Nr. 43/2017
Wahrheitspflicht / Unterschlagen wichtiger Informationen / Berichtigung

(X. c. «Aargauer Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 13. Dezember 2017

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I. Sachverhalt

A. Am 9. November 2016 veröffentlichte die «Aargauer Zeitung» (AZ) den Artikel «Neuer Gemeinderat probt den Aufstand», Autor: Toni Widmer. Der Lead lautet: «Zufikon. Berndt Samsinger, gewählter, aber noch nicht amtierender Nachfolger von Gemeinderat Patrick Cimma, will Gemeindeammann Christian Baumann aus dem Amt werfen.» Samsinger habe sein Amt noch nicht angetreten, dennoch hänge der Haussegen in der Behörde schon schief. In einem Mail attackiere er Baumann und werfe ihm vor, dieser missachte geltendes Recht: Baumann setze die klaren Weisungen und Verfügungen aus Aarau nicht um. Ein solcher Gemeindeammann besudle die Würde dieses Amtes und sei in Zufikon nicht mehr tragbar. Er, Samsinger, werde den Regierungsrat bitten, gegen Baumann ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Die AZ schreibt, nach geltendem Recht müsste Samsinger bereits im Amt sein. Laut dem stellvertretenden Leiter der Gemeindeabteilung im Aargauer Departement Volkswirtschaft und Inneres erfolgten Rücktritte innerhalb einer Amtsperiode nach Gesetz immer auf den Zeitpunkt der Ersetzung. Es gebe jedoch Ausnahmen, etwa dann, wenn ein abtretender Gemeinderat noch «seine» letzte Gemeindeversammlung mitgestalten wolle. Genau dies habe Samsingers Vorgänger Cimma gewollt. Dieser habe stets erklärt, er wolle noch bis Ende Jahr im Amt bleiben. Dies sei jedoch nur möglich, wenn Nachfolger Samsinger einverstanden sei. Samsinger wolle jedoch nicht warten, dies der Grund für seine Schimpftirade gegen den Gemeindeammann.

B. Am 16. Januar 2017 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat gegen den Artikel vom 9. November 2016. Der Artikel verstosse gegen das Prinzip der Fairness, sei unfair und einseitig verfasst. Der Autor habe den stellvertretenden Leiter in der Gemeindeabteilung, den abtretenden Gemeinderat sowie den nicht die Wahrheit sagenden Gemeindeammann Christian Baumann kontaktiert, nicht jedoch Berndt Samsinger. Er stelle Samsinger als Querulanten dar, welcher Gemeindeammann Baumann aus dem Amt werfen wolle. Weiter verstosse der Artikel gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» – nachfolgend «Erklärung»). Autor Widmer habe lediglich seine vorgefasste Meinung publiziert und sich nicht an die Wahrheit gehalten. Hätte er Samsinger vor Publikation des Artikels kontaktiert, hätte dieser ihn auch darüber informieren können, dass Baumann eine tatsachenwidrige Aussage gemacht habe. Weiter macht X. eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» geltend: Der Autor habe wichtige Elemente von Informationen unterschlagen. Er habe bei Samsinger nicht abgeklärt, wieso Gemeindeammann Baumann nach Meinung von Samsinger das Recht missachtet habe. Er habe auch nicht abgeklärt, ob Baumanns Behauptung zutreffe, dass man mit Samsinger das Gespräch gesucht, aber keine Lösung gefunden habe. X. sieht auch Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung» verletzt. Baumanns Aussage bezüglich «Gespräch gesucht» sei einwandfrei belegbar eine Lüge. Der Autor habe es unterlassen, zu überprüfen, wieso Samsinger das anklagende Mail an die Medien verschickte. Samsinger habe sofort nach Kenntnis des Artikels telefonisch mit dem Autor Kontakt aufgenommen und eine Gegendarstellung verlangt. Anstelle der zugesagten Gegendarstellung sei Samsingers Text nicht als Gegendarstellung betitelt, sondern an versteckter Lage mit der Überschrift «Nehme den Auftrag der Wähler ernst» als Leserbrief veröffentlicht worden. In der Einführung habe die AZ behauptet, dass Samsingers Stellungnahme nach Absprache mit ihm in gekürzter Form erfolge. Zudem sei der versprochene redaktionelle Artikel über diese Affäre nie erschienen.

C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 16. März 2017 beantragte die AZ, die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen. Der Autor Toni Widmer habe am 8. November 2016 ein E-Mail des neu gewählten Zufiker Gemeinderates Berndt Samsinger gelesen, dessen Anschuldigungen und Argumente gegen Gemeindeammann Christian Baumann seien ihm vorgelegen. Er habe es deshalb als nicht notwendig erachtet, Samsinger noch telefonisch zu kontaktieren. Hingegen habe er beim Kanton Aargau nachgefragt, wie die rechtlichen Verhältnisse in dieser Sache seien und zudem den angeschuldigten Gemeindeammann sowie Patrick Cimma, Samsingers Vorgänger im Amt, um kurze Stellungnahmen gebeten. Auf Basis dieser Fakten habe Toni Widmer einen sachlichen Artikel geschrieben. Samsinger habe er zweimal mit wortgetreu aus seinem Mail übernommenen Sätzen zitiert. Weiter habe er im Text ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das geltende Recht auf Samsingers Seite stehe. Nach Erscheinen des Artikels habe Widmer ein Telefon von Samsinger erhalten, der mit dem Artikel nicht einverstanden war. Obwohl er dazu nicht verpflichtet gewesen wäre, habe er Samsinger Gelegenheit gegeben, sich in einer Replik dazu zu äussern. Diese Replik habe die AZ in leicht gekürzter Form und in gegenseitiger Absprache am 10. November 2016 veröffentlicht. Mit der Gelegenheit zur Replik sei die Sache für Samsinger erledigt gewesen. Dies habe er Toni Widmer gegenüber per Mail bestätigt.

D. Am 5. April 2017 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann. In der Folge gingen zwei weitere Schreiben des Beschwerdeführers beim Presserat ein.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 8. Dezember 2017 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Beschwerdeführer X. macht geltend, der Autor habe sich eben gerade nicht vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Er habe nur die Meinung des Vertreters der Gemeindeabteilung, des abtretenden Gemeinderats und von Gemeindeammann Baumann eingeholt, nicht jedoch diejenige Samsingers. Die AZ hingegen argumentiert, sie habe über Samsingers Vorwürfe an Baumann und dessen Argumente, welche er im E-Mail aufgeführt hatte, verfügt und keine Veranlassung gehabt, diesen noch einmal zu kontaktieren. Das sieht auch der Presserat so. Aus medienethischer Sicht sind Journalisten verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören (Richtlinie 3.8). Ein schwerer Vorwurf steht gegen Baumann im Raum – diesen hat Widmer zu Wort kommen lassen – jedoch nicht gegen Samsinger. Im Ergebnis ist deshalb festzuhalten, dass die AZ nicht gegen die Wahrheitspflicht verstossen hat.

Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, Baumanns Aussage «Mit Berndt Samsinger haben wir das Gespräch gesucht, aber keine Lösung gefunden», welche im Artikel vom 9. November 2016 zitiert wurde, stimme nicht. Der Presserat stellt fest, dass hier Aussage gegen Aussage steht. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht jedenfalls ist nicht dargetan.

2. Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt von Journalisten, dass sie keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen. X. sieht darin, dass der Autor bei Samsinger nicht nachgefragt hat, wieso Baumann nach Samsingers Meinung das Recht missachtet und klare Weisungen und Verfügungen aus Aarau nicht umgesetzt habe, eine Verletzung dieser Bestimmung. Im Artikel heisst es, Samsinger wolle den Regierungsrat bitten, gegen Baumann ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten und den Gemeinderat dazu zu verpflichten, dass er endlich – wie vom Gesetz vorgesehen – seine Amtsgeschäfte aufnehmen könne. Für den Leser und die Leserin ist klar, dass Samsinger der Meinung ist, er habe ab dem Zeitpunkt seiner Wahl Einsitz in den Gemeinderat. Anschliessend erörtert der Artikel die gesetzliche Lage und erklärt, dass der abtretende Gemeinderat seinen Rücktritt per Ende Jahr erklärt habe. Es fehlen somit keine wichtigen Informationen, welche es dem Leser verunmöglichten, sich ein Bild zu machen. Ziffer 3 der Erklärung ist somit nicht verletzt.

3. Ziffer 5 der «Erklärung» hält Journalisten dazu an, jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist, zu berichtigen. Wie oben ausgeführt liegt kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vor: Mit dem Artikel «Neuer Gemeinderat probt den Aufstand» wurden keine falschen Tatsachen veröffentlicht. Somit hat die AZ auch die Berichtigungspflicht nicht verletzt.

4. Soweit der Beschwerdeführer schliesslich geltend macht, die AZ habe Berndt Samsinger das ihm zustehende Recht zur Gegendarstellung verwehrt, sei darauf hingewiesen, dass der Presserat für die Beurteilung von Gegendarstellungen nicht zuständig ist, diese obliegt den Zivilgerichten. Die AZ führt in ihrer Beschwerdeantwort aus, obwohl sie dazu nicht verpflichtet gewesen sei, habe sie Samsinger Gelegenheit gegeben, sich in einer Replik dazu zu äussern. Diese Replik habe die AZ in leicht gekürzter Form und in gegenseitiger Absprache am 10. November 2016 veröffentlicht. Dem Presserat liegen keine Elemente vor, die ihn an dieser Darstellung zweifeln liessen. Die Beschwerde ist somit auch in diesem Punkt unbegründet.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Aargauer Zeitung» hat mit dem Artikel «Neuer Gemeinderat probt den Aufstand» vom 9. November 2016 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.