahme beantragt, ist darauf hinzuweisen, dass gemäss ständiger Praxis sämtliche Stellungnahmen des Presserates auf der Website www.presserat.ch veröffentlicht werden. Der Presserat erwartet zudem, dass auch «Blick» selber über die Stellungnahme berichtet.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird insoweit teilweise gutgeheissen, als «Blick» vor der Veröffentlichung des beanstandeten Artikels die zwingende Anhörung der Beschwerdeführerin und die Wiedergabe eines kurzen Statements unterlassen hat.

2. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.