Nr. 42/2023
Wahrheit / Trennung von Fakten und Kommentar

(X. c. «Weltwoche»)

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I. Sachverhalt

A. Am 15. März 2023 veröffentlichte die «Weltwoche» in ihrer Onlineausgabe einen Text gezeichnet von Thomas Renggli unter dem Titel «Ende des Frauen-Sports: Wer glaubt, Männer sollen ihr Geschlecht und somit die Sport-Kategorie fliessend wechseln können, wird spätestens bei diesem Box-Video eines Besseren belehrt». Darin wird auf ein Video hingewiesen, welches die Brasilianerin Gabrielle Garcia zeige, die, «schier überquellend vor männlichem Testosteron», die bedauernswerte Landsfrau Barbara Nepomuceno nach allen Regeln der Kunst «vermöble». «Allein das Zuschauen tut weh – unter den wilden Fausthieben scheinen die Knochen förmlich zu brechen.» Illustriert wurde der Text – neben dem Video – mit einem Bild, das die ungewöhnlich muskulöse Kämpferin Garcia zeigt, wie sie auf ihre Gegnerin einschlägt. Das viereinhalb Jahre alte Video weise – so der Text weiter – auf ein Thema hin, das auch in weniger martialischen Sportarten zunehmend an Priorität gewinne, nämlich: «Dürfen ‹Frauen›, die im Körper eines Mannes geboren wurden, an Wettkämpfen in der weiblichen Kategorie antreten?».

In der Leichtathletik und im Schwimmen ziehe man bereits klare Grenzen, etwa mithilfe der Bestimmung des jeweiligen Testosteron-Wertes einer Athletin. Es sei im Sinne des Zeitgeistes – so schliesst Rengglis Text – angesichts solcher Gepflogenheiten aufzuheulen und Gleichstellung zu fordern. Doch im Sport griffen diese Moralvorstellungen viel zu kurz. «Könnte man (oder frau) das Geschlecht frei wählen und die Kategorie quasi fliessend wechseln, würde dies vor allem etwas bedeuten: das Ende des Frauensports – und damit das Aus für eine der grössten Errungenschaften auf dem Weg zur Gleichberechtigung.»

B.
Am 16. März 2023 reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Die Beschwerdeführerin macht einen Verstoss gegen die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gehörenden Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 8.1 (Achtung der Menschenwürde) geltend. Zur Begründung führt sie an, der Satz «Aber ‹Gabi› Garcia ist anders. Sie (bzw. er) gehört zu den versiertesten Kämpfenden im Vollkontakt-Kampfsport ‹Mixed Martial Arts›» verletze die Richtlinie 1.1. Er suggeriere, dass die «Cis-Frau» Gabi Garcia eine «Trans-Frau» sei. Dass also eine sich als Frau fühlende Frau dargestellt werde als jemand, die das Geschlecht gewechselt habe. Das sei falsch, wie mehrere Artikel im Internet belegten. Damit suggeriere der Artikel in seinem Kern eine falsche Tatsache, nämlich dass Trans-Frauen Cis-Frauen vermöbelten.

Die Verletzung der Menschenwürde (Richtlinie 8.1) sieht die Beschwerdeführerin im Satz begründet, wonach die Brasilianerin Garcia «schier überquellend vor männlichem Testosteron», sich ihre bedauernswerte Landsfrau Barbara Nepomuceno vorknöpft und sie nach allen Regeln der Kunst vermöbelt habe. Hier werde herablassend von einer Person gesprochen, von der zuvor impliziert worden sei, dass sie ein Mann gewesen sei. Es entstehe damit das Bild, dass eine als Mann geborene Person eine wehrlose Frau verprügle. Damit werde Hetze betrieben.

Und die Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) sieht die Beschwerdeführerin verletzt mit der Frage: «Dürfen ‹Frauen›, die im Körper eines Mannes geboren wurden, an Wettkämpfen in der weiblichen Kategorie antreten?». Hier werde wieder davon ausgegangen, dass Gabi Garcia eine Trans-Frau sei, hier werde basierend auf falschen Tatsachen Meinungsmache betrieben, was gegen die Trennung von Fakten und Kommentar verstosse.

C. Am 18. April 2023 unterbreitete der Presserat der «Weltwoche» die Beschwerde zur Stellungnahme bis zum 24. Mai 2023. Weder Chefredaktor Roger Köppel noch der Autor Thomas Renggli haben das Schreiben des Presserates beantwortet.

D. Am 27. Juni bat der Presserat Chefredaktor Köppel und Autor Renggli erneut um eine Stellungnahme, diesmal mit einer Nachfrist bis 21. Juli 2023. Erneut entschied sich die «Weltwoche», das Schreiben des Schweizer Presserates nicht zu beantworten.

E. Am 24. Oktober 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gestützt auf Artikel 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements vom Präsidium des Presserats, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin, behandelt.

F. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 22. Dezember 2023 verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Die Beschwerdeführerin kritisiert, dass die Kämpferin Gabi Garcia als Trans-Frau dargestellt werde, was gemäss «mehreren Artikeln im Internet» entkräftet sei. Damit werde gegen die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verstossen, der Kern des Artikels beruhe auf einer Falschinformation.

Die Prüfung der beiden von der Beschwerdeführerin zum Beleg verlinkten Artikel zweier verschiedener Internet-Plattformen, «wealthypeeps.com» und «sportskeeda.com» zeigt, dass die beiden dort aufscheinenden Texte am gleichen Tag verfasst worden sind und aus teilweise übereinstimmenden Textausschnitten bestehen. Es ist also eher von einer einzigen Quelle auszugehen und deren Glaubwürdigkeit erscheint mindestens nicht offensichtlich.

Umgekehrt ist festzuhalten, dass Autor Renggli von einem Sachverhalt ausgeht, welcher nicht belegt wird. Der Artikel impliziert, dass Kämpferin Garcia effektiv einen Geschlechterwechsel hinter sich habe. Der Autor schreibt eingangs des Textes: «Dürfen ‹Frauen›, die im Körper eines Mannes geboren wurden», an Frauen-Wettkämpfen teilnehmen? Einen anderen Hinweis als die äusserliche Erscheinung Garcias führt er für deren insinuierten Geschlechterwechsel nicht an. Die Frage, ob und wann Personen mit hohem Testosteron-Gehalt an Frauenwettbewerben teilnehmen dürfen, erscheint zwar durchaus berechtigt. Dafür gäbe es konkrete Beispiele, eines führt der Text selber an. Aber es wird nirgends begründet und schon gar nicht belegt, dass Gabi Garcia eine Trans-Sportlerin ist. Ihr Aussehen könnte auch andere Ursachen haben. Insofern ist dem Anspruch der Wahrheitssuche nicht Genüge getan. Dies gilt auch dann, wenn man davon ausgeht, dass Rengglis Text als Kommentar zu werten ist: Dieser muss zwar nicht ausgewogen sein. Aber die zugrundeliegenden Fakten müssen auch beim Kommentar stimmen. Die Ziffer 1 der «Erklärung» wurde mit der insinuierten Geschlechtsangleichung verletzt.

2. Dass die Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) verletzt sein soll, erschliesst sich dem Presserat nicht. Der Text verweist auf Videobilder, welche zeigen, wie eine sehr grosse, äusserst muskulöse Frau im Ring auf eine weniger starke Frau einprügelt. Dies wird korrekt beschrieben. Der Autor impliziert in seiner Beschreibung zwar, dass die stärkere der beiden Frauen eine Trans-Frau sei. Die Beschreibung des brutalen Kampfes allein ist aber noch keine «Hetze», unabhängig davon, ob die Vermutung, es handle sich um eine Transfrau zu Recht oder zu Unrecht gemacht wurde. Der Autor will mit der Beschreibung des Videos auf eine Problematik hinweisen, nämlich auf die unfairen Voraussetzungen, die bei Sport-Wettbewerben auftreten können. Die Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) wurde damit nicht verletzt.

3. Ebenso ist nicht ersichtlich, weshalb die Frage, ob Frauen, die als Männer geboren wurden, an Frauen-Wettbewerben teilnehmen dürfen, gegen die Trennung von Fakten und Kommentar (Richtlinie 2.3) verstossen soll. Es trifft zu (siehe oben Erwägung 1), dass diese Voraussetzung – Frau als Mann geboren – vom Autor im konkreten Fall nicht belegt oder begründet wird. Damit verstösst er gegen die Richtlinie 1.1, aber nicht gegen die Trennung von Fakten und Kommentar, auch nicht, wenn man den Text als reine Berichterstattung einschätzen würde. Der Presserat geht aber bei diesem Text ohnehin von einem Kommentar aus. Die Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) wurde nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. «Weltwoche.ch» hat mit dem Artikel «Ende des Frauen-Sports: Wer glaubt, Männer sollen ihr Geschlecht und somit die Sport-Kategorie fliessend wechseln können, wird spätestens bei diesem Box-Video eines Besseren belehrt» vom 15. März 2023 die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. In den übrigen Punkten wird die Beschwerde abgewiesen.