Nr. 53/2018
Wahrheit / Anhören bei schweren Vorwürfen / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(Concordia c. «Basler Zeitung»)

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Zusammenfassung

«Basler Zeitung» klärte Vorwürfe nicht ab

Der Schweizer Presserat rügt die «Basler Zeitung» (BaZ) für einen mehrfachen Verstoss gegen die journalistischen Pflichten. Die Zeitung hatte im Juni über einen Streit zwischen dem Universitätsspital Basel und drei Krankenkassen über die Höhe der Spitaltarife berichtet. Dabei fuhr die Redaktion schweres Geschütz auf: Die Kassen hätten nun Höchstbeträge eingeführt. Alles, was darüber läge, hätten die Privatpatienten selbst zu berappen. So erhielten die Zusatzversicherten nicht die volle Gegenleistung für ihre Prämien. Die Kassen hätten ihren Kunden geraten, eine andere Klinik aufzusuchen.

Die Krankenkasse Concordia ging damit vor den Presserat. Sie bestritt sämtliche Vorwürfe der BaZ; sie seien schlicht falsch. Die Basler Zeitung hielt es nicht für nötig, zur Beschwerde Stellung zu beziehen. Das Ethikgremium stellte fest, dass die Anschuldigungen in Bezug auf die Concordia nicht zutrafen; die BaZ hat sich nicht an die Wahrheitspflicht gehalten. Zudem versäumte sie es, die Concordia zu den schweren Vorwürfen anzuhören.

Résumé

La «Basler Zeitung» n’a pas éclairci les critiques

Le Conseil suisse de la presse reproche à la «Basler Zeitung» (BaZ) d’avoir porté atteinte à plusieurs reprises aux devoirs du journaliste. Le quotidien avait rendu compte en juin d’un litige opposant l’hôpital universitaire de Bâle à trois caisses-maladie au sujet des tarifs hospitaliers. Il faut dire que la rédaction avait employé les gros moyens: les caisses auraient, selon elle, introduit des plafonds. Les sommes dépassant ces limites devaient être réglées par les patients privés. Toujours selon le journal, les assurés au bénéfice d’une complémentaire ne recevaient pas la pleine contrepartie de leurs primes et les caisses auraient conseillé à leurs clients de se rendre dans une autre clinique.

La caisse-maladie Concordia s’est adressée au Conseil de la presse. Elle contestait tous les reproches de la BaZ: tous seraient erronés. La «Basler Zeitung» n’a pas jugé nécessaire de prendre position sur la plainte. L’organe éthique a constaté que les accusations faites à Concordia étaient infondées; la BaZ n’a pas respecté son devoir de rechercher la vérité. De plus, elle a omis d’entendre Concordia sur les reproches qui lui étaient faits.

Riassunto

La «Basler Zeitung» non aveva verificato

Severo ammonimento del Consiglio svizzero della stampa alla «Basler Zeitung» per ripetute violazioni dell’etica professionale. Il giornale aveva, lo scorso giugno, riferito della controversia tra la Clinica universitaria di Basilea e tre casse malati circa l’ammontare delle tariffe ospedaliere. Il giornale ci era andato con le scarpe chiodate: le casse avrebbero fissato autonomamente la quota massima oltre la quale i pazienti avrebbero dovuto pagare di tasca propria, e alla fine anche i pazienti meglio assicurati non sarebbero risultati coperti con tutta la prestazione corrispondente all’importo dei premi. Le casse li avrebbero addirittura consigliati di cambiare ospedale.

La cassa malati Concordia ha presentato reclamo al Consiglio della stampa negando tutti gli addebiti, accusati di pura e semplice falsità. La «Basler Zeitung» non ha ritenuto di dover prendere posizione. Il Consiglio ha potuto constatare che le critiche del giornale, nei casi riguardanti la cassa in questione, erano infondate. Al mancato rispetto del dovere di accertare la verità si aggiunge che il giornale aveva omesso di interpellare la cassa malati Concordia prima di pubblicare.

I. Sachverhalt

A. Am 7. Juni 2018 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Frontaufmacher von Joël Hoffmann mit dem Titel «Tarifstreit auf Kosten der Patienten». Der Untertitel lautet: «Privatversicherte müssen am Unispital Basel ihre Behandlung teilweise selber bezahlen». Der ausführliche Bericht auf der Aufschlagseite des Lokalbunds ist übertitelt mit «Unispital-Patienten bluten wegen Tarifstreit»; dessen Untertitel: «Zusatzversicherte müssen für Behandlungskosten aufkommen, obwohl sie die vollen Prämien zahlen».

Die Artikel weisen auf einen Tarifstreit zwischen dem Universitätsspital Basel und den Krankenversicherern Concordia, Helsana und Sympany hin. Die BaZ erläutert, Privatversicherte müssten in Zukunft ihre Behandlung im Universitätsspital Basel teilweise selber bezahlen. Im Kern des Streits stehe die Tarifforderung des Unispitals Basel für Privatversicherte, welche die Versicherer als zu hoch einschätzten.

Die Versicherer, inklusive Concordia, hätten die Verträge mit dem Universitätsspital Basel per 31. Dezember 2017 gekündigt, was zu einem vertragslosen Zustand geführt habe. Die Kassen hätten einen Höchstbetrag für Zusatzversicherte eingeführt, was für den Patienten bedeute, dass er für die Differenz zwischen der Spitalrechnung und dem Höchstbetrag der Krankenkasse aufkommen müsse. Somit erhalte der Patient nicht die abgemachte Gegenleistung für seine Prämie.

Bei Helsana etwa gälten ab dem 11. Juni 2018 die sogenannten Höchsttarife, was zu Mehrkosten für den Patienten führte. Die Basler Kasse Sympany habe trotz Höchsttarif bis jetzt sämtliche Kosten übernommen, um ihre Kunden schadlos zu halten. Die Versicherer hätten nun ihren Kunden geraten, eine andere Klinik aufzusuchen.

B. Am 13. Juli 2018 reichte die Krankenkasse Concordia beim Schweizer Presserat gegen die Artikel der «Basler Zeitung» Beschwerde ein. Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung der Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend. Im Einzelnen nennt sie Wahrheitssuche, Entstellung von Tatsachen und Bezeichnung unbestätigter Meldungen sowie sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen. Concordia verweist darauf, dass im Zeitpunkt der Publikation der BaZ-Artikel die Verhandlungen mit dem Basler Universitätsspital weitergeführt wurden. Insbesondere habe Concordia keine Maximaltarife angewendet. Und sie habe ihren Versicherten auch keine zusätzlichen Kosten für eine Behandlung im Unispital Basel in Rechnung gestellt. Im Gegenteil hätten sämtliche Concordia-Versicherten die abgemachten Gegenleistungen erhalten. Die Beschwerdeführerin resümiert: «Der Leser, der die Aussagen des Artikels für bare Münze nimmt, muss davon ausgehen, dass ein Aufenthalt im Universitätsspital Basel von der Beschwerdeführerin nur zum Teil beglichen wird und er auf den weiteren, hohen Kosten sitzenbleibt, wenn er sich nicht für die Behandlung in einem anderen Spital entscheidet.»

Der Verfasser der Artikel habe die Concordia dazu nie kontaktiert; die Kasse habe somit keine Gelegenheit gehabt, Stellung zu beziehen.

C. Am 17. August 2018 bat der Presserat die «Basler Zeitung», Stellung zu nehmen. Am 26. September 2018 setzte der Presserat der Redaktion eine Nachfrist bis zum 8. Oktober. Die «Basler Zeitung» gab jedoch keine Antwort.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Barbara Hintermann, Markus Locher und Simone Rau an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 13. November 2018 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt sodann, dass sie nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne veröffentlichen, deren Quellen ihnen bekannt sind. Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen, Bild- und Tonmontagen ausdrücklich als solche und hören Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe an (Richtlinie 3.8). Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt Journalisten zudem die Pflicht, anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens der Artikel in der «Basler Zeitung» die Concordia keine sogenannten Höchstbeträge eingeführt habe, ihre Versicherten keinen Mehrbetrag (Differenz zwischen dem Höchstbetrag der Krankenkasse und dem Rechnungsbetrag des Universitätsspitals Basel) zu bezahlen hatten und somit die Versicherten die abgemachte Gegenleistung zu ihren Prämien erhalten hätten. Zudem habe die Concordia ihren Versicherten nicht geraten, eine andere Klinik aufzusuchen, wie dies von der BaZ behauptet werde.

Deshalb ist für die Beschwerdeführerin das Wahrheitsgebot (Ziffer 1 der «Erklärung») nicht respektiert. Zudem würden wichtige Elemente von Informationen unterschlagen und Tatsachen entstellt und damit Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt. Ausserdem sei die Concordia von der «Basler Zeitung» zu diesen schweren Vorwürfen nicht angehört worden (Verletzung von Richtlinie 3.8). Die Aussage, dass Concordia den Versicherten die ihnen zustehenden Leistungen verweigere, versteht die Beschwerdeführerin als eine sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung, also als Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung».

2. Mit dem Front-Artikel «Tarifstreit auf Kosten der Patienten» und im Innenteil mit «Unispital-Patienten bluten wegen Tarifstreit» hat die «Basler Zeitung» kritisch über die Tarifverhandlungen zwischen drei Krankenversicherungen und dem Basler Universitätsspital sowie den damit verbundenen Streit berichtet. Namentlich und wörtlich zitiert ist einzig Spitalsprecher Thomas Pfluger, sonst finden sich nur wenige Hinweise zur Recherche. An einer Stelle heisst es: «Die Versicherer und auch das Unispital bedauern auf Anfrage den Tarifstreit auf Kosten der Patienten, geben für die Situation jedoch jeweils der anderen Seite die Schuld.» Ein spezifischer Hinweis auf eine Stellungnahme der Concordia fehlt jedoch. Der Presserat kommt zum Schluss, dass der Journalist neben dem Unispital wohl mit Helsana und Sympany, nicht jedoch mit der Concordia zu seinen schweren Vorwürfen ihr gegenüber geredet hat.

In ihrer Beschwerde stellt die Krankenkasse Concordia die meisten Aussagen der BaZ über sich in Abrede, sie seien schlicht falsch.

3. In Bezug auf die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») hat der Presserat stets darauf hingewiesen, dass es nicht zu seinen Aufgaben gehört, in einem Medienbericht enthaltene, zwischen den Parteien umstrittene Faktenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Presserat führt kein Beweisverfahren zur Klärung von Sachverhalten durch. Er beschränkt sich darauf, zu beurteilen, ob im Sinne von Ziffer 1 der «Erklärung» soweit ersichtlich nach journalistisch und medienethisch korrekten Grundsätzen gearbeitet worden ist.

Die Beschwerdeführerin stellt den Sachverhalt in ihrer Beschwerde dar und erklärt, die Artikel enthielten verschiedene wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen («Einführung von Höchstbeträgen», «Patienten müssen Mehrkosten tragen», «Rat an die Kunden, eine andere Klinik aufzusuchen»). Die «Basler Zeitung» hat keine Stellung dazu bezogen. Der Presserat hat keinen begründeten Anlass, an den Aussagen der Beschwerdeführerin zu zweifeln. Er sieht daher mit den obigen Aussagen Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung» als verletzt an.

4. Die Beschwerdeführerin wehrt sich auch gegen die BaZ-Aussage, die Concordia weigere sich, die ihren Versicherten zustehenden Leistungen zu bezahlen. Sie insistiert, dass im Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels sämtliche Versicherte der Beschwerdeführerin die abgemachten Gegenleistungen für ihre Prämien erhalten hätten. Sie sieht hier eine sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung und Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt. Der Presserat hält fest, dass die BaZ keine Beweise für ihre Behauptung vorlegt. Verletzt ist jedoch nicht Ziffer 7, denn die gerügte Formulierung fällt nicht unter den Anwendungsbereich dieser Bestimmung. Verletzt ist vielmehr ebenso wie in Erwägung 3 ausgeführt die Ziffer 1 (Wahrheit).

5. Bei so schwerwiegenden Anschuldigungen wie implizit ungetreue Geschäftsbesorgung und Vertragsbruch gegenüber den Versicherten hätte die «Basler Zeitung» die Concordia zwingend zu diesen Vorwürfen anhören müssen. Da dies unterblieb, hat die «Basler Zeitung» die Richtlinie 3.8 verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit den Artikeln «Tarifstreit auf Kosten der Patienten» und «Unispital-Patienten bluten wegen Tarifstreit» vom 7. Juni 2018 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Der Presserat nimmt mit Befremden zur Kenntnis, dass sich die «Basler Zeitung» zur Beschwerde der Krankenkasse Concordia nicht geäussert hat. Die Redaktion schwächt damit zum wiederholten Male ihre Stellung in Beschwerdeverfahren vor dem Presserat, indem sie ihre Sicht nicht darlegt. Der Presserat empfiehlt der «Basler Zeitung», künftig ihre Rechte in Beschwerdefällen wahrzunehmen.