Nr. 93/2020
Wahrheit / Unterschlagen wichtiger Informationen / Privatsphäre

(Gross c. «Thurgauer Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 17. April 2020 publizierte die «Thurgauer Zeitung» (TZ) einen Artikel von Stefan Borkert unter dem Titel «Weitermachen und Ruhe bewahren». Untertitel: «Die Umuntu GmbH beschäftigt sich eigentlich mit sauberem Trinkwasser. Im Hintergrund aber schwelt ein Streit.» Der Artikel schildert, dass die Firma Umuntu GmbH aus einem Startup-Wettbewerb in Thurgau ausgeschieden sei, weil ein früherer Geschäftspartner, Björn Gross (der Beschwerdeführer, BF) über soziale Medien seit Monaten darauf hinweise, dass gegen den Umuntu-Inhaber Fabio Hüther Strafanzeigen eingereicht worden seien. Wörtlich: «Björn Gross (…) postet seit Monaten über soziale Medien Strafanzeigen, die er gegen Hüther stellt und kommentiert diese.»

Hüther und dessen Anwältin bestätigen im Artikel den Konflikt, der «auf einem fragwürdigen Niveau» ausgetragen werde. Man habe Lösungen vorgeschlagen, die ausgeschlagen worden seien, auch eine Einigung beim Friedensrichter sei nicht zustande gekommen. Auslöser des Streits sei die Trennung der beiden Streitparteien im vergangenen Jahr gewesen. Nachdem man Büros und Computerserver geteilt hatte, habe Hüther sich entschlossen, die Gemeinschaft zu verlassen, Umuntu habe den Server mitgenommen und dem BF seine Daten herauskopiert und übergeben. Nun werfe Gross (der BF) Hüther Diebstahl und Betrug vor. Ungeachtet dieses Streits wachse Umuntu mit seinem Angebot von ökologischen Filtern für – so Hüther – «schadstofffreies, sauberes und gesundes Wasser».

Unter dem Artikel ist ein Kasten platziert, gezeichnet von «lsf», welcher die Gegenposition zu Hüther skizziert mit der Überschrift «Ehemaliger Partner reicht mehrere Anzeigen ein»: Im Text wird gesagt, der Unternehmer und Wirtschaftsjurist Björn Gross habe eine dreijährige Geschichte mit Fabio Hüther, dieser sei zunächst Gross’ Mandant gewesen. Gross habe ihm gezeigt, wie man eine Firma aufbaue, dafür sei er von Hüther bezahlt und an seinem Unternehmen beteiligt worden. Zum Bruch sei es gekommen, als Gross Hüther aufgefordert habe, «sein Unternehmen endlich professionell aufzustellen», wobei er dann eine Führungsrolle hätte übernehmen wollen. In Gross’ Abwesenheit habe Hüther dann den Server und Akten aus dessen Büro «abgeräumt», worauf Gross Strafanzeige gestellt habe. Daraufhin hätten sich laut Gross weitere Organisationen gemeldet, denen Umuntu Geld schulde, ein Betrug nach dem anderen sei aufgeflogen. Im Januar habe er, Gross, dann noch einmal mehrere Anzeigen gegen Hüther und andere Beteiligte gestellt.

B. Am 23. Mai 2020 reichte Björn Gross Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer (BF) macht geltend, der Artikel verletze die Ziffern 1, 2, 3, 5, 7, 10 und allenfalls auch 9 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). In der äusserst ausführlichen, aber gemäss den Anforderungen des Geschäftsreglements des Presserates unvollständigen Beschwerde, verwies er – was seine konkreten Beanstandungen angeht – nur auf seine Beilagen, auf ausführliche Mail- und Briefwechsel mit am Streit Beteiligten sowie der Redaktion der «Thurgauer Zeitung».

Am 27. Mai 2020 und zu weiteren Daten forderte der Presserat den BF auf, in einer knapperen Eingabe zu präzisieren, welche Aussagen im Artikel seines Erachtens gegen welche Bestimmungen der «Erklärung» verstossen. Dazu ist es im Ergebnis eines längeren Mailwechsels jedoch nie gekommen.

Angesichts dieser Sachlage entschied der Presserat gestützt auf Art. 17 Abs. 2 des Geschäftsreglements, sich auf den wesentlichen Beschwerdegrund zu beschränken, nämlich auf die seitens des BF am meisten kritisierte Aussage, wonach er «Strafanzeigen gepostet» haben soll, und dies unter dem vom BF gerügten Verstoss gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») zu subsumieren.

Am 4. August 2020 bat der Presserat die «Thurgauer Zeitung» um eine Stellungnahme zum Vorwurf der Unwahrheit (Ziffer 1 der «Erklärung» sowie zugehörige Richtlinie 1.1 – Wahrheitssuche) hinsichtlich des im Artikel beschriebenen Postens von Strafanzeigen. Dies wurde mit Kopie auch dem BF zur Kenntnis gebracht.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 4. September 2020 nahm der Chefredaktor des «St. Galler Tagblatt», Stefan Schmid, namens der Eigentümerin der TZ, CH Media, Stellung zur Beschwerde und beantragte Nichteintreten, weil diese offensichtlich unbegründet sei. Der Beschwerdeführer erläutere nicht, inwiefern der beanstandete Artikel einzelne Bestimmungen der «Erklärung» verletze, sondern behaupte in unsubstantiierter Weise, es seien ruf- und geschäftsschädigende Aussagen gedruckt worden. Dies sei offensichtlich nicht zutreffend, es seien die Sichtweisen beider Seiten in einer Streitsache abgebildet worden.

Falls dennoch auf die Beschwerde eingetreten werde, sei festzuhalten, dass kein Teil des Artikels unwahr sei. Dass der BF mehrere Strafanzeigen gegen Fabio Hüther eingereicht habe, treffe zu, dieser räume das in einem seiner Mails an die Redaktion selber ein. Dass der BF über soziale Medien seine Strafanzeigen gepostet habe, treffe ebenfalls zu und wird belegt mit Facebook-Posts, in welchen der BF die Redaktion um die Publikation solcher Anzeigen bitte.

Die Position des BF sei im Übrigen mit dem eigens dafür angefügten Kasten deutlich wiedergegeben worden. Er habe diesen Text gegengelesen und nichts eingewendet, ausser dass er gerne ausführlicher zu Wort gekommen wäre. Einen solchen Anspruch habe er aber nicht. Der Autor habe in Berücksichtigung der Unschuldsvermutung darauf verzichtet, den Vorwürfen gegen Hüther weiter nachzugehen, da diverse gegen ihn angestrengte Verfahren noch offen seien. Dieses Vorgehen sei nicht zu beanstanden. Insgesamt liege kein Verstoss gegen Ziffer 1 der «Erklärung» vor.

D. Am 18. September 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg sowie den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 31. Dezember 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Der Presserat beschränkt sich gestützt auf Art. 17 Abs. 2 seines Geschäftsreglements auf den wesentlichen Beschwerdegrund, vorliegend auf den vom BF ins Zentrum gestellten Punkt des «Postens von Strafanzeigen». Der Beschwerdeführer bezeichnet die Aussage im Artikel, er habe seine Strafanzeigen gegen Hüther im Internet gepostet und kommentiere diese, als verleumderisch und geschäftsschädigend. Der Presserat geht dabei aus von einem geltend gemachten Verstoss gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» (Verstoss gegen die Verpflichtung zur Wahrheit).

Die «Thurgauer Zeitung» macht demgegenüber geltend, dass der BF in der Tat per Facebook auf Strafanzeigen gegen Hüther hingewiesen und diese kommentiert habe. Dazu legt die TZ eine Reihe von Posts und Mails vor, in welchen der BF die Redaktion der TZ auf Strafanzeigen hinweist und Vorwürfe gegen Hüther erhebt. Diese Belege beinhalten zwar keinen ausdrücklichen Hinweis des BF auf spezifische eigene Strafanzeigen oder gar deren Text. Aber er weist immer wieder auf Straftatbestände und Strafanzeigen hin, benennt auch immer deren Zahl (acht) und vor allem kündigt er eine in Arbeit stehende «zweite Welle» von Strafanzeigen an (Mail an die Redaktion vom 22. Februar 2020). Schon all das lässt seine Autorenschaft legitimerweise vermuten, insbesondere aber besteht er unmittelbar nach Erscheinen des Artikels in einem Mail der Redaktion gegenüber darauf, dass er der einzige sei, der Strafanzeigen gestellt habe (Mail an die Redaktion vom 17. April 2020: «Es wird nicht deutlich gemacht, dass nur ich Anzeigen eingereicht habe»). Im Übrigen beliefert der BF die Redaktion laufend mit Material gegen Hüther, welches er in Zusammenhang mit den Strafanzeigen sieht.

In diesem Zusammenhang ist die Formulierung «postet seit Monaten über soziale Medien Strafanzeigen, die er gegen Hüther stellt und kommentiert diese» zwar nicht präzise. Aber es steht aufgrund des von der TZ beigelegten Materials fest, dass der BF auf den sozialen Medien eine Informations-Kampagne gegen seinen ehemaligen Partner führt, diese mit vielen Hinweisen auf Strafanzeigen versieht, sie kommentiert und dabei der Redaktion signalisiert, dass er derjenige sei, der Strafanzeigen stellt. Der Presserat sieht infolgedessen in der fraglichen Formulierung zwar eine Ungenauigkeit, aber keinen eigentlichen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht.

Hinzu kommt, dass Gross’ Gegenposition im Artikel in einem separaten Kasten ausdrücklich zusammengefasst wird, zwar nicht so ausführlich wie dieser es sich gewünscht hätte, aber ausführlich. Die Berichterstattung war auch unter diesem Gesichtspunkt fair und sachgerecht.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «Thurgauer Zeitung» hat mit dem Artikel «Weitermachen und Ruhe bewahren» vom 17. April 2020 die Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.