Nr. 44/2019
Wahrheitspflicht

(Yalçin c. «Basler Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Die «Basler Zeitung» (BaZ) veröffentlichte am 1. Juni 2018 in ihrer einspaltigen Kolumne «Kuchi-Gschwätz» gegen Ende eine kurze Andeutung folgenden Inhaltes: «… auch das ‹Barock Café› in Kleinbasel sucht wahrscheinlich bald einen neuen Pächter. Denn Wirtin Sevda Yalçin, die auch das ‹Klybeck Casino› betreibt, hat bei einem Kaffee mit meinem Chef durchblicken lassen, dass sie bereits vor Ablauf des Pachtvertrages aufhören möchte. …»

B. Sevda Yalçin reichte am gleichen 1. Juni 2018 Beschwerde beim Schweizer Presserat ein und machte geltend, die BaZ habe eine Falschmeldung veröffentlicht. Da die Beschwerdeführerin im Medienrecht nicht bewandert ist, interpretiert der Presserat ihre Eingabe gemäss ständiger Praxis und behandelt sie als Beschwerde betreffend eine Verletzung Ziffer 1 (Verpflichtung zur Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Zur Begründung macht die Beschwerdeführerin geltend, sie habe nie mit irgendjemandes Chef über ihre Zukunftspläne gesprochen, die entsprechenden Behauptungen im «Kuchi-Gschwätz» seien erfunden, sie habe eben erst ihren Mietvertrag für das betreffende Lokal verlängert. Die gegenteilige Behauptung der BaZ sei geschäftsschädigend.

C. Die Chefredaktion der «Basler Zeitung» hat auf die Aufforderung des Presserates, die Beschwerde zu beantworten, nicht reagiert. Auch auf die Mahnung nach abgelaufener Frist hat die BaZ nicht reagiert.

D. Am 2. November 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftenwechsel sei geschlossen, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 2. September 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Die Kolumne «Kuchi-Gschwätz» hat folgendes Ziel, wie man dort jeweils nachlesen kann: «Küchengehilfe Max erfährt zwischen Spülen und Rüebli-Rüsten immer die neuesten Gerüchte über die Basler Beizen-Szene, die er in loser Folge in der BaZ preisgibt.»

Mit anderen Worten: Hier werden Gerüchte über neueste Entwicklungen verkündet, im Format eines «Gschwätzes», was signalisiert, dass nicht alles ganz ernst genommen werden kann, dass nicht alles einwandfrei abgesichert ist. Darauf beruft sich denn auch der Lokal-Chef der BaZ in einem von der Beschwerdeführerin nachgereichten Mail-Austausch, in welchem sie die BaZ um eine Richtigstellung gebeten hatte. Er stellt dort fest, «beim Kuchi-Gschwätz» handelt es sich um eine – auch im Layout klar als solche erkennbare – Kolumne, nicht um einen als Rechercheleistung deklarierten Artikel. Der Titel «Gschwätz» impliziert, wie Inhalte zu werten sind».

Dazu ist festzuhalten: Auch wenn man davon ausgehen wollte, dass diese Kolumne reine Satire beinhaltete, wäre gemäss ständiger Praxis des Presserates erforderlich, dass der Kern einer karikierenden Aussage stimmen muss. Man kann unter dem Titel «Satire» nicht irgendetwas behaupten, egal ob wahr oder nicht.

Dies gilt besonders in diesem Fall, in welchem offensichtlich, trotz des Titels «Gschwätz» Themen durchaus ernsthaft angegangen werden, wenn auch in einer speziellen, anonymisierten und teilweise ironisierten Form. Es wird in dieser Ausgabe etwa das Thema «verschiedene Ellen» aufgegriffen: die Sorge der Restaurateure über immer mehr Buvetten, Foodtrucks, mobile Bars, Grill- und Glacéstände, welche allesamt nicht die gleichen (kostspieligen) Auflagen zu erfüllen hätten wie die Restaurants. Oder es wird darüber berichtet, dass ein Ehepaar sein legendäres Restaurant am Riehengraben aufgeben und woanders beginnen wolle. Dass der HAN Mongolian Barbecue in Riehen schliessen werde: Alles Informationen, die – sollten sie erfunden sein und nicht stimmen – absolut keinen Sinn ergeben. Auch keinen satirischen. In diesem Kontext erschien dann auch die Behauptung, die Beschwerdeführerin lasse durchblicken, dass sie vor Auslauf des Pachtvertrages aufhören möchte.

Auch in einer solchen Kolumne und auch bei einem anscheinenden Bagatell-Inhalt ist darauf zu achten, dass der Kern einer Aussage wahr ist. Die BaZ behauptet denn auch gar nicht, die Information sei wahr, sie habe sich auf eine verlässliche Information gestützt, sie verzichtet vielmehr auf eine Stellungnahme. Entsprechend ist von der bestehenden Aktenlage auszugehen: von einer von der BaZ nicht bestrittenen falschen Aussage. Ziffer 1 der «Erklärung» ist verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Abschnitt über die Zukunft des «Barock Café» in der Kolumne «Kuchi-Gschwätz» vom 1. Juni 2018 die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.