Nr. 72/2020
Wahrheitspflicht / Quellenbearbeitung / Anhörung / Berichtigung / Identifizierung

(X. c. «Beobachter»)

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Zusammenfassung

Wer jemandem vorwirft, Geld hinterzogen und damit den finanziellen Niedergang eines Geschäfts verschuldet zu haben, erhebt einen «schweren Vorwurf» im Sinne des Journalistenkodex. Um fair darüber zu berichten, müssen Quellen nachgeprüft und die beschuldigte Person angehört werden.

Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde gegen den «Beobachter» teilweise gutgeheissen. In einem im April online und später in der gedruckten Ausgabe veröffentlichten Artikel über mehrere Entlassungen beim Berner Heimatwerk wurde behauptet, diese Genossenschaft sei finanziell in Schieflage geraten, weil eine frühere Geschäftsführerin Geld hinterzogen habe. Dafür wird ein «Insider» der Genossenschaft als einzige Quelle genannt. Das reicht nicht: Die Entlassung von elf Mitarbeiterinnen und eine Liquidation verursacht zu haben ist ein schwerer Vorwurf, der eine Anhörung nötig gemacht hätte, selbst wenn die Beschuldigte für ein breites Publikum nicht unmittelbar identifizierbar war. Hinzu kommt, dass die Redaktion nach der ersten Publikation von der Betroffenen darauf aufmerksam gemacht worden war, dass erstens die Summe der Geldhinterziehung (wenn überhaupt) so gering sei, dass diese gar keine Ladenschliessung hätte zur Folge haben können und dass, zweitens, die angebliche Liquidation gar nicht stattgefunden habe. Diese Hinweise hätte der «Beobachter» vor der zweiten Publikation sorgfältig überprüfen müssen.

Der Presserat kommt zum Schluss, dass der «Beobachter» damit den Journalistenkodex hinsichtlich der Wahrheitssuche, der Quellenarbeit und der Anhörungspflicht verletzt hat.

Résumé

Qui reproche à quelqu’un d’avoir soustrait de l’argent et ainsi causé le déclin financier d’une entreprise exprime un grave reproche au sens du code de déontologie des journalistes. Pour en rendre compte de manière équitable, il faut vérifier les sources et entendre la personne incriminée.

Le Conseil suisse de la presse a accepté partiellement une plainte contre le «Beobachter». Dans un article publié en ligne et dans la version imprimée, au mois d’avril, au sujet de plusieurs renvois au Heimatwerk bernois, il était écrit que la coopérative s’était retrouvée en difficulté financière parce qu’une ancienne directrice avait fraudé le fisc. Seul un membre de la coopérative était cité en tant que source. Cela ne suffit pas: reprocher à quelqu’un d’être responsable du renvoi de onze collaboratrices et d’une liquidation est un grave reproche qui aurait nécessité que la personne incriminée soit entendue, même si elle ne pouvait être identifiée directement par le grand public. S’ajoute à cela que les intéressés ont, après la première publication, rendu la rédaction attentive au fait que, premièrement, le montant de la fraude (s’il tant est qu’il y ait eu fraude) était si faible qu’elle n’aurait pas pu entraîner la une fermeture du magasin et que, deuxièmement, la prétendue liquidation n’avait pas eu lieu. Le «Beobachter» aurait dû vérifier soigneusement ces informations avant la seconde publication.

Le Conseil de la presse en conclut que le «Beobachter» a porté atteinte au code de déontologie des journalistes en ce qui concerne la recherche de la vérité, le traitement des sources et le devoir d’entendre les personnes incriminées.

Riassunto

Chi accusa qualcuno di aver sottratto del denaro e con ciò di aver causato la rovina di un’impresa è sicuramente autore dei «gravi addebiti» che il codice del giornalismo menziona. Perché, per riferire correttamente, occorre la verifica delle fonti e l’ascolto della persona accusata.

Il Consiglio svizzero della stampa ha accolto dunque parzialmente un reclamo contro il «Beobachter». In un articolo pubblicato in aprile sul sito online, e successivamente nell’edizione a stampa, il periodico riferiva di vari licenziamenti operati da Heimatwerk. La cooperativa si troverebbe in gravi difficoltà finanziarie a causa di una sottrazione di fondi operata da un’ex direttrice. Come fonte della notizia era citato unicamente un «insider» dell’azienda. Il Consiglio della stampa ritiene insufficiente tale indicazione. Il licenziamento di undici dipendenti e la messa in liquidazione di una ditta sono fatti gravissimi, di cui riferire solo dopo aver dato ascolto della «colpevole», magari citata solo in modo da non essere riconosciuta da un ampio pubblico. La redazione era stata ammonita, dopo una prima pubblicazione, che la somma dell’asserita sottrazione non pareva giustificare addirittura la chiusura del negozio, inoltre che l’asserita liquidazione non aveva avuto luogo. Al «Beobachter» incombeva di verificare nuovamente e in modo accurato l’informazione prima di tornarci sopra.

Il Consiglio della stampa ne conclude che il «Beobachter» ha violato le disposizioni sulla ricerca della verità, la verifica delle fonti e l’ascolto delle persone accusate, contenute nella «Dichiarazione dei doveri dei giornalisti».

I. Sachverhalt

A. Der «Beobachter» veröffentlichte zuerst in der Online-Ausgabe (am 9. April 2020) und später in der Druckversion (24. April 2020) zwei fast gleichlautende Artikel über mehrere Entlassungen beim «Berner Heimatwerk»: «Entlassungen statt Kurzarbeit» lautete der erste Titel, «Entlassungen beim Berner Heimatwerk» der zweite. Der Inhalt der Beiträge betraf die Kündigung von elf Mitarbeiterinnen nach dem Lockdown verbunden mit der Frage, warum die Genossenschaft keine Kurzarbeit oder Corona-Kredite beantragt habe. Der Grund für die Probleme wurde in den Beiträgen so geschildert: Die Genossenschaft sei schon vor der Pandemie in Schieflage geraten und zwar weil «… eine frühere Geschäftsführerin Geld hinterzogen haben soll. Davon hätten sich die Berner Heimatwerke nie erholt, so ein Insider.» Das Verfahren in dieser Sache sei noch hängig. Der «Insider» wird nicht näher bezeichnet. Der Lockdown und die Schliessung der Geschäfte habe den Niedergang nur beschleunigt, Kredite habe das Heimatwerk wegen der bereits bestehenden Schulden nicht erhalten, Kurzarbeit hätte auch nichts gebracht. Deswegen befinde sich die Genossenschaft in Liquidation. Zu Wort kommt in den Beiträgen der Verwaltungsratspräsident, der sich nur zu der Schliessung des Ladens und zu den Entlassungen äussert: «Wir setzen alles daran, dass wir den Laden nach dem Lockdown wieder eröffnen können.» Kurz erwähnt wird auch die Position der Genossenschaft Unia: «Dieses krasse Beispiel zeigt, dass die Angestellten in der Schweiz grundsätzlich sehr schlecht vor Kündigungen geschützt sind.» Die zwei Beiträge unterscheiden sich nur bei der Begründung der Notsituation: «… weil eine frühere Geschäftsführerin Geld hinterzogen haben soll» (erste Fassung) «… angeblich weil eine frühere Geschäftsführerin Geld hinterzogen hat» (zweite, gedruckte Fassung).

B. Am 12. Mai 2020 reichte die frühere Geschäftsleiterin (anwaltlich vertreten) Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Die Beschwerdeführerin (BF) macht geltend, mehrere Aussagen der beiden Beiträge stimmten nicht. Zum einen stimme die Aussage nicht, wonach die Genossenschaft Heimatwerk in Liquidation stehe, ebenso wenig treffe zu, dass elf Angestellten habe gekündigt werden müssen weil die BF Geld hinterzogen und damit die Genossenschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten getrieben habe. Die Beschwerdeführerin bestreitet zwar nicht, dass die «Berner Heimatwerke» ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet haben, sie behauptet aber, sie habe kein Geld hinterzogen, vor allem aber belaufe sich die behauptete (und von ihr bestrittene) «Deliktsumme» auf maximal 7000 Franken, was unmöglich zum Ruin der Firma hätte führen können. Die entsprechenden Behauptungen schädigten ihren Ruf und erschwerten ihr berufliches Fortkommen, insbesondere da sie durch die Publikationen leicht erkennbar sei, selbst wenn sie nicht namentlich genannt werde. Die Beschwerdeführerin sieht mehrere Ziffern und Richtlinien der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt:

Ziffer 1, Richtlinie 1.1: Die Autorin der beiden Beiträge habe sich nicht an die Wahrheit und Wahrheitssuche gehalten. Sie habe falsche Informationen verbreitet, die sie von einer Quelle erhalten, aber offensichtlich nicht überprüft habe: Die Genossenschaft stehe nicht in Liquidation, sie, die ehemalige Geschäftsleiterin, habe kein Geld hinterzogen, die strittige Summe betrage nur wenige hundert Franken, die Firma habe bei ihrer Entlassung noch schwarze Zahlen geschrieben und sie habe zurückbezahlt, was irrtümlich falsch verbucht worden sei.

Ziffer 3, Richtlinie 3.1: Die Journalistin sei nicht sorgfältig mit den Quellen umgegangen. Sie beziehe sich im Text der Artikel auf eine einzige Quelle und sie habe deren Glaubwürdigkeit offensichtlich nicht überprüft. Ein Beispiel sei die behauptete Liquidation der Firma. Ein kurzer Blick ins Handelsregister hätte die angebliche Liquidation widerlegt.

Richtlinie 3.8: Der «Beobachter» habe sie nicht angehört. Das hätte die Redaktion aber machen müssen, da es sich um schwere Vorwürfe handle (Geldhinterziehen, elf Arbeitsstellen vernichtet).

Ziffer 5, Richtlinie 5.1: Eine Berichtigung sei zwingend und möglich gewesen. Nach der Online-Publikation habe die BF die Redaktion kontaktiert, sie habe erläutert, dass der Inhalt des Artikels falsch sei, vor allem, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen ihrem Verhalten und der finanziellen Lage der Genossenschaft geben könne. Der «Beobachter» habe stattdessen den gleichlautenden Artikel im Heft gedruckt, allerdings ergänzt durch ein «angeblich» vor der Begründung des Niedergangs und wieder mit dem Hinweis auf die Unschuldsvermutung.

Ziffer 7, Richtlinie 7.2: Die Privatsphäre der BF sei dadurch verletzt, dass anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen gegen sie erhoben worden seien. Ihr Name werde zwar nicht genannt, sie sei aber einfach zu identifizieren. Im Handelsregister stehe klar, wer die fragliche frühere Geschäftsführerin war (es gebe nur eine einzige Frau, die diese Rolle in der Vergangenheit innehatte).

C. Am 7. Juli 2020 folgte die Stellungnahme des «Beobachter» (ebenfalls anwaltlich vertreten). Der Beschwerdegegner (BG) beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Als erstes führt er an, dass die Beschwerdeführerin für Leser gar nicht erkennbar sei. Ihre Identität sei nur durch eine komplizierte Recherche zu finden. Unbestritten sei auch, dass ein Strafverfahren gegen sie laufe. Umstritten sei einzig, ob der fragliche, angeblich hinterzogene Betrag wirklich der Grund für den Niedergang der Genossenschaft gewesen sei. Gemäss der Stellungnahme des «Beobachter» hatte die Journalistin aber zwei Quellen, zwei Organpersonen der Genossenschaft, die sie selber kenne, welche ihr die entsprechenden Informationen gegeben hätten und es habe weder einen Anlass noch eine medienethische Verpflichtung gegeben, die Angaben zweier glaubwürdiger Quellen nachzuprüfen. Die beiden Quellen hätten im Übrigen «davon abgesehen, die in Frage stehenden (Delikts-)Beträge zu beziffern». Die BF bestreite einen Zusammenhang zwischen Straftat und Niedergang der Genossenschaft, aber ohne Beweise dafür zu liefern, entsprechend sei auch keine Berichtigung nötig gewesen. Eine Anhörung der Geschäftsführerin sei ebenfalls nicht nötig geworden, denn es habe kein schwerer Vorwurf vorgelegen, die Beschwerdeführerin sei im Artikel ohnehin nicht erkennbar. Zudem werde erwähnt, dass die Vorwürfe gegen die BF nicht rechtskräftig erwiesen seien. Was die Liquidation der Genossenschaft anbelange, spiele es – immer laut dem «Beobachter» – keine Rolle, ob diese im Handelsregister schon eingetragen ist: Für die Wahrnehmung der LeserInnen sei nur wichtig, dass ein Laden ohne Personal dastehe, also nicht weiter bestehen könne.

D. Am 7. August 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde der 1. Kammer des Presserates zugewiesen, bestehend aus Casper Selg (Präsident a.i.), Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka und Francesca Luvini.

E. Die 1. Kammer hat die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 31. August 2020 sowie auf dem Korrespondenzweg behandelt.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Die zugehörige Richtlinie 1.1 gibt vor, dass die Wahrheitssuche den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit darstellt. Diese setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten, ihre Überprüfung und die allfällige Berichtigung voraus.

Der «Beobachter» macht hier eine klare Aussage: «Die Genossenschaft ist finanziell in Schieflage geraten, weil eine frühere Geschäftsführerin Geld hinterzogen haben soll. Davon hätten sich die Berner Heimatwerke nie erholt, so ein Insider. Das Verfahren ist hängig.» Selbst wenn mit «soll» etwas relativiert wird, erscheint die behauptete Hinterziehung von Mitteln seitens der BF als einziger und ursächlicher Grund für den Niedergang der «Heimatwerke»-Genossenschaft und für die darauffolgenden elf Kündigungen («ist in Schieflage geraten, weil …»). Einzige Quelle dafür ist laut Text ein nicht genauer beschriebener «Insider», auf den mit dem «soll» auch Bezug genommen wird.

Der Presserat sieht in dieser Darstellung die Ziffer 1 der «Erklärung» und insbesondere Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verletzt und zwar vor allem in Bezug auf den zweiten, den gedruckten Artikel. Könnte man mit dem BG hinsichtlich des ersten Artikels noch argumentieren, zwei glaubwürdige Quellen seien für eine Sachverhaltsdarstellung ausreichend (der Text spricht allerdings nur von einer, die Beschwerdeantwort jedoch von zwei «Organpersonen» als Quellen), so gilt das sicher nicht mehr für den zweiten: Nachdem der «Beobachter» von der BF auf erhebliche Widersprüche hingewiesen worden war, hätte die Geschichte nachrecherchiert und entsprechend angepasst werden müssen. Insbesondere die Behauptung, das Delikt der BF sei ursächlich für den Niedergang der Genossenschaft, hält angesichts der in Frage stehenden Deliktsummen einer Überprüfung nicht stand. Und die behauptete Liquidierung trifft ohnehin nicht zu. Ziffer 1 der «Erklärung» ist verletzt.

2. Analoges gilt für die Ziffer 3 der «Erklärung». Gemäss Ziffer 3 veröffentlichen Journalisten nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne, deren Quellen ihnen bekannt sind. Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen, Bild- und Tonmontagen ausdrücklich als solche. Und die erläuternde Richtlinie 3.1 über die Quellenbearbeitung verlangt die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit.

Auch hier gilt: Selbst wenn man mit dem «Beobachter» davon ausgeht, dass anfänglich zwei zuverlässige Quellen vorgelegen hätten: Spätestens mit den Einwänden der Beschwerdeführerin, dem Hinweis auf den verhältnismässig geringen Deliktsbetrag und die nicht erfolgte Liquidation hätten die Quellen und deren Aussagen überprüft werden müssen. Der Einschub von «angeblich» ändert nichts an der Grundaussage. Ziffer 3 ist verletzt.

3. Hinsichtlich Richtlinie 3.8 ist dem «Beobachter» recht zu geben, wenn er feststellt, dass die BF nicht identifiziert wurde, jedenfalls nicht über den von Richtlinie 7.2 umschriebenen Personenkreis hinaus (s. u. Erwägung 5). Dennoch wäre es angesichts der Schwere der Vorwürfe (klar illegales Verhalten) und der Tatsache, dass die Geschäftsführerin zwar nicht für die Allgemeinheit, aber doch für ihr berufliches Umfeld erkennbar war, angezeigt gewesen, sie zu den Vorwürfen anzuhören. Die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen ist verletzt.

4. Was die Berichtigungspflicht anbelangt ist der Fall weniger klar. Richtlinie 5.1 sieht vor, dass Berichtigungen unverzüglich und von sich aus wahrgenommen werden. Sie sind Teil der Wahrheitssuche.

Nach den Hinweisen der Beschwerdeführerin hätte nach Beurteilung des Presserates aber nicht eine Berichtigung eines oder mehrerer einzelner Fakten erfolgen müssen, sondern eine Neubeurteilung des ganzen Inhalts des Artikels. Insofern ist nicht spezifisch die Berichtigungspflicht tangiert, sondern die bereits angesprochene Wahrheitssuche.

5. Zur Frage der Privatsphäre: Ziffer 7 der «Erklärung» verlangt die Respektierung der Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Journalistinnen unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. Gemäss Richtlinie 7.2 (Identifizierung) wägen Journalisten die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig ab. Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.

Es stellt sich hier die Frage, ob die BF mit den Angaben im Artikel für die Leserschaft oder wesentliche Teile davon identifiziert wurde. Sie selber macht geltend, mit der Funktionsbezeichnung «Geschäftsführerin» sei sie bereits identifiziert, denn sie sei die einzige Frau, die im «Berner Heimatwerk» je geschäftsführend tätig gewesen sei. Ein Blick ins Handelsregister reiche, um ihre Identität festzustellen.

Dennoch ist sie nach Einschätzung des Presserates für die Leserschaft nicht identifiziert: Wie oben zitiert, verlangt Richtlinie 7.2 für eine erfolgte Identifizierung, dass eine Person über den engeren persönlichen und beruflichen Kreis hinaus erkennbar wird. Die alleinige Tatsache, dass jemand in einem öffentlichen Register aufgeführt wird, macht sie noch nicht öffentlich (kaum jemand wird im Handelsregister nachschauen, welche Frauen da infrage kämen, ausser beruflich oder persönlich mit ihr Verbundene, die aber gehören wieder zum besagten engeren Kreis, vgl. auch Stellungnahme 9/2019, in welchem der Presserat festgestellt hatte, dass ein Pflichteintrag im Handelsregister den Schutz der Privatsphäre nicht aufhebt). Ziffer 7 der «Erklärung» ist nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «Beobachter» hat mit dem Online-Artikel «Entlassungen statt Kurzarbeit» vom 9. April 2020 und mit dem Artikel «Entlassungen beim Berner Heimatwerk» vom 24. April 2020 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (in Bezug auf die Quellenbearbeitung und die Anhörungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. In den übrigen Punkten wird die Beschwerde abgewiesen.