Nr. 52/2019
Freispruch in einem Strafverfahren, Folgeberichterstattung

(Sasek c. «Appenzeller Zeitung», «St. Galler Tagblatt», «FM1 Today», «Thurgauer Zeitung», «WOZ», «kath.ch», «Tachles», «Keystone-SDA», «SonntagsZeitung» und «aufbau.eu»)

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I. Sachverhalt

A. Am 26. September 2018 reichte Ivo Sasek beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen zehn verschiedene Redaktionen ein: die «Appenzeller Zeitung», das «St. Galler Tagblatt», «FM1 Today», die «Thurgauer Zeitung», die «WOZ», «kath.ch», «Tachles», die Nachrichtenagentur «Keystone-SDA», die «SonntagsZeitung» und «aufbau.eu». Sasek beruft sich auf die Berichterstattung der erwähnten Redaktionen vom März 2017. Diese Medien hätten berichtet, Sasek sei wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen worden. Das Urteil sei aber nicht in Rechtskraft erwachsen. Am 21. August 2018 sei er in der Folge vom Bündner Kantonsgericht freigesprochen worden. In seiner Beschwerde macht er geltend, die genannten Redaktionen hätten es unterlassen, über den Freispruch zu berichten. Sasek verlangt von allen Redaktionen unter anderem, den Freispruch «in Form eines ebenso grossen und eindeutigen Titels» zu vermelden. Dies teilte er den betroffenen Medien am 7. September 2018 schriftlich mit. Überdies verfasste Sasek selbst eine «Allgemeine Pressemitteilung», die er am 10. September 2018 der «Keystone-SDA» zusandte. Darin informiert er über seinen Freispruch.

B. «Keystone-SDA», die «Wochenzeitung WOZ» und die «SonntagsZeitung» reichten beim Schweizer Presserat eine Beschwerdeantwort ein. Die übrigen Redaktionen verzichteten auf eine Stellungnahme.

«Keystone-SDA» macht in ihrer Beschwerdeantwort vom 23. November 2018 geltend, im März 2017 über den Schuldspruch des Beschwerdeführers berichtet zu haben. Sie weist aber auch darauf hin, klargestellt zu haben, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig gewesen sei. Zum Freispruch Ivo Saseks argumentiert die «Keystone-SDA», sie habe vom Urteil des Bündner Kantonsgerichts zunächst nichts erfahren. Die vom Beschwerdeführer verfasste Medienmitteilung habe die Textredaktion nicht in ihren Dienst aufgenommen, was ein Fehler gewesen sei. Schliesslich hält die Beschwerdegegnerin fest, sie halte sich grundsätzlich «wie eh und je» an die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Im vorliegenden Fall übt die «Keystone-SDA» aber Selbstkritik, sie habe ihrer Pflicht zur wahrhaftigen und vollständigen Berichterstattung nicht nachgelebt.

Die anwaltlich vertretene «WOZ» verweist in ihrer Antwort vom 9. Dezember 2018 darauf, Ivo Sasek mache in seiner Beschwerde eine Verletzung von Ziffer 13 bzw. Richtlinie 13.2 [des deutschen Pressekodexes] geltend. Diese Richtlinie verpflichte die Medien nach dem Vermelden einer gerichtlichen Verurteilung zur Folgeberichterstattung. Als Voraussetzung für die Pflicht, im Fall eines Freispruchs entlastend zu berichten, brauche es allerdings eine gesicherte Information, dass der Freispruch rechtskräftig sei. Diese Information fehle der «WOZ». «Aus dem Rundschreiben (…) geht nichts Konkretes über einen Freispruch hervor». Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Sobald dazu eine gesicherte Information eintreffe, werde die Redaktion «ihrer berufsethischen Verpflichtung selbstverständlich nachkommen».

Der Rechtsdienst der Tamedia beantragte im Namen der «SonntagsZeitung» am 28. November 2018, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Er führt dafür formelle Gründe an. Der Beschwerdeführer erhebe Vorwürfe, ohne eine konkrete Bestimmung der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), die verletzt sei, zu nennen. Dies verstosse gegen das Geschäftsreglement des Schweizer Presserats. Zudem argumentiert Tamedia, der Artikel in der «SonntagsZeitung» liege weiter als drei Monate hinter dem Eingang der Beschwerde zurück, womit die Beschwerdefrist nicht eingehalten sei. Weiter geht die Beschwerdegegnerin auch auf inhaltliche Aspekte ein. Tamedia vermutet, der Beschwerdeführer beziehe sich auf die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 7.4 und damit auf die Unschuldsvermutung. Diese sei im Artikel der «SonntagsZeitung» gewahrt. Die Meldung zum Strafbefehl gegen den Beschwerdeführer sei faktengetreu, korrekt und zudem nur in einem Nebensatz wiedergegeben. Der Hauptfokus des Texts liege auf einer anderen Person. Den Vorwurf, über den Freispruch des Beschwerdeführers nicht berichtet zu haben, weist Tamedia zurück. Es bestehe keine Pflicht, über bestimmte Ereignisse oder Entwicklungen zu berichten.

C. Am 17. Dezember 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. September 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Zu klären ist vorab, ob auf die Beschwerde eingetreten werden kann. Wie Tamedia in ihrer Beschwerdeantwort schreibt, unterlässt es der Beschwerdeführer, eine konkrete Bestimmung der «Erklärung» zu rügen. Aus Saseks Beschwerde geht hervor, dass er der Meinung ist, wenn Medien über die erstinstanzliche Verurteilung berichteten, seien sie aus medienethischer Sicht auch verpflichtet, über den Freispruch in zweiter Instanz zu berichten. Dass diese Begründung auf Richtlinie 7.6 (Nichteröffnung, Einstellung und Freispruch) abzielt, liegt für den Presserat auf der Hand. Ist dies der Fall, verlangt er von Beschwerdeführenden keine Verbesserung der Beschwerde, wie er dies gestützt auf Art. 9a des Geschäftsreglements tun könnte. Der Presserat interpretiert die Beschwerde zudem klar so, dass sich die Beschwerde nicht gegen die im März 2017 veröffentlichten Berichte richtet, sondern dagegen, dass über Saseks Freispruch nicht berichtet wurde. Dies legen auch die Briefe nahe, die Sasek im September 2018 den diversen Redaktionen hat zukommen lassen. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

b) Der Beschwerdeführer macht erstens eine Verletzung der Wahrheitspflicht nach Ziffer 1 der «Erklärung» geltend, allerdings ohne die Ziffer explizit zu nennen oder eine Richtigstellung zu verlangen. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. In der Berichterstattung vom März 2017 sei in den angesprochenen Medien fälschlicherweise berichtet worden, Sasek sei wegen Rassendiskriminierung und Beihilfe zur Leugnung des Holocaust verurteilt worden. Das Urteil sei aber nicht rechtskräftig gewesen.

In den Beschwerdeantworten wird mehrfach darauf hingewiesen, dass die Beschwerdefrist für Artikel vom März 2017 verstrichen sei. Auf diesen Punkt sei deshalb nicht einzutreten. Der Presserat teilt diese Ansicht. Die beanstandete Berichterstattung liegt eineinhalb Jahre hinter dem Eingang der Beschwerde zurück. Auf eine mögliche Verletzung der Wahrheitspflicht wird nicht eingetreten.

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, über seinen gerichtlichen Freispruch vom 21. August 2018 sei – als Folge der Berichterstattung im März 2017 – ungerechtfertigterweise nicht berichtet worden. Damit macht er – wie oben erwähnt – implizit eine Verletzung von Richtlinie 7.6 geltend. Diese verlangt, «Umfang und Platzierung von Berichten über (…) Freispruch in einem Strafverfahren müssen in angemessenem Verhältnis zu vorangegangenen Beiträgen stehen».

Die Beschwerdeantworten der drei Redaktionen, die eine Stellungnahme eingereicht haben, fallen hier unterschiedlich aus. «Keystone-SDA» hält fest, vom Freispruch zunächst keine Meldung erhalten zu haben. Das habe Sasek dann mit seiner Medienmitteilung selbst nachgeholt. «Keystone-SDA» gibt zu, die Meldung zum Freispruch sei in der Redaktion nicht aufgenommen worden. Sie bedauert, damit ihrer Pflicht zur vollständigen und korrekten Berichterstattung nicht nachgekommen zu sein. Einen Antrag dazu, wie die Beschwerde zu beurteilen sei, stellt «Keystone-SDA» nicht.

Die «Wochenzeitung» hingegen beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Zwar rüge der Beschwerdeführer «sinngemäss» Ziffer 13 bzw. Richtlinie 13.2 [des deutschen Pressekodexes], wonach auf die Meldung zu einem Gerichtsurteil Folgeberichterstattung zu leisten sei. Doch sei im Schreiben Saseks an die Redaktionen vom 7. September 2018 keine konkrete Information zum Freispruch erkennbar. Auch bleibe unklar, ob das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sei. Weiter versichert die Beschwerdegegnerin, ihrer berufsethischen Verpflichtung nachzukommen, sobald sie die Information gesichert erfahre. Auf Saseks Medienmitteilung vom 10. September 2018 geht die «WOZ» nicht ein.

Tamedia beantragt namens der «SonntagsZeitung» ebenfalls, die Beschwerde abzuweisen. Den Vorwurf, über Saseks Freispruch nicht berichtet zu haben, weist sie zurück. Es bestehe keine Pflicht, über bestimmte Vorfälle oder Entwicklungen zu berichten. Auch gebe es keine Verpflichtung zur Berichterstattung über «jeden einzelnen Instanzenzug in einem Gerichtsverfahren». Der Vorwurf sei somit unbegründet.

Der Schweizer Presserat bekräftigt gestützt auf die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 7.6, dass die betroffenen Medien über den Freispruch hätten berichten müssen. In einem Gerichtsverfahren muss im Fall eines Freispruchs eine Berichterstattung folgen, die zu vorangegangenen Beiträgen in angemessenem Verhältnis steht. Wird in einem ersten Schritt somit über die Verurteilung berichtet, in einem zweiten jedoch der Freispruch verschwiegen, so kann nicht von einem angemessenen Verhältnis zum vorangegangenen Beitrag gesprochen werden. Wer also über die erstinstanzliche Verurteilung von Ivo Sasek berichtet hat, ist auch verpflichtet, seinen Freispruch zu vermelden. Am 21. August 2018 berichteten mehrere Deutschschweizer Medien, darunter «Watson» und die «Südostschweiz», über den gerichtlichen Freispruch Ivo Saseks. Unter diesen Umständen erscheint es zumindest erstaunlich, dass «Keystone-SDA» angibt, vom Freispruch nicht erfahren zu haben. Die Selbstkritik von «Keystone-SDA» im Zusammenhang mit der Medienmitteilung vom 10. September 2018 ist hingegen löblich.

Im Fall der «WOZ» ist fraglich, ob die Redaktion die erwähnte Medienmitteilung überhaupt erhalten hat – sie kommt in der Beschwerdeantwort nicht zur Sprache. Das Argument, die Bestätigung des Freispruchs sei zu keinem Zeitpunkt gesichert vorgelegen, ist jedoch nicht stichhaltig. Selbst wenn die Redaktion den Meldungen anderer Medien nicht vollständig traute, hätte sie sich direkt beim Bündner Kantonsgericht erkundigen können. Es kann nicht Aufgabe eines Freigesprochenen sein, die Medien selbst von seinem Freispruch informieren zu müssen.

Tamedia bzw. die «SonntagsZeitung» beruft sich in ihrer Beschwerdeantwort auf die Informationsfreiheit. Dies ist korrekt in Bezug auf die Frage, ob Tamedia überhaupt über das Strafverfahren gegen Ivo Sasek berichtete oder nicht. Da die «SonntagsZeitung» dies jedoch getan hat, hätte sie auch den Freispruch vermelden müssen. Tamedia schreibt in ihrer Antwort selbst, der Beschwerdeführer sei «seit Jahren präsent in den Medien» und es wäre aufgrund des öffentlichen Interesses an seinem Gedankengut «stossend, wenn eine Thematisierung einer Strafverfolgung nicht möglich wäre». Folgerichtig hätte auch über den Freispruch berichtet werden müssen.

Soweit sich die Beschwerde Saseks gegen die «Appenzeller Zeitung», das «St. Galler Tagblatt», «FM1 Today», die «Thurgauer Zeitung», «kath.ch», «Tachles» und «aufbau.eu» richtet, so haben gemäss den dem Presserat vorliegenden Informationen die «Appenzeller Zeitung», das «St. Galler Tagblatt», die «Thurgauer Zeitung» und «kath.ch» auch über den Freispruch berichtet.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde gut, soweit sie sich gegen «Keystone-SDA», die «WOZ», die «SonntagsZeitung», «FM1 Today», «Tachles» und «aufbau.eu» richtet.

2. «Keystone-SDA», die «WOZ» und die «SonntagsZeitung» sowie «FM1 Today», «Tachles» und «aufbau.eu» haben es unterlassen, über den gerichtlichen Freispruch Ivo Saseks zu berichten. Damit haben die erwähnten Medien Ziffer 7 (Gerichtsberichterstattung, Freispruch) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Soweit sich die Beschwerde gegen die «Appenzeller Zeitung», das «St. Galler Tagblatt», die «Thurgauer Zeitung» und «kath.ch» richtet, ist die Beschwerde hingegen abzuweisen.