Nr. 41/2023
Berichtigungspflicht

(Melnitschenko c. «Zentralplus.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 17. Januar 2023 berichteten Kilian Küttel und Michelle Keller auf «Zentralplus.ch» unter dem Titel «Zuger Steuerzahler kommen für Tännlers Eurochem-Anwalt auf» darüber, dass der Zuger Finanzminister Heinz Tännler sich im Rahmen einer Auseinandersetzung über eine seines Erachtens unfaire Medienberichterstattung einen Anwalt genommen und sich diesen vom Kanton habe bezahlen lassen. Das sei jetzt Gegenstand einer politischen Auseinandersetzung geworden. Die ursprüngliche Auseinandersetzung, über die nach Tännlers Ansicht rufschädigend berichtet worden sei, habe sich um einen Kontakt gedreht, den er, Tännler, zwischen der Zuger Kantonalbank und «Eurochem» hergestellt habe. Also – so «Zentralplus» im Text vom 17. Januar 2023 – zu «jenem Düngerkonzern mit Sitz in Zug, dem eine enge Verbindung zum sanktionierten Oligarchen und Putin-Vertrauten Andrei Melnitschenko nachgesagt» werde.

B. Am 20. Februar 2023 reichte Andrei Melnitschenko Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, die Charakterisierung seiner Person sei faktenwidrig, er habe eine Richtigstellung verlangt und diese sei nie vorgenommen worden. Damit verletze «Zentralplus» die Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).

Beschwerdeführer Melnitschenko begründet seine Beschwerde damit, dass er nie – wie behauptet – ein Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin gewesen sei. Die Begründung der EU dafür, dass er mit Sanktionen belegt wurde, sei vollkommen falsch. Er habe nie eine irgendwie geartete Beziehung zum russischen Präsidenten unterhalten. Zwar werde auch im schweizerischen Sanktionsbeschluss erwähnt, dass er unmittelbar nach Beginn des Überfalls der russischen Armee auf die Ukraine am 24. Februar 2022 mit 36 weiteren Persönlichkeiten in den Kreml eingeladen worden sei. Das treffe zu. Aber das Treffen sei ursprünglich zur Besprechung von Wirtschaftsfragen einberufen und zunächst mehrfach verschoben worden. Dabei hätte etwa zur Diskussion stehen sollen, wie mit Kryptowährungen umzugehen sei. Vom Thema Krieg seien die Teilnehmer überrascht worden. Er, Melnitschenko, kenne Putin nicht persönlich, er habe noch nie direkt mit ihm gesprochen, er habe ihn nur zwei- bis dreimal jährlich im Kreise grösserer Gruppen getroffen. Er selber habe in den letzten 16 Jahren ohnehin nur rund fünf Wochen jährlich in Russland verbracht. Dies habe er «Zentralplus» mitgeteilt und um Richtigstellung gebeten, die Redaktion habe sich aber mehrfach geweigert, eine entsprechende Berichtigung vorzunehmen. Damit habe sie gegen die Ziffer 5 der «Erklärung», gegen ihre Pflicht, Fehler zu berichtigen, verstossen.

C.
Mit Beschwerdeantwort vom 22. August 2023 beantragten Christian Hug, der CEO der Zentralplus AG, und deren Redaktionsleiter Matthias Stadler, die Beschwerde sei abzuweisen. Dies begründet «Zentralplus» damit, dass der Beschwerdeführer im Sanktionsbeschluss der EU gegen ihn als «zum Kreis der einflussreichsten Geschäftsleute mit engen Beziehungen zur russischen Regierung» bezeichnet werde. Er sei entsprechend «an Wirtschaftszweigen beteiligt, die eine wesentliche Einnahmenquelle für die Regierung der Russischen Föderation darstelle, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist». Im Weiteren verweise der EU-Beschluss auf das gleiche Treffen mit Wladimir Putin und anderen Mitgliedern der russischen Regierung vom 24. Februar 2022, an dem der Beschwerdeführer mit 36 anderen Geschäftsleuten teilgenommen habe «um die Auswirkungen des Vorgehens nach den westlichen Sanktionen zu besprechen», wie die EU schreibe. Dass Melnitschenko zu diesem Treffen eingeladen worden sei, zeige, dass er «zum engsten Kreis von Wladimir Putin gehört und dass er Handlungen und politische Massnahmen unterstützt oder durchführt, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine sowie die Stabilität und Sicherheit in der Ukraine untergraben oder bedrohen». Die gleiche Formulierung habe das Schweizer Seco verwendet, als die Schweiz die Liste der Sanktionierten von der EU übernommen habe. Ein Mitglied des so beschriebenen «engsten Kreises» eines politischen Machthabers könne entsprechend sehr wohl als «Vertrauter» Putins bezeichnet werden.

D. Am 5. Dezember 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E.
Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 22. Dezember 2023 verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Die vom Beschwerdeführer angerufene Ziffer 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» besagt: «Sie [die Journalistinnen und Journalisten] berichtigen jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist.» Es stellt sich also die Frage, ob der vom Beschwerdeführer kritisierte Satz «… jenem Düngerkonzern mit Sitz in Zug, dem eine enge Verbindung zum sanktionierten Oligarchen und Putin-Vertrauten Andrei Melnitschenko nachgesagt wird» eine falsche Sachverhaltsdarstellung enthielt.
Der Beschwerdeführer argumentiert, der Ausdruck «Vertrauter» sei falsch, er kenne Putin nicht persönlich, habe nie direkt mit ihm gesprochen, er sei nur zwei- bis dreimal im Jahr zu Anlässen mit Putin eingeladen gewesen. Zum fraglichen Treffen sei er nicht von Putin oder dessen Regierung eingeladen worden, sondern von einem Wirtschaftsverband im Hinblick auf die Besprechung von Wirtschaftsfragen mit der Regierung und Putin selber. «Zentralplus» verweist umgekehrt auf die Begründung der EU und der Schweiz, welche die Rolle des Beschwerdeführers als wichtiger Unterstützer der Regierung und damit auch von deren wirtschaftlichen Aktivitäten beschreiben. Ein Indiz dafür sei seine Teilnahme am fraglichen Treffen mit Putin kurz nach dem Angriff auf die Ukraine, bei welchem über den Umgang mit westlichen Sanktionen gesprochen worden sei. Dies zeige, dass Melnitschenko zum «engsten Kreis» um Wladimir Putin gehöre. Diese amtlichen Einschätzungen berechtigten die Redaktion zur Qualifikation «Vertrauter».

2.
Wenn es zutrifft, dass Beschwerdeführer Melnitschenko – wie von ihm selber dargestellt – noch nie mit Putin selber gesprochen hat, ist in der Tat zu fragen, ob der Ausdruck «Vertrauter» nicht übertrieben, also falsch und damit auch berichtigungspflichtig ist. Fest steht für den Presserat, dass russische Vielfach-Milliardäre, die regelmässig vom Kreml eingeladen werden, als einem «engen Kreis einflussreicher regierungsnaher Personen» zugehörig charakterisiert werden dürfen. Dies gilt auch für den Beschwerdeführer Melnitschenko. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre kann niemand «regierungsnah» sein, der sich irgendwie von Wladimir Putin distanziert. Das kann der Beschwerdeführer nicht für sich geltend machen. Aus den von ihm selber eingereichten Unterlagen geht nicht hervor, dass er sich vom Krieg gegen die Ukraine distanziert hätte. Er hat nur geäussert, jeder Krieg sei schrecklich, je schneller er ende, desto besser (Quelle: undatierter ausführlicher Artikel der «New York Times», vermutlich vom 16. Dezember 2022, eingereicht vom Beschwerdeführer).

3.
Es stellt sich aber die Frage, ob Melnitschenko wirklich ein «Putin-Vertrauter» ist. Tatsache ist, dass das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ihn auf die Sanktionsliste gesetzt hat, mit der Begründung, der Beschwerdeführer gehöre «to the most influential circle of Russian businesspersons with close connections to the Russian Government». Die Frage, ob er ein persönlicher «Vertrauter» von Putin ist lässt sich aufgrund der dem Presserat zur Verfügung stehenden Quellen nicht abschliessend beurteilen. Unbestritten darf man ihn aufgrund der Seco-Sanktionsliste als einen «Vertrauten» der Regierung bezeichnen. Aufgrund des autoritären Charakters der russischen Regierung wird Putin und seine Regierung oft als Synonym verwendet, auch wenn das nicht ganz korrekt ist. Dass «Zentralplus» den Unterschied zwischen Putin und der Regierung in dem Text nicht macht, mag ungenau sein, reicht aber für eine Rüge nicht aus. Da es sich nicht abschliessend und unabhängig klären lässt, wie nahe Melnitschenko Putin persönlich steht, hat «Zentralplus» nicht gegen die Verpflichtung zur Wahrheit verstossen und damit auch nicht die Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung» verletzt, als sich die Redaktion nicht bereit erklärte, die monierte Passage zu korrigieren.


III. Feststellungen


1.
Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2.
«Zentralplus.ch» hat mit dem Artikel «Zuger Steuerzahler kommen für Tännlers Eurochem-Anwalt auf» vom 17. Januar 2023 die Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.