Nr. 7/1990
-91: Stellungnahme des Presserates, vom 12. September 1991, i.S. Beiträge in ‚Vaterland‘ und ‚Luzerner Tagblatt‘ zum 20 Jahr-Jubiläum des ‚Night Boat‘

Drucken
Stellungnahme

In den beiden Luzerner Tageszeitungen „Vaterland“ und „Luzerner Tagblatt“ erschienen Berichte über das Jubiläum eines privaten Schiffahrtsunternehmens. Wer die Artikel vorwies, genoss für eine Bootsfahrt der jubilierenden Firma eine Preisreduktion, was die „Luzerner Neuesten Nachrichten“ zu einer Klage an den Presserat veranlasste. Der Presserat stellt fest, dass zwar eine wohlwollende Berichterstattung über Firmenjubiläen im Lokaljournalismus durchaus üblich ist, die Integrierung eines Gutscheins für eine verbilligte Fahrt jedoch Art. 9 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“ – wonach der Journalist in seiner beruflichen Tätigkeit jede Form von kommerzieller Werbung vermeidet – in krasser Weise verletzt. Der Presserat betont vor allem die Verantwortung der Redaktionsleitung, für die strikte Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung zu sorgen, und appelliert an alle Medienschaffenden, gerade im dafür besonders anfälligen Bereich der Berichterstattung über lokale Wirtschaftsunternehmen, jeden Eindruck journalistischer Abhängigkeit zu vermeiden.

Prise de position

Les deux journaux lucernois de l’époque, le „Vaterland“ et le „Luzerner Tagblatt“, ont fait parâitre des articles sur les 20 ans d’une entreprise privée de navigation. Sur présentation de l’article, la maison en question accordait une réduction de prix lors d’une course en bateau, ce qui a donné lieu a une plainte des „Luzerner Neuste Nachrichten“. Le Conseil de la presse constate que la publication d’un article bienveillant lors de l’anniversaire d’une entreprise est usuelle en matière de journalisme local. Toutefois, l’intégration à l’article d’un bon pour une course à prix réduit a constitué une violation grossière de l’article 9 de la „Déclaration des devoirs et des droits du journaliste“, qui interdit au journaliste de se livrer à toute forme de publicité commerciale dans le cadre de son activité professionnelle. Le Conseil de la presse met l’accent avant tout sur la responsabilité de la direction de la rédaction, qui doit veiller à une stricte séparation entre la partie rédactionnelle et la partie publicitaire de la publication. Elle fait appel à tous les journalistes, notamment à ceux qui sont chargés de l’information sur la vie économique locale, pour qu’ils évitent de donner l’impression qu’ils ne sont pas journalistiquement indépendants.

Presa di posizione

I. Sachverhalt

A. Am 19. April 1991 erschienen im redaktionellen Teil (Seite „Region“ beziehungsweise Seite „Stadt Luzern“) der beiden Luzerner Tageszeitungen „Vaterland“ und „Luzerner Tagblatt“ Artikel zum zwanzigjährigen Bestehen des „Night Boat“, eines kommerziellen, von Markus Bucher geführten Unternehmens, das abendliche Schiffahrten auf dem Vierwaldstättersee mit folkloristischem Unterhaltungsprogramm durchführt. Die Artikel in den genannten Zeitungen aufgrund einer Jubiläumsfeier beziehungsweise -fahrt, zu der auch Medienvertreter eingeladen waren, wurden unabhängig voneinander geschrieben; der eine ist mit dem Kürzel des Autors, der andere mit vollem Namen des Journalisten gezeichnet. Die Artikel unterscheiden sich auch in Formulierung und Stil, kaum aber in Inhalt und Aussage. Beide Artikel sind von einem Kästchen beziehungsweise einem Nachsatz folgenden Wortlautes begleitet:

(im „Luzerner Tagblatt“)

te. Gegen Vorweisung dieses „Tagblatt“-Berichts gewährt Markus Bucher auf das Vollarrangement (inklusive Nachtessen) auf den Normalpreis von 75 Franken eine Ermässigung von 20 Franken. Diese Reduktion gilt auch für Familien und kleine Gruppen, wobei eine Anmeldung ans Sekretariat notwendig ist (Telefon 041 – 47 44 46).

beziehungsweise (im „Vaterland“)

(beim Vorweisen dieses Pressetextes zum 20-Jahr-Jubiläum von „Night Beat“ gewährt der „Night-Boat“-Veranstalter eine Preisreduktion. Voranmeldung ist nötig.)

B. Mit Schreiben vom 6. Mai 1991 gelangte Dr. Karl Bühlmann, Chefredaktor der „Luzerner Neusten Nachrichten“, an den Presserat mit der „Bitte um Prüfung der Angelegenheit und gegebenenfalls um Einleitung von Schritten“, da er der Ansicht sei,

„dass diese Form von PR-Aktion im redaktionellen Teil, in einem journalistischen Beitrag, unstatthaft ist und gegen unsere Richtlinien („Erklärung der Pflichten und Recht des Journalisten“; Anm. des Presserates) verstösst“.

II. Erwägungen

1. Mit Schreiben vom 18. Mai 1991 inkl. entsprechender Unterlagen wandte sich Presserats-Vizepräsident Martin Edlin an alle deutschsprachigen Mitglieder des Presserates und forderte sie um Stellungnahme auf, beziehungsweise unterbreitete ihnen den Antrag,

a) angesichts der grundsätzlichen Problematik des dem Presserates unterbreiteten Falles auf diesen einzutreten und eine Stellungnahme des Presserates zu formulieren;

b) mit dieser Aufgabe eine ad hoc-Gruppe (gemäss Art. 4, Abs. 1 des „Reglements des Presserates des VSJ“) zu betrauen, die sich aus den Presseratsmitgliedern François Gross, Christian Schwarz und Urs Widmer unter der Leitung vom Presserats-Vizepräsident Martin Edlin zusammensetzt;

c) nicht die Autoren der beiden Artikel, sondern die Redaktionen in Person der betreffenden Chefredaktoren der beiden Zeitungen, welche diese Artikel veröffentlichten, als Verantwortlich anzusprechen, da die Frage, ob eine derartige „Vergünstigungs-Aktion“ im redaktionellen Teil einer Zeitung statthaft ist, das gesamtredaktionelle, berufsethische Selbstverständnis betrifft.

2. Diesen Anträgen wurde nicht widersprochen und sowohl die Durchführung des Verfahrens wie die Zusammensetzung der ad hoc-Gruppe des Presserates den Gesuchsgegnern mit Hinweis auf deren Recht der Ablehnung von Presseratsmitgliedern in der ad hoc-Gruppe (Art. 5, Abs. 4 des Presserats-Reglements) mitgeteilt. Seitens des Chefredaktors des „Vaterland“, Klaus Röllin, wurden mit Schreiben vom 8. Juli keine Einwendungen erhoben, seitens des Chefredaktors des „Luzerner Tagblatts“, Walter Brülisauer, blieb eine Antwort aus.

3. Gestützt auf diese Ausgangslage wurde bezüglich des Verfahrens die Form der ad hoc-Gruppe und des schriftlichen Weges (Art. 4, Abs. 3 und 5 des Presserats-Reglements) gewählt.

4. Der an die Chefredaktoren von „Vaterland“ und „Luzerner Tagblatt“ mehrmals gerichteten und mit letzter Antwortfrist Ende Juli versehenen Bitte um Stellungnahme zur Sache (Schreiben des Presserates an die Chefredaktoren Röllin und Brülisauer vom 14.06., 21.06. und 10.07.91) wurde keine Folge geleistet. Der Presserat hat deshalb Ende August entschieden, auch ohne Wahrnehmung des Anhörungsrechtes durch die Gesuchsgegner und lediglich aufgrund der ihm vorliegenden Fakten in der Sache zu entscheiden, zumal durch die bevorstehende Fusion von „Vaterland“ und Luzerner Tagblatt“ zur „Luzerner Zeitung“ ein weiteres Aufschieben der Behandlung des Falles sinnlos erscheint.

5. Der geschilderte Sachverhalt beschlägt Punkt 9 der „Erklärung der Pflichten des Journalisten“ in der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“ mit dem Wortlaut

Er (der Journalist) vermeidet in seiner beruflichen Tätigkeit als Journalist jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptiert keinerlei Bedingungen von seiten der Inserenten.

Aus konstanter Anwendung dieser berufsethischen Verpflichtung ergibt sich die Forderung auch nach Vermeidung offensichtlicher Public Relations im redaktionellen Teil einer Publikation, also Unterlassen jeder Veröffentlichung, welche die Glaubwürdigkeit journalistischer und redaktioneller Selbstverantwortung und damit Unabhängigkeit in Frage stellt. In diesem Sinn verstösst eine PR-Aktion im Auftrag oder unter Inanspruchnahme Dritter, vor allem kommerzieller Unternehmen, gegen Art. 9 der „Erklärung der Pflichten des
Journalisten“.

6. Zu berücksichtigen ist andererseits der oft gehörte Einwand, sogenannte Leser-Aktionen, mit denen eine Publikation ihrer Leserschaft Vorteile, auch in Zusammenarbeit mit Dritten, anbietet, würden nicht von vornherein unter das „Werbeverbot“ im redaktionellen Teil fallen. Zu solchen Leser-Aktionen zählen zum Beispiel die Ausschreibung von Leserreisen oder das im redaktionellen Teil publizierte Angebot vergünstigten oder kostenlosen Eintritts für von Zeitungen organisierten Veranstaltungen.

7. Im vorliegenden Fall ist festzustellen:

a) Die mit Foto(s) Illustrierten Beiträge über das „Night Boat“ sowohl im „Vaterland“ (116 Druckzeilen) wie im „Luzerner Tagblatt“ (69 Druckzeilen) stellen Lokalberichterstattungen über ein für diese Zeitungen durchaus relevantes Ereignis (20-jähriges Jubiläum eines im lokalen Tourismus erfolgreichen Unternehmens) dar. Es sind allerdings in beiden Fällen unkritische, sich auf die Darstellung der Jubiläums-Schiffahrt und des Erfolgs des Unternehmens „Night Boat“ und seines Besitzers beschränkende Artikel, wie dies bereits aus dem Titel im „Vaterland“ hervorgeht („Lorbeeren für einen ‚Bilderbuch‘-Unternehmer“). Dadurch erhalten die beiden Beiträge die Wirkung des publizistischen Wohlwollens für ein kommerzielles Unternehmen, ein gerade im Lokaljournalismus durchaus übliches Bild.

b) Die Integrierung eines „Gutscheins“ (ob durch einen stark, mit unterlegter Farbe hervorgehobenen Bon („Luzerner Tagblatt) oder durch eine redaktionelle Anmerkung in einem gesonderten Absatz am Ende des Artikels („Vaterland“) ist wenig relevant) in diese redaktionellen Beiträge verstärkt den Eindruck, mit der gesamten Jubiläums-Berichterstattung über „Night Boat“ werde für dieses ohne Vorbehalt Werbung betrieben. Die Einschätzung des „Gutscheins“ als Leser-Aktion ist unstatthaft: Es ist ausdrücklich nicht die Redaktion, die ihrer Leserschaft das Angebot einer Vergünstigung bei einer „Night Boat“-Fahrt macht, sondern das „Night Boat“-Unternehmen selbst. Die Leistung der Vergünstigung erfolgt also nicht durch die Zeitung, sondern durch den „Night Boat“-Unternehmer, dem für die Publikation seines Angebotes Raum im redaktionellen Teil der Zeitungen gewährt wird, statt ihn auf den Inseratenweg zu verweisen.

c) Das Einrücken solche PR- oder Werbe-Aktionen kommerzieller Dritter muss dementsprechend unter dem Aspekt der strikt geforderten Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt einer Publikation gesehen werden, einer Trennung, die zum allgemeinen redaktionellen Selbstverständnis einer Zeitung gehören muss und einen Grundsatz darstellt, dem nachzuleben die Gesamtverantwortung einer Redaktion beschlägt. Es ist deshalb in diesem Fall nicht nur das berufsethische Verhalten des berichterstattenden Journalisten, sondern auch dasjenige der Verantwortlichen Redaktion (Chefredaktion) zu prüfen, zumal keiner der beiden Chefredaktoren sich in irgendeiner Form von den inkriminierten Veröffentlichungen distanzierte oder seine Verantwortung dafür ablehnte.

III. Feststellungen

Aus diesen Gründen hält der Presserat fest:

Dass die Veröffentlichung eines von einem kommerziellen Unternehmen offerierten „Gutscheins“ (Vergünstigungen für die Abonnenten/Käufer der entsprechenden Zeitungen) im redaktionellen Teil, wie sie „Vaterland“ und „Luzerner Tagblatt“ in ihren Ausgaben vom 19. April 1991 zugunsten des „Night Boat“ vornahmen, klar der Pflicht des Journalisten, in seiner beruflichen Tätigkeit jede Form von kommerzieller Werbung zu vermeiden, zuwiderläuft und damit die „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“ kraß verletzt.

Der Presserat erkennt in den vorliegenden Fällen vor allem die Verantwortung der Redaktionsleitung, für die Einhaltung der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten“ besorgt zu sein und zu überwachen, dass keine derartigen PR- beziehungsweise Werbeaktionen Eingang in den redaktionellen Teil ihres Mediums finden, auch nicht unter dem Deckmantel sogenannter Leser-Aktionen.

Der Presserat appeliert an alle Medienschaffenden, gerade im dafür besonders anfälligen Bereich der Berichterstattung über lokale Wirtschaftsunternehmen jeden Eindruck journalistischer Abhängigkeit zu vermeiden, der augenfällig entsteht, wenn eine Berichterstattung mit Angeboten Dritter an die Leserschaft verbunden ist.