Nr. 59/2019
Schutz der Privatsphäre

(X. c. «Blick» und «Blick am Abend»)

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I. Sachverhalt

A. «Blick» und «Blick am Abend» berichteten am Donnerstag, 6. Dezember 2018 unter dem Titel «Ich hielt Lazars Hand, bis er starb» und «Er hat mich die ganze Zeit angesehen» über die Folgen eines schweren Verkehrsunfalls, bei welchem ein zehnjähriger Junge von einem Lastwagen überrollt und getötet worden war.

In beiden Ausgaben wird der tragische Unfallhergang und die tiefe Trauer der Eltern geschildert. Die Eltern und das verstorbene Kind sind abgebildet und mit Namen identifiziert, der Vater wird verschiedentlich direkt zitiert.

B. X. reichte am 9. Dezember 2018 Beschwerde gegen die Berichterstattung des «Blick am Abend» beim Schweizer Presserat ein; er macht eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend, insbesondere erwähnt er Verstösse gegen die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 7.1 (Schutz der Privatsphäre), 7.2 (Identifizierung) und 7.3 (Schutz von Kindern).

Der Beschwerdeführer macht geltend, «Blick am Abend» habe nur zwei Tage nach dem Tod eines zehnjährigen Knaben eine «Homestory» über seine trauernden Eltern gemacht, ihre Namen auf der Titelseite erwähnt und unverpixelte Bilder von ihnen gezeigt. Das verstosse gegen Richtlinie 7.1, den Schutz der Privatsphäre, weil die Eltern – selbst wenn sie ihr Einverständnis gegeben haben sollten – kaum die Kraft gehabt hätten, «Nein» zu sagen.

Der Bericht verstosse insbesondere auch gegen das Identifizierungsverbot (Richtlinie 7.2), denn es habe kein öffentliches Interesse bestanden, die Namen der Eltern des Jungen zu erwähnen. Schliesslich sei Richtlinie 7.3 (besonderer Schutz von Kindern) verletzt, weil auch der Bruder des tödlich Verunfallten namentlich erwähnt werde. Auch hieran habe kein öffentliches Interesse bestanden.

Schliesslich bemerkt der Beschwerdeführer, dass ihm nicht bekannt sei, ob auch der «Blick» ähnlich über den Vorfall berichtet habe. Gegebenenfalls müsste entsprechend auch dieser in das Verfahren einbezogen werden.

C. Der Presserat informierte den Beschwerdeführer mit Mail vom 11. Dezember darüber, dass ein in allen von ihm beanstandeten Punkten vergleichbarer Artikel gleichentags auch im «Blick» erschienen sei und beschloss, beide Artikel in das Verfahren einzubeziehen.

D. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 beantragte der anwaltlich vertretene «Blick am Abend», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, gegebenenfalls sei sie abzuweisen. Zur Begründung wird geltend gemacht, dass die Eltern des verstorbenen Jungen ihr volles Einverständnis gegeben hätten zur Publikation ihrer Namen und der Bilder. Sie hätten sogar darauf bestanden, dass die Bilder gezeigt, die Namen genannt würden. Das sei ihre Art gewesen, mit diesem tragischen Ereignis umzugehen. Wenn aber die dafür Verantwortlichen ihr Einverständnis zur Aufhebung der Privatsphäre gäben, und dies so ausdrücklich, dann sei diese zu schützende Privatsphäre eben aufgehoben, deren Verletzung sei nicht mehr möglich.

E. Am 18. Januar 2019 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 18. November 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Ziffer 7 der Erklärung verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie die Privatsphäre der einzelnen Personen respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. «Blick» und «Blick am Abend» machen geltend, sie seien dem expliziten Wunsch der Eltern gefolgt, den verunglückten Jungen zu zeigen und den Namen von dessen Bruder zu nennen. Die Eltern hätten freimütig mit den beiden Redaktoren über den Tod ihres Kindes gesprochen. Eine Anonymisierung hätten sie abgelehnt. Dem Beschwerdegegner «Blick» bzw. «Blick am Abend» ist zuzustimmen, dass die schützenswerte Privatsphäre aufgehoben ist, wenn die dafür rechtlich Verantwortlichen ausdrücklich auf diesen Schutz verzichten. Da der Beschwerdeführer diesen Sachverhalt nicht bestreitet, entscheidet der Presserat aufgrund der Aktenlage und weist die Beschwerde ab.

Dennoch sei zu Handen des Beschwerdegegners angemerkt, dass seine Bemerkung, wonach der Beschwerdeführer nicht über das öffentliche Interesse zu entscheiden habe, fehl geht. Der Beschwerdeführer ist Teil der beschwerdeberechtigten Öffentlichkeit, welche sich genau diese Frage zu Recht stellen darf und soll. Ebenso ist die Feststellung des «Blick am Abend» unzutreffend, wonach die Frage, was pietätlos ist, «medienethisch völlig irrelevant» sei. Was in den Medien unter dem Titel «Pietät» ethisch vertretbar ist und was nicht, ist zwar unter Umständen rechtlich irrelevant, aber – per definitionem – eine medienethische Frage.

III. Feststellung

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «Blick» und «Blick am Abend» haben mit den Artikeln «Ich hielt Lazars Hand, bis er starb» und «Er hat mich die ganze Zeit angesehen» vom 6. Dezember 2018 die Ziffer 7 (Privatsphäre, Identifizierung, Kinder) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.