Nr. 37/2018
Informationsbeschaffung / Identifizierung

X. c. «Blick»

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I. Sachverhalt

A. Am 28. Juni 2017 veröffentlichte der «Blick» einen Artikel mit dem Titel «Noah (17) wegen Prügel fast erblindet». Darin wird über eine Attacke von 15 «jungen Migranten» auf den Gymi-Schüler berichtet. Der Vorfall habe sich gegen 23 Uhr im Luzerner Strandbad Ufschötti ereignet, wo Noah mit zwei Freundinnen Richtung See geschlendert sei. Ohne Vorwarnung sei er angegriffen worden und habe Platzwunden, eine beidseitige Nasenfraktur und einen Riss im linken Auge davongetragen. Die Attacke sei brutal gewesen, die Ärzte hätten zuerst nicht ausschliessen können, dass Noah erblinden würde. Zum Glück sei jetzt klar, dass das Auge verheilen werde.

Am folgenden Tag, dem 29. Juni 2017, erschien im «Blick» ein weiterer Artikel zu dem Thema. Der Titel lautete «Das sind die Schläger von Luzern». Das Opfer und die beiden Täter sind mit Fotos abgebildet. Die Augenpartie aller drei wurde mit einem schwarzen Balken unkenntlich gemacht. Die Bilder sind mit Vornamen sowie erstem Buchstabe des Nachnamens beschriftet. Pavao B. habe dem «Blick» auf Anfrage die Schläge gestanden. Es tue ihm unendlich leid und er wisse nicht, weshalb er derart ausgerastet sei. Er wolle sich beim Opfer entschuldigen. Er sei während des Vorfalls nicht einmal stark betrunken gewesen, die Polizei habe 0,8 Promille festgestellt. Die Clique habe aus rund 15 Personen bestanden, Schweizern und Ausländern. Noah habe jedoch zuerst provoziert, seine Mutter beleidigt und Bier über ihn geschüttet. «Blick» fährt fort: «Als diese gestern zum Gespräch dazustösst, zieht der Schläger das Interview wieder zurück.»

B. Am 10. Juli 2017 reichte der anwaltlich vertretene Pavao B. Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den «Blick» ein. Der Artikel «Das sind die Schläger von Luzern» stelle die mutmasslichen Täter mit Namen und Bild öffentlich an den Pranger. Die Nennung von Vorname und Kürzel des Nachnamens komme einer namentlichen Nennung gleich, insbesondere da Pavao in der Schweiz ein seltener Vorname sei. In Kombination mit dem Foto, das trotz schwarzem Balken über Augen- und Nasenpartie wichtige Gesichtspartien frei liesse, sei die Anonymisierung nicht gewahrt. Der Beschwerdeführer sei nach der Publikation des Artikels auf der Strasse angesprochen worden und habe Reaktionen per SMS und Anruf gekriegt. Es sei deshalb die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörige Richtlinie 7.2 verletzt, wonach die Namensnennung oder identifizierende Berichterstattung nicht zulässig ist. Im vorliegenden Fall überwiege das Interesse am Schutz der Privatsphäre dasjenige der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung. Das öffentliche Interesse an einer Aufklärung solcher Vorfälle gehe nicht so weit, dass die Nennung der Namen und die Veröffentlichung von Bildern einer nicht bekannten Person notwendig wären. Beim Beschwerdeführer handle es sich ausserdem um einen 18-jährigen Jugendlichen im dritten Lehrjahr, weshalb ein besonderes Mass an Diskretion zu wahren sei. Schliesslich werde die Tat im Artikel als sehr schwer dargestellt, obwohl die Staatsanwaltschaft das Verfahren nur wegen einfacher Körperverletzung eröffnen werde.

Weiter beanstandet der Beschwerdeführer die Art und Weise, in welcher der Journalist zu seinen Informationen kam. Der Reporter habe sich an den Wohnort des Beschwerdeführers begeben, während sich dieser bei der Arbeit befand, und unter dem Vorwand geläutet, er habe etwas mit seinem Hobby Handball zu tun. Dies habe er auch dem Vorgesetzten im Lehrbetrieb angegeben, als er später auf der Arbeitsstelle des Beschwerdeführers auftauchte. Pavao B. sei auf den Reporter nur eingegangen, weil er gedacht habe, es ginge um seine Karriere als Nachwuchshandballer. Der Reporter habe ihn jedoch direkt mit Vorwürfen zum Vorfall überhäuft. Im Artikel selbst sei erwähnt, dass der Schläger das Interview wieder zurückgezogen habe. Dies sei Indiz dafür, dass der Reporter nur durch Täuschung mit B. und seiner Familie habe sprechen können. Eine solche Vorgehensweise sei unlauter und verstosse gegen Richtlinie 4.1 der «Erklärung», denn der wahre Beruf als «boulevardesker Journalist» sei verschleiert worden. Ausserdem habe «Blick» gegen Richtlinie 4.5 der «Erklärung» verstossen, indem das Interview nicht autorisiert worden sei.

Das Vorgehen des «Blick» gleiche einer Vorverurteilung. Gemäss Art. 10 StPO gelte in der Schweiz jede Person bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig. Dieser Grundsatz, welchen auch Medien zu respektieren hätten, sei nicht eingehalten worden.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 4. Oktober 2017 beantragte der «Blick», die Beschwerde abzuweisen. Es liege kein Verstoss gegen Richtlinie 7.2 vor. «Blick» bestreitet ausserdem, dass die beiden Täter in medienethisch relevanter Weise identifizierbar sind. Das Bild sei mit dem Balken ausreichend unkenntlich gemacht worden und der Familienname sei abgekürzt worden. Eine Suche auf «search» und «local» ergebe, dass man mit Hilfe der im Artikel genannten Informationen unmöglich auf den Beschwerdeführer kommen könne. Dass alle, die ihn kennen, ihn erkennen, sei nicht das Problem des «Blick». Auch die Behauptung, B. sei auf der Strasse andauernd erkannt worden und per SMS angesprochen worden, täten nichts zur Sache.

Die Behauptung, Pavao B. geniesse als Volljähriger besonderen Schutz, weil er noch in Ausbildung sei, bestreitet «Blick». Der Beschwerdeführer habe eine Straftat begangen, die geeignet sei, das Leben eines ungefähr Gleichaltrigen aus der Bahn zu werfen und für diese Straftat gebe es nicht den Ansatz eines nachvollziehbaren Beweggrundes. Die Behauptung zudem, das Verfahren werde nur wegen einfacher und nicht qualifizierter Körperverletzung eröffnet, sei unbelegt.

«Blick» bestreitet den Vorwurf, sich unter dem Vorwand eines Sportinterviews ein Gespräch beschafft zu haben. Der Reporter habe nicht einmal gewusst, dass Pavao B. Handball spiele. Es sei in dem Interview nur um die Schlägerei gegangen. Unter dem Druck der Mutter habe er dieses später zurückziehen wollen, obwohl er davor sogar zugestimmt hatte, vom «Blick»-Reporter fotografiert zu werden. Der Vorwurf einer unlauteren Informationsbeschaffung sei deshalb unbegründet. Richtlinie 4.1 sei somit nicht verletzt. Der Beschwerdegegner bestreitet ebenso eine Verletzung der Richtlinie 4.5. Es sei kein Interview abgedruckt worden und nichts als Zitat ausgewiesen worden.

D. Am 27. Oktober 2017 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 28. September 2018 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 4 der «Erklärung» hält Journalistinnen und Journalisten an, nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne, deren Quellen ihnen bekannt sind, zu veröffentlichen. Es dürfen keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen werden und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen entstellt werden. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der dazugehörigen Richtlinie 4.1, welche eine Verschleierung des Berufs als Journalistin/Journalist bei der Informationsbeschaffung als unlauter qualifiziert. Der Verfasser des Artikels habe beim Gespräch mit dem Beschwerdeführer und seiner Mutter zwar angegeben, Journalist zu sein, jedoch seinen wahren Beruf als «boulevardesker Journalist» verschleiert. Er habe Pavao B. im Glauben gelassen, er verfasse einen positiv gefärbten Bericht über seine Leistungen in der Handball-Nachwuchsmannschaft und nicht einen reisserischen Artikel gegen ihn. «Blick» bestreitet dies, es sei immer klar gewesen, dass es um die Schlägerei gehe. Der Presserat kann sich über den genauen Inhalt des Gesprächs nicht äussern, es steht Aussage gegen Aussage. Richtlinie 4.1 ist somit nicht verletzt.

2. Pavao B. rügt weiter eine Verletzung von Richtlinie 4.5. Diese hält fest, dass ein Interview auf einer Vereinbarung zwischen zwei Partnerinnen/Partnern basiert, welche die dafür geltenden Regeln festlegt. Ausserdem müssen Interviews im Normalfall autorisiert werden. Ohne ausdrückliches Einverständnis des Gesprächspartners sind Medienschaffende nicht befugt, aus einem Gespräch nachträglich ein Interview zu konstruieren. Der Beschwerdeführer sieht diese Vorschrift verletzt, er habe das Interview ausdrücklich zurückgezogen. «Blick» hält demgegenüber fest, dass gar kein Interview abgedruckt und nichts als Zitat ausgewiesen worden sei. Auch der Presserat qualifiziert das Gespräch mit Pavao B. nicht als Interview, sondern als Recherchegespräch. Damit findet Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche) anstelle von Richtlinie 4.5 (Interview) Anwendung. Richtlinie 4.6 schreibt vor, dass der befragten Person bewusst sein muss, dass sie eine Autorisierung der zur Publikation vorgesehenen Äusserungen verlangen darf. Vorliegend ging es allerdings nicht um die Autorisierung einzelner Äusserungen, sondern um das Zurücknehmen des ganzen Gesprächs. In seiner Stellungnahme 42/2010 hatte der Presserat festgehalten, dass einen entscheidenden Schritt Richtung Öffentlichkeit macht, wer sich an eine Redaktion wendet und Vertrauliches preisgibt. Dann können diese Informationen nicht mehr willkürlich zurückgezogen und die Veröffentlichung untersagt werden. Dies gälte nur, wenn Informant und Journalist dies speziell vereinbarten. Im vorliegenden Fall hat sich Pavao B. nicht von sich aus an den Journalisten gewandt. Allerdings war er bereit, über den Tathergang zu sprechen. Seine Aussagen sind faktischer Natur, drücken somit nicht seine Meinung aus. Und sie rücken den Beschwerdeführer nicht in ein schlechteres Licht, sondern sprechen zu seinen Gunsten: Im Artikel heisst es, es tue Pavao B. leid und er möchte sich beim Opfer entschuldigen. Ausserdem hatte er die Gelegenheit, seine Sicht des Tathergangs zu schildern und zu präzisieren, dass die Gruppe aus Schweizern und Ausländern bestanden habe. Aus all diesen Gründen sieht der Presserat Richtlinie 4.6 nicht verletzt.

3. Der Beschwerdeführer rügt zudem eine Verletzung der Richtlinie 7.2. Diese Richtlinie hält Journalisten dazu an, bei der Identifizierung in Berichterstattungen die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig abzuwägen. Namensnennung und/oder identifizierende Berichte sind nur unter genau umschriebenen Umständen zulässig. B. bringt vor, sein Name sei nicht genügend anonymisiert worden. Die Nennung seines seltenen Vornamens in Kombination mit dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens sowie dem Foto machten ihn eindeutig identifizierbar. «Blick» hält dem entgegen, dass das Foto durch den schwarzen Balken über der Augenpartie genügend anonymisiert wurde. Ausserdem könne man mit «Pavao B.» auf «search» und «local» nicht auf den Beschwerdeführer schliessen.

Festzuhalten ist, dass in Bezug auf den Beschwerdeführer das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung überwiegt. Richtlinie 7.2 bestimmt, dass in einem solchen Fall Journalisten weder Namen noch andere Angaben veröffentlichen, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden. Das Foto des Beschwerdeführers zeigt sein Gesicht, dessen Augenpartie mit einem breiten Balken, der bis zu den Nasenflügeln reicht, verdeckt ist. Diese Anonymisierung ist genügend, um eine Person für den Durchschnittsleser unkenntlich zu machen. Dürfte der Beschwerdeführer selbst von näheren Bekannten nicht erkannt werden, käme dies einem generellen Verbot der Publikation von Fotos gleich. Aus dem Argument von B., er sei auf der Strasse angesprochen und mittels Anrufen und SMS kontaktiert worden, lässt sich daher nichts ableiten. Richtlinie 7.2 ist somit nicht verletzt.

Ähnlich verhält es sich mit Nennung des Vornamens und des ersten Buchstabens des Nachnamens: Nur wer Pavao B. sowieso kennt, kann ihn identifizieren. Für alle übrigen Leserinnen und Leser bleibt seine Identität anonym. In konstanter Praxis erachtet der Presserat eine Anonymisierung als genügend, wenn der Vorname vollständig genannt und der Nachname mit dem ersten Buchstaben abgekürzt ist (vgl. Stellungnahme 34/2015). Richtlinie 7.2 ist auch unter diesem Aspekt nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «Blick» hat mit dem Artikel «Das sind die Schläger von Luzern» vom 29. Juni 2017 die Ziffern 4 (Informationsbeschaffung) und 7 (Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.