Nr. 52/2017
Leserinnen- und Leserbriefe / Diskriminierung

(X. c. «Liechtensteiner Vaterland»)

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat hat eine Beschwerde gegen einen in der Liechtensteiner Tageszeitung «Vaterland» erschienenen Leserbrief abgelehnt. 15 Leserinnen und Leser beklagten, im Brief mit dem Titel «Auf die Bäume ihr Affen» setze der Schreiber Homosexuelle mit Affen gleich und diskriminiere sie. Die Beschwerdeführenden meinten, die Redaktion hätte eingreifen sollen.

Der Presserat kommt zum Schluss, der Leserbrief habe den Journalistenkodex knapp nicht verletzt. Denn die Aussagen des Verfassers seien nicht eindeutig, manches stehe unverbunden nebeneinander und Anstössiges töne er nur an. Das Ethikgremium zog auch die vom Chefredaktor geltend gemachte speziell freie, sehr rege Leserbriefkultur im Fürstentum in Erwägung: Medien lehnen Briefe dort nur ganz selten ab, wenn sie ehrverletzend sind oder strafrechtlich relevant.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse a rejeté une plainte déposée à l’encontre d’une lettre de lecteur parue dans le quotidien du Liechtenstein «Vaterland». Quinze lecteurs et lectrices se sont plaints que l’auteur de cette lettre intitulée «Auf die Bäume ihr Affen» (sur les arbres vous les singes!) assimilait les homosexuels à des singes et les discriminait. Les plaignants estimaient que la rédaction aurait dû intervenir.

Le Conseil de la presse conclut qu’il s’en est fallu de peu que la lettre de lecteur viole le Code de déontologie des journalistes. Car les dires de son auteur n’étaient pas univoques, bien des qualificatifs n’étaient que juxtaposés et les éléments choquants n’étaient que sous-entendus. L’organe d’éthique a également pris en compte la culture à la fois très libre et vivace des lettres de lecteur dans la Principauté, invoquée par le rédacteur en chef: les médias n’y refusent que très rarement de publier des lettres, sauf si elles portent atteinte à l’honneur ou relèvent du droit pénal.

Riassunto

Il Consiglio svizzero della stampa ha respinto un reclamo contro il «Liechtensteiner Vaterland» a proposito della lettera di un lettore. Quindici altri lettori del quotidiano si erano lamentati che nello scritto «Scimmie sugli alberi» («Auf die Bäume ihr Affen») lo scrivente abbia commesso una discriminazione nei riguardi degli omosessuali. La redazione, a parere dei reclamanti, sarebbe dovuta intervenire.

La violazione del codice d’onore del giornalismo è sfiorata, dice il Consiglio della stampa nella sua presa di posizione. Ma i propositi dello scrivente non sono molto coerenti, in qualche caso contraddittori e non necessariamente diffamatori. Il Consiglio considera anche la spiegazione avanzata dal direttore del foglio, secondo cui nel Principato si è molto tolleranti circa il tono delle lettere dei lettori: le quali raramente vengono rifiutate e solo se diffamanti oppure se contengono elementi penalmente rilevanti.

I. Sachverhalt

A. Am 17. August 2017 veröffentlichte die Tageszeitung «Liechtensteiner Vaterland» einen Leserbrief von Jo Schädler mit dem Titel «Auf die Bäume ihr Affen». Der Leserbrief beschreibt verschiedene kannibalische Verhaltensweisen der Tiere. Weiter verweist er auf gewisse Verhaltensweisen der Menschen im Mittelalter. So erläutert er grausame Foltermethoden, welche der Bestrafung von Verbrechern oder Gotteslästerern im Mittelalter dienten. Schädler weist darauf hin, dass sich der Mensch gemäss Darwin weiter entwickelt hätte und diese Methoden und Verhaltensweisen sich vom «Groben und Bestialischen» zum «Schönen und Edlen» verändert hätten. Die Menschen seien von den Bäumen heruntergekommen, und kein Mensch möchte wieder Tier und Affe sein. Die einzige Ausnahme wäre jedoch, wenn es um Homosexualität unter Tieren gehe, denn dies würde von einigen als nützlich angesehen und sollte daher gepflegt werden. Jo Schädler sähe jedoch lieber den gepflegten Kannibalismus. Er beendet seinen Leserbrief mit der Frage, ob dies wohl dasselbe sei.

Schädlers Leserbrief war einer von mehreren Leserbriefen und Artikeln, welche im «Liechtensteiner Vaterland» und anderen Medien zur Thematik «Ehe für alle» erschienen.

B. Am 25. August 2017 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen diesen Leserbrief von Jo Schäder ein. Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung der Ziffern 5 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend. Im Einzelnen nennt sie Richtlinie 5.2 (Leserinnen- und Leserbriefe) und Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot). X. beanstandet, dass der Leserbrief mit seiner Wortwahl und seinem Inhalt die Homosexuellen mit den Affen gleichsetze, was bei einem Durchschnittleser den Eindruck erwecken könne, homosexuelle Personen seien minderwertige Menschen. Somit habe Jo Schädler eine diskriminierende und feindselige Haltung gegenüber Homosexuellen unterstützt oder gar verstärkt. Der Leserbrief setze angeborene Eigenschaften herab und kollektiviere diese Herabsetzung ungerechtfertigt.

C. Am 10. Oktober 2017 nahm Chefredaktor Patrik Schädler für die Redaktion des «Liechtensteiner Vaterland» Stellung. Einleitend weist Schädler darauf hin, dass die Leserbriefkultur in Liechtenstein nicht mit jener der Schweiz vergleichbar sei. In den Leserbriefspalten werde in Liechtenstein sehr rege diskutiert. Die Erwartungshaltung sei deshalb in Liechtenstein hoch, dass die Redaktion möglichst wenig eingreife und keine Selektion vornehme. Sie lehne Briefe nur ab, wenn sie ehrverletzende oder strafrechtlich relevante Aussagen enthielten.

Der beanstandete Leserbrief von Jo Schädler nähme direkten Bezug auf den Leserbrief von Ursula Oehry-Walther vom Vortag, dem 16. August 2017. Oehry-Walther habe darin über eine Ausstellung geschrieben, welche sie 2006 in Oslo besuchte. Gegenstand der Ausstellung «Against Nature, wider die Natur» ist die Homosexualität unter Tieren. Das Ziel der Ausstellungsmacher sei es, aufzuzeigen, dass Homosexualität kein Verbrechen wider die Natur sei. Chefredaktor Schädler anerkennt, dass der Bezug auf den Oehry-Leserbrief beim Leserbrief von Jo Schädler nicht festgehalten wurde – diesen Fehler müsse er eingestehen. Mit einem solchen Bezug hätten die Leserinnen und Leser Jo Schädlers Brief besser einordnen können.

Der Chefredaktor anerkennt durchaus, dass Jo Schädler in seiner Replik auf Oehry-Walthers Leserbrief teilweise etwas derbe und grenzwertige Worte einsetzte sowie eine grosse Portion Sarkasmus. Dennoch verstosse dies nicht gegen die Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde) oder 8.2 (Diskriminierungsverbot). Themen wie Homosexualität würden gerade in Leserbriefen teilweise eine Gratwanderung darstellen, und der Vorwurf der Diskriminierung könne schnell laut werden.

Patrik Schädler sieht im vorliegenden Fall jedoch keine offensichtliche Verletzung der Richtlinie 5.2 (Leserinnen- und Leserbriefe). Diesen Briefen solle ja ein grösstmöglicher Freiraum zugestanden werden. Leserbriefe sollen denn auch ein lebendiges Element in Liechtenstein bleiben, da sie eine wichtige Rolle für die Meinungsbildung in Liechtensteins Demokratie spielten.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Barbara Hintermann, Seraina Kobler und Markus Locher an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 7. Dezember 2017 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. In seiner bisherigen Praxis hat der Schweizer Presserat eine grenzüberschreitende Ausdehnung seiner Zuständigkeit auf ausländische Medien abgelehnt (Stellungnahmen 36/2004, 34/2005, 12/2007). Daran ist grundsätzlich festzuhalten. Bei liechtensteinischen Medien ist allerdings insofern eine Ausnahme zu machen, als das «Liechtensteiner Vaterland» Mitglied des Verbands Schweizer Medien, einer der Träger der Stiftung «Schweizer Presserat», ist und auch viele Liechtensteiner Journalistinnen und Journalisten einem der schweizerischen Journalistenverbände angehören. Das «Liechtensteiner Vaterland» hat sich denn auch vorbehaltlos auf die Beschwerde von X. eingelassen.

2. Vorab ist zu klären, ob der Presserat den Leserbrief von Jo Schädler (veröffentlicht am 17. August 2017) unabhängig vom Leserbrief von Ursula Oehry-Walther, welcher am 16. August 2017 im «Liechtensteiner Vaterland» erschienen ist, behandeln soll. Schädler selbst macht keine Referenz zum Leserbrief von Oehry, in welchem diese über eine Ausstellung zum Thema Homosexualität unter Tieren berichtet hatte.

Der Presserat befindet, dass Schädlers Leserbrief unabhängig von Ursula Oehry-Walthers Leserbrief zu beurteilen ist, da weder die Redaktion des «Vaterland» noch Jo Schädler einen expliziten Bezug zu diesem herstellen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Grossteil der Leserschaft beide Briefe gelesen hat und damit den Zusammenhang zwischen den zwei Leserbriefen herstellt und nachvollziehen kann.

Der Presserat hält dafür, dass es angebracht gewesen wäre, wenn die Redaktion bei Jo Schädlers Brief eine Referenzangabe zum Leserbrief von Ursula Oehry gemacht hätte. So hätte die Leserschaft einen inhaltlichen Bezug herstellen können.

3. Ziffer 8 der «Erklärung» verlangt, dass Journalisten die Menschenwürde respektieren und in ihren Berichten in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen verzichten. Gestützt auf Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) müssen Journalisten den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung abwägen.

Jo Schädler schreibt in seinem Leserbrief mit dem Titel «Auf die Bäume ihr Affen»: «So ist, seitdem wir von den Bäumen heruntergekommen sind nichts mehr so, wie es damals war und kein ‹moderner› Mensch möchte wieder Tier und Affe sein. Ausser Homosexualität unter Tieren. Diese wäre für die Gattung Mensch sehr nützlich und sollte gepflegt werden, fordern einige. Schade, denn ich hätte den gepflegten Kannibalismus lieber gesehen. Oder ist das dasselbe?»

Wohl lässt hier der Schreiber durchblicken, dass Homosexuelle mit Tieren und/oder Affen gleichgestellt werden könnten, doch tut er dies nicht explizit, sondern überlässt eine solche Interpretation den Lesenden. Und dass Schädler lieber den gepflegten Kannibalismus sehen würde, könnten manche Leserinnen und Leser dahingehend verstehen, dass Homosexualität dem Kannibalismus gleichzusetzen sei.

Nach Einschätzung des Presserats erreicht Schädlers Leserbrief mit dem, was er in den beiden eben erwähnten Stellen antönt, die Schwelle nicht, dass Richtlinie 8.2 (Diskriminierung) verletzt wäre.

4. Die berufsethischen Normen gelten auch für Leserinnen- und Leserbriefe. Richtlinie 5.2 sieht vor, dass die Redaktion einzugreifen hat, wenn ein Leserbrief offensichtlich die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Da keine offensichtliche Verletzung von Richtlinie 8.2 vorliegt, ist auch Richtlinie 5.2 nicht verletzt.

Der Presserat hat in seine Beratung und seinen Entscheid miteinbezogen, was das «Liechtensteiner Vaterland» in Bezug auf die speziell freie, sehr rege Leserbriefkultur im Fürstentum geltend gemacht hat: Nämlich, dass Medien dort Briefe nur ganz selten ablehnen, etwa, wenn sie ehrverletzend oder strafrechtlich relevant sind. Und dass diese diskursive Debatte, bei der Leserinnen und Leser nicht nur auf redaktionelle Artikel reagieren, sondern auch untereinander diskutieren, die liechtensteinische Demokratie belebt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Das «Liechtensteiner Vaterland» hat mit dem Leserbrief «Auf die Bäume ihr Affen» die Ziffer 5 (Richtlinie 5.2 – Leserinnen- und Leserbriefe) und Ziffer 8 (Richtlinie 8.2 – Diskriminierungsverbot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

3. Der Presserat empfiehlt der Redaktion des «Liechtensteiner Vaterland», eine Referenzangabe zu machen, wenn ein Leserbrief ganz klar auf einen vorhergehenden Leserbrief reagiert.