Nr. 74/2012
Ablauf der Beschwerdefrist

(Elmer c. Ringier-Verlag) Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 27. September 2012

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I. Sachverhalt

A. Am 9. Juni 2012 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» einen Artikel von Thomas Knellwolf («Der lange Weg einer Julius-Bär-CD») zum Strafverfahren gegen den «Whistleblower» Rudolf Elmer. Dem Bericht ist zu entnehmen, im Verfahren gegen den ehemaligen «Bank-Bär-Manager» gebe die Bank ihren Widerstand gegen die Auswertung ihrer Daten durch Ermittler endlich auf. «Interessant ist auch der lange Weg der CD, welche die Strafverfolger nun auswerten dürfen. Auch ‹Cash› hatte sich – mit Verweis auf den Quellenschutz – gegenüber der Staatsanwaltschaft geweigert, die Daten herauszugeben. Anders als Julius Bär konnte die Zeitung dazu auch nicht gezwungen werden. Offenbar betrieb der Ringier-Verlag, zu dem ‹Cash› gehörte, aber ein Doppelspiel. Aus einem Bericht der Kantonspolizei Zürich, der dem ‹Tages-Anzeiger› vorliegt, geht hervor, dass die Hausanwälte des Medienhauses aus der Zürcher Kanzlei Ritter & Schwaibold die Disc an die Rechtsvertreter von Julius Bär weitergaben – und somit ihre anonyme Quelle nicht schützten. Die Kantonspolizei schreibt, dass sie am 9. August 2005 vom Anwalt der Bank mitgeteilt bekam, ‹dass tags zuvor in der Kanzlei Ritter & Schwaibold den Geschädigtenvertretern das Original der ‚Cash-CD-Rom’ zur Erstellung einer Kopie überlassen wurde›. Julius Bär war dann aber nicht bereit, die Informationen an die Ermittler weiterzugeben.»

B. Am 17. Juni 2012 beschwerte sich Rudolf Elmer gestützt auf den obengenannten «Tages-Anzeiger»-Artikel und weitere Unterlagen beim Presserat über den Ringier-Verlag. Mit der Aushändigung der Daten-CD an die Bank Julius Bär habe der Verlag gegen das Redaktionsgeheimnis verstossen und indirekt auch die Quelle von vertraulichen Informationen preisgegeben (Ziffer 6 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»). Leider habe er erst aufgrund des Artikels «Tages-Anzeiger» über die Untersuchung der Staatsanwaltschaft von Anfang 2012 von diesem Sachverhalt erfahren. Mit der Herausgabe der Daten-CD habe Ringier zudem die Ziffer 9 der «Erklärung» (Unabhängigkeit) verletzt.

C. Am 19. Juni 2012 wies der Presseratssekretär den Beschwerdeführer auf die Beschwerdefrist von sechs Monaten gemäss Artikel 10 Absatz 1 des Geschäftsreglements des Presserats hin. Die beanstandeten Handlungen bezögen sich auf das Jahr 2005, womit die Beschwerdefrist längst abgelaufen sei.

D. Am 21. Juni 2012 teilte Rudolf Elmer dem Presserat mit, er halte trotzdem an der Beschwerde fest. Es gehe ihm nicht um eine Rüge gegen Ringier. Vielmehr liege ihm daran, dass dieser ausserordentliche Fall im Presserat diskutiert werde. Zudem sei darüber nachzudenken, dass die Beschwerdefrist von sechs Monaten in gewissen Fällen nicht praktikabel sei.

E. Das Presseratspräsidium beschloss am 11. Juli 2012, den Entscheid darüber, ob auf die Beschwerde einzutreten sei, dem Presseratsplenum zu unterbreiten.

F. Das Plenum des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme an seiner Sitzung vom 27. September 2012 sowie auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf Beschwerden ein, wenn die Veröffentlichung des beanstandeten Medienberichts länger als sechs Monate zurückliegt. Vorliegend geht es allerdings nicht um einen Medienbericht, sondern um die Weitergabe einer Daten-CD, die einer Redaktion des Ringier-Verlags anonym zugespielt wurde, womit der Verlag allenfalls das Redaktionsgeheimnis verletzt hat.

2. Das Plenum des Presserats ist sich grundsätzlich darüber einig, dass dieser Sachverhalt berufsethisch relevant ist. Nach Auffassung eines Teils der Presseratsmitglieder stellt sich allerdings die Frage, ob Rechtsanwälte, die im Auftrag einer Redaktion handeln, überhaupt der journalistischen Berufsethik unterstehen oder inwieweit die Redaktion für Handlungen ihrer Hausanwälte berufsethisch verantwortlich ist. Der Presserat kann die Frage vorliegend offen lassen, da er bereits aufgrund des Zeitablaufs nicht auf die Beschwerde eintritt.

3. Zwar kann der Presserat auch auf Beschwerden eintreten, wenn sich diese nicht gegen einen veröffentlichten Medienbericht richtet, sofern wie vorliegend ein unmittelbarer Bezug zur publizistischen Tätigkeit besteht (Stellungnahme 51/2011). Beschwerden, die sich nicht auf veröffentlichte Medienberichte beziehen, stellen in der Praxis des Presserats allerdings nicht die Regel, sondern die Ausnahme dar. Nach Auffassung der knappen Mehrheit des Plenums geht es deshalb nicht an, ausgerechnet bei diesen Fällen auf eine zeitliche Begrenzung für die Einreichung einer Beschwerde zu verzichten. Die Beschwerdefrist von sechs Monaten bezweckt, sicherzustellen, dass sich der Presserat nur mit Vorgängen befasst, die einen gewissen Aktualitätsbezug aufweisen und nicht bereits Jahre zurückliegen. Vorliegend soll die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung des Redaktionsgeheimnisses im Jahr 2005 begangen worden sein. Die analog anzuwendende Beschwerdefrist von sechs Monaten ist mithin längst abgelaufen, weshalb der Presserat nicht auf die Beschwerde eintritt.

4.
Demgegenüber argumentiert die Minderheit des Presserats, auf die Beschwerde sei ausnahmsweise einzutreten, da der Beschwerdeführer soweit bekannt keine Möglichkeit hatte, die Beschwerde vor Ablauf von sechs Monaten einzureichen. Zudem beziehe sich die Beschwerdefrist von sechs Monaten im Geschäftsreglement gemäss dem Wortlaut der fraglichen Bestimmung lediglich auf publizierte Medienberichte. Insgesamt erscheine es unbefriedigend, dass der Presserat in derartigen Fällen, die eine grundsätzliche Frage der Berufsethik berühren, kaum je Stellung nehmen kann.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.