Nr. 62/2018
Kommentarfreiheit

(X. c. «Tages-Anzeiger»)

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I. Sachverhalt

A. Am 19. September 2017 veröffentlichten «Basler Zeitung» (BaZ), «Bund» und «Tages-Anzeiger» den Politblog von Raphaela Birrer mit dem Titel «Alle auf die Frau!». Darin thematisiert die Autorin die bevorstehenden Bundesratswahlen. Es sei nicht richtig, wie Politiker und Medien die Kandidatur Isabelle Moret behandelt hätten. Moret dürfe zwar höchstens als durchschnittliche Kandidatin gelten. Politische Gegner und Medien stellten ihre Eignung für das höchste politische Amt jedoch als weit unterdurchschnittlich dar, ganz so, als wäre eine Bundesrätin Moret eine nie dagewesene Gefahr für das Land. Die Autorin fährt fort: «Mit Verlaub: Das ist Blödsinn.» Es habe in der Vergangenheit immer wieder Kandidaten gegeben, deren Eignung mit guten Gründen angezweifelt wurde; mehrere davon sässen heute im Bundesrat. Doch bei Moret sei die Diskussion aus dem Ruder gelaufen. Zur Disposition sei nicht wie bei den männlichen Kandidaten die tatsächliche oder vermeintliche Inkompetenz, sondern ihre Rolle als Frau und als Mutter zweier Kinder gestanden.

B. Mit Eingabe vom 15. Dezember 2017 reichte X. Beschwerde gegen diesen Artikel beim Schweizer Presserat ein. Diese richtet sich gegen den Halbsatz «Mehrere davon sitzen heute im Bundesrat». Beim Artikel handle es sich um einen Kommentar. Daher sei die Autorin zu wertenden Urteilen berechtigt. Wertende Urteile sollten aber begründet oder zumindest begründbar sein. Diesen einen Halbsatz halte er jedoch für verunglimpfend, aus den folgenden Gründen: Er benenne die konkreten Personen nicht, er kritisiere diese Personen, benenne aber nicht, was ihnen konkret vorgeworfen werde, die Kritik an diesen Personen sei nicht der Zweck des Artikels, sondern die Kritik sei nur Mittel zum Zweck. Trotz dreimaliger Aufforderung habe die Autorin weder die konkreten Personen benennen, noch die Vorwürfe spezifizieren wollen. Auch der Chefredaktor des «Tages-Anzeiger» habe auf eine entsprechende Anfrage nicht geantwortet. Der Beschwerdeführer sieht in diesem Halbsatz eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Wahrheitspflicht) begründet. Es gehe dabei nicht nur darum, der Leserschaft die Wahrheit nicht vorzuenthalten, sondern auch darum, sich zu bemühen, keine mit der Wahrheit in Widerstreit stehenden Behauptungen zu verbreiten. Wahrheit schliesse auch ein, in seinen Kommentaren seine Meinung so zu vermitteln, dass der Leser sie wahrheitsgemäss wahrnehmen könne. Weiter sieht X. eine Verletzung des Gebots, nur Informationen zu veröffentlichen, deren Quellen der Journalistin bekannt sind (Ziffer 3 der «Erklärung»). Dies bedeute, selbst die Gründe zu kennen, welche zur Kritik der amtierenden Bundesräte führten. Weiter sieht er eine Verletzung der Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») gegeben. Es würde genügen, wenn die Redaktion wenigstens auf Anfrage bereit wäre, mitzuteilen, ob sie den inkriminierten Satz immer noch für wahr halte oder nicht. Und schliesslich sieht der Beschwerdeführer Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt, welche es Journalisten untersagt, anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu machen. Mindestens zwei aus einer Gruppe von fünf Personen würden beschuldigt, für ihr Amt nicht unbedingt bestens qualifiziert zu sein.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presserats-präsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 31. Dezember 2018 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Gestützt auf Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet ist. Ziffer 2 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie die Freiheit der Information, die sich daraus ergebenden Rechte, die Freiheit des Kommentars und der Kritik sowie die Unabhängigkeit und das Ansehen ihres Berufs verteidigen. Die zugehörige Richtlinie 2.3 verpflichtet Journalistinnen dazu, darauf zu achten, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann. Gemäss ständiger Praxis des Presserats ist dem Kommentar innerhalb dieser Schranken ein grosser Freiraum einzuräumen. Auch polemische, harsche Werturteile sind als Kommentare zulässig (vgl. Stellungnahme 22/2012). Der Beschwerdeführer selbst stellt nicht in Frage, dass es sich vorliegend – erkennbar – um einen Kommentar handelt. Er konzediert auch, dass die Autorin zu wertenden Urteilen berechtigt ist. Er ist jedoch sinngemäss der Auffassung, die Autorin wäre verpflichtet gewesen, ihre Aussagen zu konkretisieren und so für die Leserschaft greifbar zu machen, wessen Eignung als Mitglied des amtierenden Bundesrats in der Vergangenheit mit guten Gründen angezweifelt wurde. Dazu ist zum einen festzuhalten, dass die Autorin mit diesem Satz nicht sagt, sie selbst zweifle die Eignung mehrerer Mitglieder des Bundesrats für dieses Amt an. Selbst wenn sie dies geschrieben hätte – und der Beschwerdeführer scheint diesen Satz so zu lesen – läge darin kein Verstoss gegen die Kommentarfreiheit. Wie oben ausgeführt, ist dem Kommentar ein grosser Freiraum einzuräumen. Die vom Beschwerdeführer kritisierten Aussagen bewegen sich ganz klar innerhalb dieser Grenzen. Zudem bleibt es einer Autorin überlassen, wie explizit sie ihre Meinung ausführt oder ob sie es bei

Andeutungen belässt. Im Ergebnis bewegt sich der Kommentar «Alle auf die Frau!» eindeutig innerhalb der Grenzen der Kommentarfreiheit. Die Beschwerde ist somit offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.