Nr. 61/2019
Zuständigkeit des Presserats / Wahrheitspflicht / Quellenbearbeitung

(X. c. diverse Schweizer Medien)

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I. Sachverhalt

A. Am 11. November 2018 postete der Journalist Fabian Eberhard einen Eintrag auf Twitter, der Videobilder aus Warschau von einer Grossdemonstration und einem Meer von brennenden Pyros zum Jahrestag der Unabhängigkeit in Polen zeigte. Er schrieb dazu auf Englisch: «Beängstigend. 200’000 Nationalisten und Neonazis marschieren in Warschau, Polen.»

Einige Tage später meldete Eberhard sich erneut zu diesem Thema mit der Ankündigung, er werde seinen Twitter-Account vorübergehend stilllegen müssen, weil aufgrund seines ersten Eintrags von rechten Kreisen eine orchestrierte Kampagne gegen ihn gestartet worden sei. Er habe zuerst aus Polen, dann aus Deutschland und den USA gegen 70’000 Hassmitteilungen alleine auf Twitter bekommen, viele Hundert über Facebook und Dutzende Hackerattacken. Er überlasse das Feld nicht gerne den Hatern, aber dieser Shitstorm sei ihm zuviel. Es müssten sich alle fragen, in was für einer Welt man lebe, wenn Menschen dermassen angegriffen würden, wenn sie die Fakten schilderten.

Diesen Tweet von Fabian Eberhard nahmen die Redaktionen von CH Media und Tamedia ebenso wie SRF und die «Medienwoche» auf und berichteten in ihren jeweiligen Online-Ausgaben über diesen Vorfall (CH Media: «Aargauer Zeitung», «St. Galler Tagblatt», «Luzerner Zeitung», respektive Tamedia: «Tages-Anzeiger», «Basler Zeitung», «Bund», «Berner Zeitung»; die «Medienwoche» nur mit einem Link auf den Artikel des «Tages-Anzeiger»).

B. Am 29. November 2018 reichte X. aus Hamburg namens einer Organisation «Polish Media Issues» – wie bereits im Vorjahr – Beschwerde ein gegen die Berichterstattung der erwähnten Schweizer Medien zum jährlichen Aufmarsch in Warschau und insbesondere gegen Eberhards Tweet und dessen Folgeberichterstattung in verschiedenen Schweizer Medien. Er macht darin geltend, Eberhard behaupte, von 70’000 polnischen Rechtsextremen bedroht worden zu sein, das sei völlig unglaubwürdig, er lege keine Beweise dafür vor. Wenn die erwähnten Medien diese Behauptung übernähmen, verstiessen sie gegen die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörenden Richtlinien 1.1 (Wahrheitspflicht) und 3.1 (Quellenbearbeitung). Auch hätten die erwähnten Medien nie versucht, die Behauptung des Journalisten auf der polnischen Seite zu verifizieren. Zudem seien Illustrationen verwendet worden, die den Eindruck erweckten, der Unabhängigkeitsmarsch sei ein Marsch von Fussballfans gewesen, die als Neonazis bezeichnet worden seien. Eberhards Internet-Eintrag bilde eine unzulässige Beleidigung der 200’000 Marschteilnehmer, die effektiv den verschiedensten Gruppierungen und Glaubensrichtungen angehörten.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements entscheidet das Präsidium des Schweizer Presserates, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, ob auf eine Beschwerde einzutreten sei.

D. Das Presseratspräsidium hat mit Entscheid vom 25. November 2019 auf dem Korrespondenzweg beschlossen, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen zweierlei: Zum einen gegen die beiden Tweets des Journalisten Fabian Eberhard. Und zum anderen gegen die Art und Weise, wie verschiedene Schweizer Medien darüber berichtet haben.

Was die Tweets des Journalisten betrifft, so ist der Presserat gestützt auf den zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerde gültigen Art. 2 (Zuständigkeit) des Geschäftsreglements des Presserats nicht zuständig. Der Presserat behandelt Pressetexte, also Texte, die nach einem redaktionellen Prozess veröffentlicht wurden, nicht aber einzelne Meinungsäusserungen von einzelnen Personen, seien das JournalistInnen oder andere.

2. Was die Berichterstattung der verschiedenen angeführten Online-Ausgaben von Schweizer Zeitungen betrifft: Die stammten je gleichlautend aus den zwei Zentralredaktionen CH Media und Tamedia. Weiter ist angeführt ein Artikel von SRF online sowie der «Medienwoche» (welche einen Link auf den Artikel des «Tages-Anzeiger» veröffentlichte). Zu deren Berichterstattung ist folgendes festzuhalten:

Der Beschwerdeführer hat durchaus Recht, wenn er darauf hinweist, dass die kolportierte Zahl von 70’000 Tweets als Reaktion auf einen einzelnen Eintrag als extrem erscheint. Insofern wäre es wünschbar gewesen, dass diese erstaunliche Angabe von den verantwortlichen Redaktionen für den Leser erkennbar überprüft worden wäre. Umgekehrt ist aber der Journalist Fabian Eberhard erstens den Redaktionen offensichtlich als zuverlässige Quelle bekannt und sämtliche Redaktionen haben zweitens die Sachverhaltsdarstellung (70’000 Tweets) in Form von Zitaten klar als Behauptung des Journalisten kenntlich gemacht.
Insofern ist unter diesem Punkt kein Verstoss gegen Ziffer 1 oder Ziffer 3 der «Erklärung» zu monieren.

3. Des Weiteren sind einzelne Feststellungen in der Beschwerdeschrift offensichtlich unzutreffend. Keiner der beanstandeten Artikel spricht davon, dass Eberhard «von 70’000 polnischen Rechtsextremen bedroht» worden sei, wie der Beschwerdeführer behauptet. Es ist nur davon die Rede, dass Eberhard gegen 70’000 Hassmails aus Polen, Deutschland und den USA erhalten habe. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Redaktionen hätten sich nicht bemüht, die Behauptungen des Journalisten auf polnischer Seite zu verifizieren. Das wäre – was die Tweets betrifft – gar nicht möglich gewesen, die «polnische Seite» hat nicht die Möglichkeit, auf einem geschlossenen Twitter-Account Einträge zu zählen. Was X. damit möglicherweise meint, ist seine Ansicht, dass der Marsch vom 11. November 2018 eine friedliche Kundgebung von Polen und Polinnen der verschiedensten Provenienz gewesen sei und dass Journalist Eberhard dies falsch dargestellt habe als «Marsch von Neonazis». Dass also dieser Eindruck auf polnischer Seite hätte verifiziert werden müssen. Auch dies trifft nicht zu: Eberhard spricht von einem Marsch von «Nationalisten und Neonazis». Er stellt fest, dass diese beiden Elemente vertreten gewesen seien. Das ist in der Berichterstattung der verschiedensten Medien belegt. Eine Quantifizierung der beiden Elemente hat Eberhard und haben damit auch die entsprechenden Medienberichte nicht vorgenommen. Wenn aber nur ruhige nationalistisch eingestellte Bürgerinnen und Bürger am Marsch teilgenommen hätten, würde dies die Bilder und Töne aus Warschau nicht erklären.

4. Es ist im Übrigen keine «Beleidigung der Marschteilnehmer» in Polen, wenn –unabhängig von deren Zahl – kritisch auf das Verhalten von Hooligans und Rechtsradikalen hingewiesen wird. Genauso wenig wie es eine Beleidigung von Schweizern ist, wenn man auf ähnliche Vorgänge hierzulande kritisch eingeht. Im Gegenteil: Undemokratische Tendenzen aufzuzeigen ist journalistisch legitim in einem Land, das demokratisch bleiben will.

III. Feststellung

Auf die Beschwerde wird gestützt auf Art. 11 des Geschäftsreglements des Presserates nicht eingetreten. Sie ist offensichtlich unbegründet.