Nr. 62/2020
Wahrheit

(Althaus c. «Blick» und «20 Minuten»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 26. Februar 2020 veröffentlichte die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) ein Interview mit dem Epidemienforscher Christian Althaus zum «Corona-Ausbruch» unter dem Titel «Man muss jetzt nicht die halbe Schweiz unter Quarantäne stellen». Darin erläutert Althaus unter anderem, dass die Sterblichkeit laut den meisten Fachleuten bei ungefähr einem Prozent liege, er teile diese Einschätzung, das wären zehnmal so viele Todesfälle wie bei einer normalen Grippe. Althaus fährt weiter: «Das Gefährliche beim neuen Coronavirus ist, dass es keine Immunität in der Bevölkerung gibt. Das kann dazu führen, dass sich vielleicht 30, 40 Prozent oder mehr Leute anstecken.» Frage der NZZ: «Es könnte also drei Millionen Infizierte in der Schweiz geben. Bei einer Sterblichkeit von einem Prozent sprechen wir von 30’000 Toten.» Das wiederum beantwortet Althaus mit «Ja, ein solches Worst-Case-Szenario ist nicht ausgeschlossen.»

Am gleichen Tag erschien auf «20 Minuten» online ein Bericht, welcher sich auf das «NZZ»-Interview und eine Keystone-SDA-Meldung über dieses Interview bezog, unter dem Titel «Im schlimmsten Fall gibt es bei uns 30’000 Tote». «blick.ch» berichtete ebenfalls online am gleichen Morgen mit einem Bild von Althaus, dem Übertitel «Forscher kritisiert Coronavirus-Strategie des Bundes scharf» und dem Haupttitel «Es könnte drei Millionen Infizierte in der Schweiz geben».

B. Am 5. März 2020 erhob Christian Althaus Beschwerde beim Schweizer Presserat. Er rügt die Titel der beiden Artikel in den Onlineausgaben von «20 Minuten» und «blick.ch» als falsche Zitierungen seiner Aussagen und damit als Verletzungen der Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) und Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Er erwähnt im Weiteren, dass auch andere Medien ihn falsch zitiert hätten und er verlangt insbesondere von «Blick» und «20 Minuten» Berichtigungen.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presserats-präsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 17. August auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Gestützt auf Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet ist.

Die vom Beschwerdeführer angerufene Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Und die Ziffer 3 verbietet ihnen, wichtige Informationselemente zu unterschlagen und insbesondere gebietet sie, von anderen geäusserte Meinungen nicht zu entstellen.

Wenn ein Experte auf die Frage «Es könnte also drei Millionen Infizierte in der Schweiz geben. Bei einer Sterblichkeit von einem Prozent sprechen wir von 30’000 Toten» die Antwort gibt: «Ja, ein solches Worst-Case-Szenario ist nicht ausgeschlossen», dann ist die Zusammenfassung, «im schlimmsten Fall gibt es bei uns 30’000 Tote» («20 Minuten») inhaltlich nicht falsch. Die Zahl der Obergrenze stimmt und es ist ausdrücklich vom «Worst-Case-Szenario», vom «schlimmsten Fall» die Rede. Der Presserat kann in dieser Zusammenfassung keinen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht erkennen (Ziffer 1 der «Erklärung»). Und auch kein Unterschlagen wichtiger Elemente, oder ein Entstellen einer Meinung (Ziffer 3 der «Erklärung»).

Das gleiche gilt für den «Blick»-Titel «Es könnte drei Millionen Infizierte in der Schweiz geben». Die Frage an Althaus lautete «Es könnte also drei Millionen Infizierte geben …» und seine Antwort lautete «Ja, ein solches Worst-Case-Szenario ist nicht ausgeschlossen». Der «schlimmste Fall» ist in dieser Titelsetzung zwar nicht ausdrücklich enthalten, aber das «könnte» signalisiert dies als nur eine von mehreren Möglichkeiten und relativiert die Aussage entsprechend. Aber die zentrale Aussage des Experten, nämlich dass er bis zu drei Millionen Infizierte befürchtet, ist richtig. Ob er «davon ausgeht», oder es «nicht ausschliesst», macht insofern keinen Unterschied, als in beiden Fällen von einer quantifizierten möglichen Obergrenze gesprochen wird. Der Presserat sieht keinen Verstoss gegen die «Erklärung». Schon gar nicht im Falle eines Titels, der immer reduzieren muss und allenfalls auch zuspitzen darf.

Was der Presserat hingegen als redaktionelle Fehler erachtet, sind die Anführungs- und Abführungszeichen: Diese signalisieren wort-wörtliche Zitate und das stimmt für beide Titel nicht. Wenn eine Aussage in veränderter, zusammenfassender Form wiedergegeben wird, darf sie nicht mit Zitatzeichen versehen werden, um keinen falschen Eindruck zu erwecken.
In der inhaltlichen Substanz sieht der Presserat aber weder einen Verstoss gegen die Ziffer 1 noch einen gegen die Ziffer 3 der «Erklärung».

Auf den Wunsch nach allfälligen Berichtigungen kann der Presserat nicht eintreten, weil er keine Kompetenz in dieser Richtung besitzt. Begehren für Berichtigungen sind direkt an die Redaktionen zu richten.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.