Nr. 42/2017
Trennung von Fakten und Kommentar / Online-Kommentare / Privatsphäre / Unabhängigkeit

(X. c. «Aargauer Zeitung online/watson.ch» / «Tages-Anzeiger online» / «20 Minuten online») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 8. Dezember 2017

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I. Sachverhalt

A. Am 3. Februar 2017 veröffentlichte «20 Minuten online» den Artikel «SVP-Glarner führt Feldzug gegen seine Hater». Darin wird ausgeführt, Andreas Glarner halte die Justiz auf Trab. Der SVP-Nationalrat habe zahlreiche Bürger angezeigt, weil sie ihn im Netz beschimpft hätten. Einige seien bereits gebüsst worden. Am 9. März 2017 folgte unter dem Titel «Student wegen Tweet gegen Glarner verurteilt» ein weiterer Artikel zum selben Thema. Darin führt «20 Minuten online» aus, auf Twitter habe ein 40-jähriger Student SVP-Nationalrat Andreas Glarner als pädophil bezeichnet. Nun habe ihn das Bezirksgericht Bremgarten verurteilt. Beide Artikel wurden von zahlreichen Leser-Kommentaren begleitet.

B. Am 8. März 2017 publizierte der «Tages-Anzeiger online» unter dem Titel «Der Preis des Hasses» einen Artikel über Hass im Netz. Es vergehe kein Tag, ohne dass sich Schweizer Nutzer auf Facebook mit Beschimpfungen dem Hass hingäben, oftmals mit vollem Namen, sodass Ermittlungen eingeleitet werden könnten. Denn was im realen Leben als Ehrverletzung, Verstoss gegen das Antirassismusgesetz oder Drohung gelte, sei es auch in den sozialen Netzwerken. Erwähnt wird u.a. Andreas Glarner, welcher bei der Staatsanwaltschaft alle Postings und Zuschriften melde, die sich gegen seine Familie richten und ihm unterstellen, er sei ein Rassist. Unter den gemeldeten rund 20 Postings befände sich auch der Tweet eines Studenten zu einem «Blick»-Foto, auf dem Glarner ein Baby hochhält. Dieser Tweet lautete: «Andreas Glarner zeigt in den Medien ungehemmt seine Pädophilie». Mittlerweile sei der Student vom Bezirksgericht Bremgarten verurteilt worden.

C. Am 9. März 2017 veröffentlichten die «Aargauer Zeitung» (AZ) in ihrer Online-Ausgabe und «watson.ch» den Artikel «Tweet gegen Glarner: Student (40) wegen übler Nachrede verurteilt». Darin berichten die beiden Medien, das Bezirksgericht Bremgarten habe einen 40-jährigen Zürcher Student wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe über 1800 Franken sowie einer Busse von 400 Franken verurteilt und damit den Strafbefehl bestätigt. Auch dieser Artikel wurde mehrfach kommentiert

D. Am 3. September 2017 beschwerte sich der in sämtlichen Artikeln erwähnte Student in drei separaten Beschwerden beim Schweizer Presserat gegen die obigen Artikel. Er macht geltend, «20 Minuten online» verstosse mit seinen beiden Artikeln sowie den Leserkommentaren gegen Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Dadurch dass er mit seinem Alter, seinem Wohnort Zürich und den richtigen Initialen gekennzeichnet werde, sei er nicht nur für seinen Bekanntenkreis, sondern auch für Leute, die eine geschickte Internetsuche starteten, sofort identifizierbar. Ein öffentliches Interesse für diese Identifizierung sei nicht gegeben. Der Artikel vom 9. März 2017 auf «20 Minuten» sei zwar sachlich verfasst, hingegen grenzten die Kommentare an üble Nachrede. Er moniert eine mehrfache Verletzung von Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) und 7.4 (Gerichtsberichterstattung; Unschuldsvermutung und Resozialisierung).

Bezüglich des Artikels des «Tages-Anzeiger» vom 8. März 2017 rügt er eine Verletzung von Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 9.1 (Unabhängigkeit) sowie von Ziffer 7 der «Erklärung». Andreas Tobler, der Autor des Artikels, habe den Beschwerdeführer auf Twitter geblockt. Ein Journalist müsse jedoch in den Ausstand treten, sobald er einer Person zu nahe steht. Der Tweet des Beschwerdeführers werde besonders prominent auf zehn Zeilen breitgetreten, zudem werde er als «40-jähriger Student» bezeichnet. Mit dieser Kennzeichnung sei er auf Twitter mühelos ausfindig zu machen, weshalb Ziffer 7 der «Erklärung» auch hier verletzt werde. Dies sehe nach einer persönlichen Abrechnung aus, womit der Artikel auch Richtlinie 2.3 verletze.

Seine Beschwerde gegen den Artikel von AZ und «watson.ch» begründet der Beschwerdeführer ebenfalls mit einer Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung». Der Journalist habe den Beschwerdeführer aufgrund von Äusserlichkeiten beschrieben: «Der 40-jährige Student» – «dunkelgrüne Hose, hellgrüner Rollkragenpullover». Schon am 7. März 2009 habe die «Mittelland Zeitung» einen Artikel über ihn bzw. über ein bevorstehendes Konzert mit seinen Werken veröffentlicht, illustriert mit einer Foto, die ihn in hellgrünem Rollkragenpulli zeige. Gebe man seinen Namen in der Bildersuche im Internet ein, erschienen mehrere Bilder. Somit sei der Beschwerdeführer nicht nur für einen Kreis von Konzertbesuchern und Bekannten klar identifizierbar. Ebenfalls gegen Ziffer 7 der «Erklärung» verstiessen zwei Kommentare: Im einen werde behauptet, der Beschwerdeführer sei ein ewiger Student, auf den man sehr genau aufpassen sollte. Zu fragen sei, ob er etwa mit Steuergeldern durchgefüttert werde. Die Anweisung, man solle auf den Beschwerdeführer sehr genau aufpassen, sei eine Aufforderung zum Stalking. Die Angabe, er sei ein ewiger Student, sei zudem falsch, denn er absolviere ein Zweitstudium und habe nach seinem ersten Studienabschluss gearbeitet. Beide Kommentatoren machten zudem die sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigung, er würde nie etwas arbeiten. Ziffer 7 der «Erklärung» sei auch hiermit verletzt.

E. Am 29. September 2017 teilte das Präsidium des Presserats, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, dem Beschwerdeführer mit, die drei Beschwerden würden gemeinsam behandelt bzw. vereinigt. Alle drei Beschwerden datierten vom 3. September 2017, die kritisierten Artikel vom 3. Februar, 8. und 9. März 2017. Die Beschwerdefrist von 3 Monaten (Art. 11 Abs. 1 Geschäftsreglement des Schweizer Presserats) sei somit nicht eingehalten, weshalb auf die drei Beschwerden nicht eingetreten werde.

F. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 teilte der Beschwerdeführer dem Presserat mit, das Geschäftsreglement des Schweizer Presserats sei online zu finden und jeder anderen Person zur Zeit der Beschwerde und auch jetzt öffentlich unter http://presserat.ch/23020.htm zugänglich. Der massgebliche Artikel 10 besage, dass der Presserat nicht auf Beschwerden eintritt, wenn die Publikation des beanstandeten Berichts länger als sechs Monate zurückliegt. Die von ihm beanstandeten Artikel lägen nicht länger als sechs Monate zurück. Er verlange gestützt auf Art. 19 Abs. 2 eine ordnungsgemässe Behandlung der drei Beschwerden.

G. Am 27. Oktober 2017 teilte der Presserat dem Beschwerdeführer mit, das Präsidium des Presserats habe sich mit seinem Anliegen auseinandergesetzt. Das per 1. Januar 2017 revidierte Geschäftsreglement des Presserats, welches die Beschwerdefrist von 6 Monaten auf drei Monate verkürzt hat, sei seit diesem Zeitpunkt auf der Webseite des Presserats publiziert worden (s. auch Medienmitteilung dazu) und somit massgebend. Die Unterlagen, die der Beschwerdeführer dem Presserat am 4. Oktober 2017 zukommen liess, hätten sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch im Internet finden lassen – mittels Suche via Google. Dafür könne der Presserat naturgemäss keine Verantwortung übernehmen. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht sei das Präsidium jedoch bereit, sich inhaltlich mit den drei Beschwerden auseinanderzusetzen.

H. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presserats-präsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

I. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 8. Dezember 2017 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, die offensichtlich unbegründet ist. Nichteintretensentscheide werden gestützt auf Abs. 3 summarisch begründet. In Ausnahmefällen kann der Presserat einen Nichteintretensentscheid in einer ordentlichen Stellungnahme begründen. Von dieser Möglichkeit macht er im vorliegenden Fall Gebrauch. Wie unter Buchstabe G. ausgeführt, befasst sich das Präsidium ausnahmsweise und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht mit den drei Beschwerden. Die vom Beschwerdeführer eingereichte Kopie des mittlerweile revidierten Geschäftsreglements war zum Zeitpunkt der Beschwerde im Internet mittels einfacher Suche via Google noch abrufbar. Dies ist mittlerweile aufgrund des Relaunches der Webseite des Presserats nicht mehr der Fall. Eine einfache Überprüfung der Frist auf der Webseite des Presserats hätte für den Beschwerdeführer geklärt, dass er sich auf eine nicht mehr gültige Fassung des Geschäftsreglements beruft.

2. a) «20 Minuten online»: Ziffer 7 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie die Privatsphäre der einzelnen Personen respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Der Beschwerdeführer macht geltend, dadurch dass er mit seinem Alter, seinem Wohnort Zürich und den richtigen Initialen gekennzeichnet werde, sei er nicht nur für seinen Bekanntenkreis, sondern auch für Leute, die eine geschickte Internetsuche starteten, sofort identifizierbar. Ein öffentliches Interesse für diese Identifizierung sei nicht gegeben.

Richtlinie 7.2 präzisiert u.a., dass Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu deren Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert wurden, veröffentlichen, wenn das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung überwiegt. Letzteres ist vorliegend zweifellos der Fall. Die Privatsphäre des Beschwerdeführers ist zu wahren. In Kauf zu nehmen ist dabei gestützt auf Richtlinie 7.2, dass Familie, soziales und berufliches Umfeld durch die Nähe zu seiner Person ihn identifizieren können. Dass dies darüber hinaus mit einer geschickten Internetsuche ebenfalls möglich ist, wie der Beschwerdeführer geltend macht, kann für den Presserat nicht massgebend sein. Selbstverständlich ist nicht auszuschliessen, dass Recherchen über eine Person im Internet von Fall zu Fall eine Identifizierung derselben durch Dritte ermöglichen. Massgebend für die Beurteilung des Presserats ist jedoch Richtlinie 7.2. Mit der Nennung von Initialen, Alter und Wohnort wurde die Privatsphäre des Beschwerdeführers nicht verletzt. Ziffer 7 der «Erklärung» ist damit offensichtlich nicht verletzt.

b) Bezüglich der Kommentare zum Artikel vom 9. März 2017 macht der Beschwerdeführer eine mehrfache Verletzung von Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) und 7.4 (Gerichtsberichterstattung; Unschuldsvermutung und Resozialisierung) geltend. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die berufsethischen Normen auch für die Bewertung von Online-Kommentaren gelten; dies stützt sich auf Richtlinie 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare). Jedoch ist hier der Meinungsfreiheit der grösstmögliche Freiraum zuzugestehen, weshalb die Redaktion nur bei offensichtlichen Verletzungen der «Erklärung» einzugreifen hat.

Konkret rügt der Beschwerdeführer, in zwei Kommentaren werde behauptet, er sei ein ewiger Student. Dies sei falsch. Er habe bereits ein Studium abgeschlossen und auf dem entsprechenden Gebiet gearbeitet. Wenn behauptet werde, er fordere eine gewisse Summe als Genugtuung, so verweise er darauf, dass das Verfahren nicht rechtskräftig sei, die Forderung nach Genugtuung stelle somit ein Präjudiz dar. Aussenstehende hätten zu einem Prozess keine Wertungen vorzunehmen, damit verstiessen sie gegen Richtlinie 7.4.

Zwar ist jemand, der mit 40 ein Zweitstudium absolviert, objektiv gesehen kein ewiger Student. Diese Bemerkung bewegt sich jedoch klar innerhalb der von Richtlinie 5.2 skizzierten Meinungsfreiheit. Eine offensichtliche Verletzung der «Erklärung» liegt daher nicht vor. Schlicht nicht nachvollziehbar ist für den Presserat die geltend gemachte Verletzung von Richtlinie 7.4. Sie ist offensichtlich nicht verletzt. Dasselbe gilt für den Kommentar, die Bestrafung des Studenten gehe völlig in Ordnung. Der vom Beschwerdeführer ebenfalls kritisierte Kommentar, der faule Student sei einer dieser ewigen Studenten, die nicht arbeiteten, aber sich überall einmischten, weshalb die Geldstrafe von 1800 auf 18’000 zu setzen sei, mag für ihn verletzend sein, allerdings bewegt auch dieser sich im Rahmen der geschützten Meinungsfreiheit bzw. des ihr zugestandenen Freiraums. Weiter moniert der Beschwerdeführer, der Kommentar, er wolle radikale Positionen mit Bösartigkeit bekämpfen, verstosse gegen die Richtlinien 1.1 und 7.4 – denn das stimme schlicht nicht. Konkret heisst es im Kommentar, wer andersdenkende Mitbürger auf diese schändliche Weise erledige oder diffamiere, begebe sich auf ein Niveau, dass man nur noch als hassbedingt bezeichnen könne. Der Verfasser des Kommentars fragt: «Radikale Positionen mit Bösartigkeit bekämpfen? So funktioniert Meinungsfreiheit nicht!» Auch in diesem Plädoyer für die Meinungsfreiheit vermag der Presserat keinen Verstoss gegen den Journalistenkodex zu erkennen. Dasselbe gilt für den Kommentar, der 40-jährige Student habe es nicht anders verdient sowie für die Aussage, Glarner aufgrund eines Kinderbildes als Pädo zu bezeichnen, gehe gar nicht.

3. «Tages-Anzeiger online»: Beim Artikel des «Tages-Anzeiger» vom 8. März sieht der Beschwerdeführer die Richtlinien 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 9.1 (Unabhängigkeit) verletzt sowie die Ziffer 7 der «Erklärung». Autor Andreas Tobler habe den Beschwerdeführer auf Twitter geblockt. Ein Journalist müsse jedoch in den Ausstand treten, sobald er einer Person zu nahe steht. Der Tweet des Beschwerdeführers werde besonders prominent auf zehn Zeilen breitgetreten und er als «40-jähriger Student» bezeichnet. Damit sei er auf Twitter mühelos ausfindig zu machen, was Ziffer 7 verletze. Das Ganze sehe nach einer persönlichen Abrechnung aus, womit der Artikel auch Richtlinie 2.3 verletze.

Dazu folgendes: Auch ein Journalist ist frei, jemanden auf Twitter zu blocken. Die Gründe dafür können ausser Acht gelassen werden, die Mutmassungen des Beschwerdeführers darüber ebenfalls. Daraus eine besondere Nähe zwischen Autor und Beschwerdeführer oder eine persönliche Abrechnung abzuleiten, ist nicht nachvollziehbar. Richtlinie 2.3 ist in diesem Zusammenhang nicht anwendbar. Soweit der Beschwerdeführer zudem Ziffer 7 dadurch verletzt sieht, dass er als 40-jähriger Student bezeichnet wird, sei auf die Ausführungen oben unter 2. b) verwiesen.

4. «Aargauer Zeitung online» / «watson.ch»: Auch hier macht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» dadurch geltend, dass er als «Der 40-jährige Student» – «dunkelgrüne Hose, hellgrüner Rollkragenpullover» charakterisiert wird. Auch hier sei auf die Ausführungen unter 2. b) verwiesen. Dass vor achteinhalb Jahren in der «Mittelland Zeitung» ein Artikel über den Beschwerdeführer erschienen ist, welcher ihn auf einer Foto ebenfalls in hellgrünem Rollkragenpulli zeigte, ist dabei völlig unerheblich.

Der Beschwerdeführer beanstandet, gegen Ziffer 7 der «Erklärung» verstiessen auch zwei Kommentare: Im einen werde behauptet, der Beschwerdeführer sei ein ewiger Student, auf den man sehr genau aufpassen sollte; man müsse ihn wohl mit Steuergeldern durchfüttern. Im andern heisse es, er würde nie etwas arbeiten lernen. Beide Kommentare sind durch die Kommentarfreiheit gedeckt.

5. Die drei Beschwerden erweisen sich insgesamt und in allen Teilen als offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.

Mitteilung des Beschwerdeführers vom 13. Dezember 2017.