Nr. 39/2021
Wahrheit / Entstellen von Tatsachen

(X. c. «Basler Zeitung»)

Drucken

I. Sachverhalt

A. 25. Januar 2021 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Artikel von Kurt Tschan mit dem Titel «Sagt das Volk Nein, muss Reinach zahlen» (online: «… muss die Gemeinde zahlen») und der Spitzmarke «Wenn das Bauen unmöglich wird». Darin ist zu lesen, dass sich der Gemeinderat von Reinach BL Sorgen mache, das zur Abstimmung stehende Bauprojekt «Buch-Hain» könnte abgelehnt werden. Da die fünf geplanten elliptischen Wohnhäuser aber auf einer Parzelle innerhalb der Bauzone projektiert seien, die Eigentümer entsprechend ein Recht hätten zu bauen, könne der Bau nicht einfach verboten werden. Das laufe, so wird der Gemeinderat Ferdinand Pulver zitiert, auf eine materielle Enteignung hinaus, die Parzelle müsste von der Gemeinde ausgezont, die Eigentümer entschädigt werden. Das könne Reinach sich in der gegenwärtigen Finanzsituation aber nicht leisten.

In der Folge wird die Vorgeschichte des Konflikts nachgezeichnet, ebenso die Argumente von Gegnern (falscher Standort für verdichtetes Bauen, fern vom ÖV, Bauen in Naturschutzgebiet, Amphibienreservat) und der Befürworter (ovale Häuser passen ideal ins Landschaftsbild, nur 17 Prozent der Parzelle werden bebaut, Naturschutzzone wird sogar vergrössert, Aufwertung des Bachs durch mehrere Weiher).

Sollte das Projekt abgelehnt werden, so der Artikel weiter, gebe es für die Gemeinde – neben dem Kauf der Parzelle – nur noch die Möglichkeit, das Projekt im vereinfachten Quartierplanungsverfahren durchzubringen. «Dadurch würde sich die Nutzung um sechs Prozent reduzieren. Die Anzahl Geschosse bliebe unverändert. Dafür könnten mehr Gebäude gebaut werden.» Umgekehrt müsste die Gemeinde dann allfällige Naturschutzmassnahmen selber finanzieren.

B. Am 29. Januar 2021 reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer (BF) macht einen Verstoss gegen die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 3 (Entstellen von Tatsachen, Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend.

Er begründet dies damit, dass der Titel des Artikels die Meinung des Gemeinderats Pulver als Tatsache abbilde, wonach ein Nein zur Bauvorlage zu einer Enteignung und damit zu einer Entschädigungspflicht führen würde. Das sei aber eindeutig falsch, das Grundstück würde im Falle des Nein einfach in der Bauzone verbleiben. Wäre die Annahme in der Schlagzeile richtig, hätte die Gemeinde über eine Zonenplanänderung und eine Entschädigung abstimmen müssen, was nicht der Fall sei. Der Titel verletze damit die Wahrheitspflicht von Ziffer 1 der «Erklärung».

Dieser falsche Titel sei in der Online-Ausgabe auch nach der Intervention des BF unverändert belassen worden. Die BaZ habe zwar seinen «Einspruch»-Text am 28. Januar 2021 in der gedruckten Ausgabe publiziert, sie habe aber am falschen Titel nichts geändert, obwohl er in seinem «Einspruch» auf den Fehler hingewiesen habe. Auch habe die BaZ zwar ein «Korrekt», einige kleinere Richtigstellungen angebracht, aber auch dort sei von Seiten der Zeitung vom falschen Titel nicht die Rede gewesen. Zudem seien sowohl der «Einspruch» wie auch das «Korrekt» nur in der Printausgabe veröffentlicht worden, aber nicht online.

Dass das fragliche Areal in der Bauzone verbleibe, sei im Zonenreglement der Gemeinde in Paragraph 28 nachzulesen. Dass der Autor diese einfach auffindbare Quelle nicht berücksichtigt habe, bilde einen Verstoss gegen die Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen).

C. Am 17. März 2021 nahm die Rechtsabteilung der TX Group, welcher die BaZ gehört, im Namen der Redaktion zur Beschwerde Stellung. Die Beschwerdegegnerin (BG) beantragt Nichteintreten, eventualiter Ablehnung der Beschwerde.

Den Antrag auf Nichteintreten begründet die BG damit, dass die BaZ mit der Publizierung eines «Einspruchs» seitens des Beschwerdeführers am 28. Januar 2021 eine Korrekturmassnahme im Sinne von Art. 11 Abs. 1 (Nichteintreten) des Geschäftsreglements des Presserats vorgenommen habe. Der BF habe dort seine Position vollumfänglich darstellen können. Dass diese Kolumne online nicht erschienen sei, entspreche der «Usanz». Zudem habe die BaZ schon am Tag zuvor ein «Korrekt» veröffentlicht, in welchem alle falschen Punkte korrigiert worden seien. Die daraus folgenden nötigen Änderungen seien in der Online-Ausgabe eingearbeitet worden.

Für den Fall, dass der Presserat dennoch auf die Beschwerde eintrete, macht die BaZ geltend, weder Ziffer 1 noch 3 der «Erklärung» seien mit dem Artikel verletzt. Der Titel des Artikels sei korrekt, allenfalls etwas zugespitzt, das zeige etwa ein Blick auf die Unterlagen der Gemeinde zur besagten Abstimmung. Dort sei eine Entschädigungszahlung in Millionenhöhe erwähnt, falls die Überbauung nicht möglich würde. Dasselbe ergebe sich aus der Stellungnahme des Gemeinderates im gleichen Heft. Insofern habe es keinen Anlass gegeben, im «Korrekt» oder sonstwie auf den Titel zurückzukommen.
Auch die Ziffer 3 sei mit dem Artikel nicht verletzt. Die Argumente seien ausgewogen aufgezählt, auch diejenigen der Gegnerschaft des Projektes. Die BaZ habe auch zwei weitere Artikel zu dieser Abstimmung publiziert, alle im Einklang mit den journalistischen Sorgfaltspflichten, etwa auch unter Berücksichtigung des geltenden Zonenreglements.

D. Am 23. April 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der Geschäftsführerin des Presserates behandelt.

E. Die Geschäftsführerin hat am 10. Juni 2021 in Absprache mit dem Präsidium des Presserats folgendermassen Stellung genommen:

II. Erwägungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Zwar ist der BaZ zuzustimmen, wenn sie geltend macht, der BF habe Gelegenheit erhalten, seine Position mit seinem «Einspruch» ausführlich darzustellen. Aber diese Darstellung ist nur im Print und nicht online erschienen und, vor allem, die Korrekturmassnahme betraf nicht – wie Art. 11 des Geschäftsreglements dies für ein Nichteintreten fordert – eine «Angelegenheit von geringer Relevanz». Es geht um den Titel, also um das, oder mindestens ein Hauptthema des Artikels.

2. Die Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von JournalistInnen, dass sie sich an die Wahrheit halten. Konkret geht es darum, ob die Gemeinde zahlen müsse, wenn das Volk zum Bauprojekt Nein sagt. Der BF verneint dies entschieden. Sowohl aus dessen Argumentation wie auch aus den von der BaZ eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass neben einer allfälligen Auszonung der fraglichen Parzelle aus der Bauzone noch eine zweite Möglichkeit offen steht, nämlich ein neues Bauprojekt mit leicht geänderter Bauweise im Rahmen der bestehenden Bauordnung. Das besagt vor allem auch der Artikel selber in seinem letzten Abschnitt. Entsprechend ist der Titel «Sagt das Volk Nein, muss Reinach zahlen» nicht nur zugespitzt, sondern so nicht richtig. Die Ziffer 1 der «Erklärung» ist mit diesem Titel verletzt. Daran ändert auch nichts, dass der Text im Übrigen die Argumente von Befürwortern und Gegnern weitgehend ausgewogen darstellt.

3. Dass oder ob die BaZ das «Zonenreglement Siedlung» nicht konsultiert und damit die Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt habe, ist insofern nicht von Belang, als die Bestimmung über das Unterschlagen von wichtigen Elementen einer Information im Verstoss gegen die allgemein formulierte Ziffer 1 der «Erklärung» enthalten ist. Es geht bei diesem vom BF angeführten Aspekt letztlich wieder um die Frage, ob der Titel gestimmt hat.

4. Schliesslich erwähnt der BF, seine Korrekturen im «Einspruch» und das «Korrekt» seien nicht online publiziert worden. Er macht damit aber keinen Verstoss gegen die Berichtigungspflicht geltend (Ziffer 5 der «Erklärung»), sondern er erwähnt dies nur als Beleg dafür, dass die Beschwerdegegnerin wiederholt fehlende Einsicht in ihren Fehler (Ziffer 1) gezeigt habe.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Titel zum Artikel «Sagt das Volk Nein, muss Reinach zahlen» vom 25. Januar 2021 die Ziffer 1 (Wahrheitsgebot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, weil die Überschrift nicht der Wahrheit entspricht.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.