Nr. 48/2019
Wahrheit / Quellenbearbeitung / Illustration / Anhören bei schweren Vorwürfen / Diskriminierung

(Gesellschaft für bedrohte Völker c. «Blick»)

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I. Sachverhalt

A. Am 18. Juni 2018 veröffentlichte «Blick» einen Artikel mit dem Titel «Anwohner haben genug vom Wohnwagen-Lager». Der Obertitel lautete: «Tierquäler Ulrich K. vermietet Wiese an Fahrende». Ulrich K. verdiene Geld mit der Vermietung seines Grundstücks an Fahrende aus Frankreich, derweil sich Nachbarn über gestohlene Vignetten und Exkremente beklagen würden. Der Zusammenhang zwischen Ulrich K. und der Tierquälerei wird einleitend in einem Satz erwähnt. «Statt mit Pferden macht er nun sein Geld mit Fahrenden.» Gemäss Aussagen eines namentlich genannten Anwohners stünden bis zu 60 Wohnwagen auf K.s Wiese. Der Anwohner habe sich sagen lassen, «dass pro Wohnwagen eine Miete von 200 Franken pro Woche fällig ist». Darunter würden die Nachbarn leiden. Die Fahrenden würden Vignetten von umliegenden Fahrzeugen stehlen und «überall ihr Geschäft verrichten».

Die Gemeinde Hefenhofen TG habe Ulrich K. fürs Vermieten eine Bewilligung erteilt, Fahrende dürften demnach jeweils zwei Wochen auf K.s Grundstück verbringen. Unter dem Zwischentitel «Polizei und Gemeinde tun nichts dagegen» beschreibt der Artikel weiter, die Nachbarn von Ulrich K. hätten keine Möglichkeit, etwas gegen die Präsenz der fahrenden Besucher zu unternehmen. Solange keine Beweise für die Vorfälle vorlägen, könne die Polizei nicht eingreifen. Einzig die Gemeinde könnte etwas tun. Der Gemeindepräsident wolle sich aber nicht äussern, ausser, dass die Situation besprochen werde und über zukünftige Bewilligungen der Gemeinde diskutiert. Der zitierte Anwohner hingegen zweifle, dass sich etwas ändere; er spiele sogar mit dem Gedanken wegzuzügeln.

B. Am 4. Juli 2018 reichte die «Gesellschaft für bedrohte Völker» Beschwerde gegen den Artikel des «Blick» vom 18. Juni 2018 beim Schweizer Presserat ein. Die «Gesellschaft für bedrohte Völker» sieht mehrere der zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörenden Richtlinien verletzt. Die Pflicht zur Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1) sowie die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8) sei dadurch verletzt, weil «das ethische Gebot der Anhörung beider Seiten klar missachtet» worden sei. Weder Ulrich K. noch die Fahrenden hätten Gelegenheit erhalten, sich zu den Vorwürfen des zitierten Anwohners zu äussern. Der Informationsgehalt des Artikels beruhe auf den Aussagen dieser einen Person. Ausserdem werde erwähnt, dass die Polizei aufgrund fehlender Beweise nicht handle. Somit finde eine «Kriminalisierung und Vorverurteilung der fahrenden Gruppe» statt.

Weiter stellt die «Gesellschaft für bedrohte Völker» eine mangelhafte Quellenbearbeitung gemäss Richtlinie 3.1 fest. Der Artikel vermische unterschiedliche Tatsachen und Zusammenhänge; so sei nicht ersichtlich, wie die Vermietung von Ulrich K.s Grundstück mit der Tierquälerei zusammenhänge. Zudem führe der Journalist Gerüchte wie den Mietpreis für die Wohnwagenplätze ins Feld, die sich nicht erhärten liessen. Insgesamt sieht die «Gesellschaft für bedrohte Völker» eine Skandalisierung der Begebenheiten, während die Sachlichkeit nur zweitrangig sei. Zudem sei die Richtlinie 3.4 (Illustrationen) verletzt, weil in der Onlineversion des Artikels veraltete Bilder von Ulrich K.s Pferden in der Bildstrecke erschienen. Ein direkter Zusammenhang sei nicht erkennbar.

Schliesslich missachte der Journalist das Diskriminierungsverbot (Richtlinie 8.2). Der Artikel bediene sich der «gängigen Vorurteile und Stereotypen» und kriminalisiere die Minderheiten der Jenischen, Sinti und Roma. Weil von den Fahrenden niemand zu Wort komme, würden Werturteile verallgemeinert, das Misstrauen ihnen gegenüber verstärkt und ein feindseliges Klima geschürt. Das führe dazu, dass «die betroffenen Minderheiten verstärkt diskriminierenden Äusserungen und Ablehnung ausgesetzt sind».

C. Mit Beschwerdeantwort vom 18. September 2018 beantragte der anwaltlich vertretene «Blick», die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. «Blick» bestreitet, dass der Inhalt des Artikels gegen die Wahrheitspflicht verstosse. In der Beschwerde sei keine Diskrepanz zwischen der im Artikel dargestellten und der tatsächlichen Wahrheit aufgeführt. Es fehle «an einer Darlegung (…), was jetzt unwahr sei und worin demgegenüber die Wahrheit bestehe». Auch fehle die Begründung, warum der Bauer Ulrich K. (oder die Fahrenden) anzuhören seien. Dass eine Einzelperson Auskunft gebe, stelle als solches ebenso keinen Verstoss gegen eine der in der Beschwerde aufgeführten Richtlinien 1.1, 3.1 und 3.8 dar. Den Vorwurf der «Vermischung unterschiedlicher Tatsachen und Zusammenhänge» weist die Beschwerdegegnerin ebenfalls zurück. Es sei unbestritten, dass es sich beim Vermieter des Grundstücks um den als Tierquäler bekannten K. handle. In welchem Punkt die Darstellung K.s als Tierquäler «fraglich» sei, bleibe unbegründet. Ebenso sei kein substantiierter Einwand gegen den im Artikel genannten Mietzins ersichtlich. Diese Vorwürfe seitens der Beschwerdeführerin stünden in keinem Zusammenhang mit den Richtlinien 1.1, 3.1 und 3.8. «Blick» weist weiter den Vorwurf einer Skandalisierung beruhend auf Vorurteilen oder Vorverurteilungen als unbegründet zurück.

Den Vorwurf, Richtlinie 3.4 (Illustrationen) der «Erklärung» verletzt zu haben, bestreitet die Redaktion ebenfalls. Die in diesem Zusammenhang in der Beschwerde genannte Bildstrecke fehle in den Beschwerdeunterlagen, deshalb sei darauf nicht weiter einzugehen. Es gehe nicht um Symbolbilder, sondern um die Darstellung des Vermieters Ulrich K. in einem anderen Kontext.

Schliesslich weist «Blick» auch den Vorwurf des Verstosses gegen das Diskriminierungsverbot (Richtlinie 8.2) zurück. Weder sei aufgeführt, welche Vorurteile mit welchen Textpassagen geschürt würden, noch sei ersichtlich, worin die «Kriminalisierung» bestehe. Dadurch, dass eine Partei nicht zu Wort komme, könne kein Vorurteil verallgemeinert und kein feindseliges Klima geschürt werden. Betreffend die in der Beschwerde angeführte Unverhältnismässigkeit ist für «Blick» nicht ersichtlich, was verhältnismässig gewesen wäre. Vorwürfe bezüglich des Titels seien irrelevant, wenn sich diese nicht auf den Artikel direkt bezögen. In dem Zusammenhang sei Facebook kein Beschwerdegegenstand – die Beschwerdegegnerin habe den Artikel selbst nicht auf Facebook veröffentlicht und übernehme dafür keine Verantwortung. Letztlich lasse sich auch mit Forschungsergebnissen, die zudem in der Beschwerde nicht belegt seien, kein Verstoss gegen Richtlinie 8.2 beweisen.

D. Am 31. Oktober 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. September 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die «Gesellschaft für bedrohte Völker» macht Verletzungen der Wahrheitspflicht, der Quellenbearbeitung und des Diskriminierungsverbots geltend. Ziffer 1 der «Erklärung» hält Journalistinnen und Journalisten dazu an, sich an die Wahrheit zu halten. Sie sollen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Journalist stütze sich bei der Wahrheitssuche auf die Aussagen einer Einzelperson, ohne die Gegenpartei zu Wort kommen zu lassen. Der «Blick» hält dagegen, dass keine Diskrepanz zwischen der im Artikel dargestellten Wahrheit und der tatsächlichen Wahrheit erkennbar sei. Auch eine Vermischung der Tatsachen liege nicht vor, es sei unbestritten, dass es sich beim Vermieter des Grundstücks um den als Tierquäler bekannten Bauern Ulrich K. handle. Die Vorwürfe seien damit unbegründet. Die Beschwerdeführerin stützt ihre Argumentation darauf, dass «Blick» Aussagen eines namentlich genannten Anwohners zitiere, ohne die Gegenpartei zu Wort kommen zu lassen. Damit sagt sie nicht explizit, was im Artikel des «Blick» inhaltlich nicht stimmt. Für die Leserschaft ist klar erkennbar, dass es sich um Aussagen eines Anwohners handelt. Ausserdem wird im Artikel erwähnt, dass die Polizei aufgrund fehlender Beweise nicht handle. Dies macht klar, dass der Sachverhalt nicht eindeutig klar ist. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht lässt sich jedenfalls darin nicht erkennen. Ziffer 1 der «Erklärung» ist nicht verletzt.

2. a) Ziffer 3 der «Erklärung» hält Journalistinnen und Journalisten dazu an, nur Informationen oder Bilder zu veröffentlichen, deren Quellen ihnen bekannt sind, sowie bei schweren Vorwürfen beide Seiten anzuhören. Die Beschwerdeführerin macht dazu geltend, «Blick» habe es unterlassen, die Gegenseite (in diesem Fall Bauer Ulrich K. sowie die Fahrenden) zu Wort kommen zu lassen. Der «Blick» hält fest, Vermieter des Grundstücks sei unbestritten der als Tierquäler bekannte Bauer Ulrich K.. Die Vorwürfe seien damit unbegründet.

Für den Schweizer Presserat ist es gestützt auf diese Grundlagen zulässig, auf eine Befragung von Bauer Ulrich K. und der Fahrenden zu verzichten. Die Vorwürfe stehen im Konjunktiv und werden anschliessend weiter relativiert. Zudem handelt es sich um keine schweren Vorwürfe im Sinne der Praxis des Presserats. Danach liegt ein schwerer Vorwurf dann vor, wenn jemand ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten vorgeworfen wird. Die angeführten Vorkommnisse können zwar durchaus illegal sein, werden jedoch wie erwähnt relativiert und haben insgesamt kaum die Qualität von schweren Vorwürfen. Ziffer 3 der «Erklärung» ist somit in Bezug auf diese beiden Aspekte nicht verletzt.

b) Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, es sei die Richtlinie 3.4 (Illustrationen) verletzt worden, weil in der Onlineversion des Artikels veraltete Bilder von Ulrich K.s Pferden in der Bildstrecke erschienen. Ein direkter Zusammenhang mit dem Textinhalt sei nicht erkennbar. Die entsprechenden Bilder liegen der Beschwerde nicht bei, weshalb der Presserat auf diesen Teilaspekt der Beschwerde nicht eingeht.

3. Die Beschwerdeführerin moniert zudem Ziffer 8 der «Erklärung» als verletzt. Ziffer 8 hält Journalisten an, die Menschenwürde zu respektieren und auf diskriminierende Anspielungen oder Äusserungen zu verzichten. Die Beschwerdeführerin führt an, der Artikel reproduziere gängige Vorurteile über Fahrende und verstärke damit das Misstrauen gegenüber dieser Gruppe. Der «Blick» argumentiert, in der Beschwerde sei nicht ersichtlich, welche Vorurteile der Bericht schüre. Ebenso wenig sei eine «Kriminalisierung» erkennbar. Der Presserat erkennt im Bericht des «Blick» keine Verletzung der Ziffer 8 der «Erklärung». Das Schildern von Fakten und Zitieren von Vorwürfen eines Anwohners ist in diesem Fall nicht gleichzusetzen mit dem Reproduzieren oder Verstärken negativer Vorurteile gegenüber Fahrenden. Den in der Beschwerde erwähnten ursprünglichen Titel «Anwohner klagen über Wohnwagen-Terror» (von «Blick» dann in «Anwohner haben genug vom Wohnwagen-Lager» geändert) rügt die Beschwerdeführerin nicht, weshalb sich der Presserat zu diesem auch nicht äussert.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Der «Blick» hat mit dem Artikel «Tierquäler Ulrich K. vermietet Wiese an Fahrende. Anwohner haben genug vom Wohnwagen-Lager» vom 18. Juni 2018 die Ziffern 1 (Wahrheitsgebot), 3 (Quellenbearbeitung, Anhörung) und 8 (Diskriminierungsverbot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.