Nr. 35/2022
Trennung von Fakten und Kommentar / Trennung von redaktionellem Teil und Werbung / Nennung von Marken und Produkten

(X. c. «Tages-Anzeiger» und weitere Titel)

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I. Sachverhalt

A. Am 22. Februar 2022 erschien im «Tages-Anzeiger» und im «Landbote» online (am 24. Februar 2022 in der Printausgabe) sowie weiteren Titeln der TX Group ein Artikel gezeichnet von Isabel Strassheim über eine stark expandierende Kette von Physiotherapie-Praxen und deren Initianten-Team, ein Ehepaar. Titel: «Dieses Ehepaar schafft die Therapie hinterm Vorhang ab». Untertitel: «Martina Landolt störte, dass sie als Therapeutin die Geräusche hinterm Vorhang nebenan hören musste. Sie führte bei ihrer Kette neue Standards ein. Ebenso: Höhere Löhne.»

Der Artikel führt aus, dass in ihren inzwischen 25 «Physiozentrum»-Praxen alles weggelassen worden sei, was die Gründerin als Physiotherapeutin in traditionellen Praxen gestört habe. Etwa die Abtrennung nur durch Vorhänge, alle ihre Behandlungsräume seien durch feste Wände getrennt. Es gebe auch Umkleide- und Pausenräume für das Personal und grosse Flächen mit Fitnessgeräten für die PatientInnen zur aktiven Therapie, für einen gezielten Muskelaufbau.

Die Idee zu einer solchen Kette von Physiotherapiezentren, alle in zentraler Lage grösserer Städte, sei ihrem Mann, einem Journalisten gekommen, als er sich für einen Artikel nach dem Geschäftsmodell von «Zahnarztzentrum.ch», einer Kette von Zahnarztpraxen, bei deren Gründer erkundigt habe. Daraus sei ein Geschäftsgespräch entstanden, die Idee, Gleiches mit Physiotherapie-Praxen zu versuchen. «Zahnarztzentrum.ch» sei als Folge davon auch zu 50 Prozent an «Physiozentrum» beteiligt. Zum Kettenkonzept gehöre, den «knapp 300 Physiotherapeutinnen, Masseuren und Praxisassistentinnen höhere Löhne zu zahlen, etwa 10 bis 20 Prozent über dem üblichen Niveau». Da die Krankenkassen für physiotherapeutische Behandlungen gleichbleibend 50 Franken pro Behandlung zahlten, liege das Geheimnis hinter den höheren Löhnen – laut den Initianten – beim «Fleiss der Mitarbeiter», welche mehr Patienten pro Tag betreuten als andere Therapeuten. Und man habe Praxisassistentinnen, welche den Therapeuten Telefonate, Terminvereinbarungen und die gesamte Administration abnähmen. Ein kleiner Teil des Lohnes sei abhängig vom erzielten Umsatz. Wer gut mit seinen Patienten arbeite, bringe diese auch dazu, zeitnah Folgetermine zu buchen, das steigere auch den Erfolg der Behandlungen. Schliesslich wird die Präsidentin des Verbandes Physioswiss zitiert, welche darauf hinweist, dass die Häufigkeit von Behandlungen für sich allein nichts über deren Therapieeffekt aussage.

B. Am 30. März 2022 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, der Artikel verletze die Richtlinie 2.3 zur Ziffer 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), die Richtlinien 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) sowie 10.3 (Nennung von Marken und Produkten) zur Ziffer 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).

Die Richtlinie 2.3, das Gebot der Trennung zwischen Fakten und Kommentar, sieht der Beschwerdeführer (BF) dadurch verletzt, dass der Artikel impliziere, Behandlungsräume, die nur mit Vorhängen getrennt seien, seien nicht gut genug. Das sei so nicht richtig. Das treffe allenfalls zu bei veralteten, «passiven» Therapien, wie sie die beschriebene Kette der «Physiozentren» anbiete. Grundsätzlich seien diese zwar sicher gut ausgerüstet. Aber auch die Aussagen hinsichtlich der höheren Löhne seien «unvollständig recherchiert». So werde nicht gesagt, im Vergleich zu welchen Löhnen diejenigen der «Physiozentren» 20 Prozent höher seien. Vor allem aber werde nicht gesagt, dass diese Zentren oft nur 20-minütige Therapien anböten, was es erlaube, den Kassen 3 statt 2 Therapien pro Stunde zu belasten. Dieses 50 Prozent höhere Einkommen werde aber nur zu einem kleinen Teil an die MitarbeiterInnen weitergegeben. Die verkürzte Therapiezeit habe hingegen einen Abstrich an Qualität zur Folge. Diese wichtigen Hintergründe spreche der Artikel nicht an. Auch nicht, dass bei diesen Zentren eine grosse Personalfluktuation festzustellen sei, was damit zu tun habe, dass es den Behandelnden nicht möglich sei, in genügendem Mass auf die Bedürfnisse der Patientenschaft einzugehen.

Unter dem Titel Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung (Richtlinie 10.1) kritisiert der BF, dass die Autorin keine Gegenstimmen, keine anderen Meinungen zum Thema eingeholt habe. Wenn sie dies bewusst getan habe, laufe dies auf Schleichwerbung hinaus, wenn nicht: auf einseitigen Journalismus.

Und Richtlinie 10.3 (Lifestyle-Bericht: Nennung von Marken und Produkten) sieht der BF verletzt, weil der Name der Physiokette zentral genannt werde, in einem Artikel, der nicht überprüfe, ob die Fakten stimmen, der keine Vergleiche anstelle. In einer Randnotiz wäre die Nennung gerechtfertigt gewesen, nicht aber so zentral wie hier.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 19. Mai 2022 beantragte die Rechtsabteilung der TX Group als Vertreterin von «Tages-Anzeiger» und «Landbote», die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Die Richtlinie 2.3, welche die klare Trennung von Fakten und Kommentar verlangt, sei nicht verletzt. Die Feststellung, dass in den «Physiozentren» nicht hinter Vorhängen gearbeitet werde, entspreche keinem Kommentar der Autorin, sondern einer Feststellung der Frau, die im Rahmen eines Firmenporträts zitiert werde. Das bedeute im Übrigen auch nicht, dass alle Praxen, die mit Vorhängen ausgestattet seien, deswegen unprofessionell handelten.

Der Vorwurf, wonach der Passus über die höheren Löhne nicht ausreichend recherchiert gewesen sei, wird zurückgewiesen. Man habe sich dabei am «Lohnhandbuch des Kantons Zürich» orientiert und sei nicht weiter auf das Thema eingegangen, was in der «Redaktionsfreiheit der Autorin» liege. Was die kürzere Behandlungsdauer von nur 20 Minuten in den «Physiozentren» betrifft, werde das auch in anderen Praxen so gehandhabt und zwar auch dort mit dem erklärten Ziel einer höheren Rendite. Ob eine Verkürzung der Therapien zu schlechterer Qualität führe, sei eine politische Frage, die nicht Gegenstand des Artikels sei. Der Hinweis darauf, dass ein höherer Lohn resultiere, wenn eine höhere Patientenzahl erreicht werde, sei weder werblich noch kommentierend, er zeige im Gegenteil auf, wie sehr in dieser Kette auf Umsatz gesetzt werde. Und zu der allfälligen Personalfluktuation im Bereich Physiotherapie lägen keine Zahlen vor, auf die man abstellen könne, der Artikel verschweige nicht, dass die Arbeit in diesen Zentren intensiv sei.

Richtlinie 10.1, das Gebot der Trennung von redaktionellem Teil und Werbung, sei ebenfalls nicht verletzt: Der Vorwurf, dass man keine Gegenpartei, keine andere Meinung eingebracht und damit Schleichwerbung betrieben habe, sei schon dadurch widerlegt, dass die Präsidentin des Berufsverbands Physioswiss zitiert werde und zwar zur Frage der Frequenz von Behandlungen und auch generell zur Behandlungsqualität und der Auswirkung solcher Physiotherapie-Ketten auf die gesamte Branche. Das Ergebnis laute, dass die von der Kette angewandten Methoden zwar positive Aspekte zeigten, dass sie aber keine allgemein anwendbare Lösung seien.

Auch die Richtlinie 10.3 sei nicht tangiert. Es handle sich hier um einen Lifestyle-Artikel über ein Ehepaar, das eine Kette von Therapiezentren gegründet habe, dessen Beweggründe, Lebenshintergrund, Arbeitsaufteilung. Ziel sei es gewesen zu zeigen, welche Eigenschaften diese Unternehmenskette besonders machen. All dies sei für die Leserschaft erkennbar gewesen.

D. Am 31. Mai 2022 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Max Trossmann, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 8. August 2022 verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzustimmen, wenn er sagt, es wäre interessant und wohl auch wichtig gewesen zu erfahren, dass die beschriebenen höheren Löhne bei der Kette «Physiozentrum» teilweise auf die kürzeren Therapiesitzungen, entsprechend dichtere Pensen und so ermöglichte zusätzliche Krankenkassen-Leistungen zurückzuführen seien. Aber dieser Aspekt ist in Teilen angesprochen mit der Bemerkung, die Kassen zahlten pro Behandlung 50 Franken, die TherapeutInnen in diesen Zentren behandelten halt mehr Patienten als andernorts. Auch die Problematik von kürzeren Behandlungszeiten und dafür einer höheren Kadenz von Behandlungen ist – im Gespräch mit der Präsidentin von «Physioswiss» – kurz problematisiert. Vor allem aber kann der Presserat in der gesamten Schilderung dieser Firma und von deren Betreiberehepaar keine mangelnde Trennung von Fakten und Kommentar erkennen. Die als solche bemängelten Passagen stützen sich – leicht erkennbar – auf Aussagen des Gründer-Ehepaars. Der BF macht denn auch gar kein Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen (Ziffer 3 der «Erklärung») geltend. Die Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) ist nicht verletzt.

2. Eine mangelnde Trennung von redaktionellem Teil und Werbung (Richtlinie 10.1) läge dann vor, wenn «Physiozentrum» die Redaktion oder die Autorin für den Text bezahlt hätte. Das wird nicht geltend gemacht. Man mag den Artikel für zu wenig kritisch abgefasst halten, aber ein kaschierter, bezahlter Werbetext wird nicht geltend gemacht und ist es auch nicht. Richtlinie 10.1 ist nicht verletzt.

3. Auch eine übermässige Nennung von Namen und Produkten im Rahmen eines Lifestyle-Berichts liegt nicht vor. Der Name der Therapie-Kette wird nicht übermässig viel genannt. Das wäre dann der Fall, wenn «hochlobende Präsentation von Konsumgegenständen, die häufiger als nötige Nennung von Produkte- oder Dienstleistungsmarken und die blosse Wiedergabe von Werbeslogans im redaktionellen Text die Glaubwürdigkeit des Mediums und der Journalistinnen und Journalisten gefährden» (Richtlinie 10.3). So weit geht die Nennung der Firma klar nicht, Richtlinie 10.3 (Lifestyle-Berichte; Nennung von Marken und Produkten) ist nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Der «Landbote» und der «Tages-Anzeiger» haben mit dem Artikel «Dieses Ehepaar schafft die Therapie hinterm Vorhang ab» vom 22. (online) respektive 24. Februar 2022 (Print) die Ziffern 2 (Trennung von Fakten und Kommentar) und 10 (Vermeidung von Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.