Nr. 64/2021
Trennung von Fakten und Kommentar / Quellenbearbeitung / Menschenwürde / Diskriminierung

(X. / Transgender Network / Y. c. «Neue Zürcher Zeitung»)

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Zusammenfassung

Die scharf formulierte Forderung nach einer Rückkehr zu einer konservativeren, zurückhaltenderen Behandlung von Kindern, die einen Geschlechtswechsel wünschen, sei in einem klar deklarierten Kommentar nicht zu beanstanden, entscheidet der Presserat.

Die NZZ veröffentlichte auf ihrer Meinungsseite den Kommentar einer Journalistin, welche sich äusserst kritisch zu den neueren Behandlungsmethoden von Transkindern äusserte. Sie ging davon aus, dass heute speziell in Deutschland dem Wunsch von Kindern nach einem Geschlechtswechsel unhinterfragt stattgegeben werden müsse. Die daraus folgende Behandlung mit «Pubertätsblockern» schade den Kindern langfristig stark. Gegen den Text gingen Beschwerden ein: Die Autorin äussere falsche und nicht belegte Tatsachenbehauptungen, gehe falsch mit Quellen um, vermische Bericht und Kommentar unzulässig, diskriminiere Transmenschen und verstosse gegen Menschenrechte.

Der Presserat macht in seiner Stellungnahme zunächst deutlich, dass er weder in der Lage noch dazu da ist, komplexe medizinische Streitfragen zu entscheiden. Er beurteilt, ob Verstösse gegen den Medienkodex vorliegen. Die Kritik, im Kommentar seien keine Belege für Behauptungen vorgelegt worden, sah er nicht als berechtigt. Für die Behauptungen gebe die Journalistin in praktisch allen Punkten glaubwürdige Quellen an. Die Kritik, wonach sie Bericht und Kommentar vermische, lehnt der Presserat ebenfalls ab, der Text sei klar als Kommentar gekennzeichnet. Der Rat sah auch keine Diskriminierung oder einen Verstoss gegen die Menschenwürde im Text. Er betont, man könne den inhaltlichen Zugang der Autorin, die Stossrichtung des Kommentars für völlig falsch halten, aber die Art und Weise wie diese konservative Meinung geäussert und publiziert worden sei, verstosse nicht gegen den Kodex.

Résumé

Le Conseil de la presse ne trouve rien à redire à l’exigence formulée à l’emporte-pièce, dans un commentaire clairement déclaré comme tel, d’un retour à un traitement conservateur et mesuré des enfants qui souhaitent changer de sexe.

La NZZ a publié sur sa page «Opinion» le commentaire d’une journaliste s’exprimant de manière extrêmement critique sur les nouvelles méthodes de traitement proposées aux enfants trans. Elle y suppose qu’il faut aujourd’hui, particulièrement en Allemagne, donner automatiquement suite au souhait exprimé par des enfants de changer de sexe. Le traitement, recourant à des «bloqueurs de puberté», nuit selon elle considérablement aux enfants à long terme. Des plaintes ont été déposées contre ce texte: d’après les plaignants, l’autrice énonce des affirmations factuelles erronées et non démontrées, manipule les sources, mêle compte rendu et commentaire de manière inadmissible, discrimine les personnes trans et porte atteinte aux droits humains.

Le Conseil de la presse commence par indiquer clairement, dans sa prise de position, qu’il n’est ni en mesure ni n’a été créé pour trancher des questions médicales complexes. Il a seulement pour tâche d’apprécier s’il y a atteinte au code de déontologie des journalistes ou non. La critique faite à l’autrice du commentaire de ne pas prouver ses affirmations est à son avis injustifiée. La journaliste cite sur pratiquement tous les points des sources crédibles. Le Conseil de la presse rejette également la critique concernant le mélange de compte rendu et de commentaire, le texte étant clairement déclaré comme commentaire. Il n’y voit pas non plus de discrimination ou d’atteinte aux droits humains. Il souligne qu’on peut juger complètement fausse l’approche de l’autrice, l’orientation de son commentaire, mais la manière dont cette opinion conservatrice a été exprimée et publiée ne viole pas le code de déontologie des journalistes.

Riassunto

Secondo il Consiglio della stampa la richiesta tagliente di tornare ad una terapia più conservativa e meno invasiva per i bambini che desiderano cambiare sesso è legittimo.

Nella sua pagina delle opinioni la NZZ ha pubblicato il commento di una giornalista che si è posta con toni particolarmente critici nei confronti di nuovi metodi di trattamento per i bambini transgender. Nel suo articolo parte dal presupposto che oggi soprattutto in Germania si debba assecondare il desiderio dei bambini di voler cambiare sesso. Condanna invece il trattamento con «bloccanti della pubertà» che nel lungo termine danneggiano i bambini in modo grave. Contro il suo testo sono stati inviati diversi reclami: le affermazioni dell‘autrice sarebbero non corrette e non comprovate, l’autrice non sarebbe capace di rapportarsi con le fonti, mischia la cronaca al commento, discrimina la persone trans e viola i diritti dell’uomo.

Il Consiglio della stampa nella sua presa di posizione esprime in modo chiaro, che non è nella condizione e non è nemmeno suo compito prendere decisioni in merito a complesse controversie mediche. Giudica se vi sono violazioni al codice dei media. Non ritiene fondata la critica secondo la quale nel commento non vengono fornite prove a sostegno di quanto affermato visto che la giornalista praticamente ad ogni punto menziona fonti credibili. Il Consiglio della stampa nel testo non rileva nemmeno alcun tipo di discriminazione o violazione dei diritti umani. Sottolinea che si potrebbe ritenere completamente sbagliato l’orientamento del commento, cosi come l’approccio dell’autrice al contenuto ma il modo in cui questa opinione conservatrice è stata espressa non viola il Codice.

I. Sachverhalt

A. Am 28. Januar 2021 veröffentlichte die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) in der Rubrik «Meinung und Debatte» einen mit «Gastkommentar» angekündigten Text unter dem Titel «Jenseits des Regenbogens» und dem Untertitel: «Die Zahl von Kindern, die ihr Geschlecht wechseln wollen, nimmt weltweit zu. England macht nun eine beispielhafte Kehrtwende in der Behandlung angeblicher ‹Transkids›». Als Autorin wird Birgit Kelle genannt, welche am Ende des Textes als Publizistin vorgestellt wird, die zuletzt ein Buch veröffentlicht habe, das sich kritisch mit dem Thema «Gendern» auseinandergesetzt habe. In der Online-Ausgabe, gegen die sich die Beschwerden wenden, wird der Text überschrieben mit: «GASTKOMMENTAR ‹Transkids›: England macht eine beispielhafte Kehrtwende in der Behandlung».

Der Kommentar befasst sich mit den Behandlungsmethoden für Kinder, die ihr Geschlecht wechseln wollen. Die Autorin geht davon aus, dass ein jüngst in Deutschland eingeführtes Gesetz verfehlt sei, welches eine konservative Behandlung verbietet, eine Behandlung, die den Wechselwunsch des Kindes hinterfragt. Diese Regelung habe dazu geführt, dass die Zahl von Geschlechtswechsel bei Kindern enorm zugenommen habe und dies mit zum Teil schweren Nachteilen für die Betroffenen.

Nach einer Zusammenfassung dessen, was die BefürworterInnen von möglichst weitgehender Liberalisierung auf dem Gebiet der Behandlung von «Trans-Kindern» wohl so dächten, kritisiert die Autorin die Aktivität von «weltweiten Trans-Lobby-Gruppierungen». Diese drängten darauf, den Wechsel zwischen den Geschlechtern juristisch unkompliziert und psychotherapeutisch unbegleitet, dafür aber seitens der Kinder «selbstbestimmt» zu vollziehen. Sie verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich die Zahl von Behandlungen solcher Kinder und Jugendlicher in München und Hamburg in wenigen Jahren verfünffacht habe. Dass das «Homo-Heiler-Verbot» in Deutschland ergänzt worden sei mit einem «Trans-Heiler-Verbot» habe im Zuge einer «LGBT-toleranten Hochkultur» dazu geführt, dass eine undifferenzierte Regelung entstanden sei. Diese wird im Kommentar als getragen von einer «Pippi-Langstrumpf-Ideologie» charakterisiert: «Jeder soll sein, wie er möchte, und niemand soll ihn davon abhalten.» Die neue Regelung führe dazu, dass Ärzte, welche von einer Hormontherapie abraten, sich strafbar machten, selbst wenn sie «ergebnisoffen» vorgingen. Umgekehrt mache sich nicht strafbar, wer ein Kind in eine frühe Behandlung mit Pubertätsblockern führe und damit massive körperliche Schäden sowie auch eine dauerhafte Unfruchtbarkeit riskiere.

Es wird der Jugendpsychiater der Uniklinik München, Alexander Korte, zitiert, der das Gesetz als «Desaster» bezeichne, weiter wird die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (DGSMTW) aufgeführt, welche gemahnt und darauf aufmerksam gemacht habe, dass eine Behandlung mit Pubertätsblockern nahezu immer zu operativen Massnahmen geführt habe. Das sei deswegen von Belang, so der Kommentar weiter, weil statistisch gesehen eine Überwindung der in der Pubertät auftretenden «Geschlechtsdysphorie» ohne jede Hormontherapie durchaus wahrscheinlich sei. Pubertät sei keine Krankheit, entsprechend seien Pubertätsblocker auch keine Heilung, sondern in ihrem Effekt eine Körperverletzung. Schäden an Knochenwachstum, Gehirnentwicklung, psychische Störungen und Unfruchtbarkeit werden als Beispiele genannt. Die DGSMTW gehe davon aus, dass die Pubertätsblocker-Therapie schon frühzeitig den Weg in die Infertilität bahne. Eine Zustimmung zur Sterilisierung sei aber juristisch eigentlich weder seitens der Eltern noch des Kindes zulässig.

Transmenschen machten sich überdies «lebenslang zu Patienten», dieser Schritt müsse entsprechend gut überlegt sein. Das aber sei nicht mehr möglich, wenn man bei Zweifeln gleich als «transphob» oder als Menschenrechtsverweigerer gebrandmarkt werde. Die Statistiken böten eigentlich guten Grund für eine andere Vorgehensweise, denn das Durchschnittskind mit Geschlechtswechselwunsch sei «erstaunlich häufig» weiblich, jung, mit psychischen Störungen schon vor diesem Wunsch und autistisch. Es wird die Leiterin der Spezialambulanz am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf zitiert, welche von siebzig bis achtzig Prozent Mädchen spreche, die betroffen seien. Zwei australische Kliniken meldeten, dass 43 respektive 50 Prozent der betroffenen Kinder autistisch seien, insgesamt um 80 Prozent Mädchen. Es stelle sich die Frage, «warum vor allem Autisten und Mädchen ihren Körper» in schnell zunehmendem Masse ablehnten, ob es hier wirklich um Transgeschlechtlichkeit gehe oder nicht eher um eine Zeitgeisterscheinung.

England habe eben eine Kehrtwende vollzogen, was die Behandlung mit Pubertätsblockern betreffe, weil die Hormonbehandlung an Kindern Langzeitschäden verursachen könne und weitere Folgen noch gar nicht erforscht seien. Ein Gericht in London habe überdies entschieden, dass ein Kind unter 16 Jahren nicht die geistige Reife habe, in die möglicherweise massiven Gesundheitsschäden einzuwilligen. Es sei absurd, so der Text abschliessend, wenn in Deutschland Vierzehnjährige nicht wählen, keinen Alkohol trinken dürften, um 22 Uhr zu Hause sein müssten, aber sehr wohl ihr Geschlecht und ihren Namen ändern dürften.

B. Am 31. Januar 2021 reichte X. eine Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen die Veröffentlichung dieses Textes ein (Beschwerde 1). Sie macht einen Verstoss gegen die Richtlinien 3.2 («Quellenbearbeitung», gemeint also Richtlinie 3.1), 8.1 (Achtung der Menschenrechte) und 8.2 (Diskriminierungsverbot) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend. Sie weist darüber hinaus darauf hin, dass sie eine Anzeige wegen Volksverhetzung bei den deutschen Behörden und auch eine weitere Beschwerde beim Deutschen Presserat eingereicht habe.

Den Verstoss gegen das Gebot zur Überprüfung von Quellen und deren Glaubwürdigkeit begründet die Beschwerdeführerin (BF 1) damit, dass die Autorin im ganzen Text Zahlen und Tatsachenbehauptungen aneinanderreihe, ohne diese zu erläutern und mit Quellen zu belegen.

Die Achtung der Menschenwürde (Richtlinie 8.1) sei verletzt, weil der Eindruck erweckt werde, es handle sich bei Transmenschen um einen mächtigen Untergrund-Feind. Als Beispiel dafür wird der Ausdruck «Lobby-Gruppen» genannt. Der Artikel ähnele insofern Verschwörungserzählungen.

Und das Diskriminierungsverbot sei verletzt (Richtlinie 8.2), weil die Autorin die Identität von Transgeschlechtlichen als «Wunsch» bezeichne. Einen Wunsch könne man einfach ablegen. Der Ausdruck «vermeintlich trans» erwecke den falschen Eindruck, dass es diese Gruppe gar nicht gebe. Das impliziere, dass es auch keine Rechtsverletzung gegen diese Menschen geben könne, weil es sie ja gar nicht gebe. Und dass überdurchschnittlich viele autistische Menschen trans seien, werde nicht belegt und führe dazu, dass man diesen ihre Selbstbestimmung abspreche.

C. Am 1. Februar 2021 erhob eine Vertreterin des «Transgender Network Switzerland» (TGNS) Beschwerde (Beschwerde 2) gegen den gleichen Artikel und machte Verstösse gegen die Richtlinien 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3.1 (Quellenbearbeitung), 8.1 (Achtung der Menschenwürde) und 8.2 (Diskriminierungsverbot) geltend.

Zur Begründung des Vorwurfs einer Vermischung von Fakten und Kommentar verweist die Beschwerdeführerin 2 (BF 2) auf drei Textstellen:
– Auf den Hinweis der Autorin, dass eine Überwindung der Geschlechtsdysphorie, welche statistisch wahrscheinlich sei, mit Hormontherapie verunmöglicht werde.
– Auf den Hinweis, dass Pubertätsblocker keine Heilung, sondern eher eine Körperverletzung darstellten, mit Schäden etwa am Knochenwachstum inklusive.
– Und auf eine Passage, in welcher festgestellt wird, dass man angesichts steigender Fallzahlen und gleichzeitig untersagter adäquater therapeutischer Begleitung von einer gesetzlich verordneten unterlassenen Hilfestellung sprechen möchte.

Den Verstoss gegen die Anforderungen an die Quellenarbeit (Richtlinie 3.1) begründet die BF 2 damit, dass die Autorin Zahlen und Tatsachenbehauptungen wiederhole, ohne diese zu kontextualisieren, zu belegen oder zu erläutern. Zum Beleg verweist sie auf sechs Textstellen:
– Jeder Arzt, der «nichtaffirmativ», also kritisch hinsichtlich des Wechselwunsches behandle, stehe mit einem Bein auf der Anklagebank.
– Strafbar mache sich ein Mediziner, wenn er versuche, ein Kind erst einmal davon abzuhalten.
– Das Durchschnittskind sei erstaunlich häufig weiblich, jung, mit bereits vorher bestehenden diagnostizierten psychischen Störungen, autistisch.
– Die Frage sei, weshalb vor allem Autisten und Mädchen ihre Körper neuerdings ablehnen, ob es sich hier um ein Zeitgeistphänomen handle.
– Die DGSMTW mache darauf aufmerksam, dass Pubertätsblocker nahezu immer zu operativen Massnahmen führten.
– Damit werde Kindern eine Überwindung der Geschlechtsdysphorie verunmöglicht, verbunden mit Risiken und Nebenwirkungen.

All dies seien unbelegte und nicht erläuterte Tatsachenbehauptungen.

Einen Verstoss gegen die Achtung der Menschenwürde (Richtlinie 8.1) und das Diskriminierungsverbot (Richtlinie 8.2) sieht die BF 2 darin, dass Transmenschen und alle, die nicht «transfeindlich» handeln, in einen Zusammenhang mit Kriminalität gestellt würden. Geisteskrankheit, Verstümmelung und Verschwörung seien aber weder Fakt noch im Bereich von Meinungsjournalismus anzusiedeln, sondern absichtlich abwertend und herabwürdigend. Dafür werden sieben Textbeispiele angeführt:
– Die wiederholte Verwendung des Begriffs «Lobby-Gruppen», welche mit anrüchigem Verhalten konnotiert werde.
– Die von der Autorin so genannte «Pippi-Langstrumpf-Ideologie», mit welcher im Ergebnis nicht strafbar werde, wer Pubertätsblocker mit den entsprechenden Nebenwirkungen anwende.
Weiter die Stellen:
– «Pubertätsblocker sind demnach keine Heilung, sondern eher eine Körperverletzung, Schäden an Knochenwachstum, Gehirnentwicklung, psychische Störungen und Unfruchtbarkeit inklusive.»
– Der Hinweis auf das Verbot von Sterilisationen.
– «Transmenschen machen sich selbst lebenslang zu Patienten, der Schritt muss gut überlegt sein.»
– Die von der Autorin aufgeworfene Frage, ob in der steigenden Zahl von Fällen wirklich Transgeschlechtlichkeit vorliege oder nicht ein Zeitgeistphänomen.
Und
– Der Hinweis, man möchte eher von unterlassener Hilfestellung sprechen, wenn auf Wunsch der Transverbände Kinder selber ihre Körper, ihr Geschlecht und ihre Namen ohne ihre Eltern wechseln können.

Die BF 2 fasst zusammen, dass die Autorin die Bedürfnisse von Transmenschen lächerlich mache und mit Ängsten von Eltern spiele. Die Frage der Unterstützung von Transkindern in ihrer sozialen und späteren Transition sei entgegen den Behauptungen der Autorin unter ExpertInnen nicht umstritten.

D. Am 1. Februar 2021 reichte Y. Beschwerde gegen den Artikel ein (Beschwerde 3). Sie macht einen Verstoss gegen Richtlinie 3.2 (Quellenbearbeitung, auch hier: gemeint Richtlinie 3.1) sowie die Richtlinien 8.1 (Achtung der Menschenwürde) und 8.2 (Diskriminierungsverbot) geltend.

Die dritte Beschwerdeführerin (BF 3) begründet einen Verstoss gegen die korrekte Bearbeitung von Quellen damit, dass behauptet werde, Pubertätsblocker seien keine Heilung, sondern eher eine Körperverletzung. Diese führten zu Schäden an Knochenwachstum, Gehirnentwicklung etc. Das stehe in keinem Verhältnis zu den wirklichen potenziellen Risiken, die mit der Einnahme dieser Medikamente verbunden seien. Die BF 3 gibt in diesem Zusammenhang eine wissenschaftliche Publikation als Quelle an, welche dieses belege. Die Autorin betreibe mit ihren Behauptungen Panikmache.

Verstösse gegen die Achtung der Menschenwürde (Richtlinie 8.1) und das Diskriminierungsverbot (Richtlinie 8.2) sieht die BF 3 darin begründet, dass die Autorin jungen Transpersonen das eigene Empfinden pauschal abspreche. Wenn von einer Kriminalisierung adäquater Behandlungen gesprochen werde, werde impliziert, dass es nur eine richtige Behandlung gebe, nämlich die, den Kindern ihre Transgeschlechtlichkeit abzusprechen. Wenn affirmative Behandlungen als falsch dargestellt würden, werde damit letztlich die Existenz von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen negiert. Diese würden damit auch als unzurechnungsfähig dargestellt. Die Behauptung, Transmenschen machten sich zu lebenslangen Patienten, impliziere, dass diese in ständiger Behandlung sein wollten, als ob sie das ausgesucht hätten, was falsch sei.

E. Die Geschäftsführerin des Presserates vereinigte am 16. Februar 2021 in Absprache mit dem Präsidium die drei Beschwerden und unterbreitete sie der Chefredaktion der NZZ zur Stellungnahme.

F. Am 19. März 2021 nahmen Martin Senti, Ressortleiter Meinung und Debatte, und Simon Jakob vom Rechtsdienst der NZZ-Mediengruppe Stellung zu den Beschwerden. Sie beantragten, auf die Beschwerden sei nicht einzutreten, allenfalls seien sie vollumfänglich abzulehnen.

Der Antrag auf Nichteintreten wird von der Beschwerdegegnerin (BG) damit begründet, dass die Beschwerden zwar einzelne Passagen aus dem Artikel nannten, aber ohne im Einzelnen explizit zu benennen und vor allem zu begründen, welche Bestimmung damit jeweils verletzt werde. Das genüge gemäss Art. 11 des Geschäftsreglements des Presserates nicht für ein Eintreten auf die Beschwerden.

Falls dennoch eingetreten werde, könne von einer mangelnden Trennung von Fakten und Kommentar (Richtlinie 2.3) nicht die Rede sein. Der Text sei klar und deutlich als «Gastkommentar» gekennzeichnet gewesen. Niemand habe Zweifel haben können, dass hier ein Meinungsbeitrag vorliege. Und wo sich der Artikel auf Fakten berufe, werde ausdrücklich auf die Quellen hingewiesen: Urteil des Londoner High Court, Stellungnahme DGSMTW etc.

Zum Vorwurf mangelhafter Quellenbearbeitung (Richtlinie 3.1) wird zum einen grundsätzlich eingewendet, dass ein Meinungsbeitrag immer eine bestimmte andere Sichtweise zu einem aktuellen öffentlichen Diskurs beinhalte. Dieser könne und dürfe durchaus pointiert oder umstritten sein, wie dies beim vorliegenden Kommentar der Fall sei.

Wo die Autorin sich im Weiteren auf Fakten oder Studien beziehe, seien diese genannt und überprüfbar. Es sei aber nicht Anforderung an einen Zeitungskommentar, jede denkbare Quelle explizit zu benennen, wie dies in einem wissenschaftlichen Text gefordert sei. Die BG legt ihrer Antwort aber eine vierseitige Liste von Quellen bei, auf welche sich die Autorin mit ihren Angaben stütze. Wenn allenfalls einzelne Studien umstritten seien, dann sei dies journalistisch insofern nicht relevant, als es – auch gemäss Pressekodex – um «Wahrheitssuche», nicht um das Verkünden einer absoluten Wahrheit gehe. Weiter macht die NZZ geltend, die Beschwerdeführerinnen vermöchten nicht zu benennen, geschweige denn zu begründen, worin falsche Tatsachenbehauptungen bestehen sollen. Zu der von BF 3 angeführten Studie, welche belegen soll, dass die von der Autorin aufgeführten gesundheitlichen Risiken in keinem Verhältnis zu den wirklichen Gefahren stünden, es gehe hier um reine Panikmache, führt die NZZ im Gegenteil – mit Quellenangabe – an: Diese Studie bestätige mit ausdrücklichem Hinweis auf Knochenwuchs, Neuropsychologie und Fertilität, dass bei der Hormontherapie im Gegenteil durchaus «Anlass zur Sorge» bestehe.

Was die gerügte Verletzung der Richtlinien 8.1 (Menschenwürde) und 8.2 (Diskriminierung) angeht, bezeichnet die NZZ die entsprechende Interpretation einzelner Textstellen als unzutreffend. Weder rücke die Autorin Transsexualität in die Nähe von Kriminalität, Geisteskrankheit, Verstümmelung, noch würden Transsexuelle abwertend oder herabwürdigend charakterisiert. Der Autorin gehe es um eine gesellschaftlich-politische Entwicklung, welche dem langfristigen Wohl betroffener Kinder und Jugendlicher zu wenig Rechnung trage. Das verletze weder die Menschenwürde noch diskriminiere es. Die Autorin bestreite nicht Transsexualität von Kindern, wenn sie von «angeblichen Transkindern» schreibe. Sie frage damit nur, ob dieser Sachverhalt in allen Fällen vorliege. Sie wende sich auch nicht gegen offene Behandlungsformen, sie nehme nur gegen zwingend «affirmative Behandlungen» Stellung. Wenn angesichts sprunghaft angestiegener Fallzahlen gefragt werde, ob hier allenfalls ein Zeitgeistphänomen zu verorten sei, dann habe das mit Diskriminierung oder Menschenrechtsverletzung nichts zu tun.

Zusammenfassend stellt die «Neue Zürcher Zeitung» fest, die Zeitung sehe sich in der Pflicht, verschiedenen Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme in einem aktuellen Diskurs zu geben. Sie habe im Übrigen über das Thema Transsexualität schon in verschiedenen Artikeln berichtet. Hier sei es darum gegangen, mögliche Schattenseiten von vorschnellen medizinischen Eingriffen zu thematisieren. Man respektiere aber verschiedene Lebensformen unabhängig des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung.

G. Am 4. Mai 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerden würden von der 1. Kammer des Presserats behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg.

H. Die 1. Kammer hat die vorliegenden Beschwerden an ihrer Sitzung vom 27. August 2021 sowie auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates tritt dieser auf Beschwerden unter anderem dann nicht ein, wenn ein Parallelverfahren bei Gerichten eingeleitet oder vorgesehen ist. Die BF 1 hat ausdrücklich erklärt, sie habe in Deutschland Strafanzeige wegen «Volksverhetzung» gestellt. Der Presserat tritt deshalb auf die Beschwerde 1 nicht ein.

Auf die beiden anderen tritt er ein. Dass die Beschwerdeführerinnen angeblich gar nicht benennen, welche Textstellen genau gegen welche Bestimmung verstiessen, wie die NZZ als Begründung für ein Nichteintreten geltend macht, kann mindestens von der Beschwerde 2 nicht im Ernst behauptet werden. Sie zitiert 16 Textstellen mit dem Hinweis darauf, gegen welche Richtlinien diese ihrer Ansicht nach verstossen. Und bei der Beschwerde 3 wird in der Tat die jeweils betreffende Textstelle nicht genau benannt, aus der Begründung wird aber hinreichend klar, welche gemeint waren. Auf die Beschwerden 2 und 3 wird deshalb eingetreten.

2. Was den Inhalt dieser beiden Beschwerden angeht, sei vorausgeschickt, dass der Presserat mit seinem Eintreten nicht darüber entscheidet, welche Sichtweise bei der Behandlung von «Transkids» die richtige ist. Das kann er nicht und das soll er nicht. Er beurteilt seiner Bestimmung gemäss nur, ob die angerufenen Regelungen der «Erklärung» mit dem von der NZZ veröffentlichten Text verletzt worden sind oder nicht.

3. Die von der BF 2 angerufene Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) zur «Erklärung» verlangt, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann. Wenn ein Text wie im vorliegenden Fall in der Printausgabe unter dem Übertitel «Meinung und Debatte» eingeleitet wird mit «Gastkommentar», dann kann für den durchschnittlichen Leser, die durchschnittliche Leserin, auf welche der Presserat abzustellen pflegt, kein Zweifel daran bestehen, dass hier jemand eine persönliche Meinung ausdrückt, dass also kommentiert wird. Dasselbe gilt für die Onlineausgabe, auf welche sich die Beschwerdeführerinnen berufen, auch dort ist der Text in der Rubrik «Meinung» ausdrücklich und in Grossbuchstaben als «Gastkommentar» angekündigt.

Die drei von der BF 2 angeführten Stellen, welche einen Verstoss gegen Richtlinie 2.3 belegen sollen, beinhalten allesamt persönliche Schlussfolgerungen aus den von der Autorin zugrunde gelegten Prämissen. Das sind Beurteilungen, wie sie in jedem Kommentar vorkommen. Sie müssen vorkommen dürfen, sonst ist die Form des Kommentars nicht mehr möglich.

Die Beschwerdeführerinnen mögen mit der Einschätzung, mit der Sichtweise der Autorin nicht einverstanden sein, sie kritisieren ihre Formulierungen und Beurteilungen. Das ist ihr gutes Recht, aber Kommentar und Fakten sind im Text insofern klar erkennbar, als hier primär und leicht erkennbar eine Meinung ausgedrückt wird. Richtlinie 2.3 ist entsprechend nicht verletzt.

4. Die Richtlinie 3.2 (Medienmitteilungen), welche von der BF 3 angerufen wird, betrifft Medienmitteilungen. Der Presserat geht aber aufgrund der Titulierung mit «Quellenbearbeitung» davon aus, dass – wie bei BF 2 – eigentlich die Richtlinie 3.1 gemeint war. Diese bezeichnet die Überprüfung einer Quelle und deren Glaubwürdigkeit als Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflicht. Die genaue Bezeichnung einer Quelle liegt im Interesse des Publikums. Sie ist unerlässlich, wenn dies zum Verständnis der Information wichtig ist.

Ein journalistischer Text kann nicht und muss nicht mit ausführlichen, vollständigen Quellenangaben versehen sein wie eine wissenschaftliche Arbeit. Nur Quellen, die für das Verständnis der Information zentral sind, müssen genannt werden.

Konkret ist festzustellen: Für die aus Sicht der Autorin im Zentrum der Problematik stehenden anzunehmenden Langzeitschäden der Hormonbehandlung wird die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft (DGSMTW) zitiert sowie auf eine Untersuchung des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS in England verwiesen. Für die spezielle Gefahr der lebenslangen Infertilität wird ebenfalls die DGSMTW zitiert. Für den grossen Anstieg solcher Fälle von Geschlechtswechselwünschen werden zwei Kliniken in München und Hamburg angeführt, welche eine Verfünffachung melden. Ergänzend werden steigende Zahlen aus England erwähnt. Dass siebzig bis achtzig Prozent der Fälle Mädchen beträfen, wird der Leiterin der Spitalambulanz an der Uniklinik Hamburg zugeschrieben. Der hohe Anteil an AutistInnen einer Untersuchung in zwei australischen Städten.

Man mag diese Angaben für nicht gerechtfertigt halten, für falsch interpretiert, schlecht kontextualisiert. Aber der Vorwurf der BF 2 und 3, es würden keine oder nur untaugliche Quellen genannt, ist in der behaupteten Form nicht zutreffend respektive nicht belegt. Deswegen kommt der Presserat zum Ergebnis, dass Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) nicht verletzt ist. Von den Beschwerdeführerinnen wird hingegen nicht gerügt, dass die Autorin ihren Schlussfolgerungen falsche Fakten zugrunde gelegt habe. Ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») wird nicht geltend gemacht.

5. Die Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde) gibt vor, dass sich die Informationstätigkeit an der Achtung der Menschenwürde zu orientieren hat. Und 8.2 (Diskriminierungsverbot) verlangt, dass Journalistinnen und Journalisten darauf achten, dass die Nennung – unter anderem – der sexuellen Orientierung nicht negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt.

Die Textbeispiele, welche die BF 2 zum Beleg der Verstösse gegen die Richtlinien 8.1 und 8.2 anführt, enthalten zum Teil Feststellungen, mit denen die BF offensichtlich nicht einverstanden ist, weiter durchaus gängige Bezeichnungen («Lobby-Gruppen»), pointierte Einschätzungen (die Bedeutung der möglichen Folgen von Hormontherapien, «Pippi-Langstrumpf-Ideologie»), Faktendarstellungen (die Rechtslage in Bezug auf Sterilisation), Mahnungen («Der Schritt muss gut überlegt sein»), Fragestellungen («Die Frage ist, warum vor allem Autisten und Mädchen …») und persönliche Wertungen («möchte man von unterlassener Hilfeleistung sprechen»). Nach eingehender Diskussion sieht der Presserat in keiner dieser zitierten Textstellen eine menschenunwürdige (Richtlinie 8.1) oder diskriminierende (8.2) Aussage. Man mag kritisieren, dass die Autorin wenig bis kaum auf die Argumente der Gegenseite eingeht wie etwa das Leiden der betroffenen Kinder. Das entspricht aber nicht einer Verletzung der Menschenwürde oder einer Diskriminierung gemäss Ziffer 8 der «Erklärung».

Hinsichtlich der Einwände von BF 3 ist festzustellen, dass die Autorin den Kindern nicht ihr eigenes Empfinden abspricht, sondern sie spricht ihnen die Fähigkeit ab, derart weitreichende Entscheidungen wie eine Geschlechtsangleichung mit ihren langfristigen Auswirkungen auf ihr eigenes Leben schon abschätzen zu können. Die Autorin impliziert auch nicht, dass Transmenschen selber in ständiger Behandlung bleiben wollten, wie die BF 3 schreibt, sondern sie geht im Gegenteil davon aus, dass man sie davor verschonen sollte. Verstösse gegen die Menschenwürde oder das Diskriminierungsverbot kann der Presserat in den angeführten Textstellen insgesamt nicht erkennen. Die Richtlinien 8.1 und 8.2 sind nicht verletzt.

Die Beschwerdeführerinnen kritisieren im Grunde genommen, dass ein Artikel, eine Berichterstattung zum Thema Behandlung von Kindern mit Geschlechtsdysphorie nicht korrekt verfasst worden sei, dass er nicht alle Aspekte ausreichend berücksichtige und entsprechend einseitig daherkomme. Hier hat sich die NZZ-Redaktion aber entschieden, eine Meinung, einen Kommentar mit einer ganz bestimmten Sichtweise zu diesem Thema zu veröffentlichen. Das ist ihr Recht. Der Presserat beurteilt – wie bereits erwähnt – nicht, ob die Autorin mit ihrer Analyse und insbesondere ihrer Meinung richtig oder falsch liegt. Dass aber Unwahrheiten, also Verstösse gegen die Wahrheitspflicht, etwa falsche Zitate oder dergleichen, vorlägen, wird von den Beschwerdeführerinnen nicht behauptet oder gar belegt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde 1 nicht ein.

2. Er weist die Beschwerden 2 und 3 ab. Die «Neue Zürcher Zeitung» hat mit dem Kommentar «‹Transkids›: England macht eine beispielhafte Kehrtwende in der Behandlung» vom 28. Januar 2021 die Ziffern 2 (Kommentarfreiheit), 3 (Umgang mit Quellen) und 8 (Respektieren der Menschenwürde, Nichtdiskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.