Nr. 41/2021
Wahrheit / Trennung Fakten und Kommentar / Nicht gerechtfertigte Anschuldigungen

(X. c. «Blick.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 26. Februar 2021 erschien im «Blick» und auf «Blick.ch» ein Text unter der Rubrik «Dinos Check» mit dem Titel «Tiger überlebt die Polizei von L.A.», Untertitel «Tiger Woods kommt nach dem Autounfall im L.A.-County mit dem Leben davon. Er wurde von den Polizeibeamten erkannt.»

Der Text stellt fest, dass der Golfprofi Tiger Woods Glück gehabt habe, dass er nach seinem schweren Autounfall als Farbiger nicht von der Polizei erschossen worden sei. Der Sheriff des L.A.-County, Alex Villanueva, habe nicht einmal eine Busse ausgesprochen. Ab einer bestimmten Prominenz hätten US-Sportler «keine Hautfarbe mehr». Das habe sich schon im Fall des berühmten Footballspielers O. J. Simpson gezeigt, der zwar von einer ganzen Armada von Polizisten verfolgt worden sei, aber niemand habe ihm ein Haar gekrümmt, ganz im Gegensatz zu den Fällen Rodney King in Los Angeles oder – neulich – George Floyd in Minneapolis. Nach dem Unfall von Woods könnten alle von Glück reden, für einmal sei keiner ums Leben gekommen.

Bebildert ist der Artikel unter anderem mit dem Unglücksauto und dem Foto eines Polizisten, die Bildlegende lautet «L.A.-County Obersheriff Alex Villanueva».

B. Am 3. März 2021 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, der Online-Artikel verletze die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Richtlinie 2.3 Trennung von Fakten und Kommentar) und 7 (ungerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).

Der Beschwerdeführer (BF) begründet den Verstoss gegen die Ziffer 7 der «Erklärung», das Gebot, ungerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen, damit, dass der Bericht der Polizei unterstelle, sie hätte Woods beim Herauskriechen aus dem Auto unverzüglich erschossen. Der BF – selber Polizist – räumt ein, er verstehe die Problematik massiver Verfehlungen der Polizei in den USA, dennoch werde hier Polizisten unterstellt, sie seien generell rassistisch und gewalttätig.

Die Ziffer 1 der «Erklärung» sieht der BF verletzt, weil der abgebildete Polizist als «Obersheriff» betitelt werde. Damit gebe man der Story unnötig einen «Wild West-Charakter». Er sei einfach «Sheriff».

Weiter würden mit diesem Beitrag Fakten und Meinung nicht auseinandergehalten, was gegen die Richtlinie 2.3, respektive Ziffer 2 der «Erklärung» verstosse.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 19. März 2021 beantragte der Anwalt von «Blick.ch», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventualiter sei sie abzuweisen.

Inhaltlich macht er geltend, dass «Dinos Check» eine Kolumne von Dino Kessler sei, welche den «Blick»-LeserInnen seit langem bekannt sei. Kessler äussere sich darin über Personen und Vorgänge in der Sportwelt, wobei er nichts und niemanden verschone.

Schon der Titel des Artikels («Tiger überlebt die Polizei von L.A.») mache deutlich, dass es sich hier nicht um eine ernstzunehmende Sachverhaltsdarstellung handeln könne. Wer den Text von Kessler nicht als subjektiv gefärbte, parteiische und letztlich satirische Beleuchtung des Vorgangs wahrnehme, sei selber schuld. Es sei medienethisch nicht geboten, über jeden so gemeinten Text «Glosse» oder «Achtung, Satire!» zu schreiben. Eine seit langem eingeführte Kolumne sei vom durchschnittlichen Leser einzuordnen als das, was sie ist: das Gegenteil eines redaktionellen Tatsachenberichts. Ein Verstoss gegen die Ziffer 7 der «Erklärung» («anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen») liege schon deswegen nicht vor, weil es sich nicht um eine anonyme, sondern um eine namentlich gekennzeichnete Anschuldigung Dino Kesslers handle. Und sachlich gerechtfertigt sei sie angesichts der im Text erwähnten Vergleichsfälle.

Ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») liege mit der Bildlegende «Obersheriff» ebenfalls nicht vor. Die Bildlegende sei kein Kommentar und wenn jemand als Obersheriff bezeichnet werde, dann habe das auch im Deutschen einen ironisierenden Charakter.

Den kritisierten Verstoss gegen die Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) bezeichnet der «Blick» als «abwegig». Wer diesen Text nicht einzuordnen verstehe, komme natürlich auf solche Gedanken.

D. Am 6. April 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der Geschäftsführerin der Presserats behandelt.

E. Die Geschäftsführerin hat am 10. Juni 2021 in Absprache mit dem Präsidium des Presserats folgendermassen Stellung genommen:

II. Erwägungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Eine Begründung des Antrags von «Blick.ch» auf Nichteintreten fehlt.

2. Die Ziffer 7 der «Erklärung» gebietet, dass zum Schutz der Privatsphäre auf anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen verzichtet werde. Man mag – mit dem Beschwerdeführer – die Anschuldigungen im Text als sachlich nicht gerechtfertigt beurteilen. Aber sie verletzten niemandes individuelle Persönlichkeit, es wird pauschal amerikanischen Polizisten vorgeworfen, gewalttätig vorzugehen, aber das wird niemandem persönlich vorgeworfen. Insofern ist diese Ziffer, welche die einzelne Persönlichkeit schützt, nicht tangiert.

3. Die Richtlinie 2.3 zur Ziffer 2 der «Erklärung» verlangt, dass JournalistInnen Fakten und Kommentare voneinander trennen. Der Leserschaft soll auf Anhieb klar sein, wo Fakten präsentiert und wo Meinungen geäussert werden.

Dass «Dinos Check» eine persönliche Kolumne eines ehemaligen bekannten Eishockeyspielers ist, welcher Vorgänge im Sport aus subjektiver Warte kommentiert, «Checks austeilt», weiss die sportinteressierte «Blick»-Leserschaft seit langem. Darin ist «Blick.ch» zuzustimmen. Aber es weiss das eben nur die langjährige und/oder nur die sportinteressierte Leserschaft. In der gedruckten Ausgabe des «Blick» wird deshalb am Schluss der auch gestalterisch abgesetzten Kolumne darauf hingewiesen, wer hier aus welcher Warte schreibt. In der Online-Ausgabe ist das jedoch nicht der Fall, äusserlich kommt der Text daher wie jeder andere Bericht mit Ausnahme der Spitzmarke «Dinos Check». «Ungeübte» «Blick»-LeserInnen steigen in diesen Bericht ein wie in jeden anderen, ohne einen Kommentar oder gar Satire zu erwarten. Die Spitzmarke «Dinos Check» weist – im Gegenteil – allenfalls auf einen Fakten-Check hin, aber nicht auf die persönliche Meinung eines ehemals «Checks» austeilenden Eishockeyaners.

Der Presserat folgt nicht der Meinung des «Blick», wonach jeder Leser, jede Leserin schon am Titel hätte merken müssen, dass hier ein satirischer Text folgt, dass «selber schuld sei», wer das nicht merke. Das entspricht einer Verkennung des Umstands, dass nicht alle LeserInnen, die online einem Text begegnen, geübte oder langjährige «Blick»-Leser sind und schon bei der Schlagzeile hätten stutzig werden müssen. Das Gebot der Trennung von Fakten und Kommentar bedeutet, dass Meinungen, Kolumnen, Satirebeiträge als solche erkennbar sein müssen. «Blick» erfüllt diese Bedingung zwar in seiner Printausgabe, indem Dino Kessler identifiziert und «Dinos Check» damit verständlich wird. Online ist dies nicht der Fall. Richtlinie 2.3 ist somit verletzt.

4. Die Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt, dass JournalistInnen sich an die Wahrheit halten. Wenn der «Sheriff» des Landkreises L.A. als «Obersheriff» tituliert wird, ist das sachlich nicht korrekt, es entspricht, wie vom «Blick» selber unterstrichen, einer Ironisierung. Ob eine Bildlegende in einer – nur teilweise – ironisch gemeinten Kolumne ebenfalls ironisch gehalten werden soll oder darf, hängt unter anderem davon ab, ob der Text klar als dies, als mindestens teilweise ironisch, zu erkennen ist. Das ist hier zwar nicht der Fall, die ungenaue Bildlegende entspricht aber nicht einem eigentlichen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht, sondern ist auch unter Richtlinie 2.3 zu subsumieren: ungenügende Trennung von Fakten und Kommentar.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. «Blick.ch» hat mit dem Artikel «Tiger überlebt die Polizei von L.A.» vom 26. Februar 2021 die Ziffer 2 (Trennung von Fakten und Kommentar) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. In allen übrigen Punkten wird die Beschwerde abgewiesen.