Nr. 81/2019
Kennzeichnung von Medienmitteilungen

(X. c. «Die Ostschweiz»)

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I. Sachverhalt

A. Am 16. Januar 2019 veröffentlichte das Regionalmedium «Die Ostschweiz» online unter «dieostschweiz.ch» aus der Feder von Roger Tinner den Artikel «Geplanter Standort nicht durchdacht». Im Zentrum des Artikels steht die Planung des neuen Busdepots in der Stadt St. Gallen. Die Wirtschaft Region St. Gallen, nachfolgend «WISG», fordere den Stadtrat auf, den Standort St. Fiden näher zu prüfen, da die Stadt als Ankerinvestor so einen ersten, wichtigen Impuls für die Überdachung von St. Fiden geben und damit weitere Investoren anziehen könne. Der Planungskredit für das neue Busdepot sei vom Stadtparlament an der letzten Sitzung gutgeheissen worden, was die WISG erfreut zur Kenntnis nehme. Der derzeit geplante Standort sei aus Sicht der WISG zu wenig durchdacht und geeignet, da die Zürcherstrasse noch mehr belastet würde. Die WISG wünsche den Standort St. Fiden aus diversen Gründen: So könne ein Fernbus-Terminal realisiert werden, es könnten öffentliche Parkplätze entstehen und St. Finden könne zu einem neuen ÖV-Knotenpunkt werden. Letztlich würden die geplanten Büros der Technischen Betriebe enger an den öffentlichen Verkehr angebunden und zentrales Wohnen möglich.

B. Am 23. Januar 2019 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel vom 16. Januar 2019 ein. Er macht eine Verletzung von Richtlinie 3.2 (Medienmitteilungen) geltend. Dies, da es sich beim Text um einen Beitrag der WISG, geschrieben vom Geschäftsführer der WISG, handle und dies nicht deklariert sei. Roger Tinner werde als ehemaliger Journalist, Mediensprecher der HSG und Mitinhaber einer Agentur vorgestellt, der zudem mit seiner Frau ein Unternehmen gegründet habe. Er führe verschiedene Verbände, sei Präsident des Werbeclubs Ostschweiz und blogge über Digitales aus dem Alltag. Nicht erwähnt werde jedoch, dass Roger Tinner auch Geschäftsführer der WISG sei. Für den Leser sei zudem nicht erkennbar, dass es sich beim Inhalt nicht um einen redaktionellen Beitrag von «dieostschweiz.ch» handle, eine Kennzeichnung als Kolumne oder Meinung fehle gänzlich. Der Artikel von «dieostschweiz.ch» und die Medienmitteilung der WISG seien in grossen Teilen identisch, weshalb es sich aus Sicht des Beschwerdeführers um eine nicht deklarierte Medienmitteilung handle. X. unterstreicht dies mit dem Vergleich der einleitenden Texte. Die Einleitung von «dieostschweiz.ch» laute: «Die Wirtschaft Region St. Gallen (WISG) hat erfreut zur Kenntnis genommen, dass das Stadtparlament an der letzten Sitzung den Planungskredit für das neue Busdepot gutgeheissen hat. Grundsätzlich sieht die Wirtschaftsorganisation, dass ein Neubau nötig ist, und sie begrüsst diese Investition.» Die Einleitung der WISG wiederum laute: «Die WISG hat erfreut zur Kenntnis genommen, dass das Stadtparlament an der letzten Sitzung den Planungskredit für das neue Busdepot gutgeheissen hat. Grundsätzlich sieht die Wirtschaftsorganisation, dass ein Neubau nötig ist, und sie begrüsst diese Investition.»

Weiter sieht der Beschwerdeführer Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) verletzt, da die WISG und der Autor, der gleichzeitig Geschäftsführer der WISG sei, nicht erkennbar seien und der Artikel als politisches Vorhaben betrachtet werden könne. Die fehlende Deklaration sorge für Verwirrung. Zudem erachtet der Beschwerdeführer auch Richtlinie 4.7 (Plagiat) als verletzt, da im Onlinemagazin «leaderdigital.ch» ein identischer Artikel ohne Angabe einer Quelle oder eines Autors veröffentlicht worden sei. Aus Sicht des Konsumenten seien die beiden Onlinemagazine «leaderdigital.ch» und «dieostschweiz.ch» völlig unabhängige Medien. Dies stimme jedoch nicht, da die Chefredaktion bei beiden Onlinemedien dieselbe sei.

C. Am 7. März 2019 nahm Stefan Millius für «Die Ostschweiz» zur Beschwerde Stellung. Er schliesst auf Abweisung. Das redaktionelle Konzept von «dieostschweiz.ch» basiere auf mehreren Pfeilern, und zwar auf eigenen Recherchen, bearbeiteter Publikation von offiziellen Verlautbarungen, unbearbeiteter Wiedergabe von Medienmitteilungen von Verbänden und Vereinen sowie auf Texten von Gastautoren und Kolumnisten. Gastautoren würden mit Bild und Personenbeschreibung neben dem Artikel vorgestellt. Alle Texte eines Gastautors seien zudem auf einer eigenen Seite zusammengefasst. Die Gastautoren seien in der Onlinezeitung transparent gelistet, verbunden mit dem Hinweis, dass diese ihre eigene Meinung wiedergeben, welche sich nicht mit derjenigen der Redaktion decken müsse. Roger Tinner habe der Onlinezeitung «dieostschweiz.ch» am 18. Januar 2019 einen Artikel zur Planung des Busdepots zugesandt. Es habe sich um eine Medienmitteilung der WISG gehandelt, deren Geschäftsführer er sei. Sie stamme aus seiner Feder und reflektiere seine persönliche Meinung. Entsprechend habe er bei diesem Artikel als Gastautor fungiert und der Artikel sei unter seinem Namen veröffentlicht worden. Da Tinner eine Vielzahl von Mandaten habe, habe sich die Beschwerdegegnerin auf die Nennung seines Unternehmens beschränkt. Zudem sei seine Person sowie seine verschiedenen Rollen in der Stadt St. Gallen und vor allem bei den vom betreffenden Text tangierten Personen bestens bekannt gewesen. Zum Vorwurf der Verletzung der Richtlinie 3.2 (Kennzeichnung von Medienmitteilungen) bringt die Redaktion vor, die Formulierungen im Beitrag liessen keinen Zweifel daran, dass es sich nicht um einen Text eines Mitglieds der zweiköpfigen Redaktion, sondern um eine Medienmitteilung eines Verbands handle. Es sei kein Versuch erfolgt, die Haltung der WISG zu verhüllen und einen neutralen Absender vorzutäuschen. Natürlich seien die Medienmitteilung der WISG und der Artikel «Geplanter Standort nicht durchdacht» identisch, da Medienmitteilungen unverändert publiziert würden.

Zum Vorwurf des Plagiats gemäss Richtlinie 4.7 bringt «dieostschweiz.ch» vor, es sei gerade der Sinn einer Medienmitteilung, dass sie in diversen Medien erscheine. «dieostschweiz.ch» habe nichts mit dem Artikel im «Leader» zu tun, da das Mandat mit ihnen zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels abgelaufen sei. Zudem habe «dieostschweiz.ch» mit «leaderdigital.ch», dem Onlinemagazin von «Leader», nie etwas zu tun gehabt. Bezüglich Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) handle es sich definitiv nicht um Werbung im Sinne einer bezahlten Werbung. Bezahlte Werbung würde unter der Rubrik «Publireportage» veröffentlicht. In diesem Fall habe es weder eine Zahlung noch eine andere Zuwendung gegeben. Dass die Medienmitteilung eines Wirtschaftsverbands zu einem politischen Geschäft eine Werbung für ein politisches Vorhaben sei, scheine logisch, spreche aber nicht gegen eine Publikation. Vorliegend sei dies völlig transparent geschehen, da die WISG als handelnde und kommentierende Person im Beitrag sowie der Originalmitteilung mehrfach ganz klar genannt werde.

D. Gemäss Art. 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements entscheidet das Präsidium des Presserats, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin und Max Trossmann, Vizepräsident über Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserats bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder die von untergeordneter Bedeutung sind.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 30. Dezember 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörende Richtlinie 3.2 (Medienmitteilungen) verlangt von Journalistinnen und Journalisten, Medienmitteilungen von Behörden, Parteien, Verbänden, Unternehmen oder anderen Interessengruppen als solche zu kennzeichnen. Die Bezeichnung der Funktion Roger Tinners auf «dieostschweiz.ch» umfasst einige Zeilen, es fehlt jedoch der Hinweis darauf, dass er Geschäftsführer der WISG ist. In dieser Funktion hat er die Medienmitteilung verfasst, die Angabe dieser Interessenbindung wäre für die Leserschaft für die Einordnung des Beitrags massgebend. Diese Angabe würde zudem helfen, den Beitrag nicht mit einem redaktionellen Inhalt zu verwechseln. Dass Tinner im Raum der Stadt St. Gallen bekannt sei, spielt bei der genauen Kennzeichnung seiner Funktion keine Rolle, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass jede Leserin und jeder Leser um dessen Funktion als Geschäftsführer der WISG weiss.

Der Text des Artikels «Geplanter Standort nicht durchdacht» ist zudem identisch mit der Medienmitteilung der WISG. «dieostschweiz.ch» hat jedoch nirgends den Hinweis angebracht, dass es sich bei diesem Artikel um die Wiedergabe einer Medienmitteilung handelt. Auch wenn einige Formulierungen im Beitrag in diese Richtung weisen, kann der Text durchaus als redaktioneller Beitrag gelesen werden. Im Ergebnis ist somit Richtlinie 3.2 verletzt, da der Beitrag nicht als Medienmitteilung der WISG gekennzeichnet war. Zudem hätte der Autor als Geschäftsführer der WISG gekennzeichnet oder die Nennung eines Autors ganz weggelassen werden müssen.

2. Zu fragen ist weiter, ob Richtlinie 10.1 verletzt ist. Demgemäss ist die deutliche Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung für die Glaubwürdigkeit der Medien unabdingbar. Inserate, Werbesendungen und bezahlte oder durch Dritte zur Verfügung gestellte Inhalte sind gestalterisch von redaktionellen Beiträgen klar abzuheben. Sie müssen explizit als Werbung deklariert werden, sofern sie nicht eindeutig als solche erkennbar sind. Wie bereits dargelegt handelt es sich beim Beitrag um eine Medienmitteilung und nicht um Werbung. Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) ist somit nicht anwendbar und folglich auch nicht verletzt.

3. Richtlinie 4.7 (Plagiat) hält fest, dass unlauter gegenüber seinesgleichen handelt, wer Informationen von einer Berufskollegin, einem Berufskollegen ohne Quellenangabe übernimmt. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen «dieostschweiz.ch» und nicht gegen das Onlinemagazin «leaderdigital», welches die Medienmitteilung ohne Angaben zum Autor veröffentlicht hat. «dieostschweiz.ch» hat Roger Tinner als Autor des Beitrags klar bezeichnet. Da er auch die Medienmitteilung der WISG verfasst hat, ist Richtlinie 4.7 vorliegend nicht anwendbar.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. «dieostschweiz.ch» hat mit dem Artikel «Geplanter Standort nicht durchdacht» vom 16. Januar 2019 die Ziffer 3 (Medienmitteilungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.